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Der Kühlschrank, dein Freund und Helfer
Als Peter bemerkte, dass er den Kühlschrank offen gelassen hatte, war es bereits zu spät. Linda steuerte schon darauf zu. Einen Moment lang hatte er noch gehofft, dass sie die Tür schlösse, ohne hineinzusehen, doch Linda war nun einmal eine Frau.
Dieser Abend sollte eine Wiedergutmachung für ein verpatztes Date werden. Das Abendessen, letzten Freitag, verlief etwas unglücklich, weswegen die beiden es heute mit Ausgehen versuchen wollten. Noch vor zehn Minuten schritt Peter geduscht, deodoriert und gestylt langsam durch seine Wohnung und versuchte sich diese, mit den Augen Lindas vorzustellen. Liebevoll rückte er dies und das noch ein wenig zurecht, sammelte einige Staubmäuse auf und versteckte das ein oder andere hinter Kissen und Türen. Wohnzimmer, Flur, Schlafzimmer (man weiß ja nie), Badezimmer.
Als er durch die Küche lief, fiel sein Blick auf das dreckige Geschirr der letzten beiden Wochen. „Mist!”, schimpfte er, „Abspülen vergessen.” Es klingelte ein zweites Mal. „Moment!”, schrie er in Richtung Wohnungstüre, und: „Ich komme!” Er riss die Backofentüre auf, schnappte sich einen Stapel Teller und ließ sie darin verschwinden; die Lücken zu beiden Seiten füllte er mit Gläsern auf. Das Besteck warf er einfach zurück in die Schublade. Eine Pfanne, drei Müslischalen und … Igitt, was war das denn gewesen? Kurzerhand öffnete er den Kühlschrank, schob ein paar Dinge beiseite und zögerte. Socken? Ach, ja, die hatte er nach dem letzten Wohnungsschnellputz darin vergessen. Als es ein drittes Mal klingelte, sprintete er zur Türe, holte tief Luft und öffnete mit seinem charmantesten Lächeln.
„Ich dachte schon, du hast dich eingesperrt und den Schlüssel irgendwo vergessen.” Linda lächelte nicht.
„Vergessen, hähä, ja.” Er hatte den Seitenhieb verstanden.
Bei ihrem ersten Date hatte er Linda zu einem der beliebtesten Italiener der Stadt eingeladen. „Für dich kommt nur das Beste in Frage”, hatte er großspurig zu ihr gesagt, als sie die Trattoria betraten und auch gleich eine Flasche des teuren Rotweines bestellt. Dummerweise bemerkte er erst viel zu spät, dass er seinen Geldbeutel vergessen hatte und musste Linda bitten, zu bezahlen. Das war die unangenehmste Sache eines ohnehin missglückten Abends, barg aber einen Vorteil: Er hatte nicht nur einen Vorwand, sondern sogar die Verpflichtung, Linda um eine zweite Verabredung zu bitten, um das erste Desaster wieder gutzumachen. Nun stand Linda hier, vor seinem Kühlschrank, und starrte ungläubig hinein.
„Ähm, das ist ein alter Trick meiner Großmutter”, improvisierte er, „Der Schmutz geht besser raus, und die Bakterien werden garantiert abgetötet.” Er schloss die Kühlschranktüre und gab sich alle Mühe, sämtliche Zweifel auszuräumen: „Meine Oma wurde über hundert Jahre alt - wahrscheinlich deswegen. Sie hatte eine riesige Kühlkammer bei sich im Haus, für die Wäsche und so.” Linda zog die Augenbrauen zusammen. Hatte er übertrieben?
„Was möchtest Du trinken?”, wechselte er das Thema, um den erfreulichen Teil des Abends beginnen zu lassen.
„Nichts aus dem Kühlschrank”, sagte Linda, setzte jedoch versöhnlicher hinzu: „Vielleicht erst einmal ein Glas Rotwein.”
Die nächste halbe Stunde lockerte sich die Stimmung ein wenig, die Flasche Wein leerte sich zusehends, und Peter begann Pläne für den bevorstehenden Abend zu schmieden.
„Ich muss mal zur Toilette”, sagte Linda und blickte Peter fragend an. Au scheiße, dachte Peter. Das Klo. Ich hab vorhin vergessen das Fenster zu öffnen. Er sprang auf und brabbelte: „Kühlschrank auf, Fenster zu, das ist doch …” Mutlos sank er auf seinen Stuhl zurück und fügte sich in sein Schicksal. „Gleich die Tür da vorne rechts. Die mit dem … ”, er stockte, „mit dem hässlichen Comic drauf.” Ob Gebete den Schweregrad der Luftverunreinigung mindern könnten?
Ein weiterer beunruhigender Gedanke kam ihm, als Linda die Türe hinter sich schloss: Er hatte gespült, ohne danach in die Schüssel zu sehen. Hätte er eine Bürste benutzen sollen? Die paar Minuten, die Linda lautlos hinter der Türe verbrachte, auf der eine schlechte Karikatur mit den Worten „Nicht stören! Hier arbeitet ein Klugscheißer” zu sehen war, kamen Peter vor wie eine Ewigkeit, in der er sich Lindas verstörende Reise durch sein Badezimmer vorstellte.
War sie, nachdem sie wieder zurückkam, tatsächlich etwas blass um die Nase, oder bildete er sich das nur ein?
Er kicherte verstört, füllte ihr noch fast volles Glas Wein auf und versuchte es mit einem Kompliment: „Wenn du lächelst, bist du hübscher. Äh! Also ein wenig. Nein, viel! Also, nicht, dass du jetzt nicht auch hübsch wärst …”, er seufzte. Da fiel ihm etwas ein, und er sprang auf. „Ich habe ein kleines Geschenk für dich. Als Entschuldigung für unser verpatztes Date”, sprudelte er heraus und setzte dann schnell nach: „Also für … dafür, dass ich mein Geld vergessen hatte.” Schnell holte er das kleine Päckchen aus seinem Versteck und überreichte es ihr. Sie nahm es unsicher an sich, doch schließlich lächelte sie und bedankte sich, wenn auch nicht überschwänglich.
Linda förderte ein kleines Sparschwein aus Porzellan zu Tage, auf dessen dickem Bauch „Abendessen” stand. Als sie nicht gleich zu verstehen schien, kam er ihr mit „Falls ich mal wieder meinen Geldbeutel vergesse. In Zukunft.” zu Hilfe. Die Art und Weise, wie Linda daraufhin die Worte „in Zukunft” wiederholte verunsicherten ihn, doch gleich darauf stand sie auf, strahlte ihn an und sagte: „Komm, lass uns rüber ins Clubz gehen, da geht heute was. Falkbrönner legt auf. Das Geschenk lasse ich so lange hier, okay? Das nehme ich dann morgen mit.”
Morgen? Peter strahlte. Das konnte nur bedeuten, dass bei dieser Verabredung das Frühstück inklusive war.
Im Club war die Stimmung wieder entspannter. Sein Mädchen tanzte, Peter sah zu und grinste, in Erwartung auf das Frühstück, jeden siegessicher an. Irgendwann kamen zufällig ein paar Freundinnen von Linda, und bald darauf war sie plötzlich gegangen. Peter frühstückte am nächsten Morgen mit dem Sparschwein.
Ein paar Wochen später:
Peter durchstreifte die Wohnung und versuchte sie, mit den Augen Julias zu sehen. Hier und da rückte er ein paar Kleinigkeiten zurecht, das ein oder andere versteckte er sorgfältig. Das Poster an der Toilettentüre hatte er entfernt, das Geschirr war abgespült. Als er durch die Küche lief, klingelte es. Bevor er ging, um Julia hereinzubitten, öffnete er die Kühlschranktüre. Ein paar der Blumen rutschte er ein Stück nach vorn, die Flache Weißwein klemmte er in die Türe, damit sie nicht zufiel, dann rief er „Ich komme!” und machte sich auf den Weg.