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Der Junge oder Das Leben und ein Traum
Der Junge, das Leben und ein Traum
Der Junge, das Leben und ein Traum
Es war einmal ein kleiner Junge, der sich meist immer irgendwo versteckte, wenn er nicht gerade mit seinen Freunden Fußball oder Cowboy und Indianer spielte. Er hing dann einfach seinen Gedanken nach und sagte Niemandem etwas davon, wovon er träumte. Schließlich hatte man ihn ja schon ein paar Mal ausgelacht. Seine Mutter sagte oft zu ihren Freundinnen und Bekannten, auch weil er so eine liebe Singstimme hatte: "Ich weiß nicht, was der immer so träumt. Der wird doch nicht Mal so ein armer Dichter oder Musiker werden, so ein irrer Hungerkünstler. Das hoffe ich ja doch nicht." Es störte ihn aber überhaupt nicht, wenn er das hörte.
Als er dann seinen 8. Geburtstag feierte, bekam er von seiner Lieblingstante sein erstes dickes Buch geschenkt. "Unter Geiern" von Karl May. Er verschlang es und danach folgten alle dicken 72 Wälzer dieses Großen Erzählers. Ja, er wollte auch so ein Karl May werden und so herrliche, spannende Geschichten schreiben. Und neben diesem Karl May las er auch alle anderen großen Jugenddichter. Oft lag er heimlich Nachts unter der Tuchend mit der Taschenlampe und las und las. Vielleicht hat er ja davon heute seine schlechten Augen. Nichts Anderes auf dieser Welt war ihm so wichtig, wie das Lesen. Seine Mutter und sein Vater haben es ihm oft verboten. Doch irgendwie schaffte er es immer wieder, ein Buch zu lesen. Heimlich unter dem Tisch, während er so tat, als würde er lernen oder seine Aufgaben machen. Wenn jemand in sein Zimmer kam, zwickte er das Buch mit einem Knie unter die Tischplatte. Natürlich wurde er des Öfteren erwischt, aber er ließ sich immer wieder neue Tricks einfallen. Das Buch einfach in die geöffnete Schultasche fallen lassen, ging auch eine Weile ganz toll. Er staunte selber oft, wie einfallsreich man sein konnte, wenn man musste.
Doch eines Tages, so um die 14 herum, wurden sie ihm auf einmal langweilig, diese Kindergeschichten. Er erzählte dann dem alten Mann in seiner Lieblingsbücherei davon. Der sah ihn mit seinen gütigbraunen Augen an, griff hinter sich in ein Regal und meinte: "Sieh mal, ich denke, das wäre was für dich. Bist zwar vielleicht noch etwas zu jung dafür, aber so viel was du schon gelesen hast, bist du vielleicht doch schon reif für. Mal sehen, lies mal, und wenn es dir gefällt, habe ich noch mehr davon." Der Junge sah auf den Umschlag: Hermann Hesse - Der Steppenwolf. Noch nie von gehört. Na ja.
Peng. Peng und noch Mal Peng. Der saß. Dann folgten Sidharta, Narziss und Goldmund, die Gedichte. Hesses Gedichte, und von einem Tag auf den anderen wusste er, wohin er gehörte. Er staunte nur so darüber, wie viel man mit so wenigen Worten sagen konnte. Und dann drückte ihm sein alter Mentor eines Tages die Morgue-Gedichte von Gottfried Benn in die Hand. Inzwischen hatte er nämlich den Mut gefunden und ihm seine Geschichten und Gedichte, die er schon geschrieben hatte, zum Lesen gegeben. Der Alte lobte ihn dafür. Und als er ihn dann einmal fragte, ob er denn wirklich seine Geschichten und Gedichte lesen würde, schließlich sei er ja noch ein kleiner Junge und kein Dichter, da zitierte der Alte urplötzlich einen seiner Verse. So schön hatten sie bei ihm selbst nie geklungen. "Du bist ein Dichter, Kleiner. Wenn nicht, will ich Balthasar oder Melchior heißen." Und da lachten sie dann gemeinsam.
So was spornte an. Nun teilte sich seine Freizeit in Lesen und Schreiben. Und alle seine Geschichten und Gedichte gab er dem Mann zum Lesen. Und der alte Mann drückte ihm dafür jede Woche ein, zwei Bücher in die Hand. Wundervolle, herrliche Bücher. Meist einen Roman, eine Erzählung und einen Band mit Gedichten oder Prosa. Und der Junge liebte diese Gedichte und diese Prosa, und verschlang sie. Aber Gedichte liebte er am Meisten. Und vor Allem liebte er bald diese Expressionisten, die so tapfer waren damals, so wirklich und überhaupt nicht abgehoben vom Leben. Und diese Realisten unter den Dichtern passten auch zu seinen Träumen, zu seinen furchtbaren Träumen, die ihn des Nachts oft überkamen und so quälten. Eigentlich las er ja in letzter Zeit nur deshalb Nachts so viel und so lange, bis ihm die Augen zu fielen, weil er Angst hatte. Angst vor diesen furchtbaren, so furchtbar furchtbaren Träumen. Und er wusste nicht, woher die kamen.
Oft wurde er des Nachts wach, saß dann aufrecht in Schweiß gebadet und weinte. Er erzählte seiner Mutter von seinen so unheimlich furchtbar furchtbaren Träumen. Die meinte nur: "Jetzt hörst du mit dieser blöden Leserei auf, ein für alle Mal. Diese blöde Leserei ist Schuld an deinen blöden Träumen." Und sie kam jede Nacht vor dem Schlafen gehen ins Zimmer und kontrollierte eine Zeit lang sein Bett und das Zimmer, ob er nicht doch irgendwo eines dieser blöden Bücher versteckt hatte. Aber er hatte einen super Schmäh. Er steckte sich das Buch einfach unter die Pyjamahose unter seinen Hintern und saß drauf, während sie suchte. Und komischer Weise hat sie da nie nachgeschaut. Aber von seinen Träumen hat er ihr dann nie wieder was erzählt. Wenn sie ihn danach gefragt hat, hatte er einfach keine bösen Träume mehr.
Aber dem alten Mann erzählte er von seinen so furchtbar furchtbaren Träumen und er fragte ihn, ob die wirklich von diesen Büchern kämen. Der alte Mann sah ihn mit seinen gütigbraunen Augen an und meinte: "Ne, böse Träume kommen nicht von guten Büchern. Träume sind wie das Meer. Manche Menschen leben am Meer und manche nicht. Menschen, die am Meer leben, träumen oft von den Bergen oder von Wüsten. Menschen, die noch nie das Meer gesehen haben, hören Nachts sein Rauschen. Manche Menschen träumen, manche nicht. Manche Träume sind so tief, wie das Meer. Man weiß gar nicht, dass man träumt. Träume können auch so wild sein, wie das Meer. Und so, wie man nie weiß, was dieses wilde, unzähmbare, so unheimlich tiefe Meer morgen für dich mitbringt, so weiß man auch nicht, warum manche Menschen manche Träume haben. Es gibt einen Haufen Bücher über Träume. Und noch viel mehr Bücher gibt es über das Deuten von Träumen. Da gibt es die wildesten Geschichten. Aber ob da irgendetwas dran ist, das kann keiner sagen, nicht mal die, die die Bücher geschrieben haben. Und glaub´ mir, von guten Büchern kommen keine bösen Träume. Die sind halt einfach in dir drinnen, weiß der Teufel, warum. Wirst halt lernen müssen, damit zu leben. Ich habe auch so furchtbare Träume, aber ich weiß zumindest wieso. Weißt du, meine Träume kamen erst, als ich schon älter war. Ich träume immer von diesen Lagern, du weißt schon. Ich habe dort meine Frau, meine 2 kleinen Kinder und meinen Bruder und all meine Freunde, Bekannten und Verwandten verloren. Alle, und oft auf furchtbare, so unheimlich furchtbar furchtbare Weise. Es ist schrecklich, furchtbar furchtbar schrecklich, was Menschen anderen Menschen antun können. Und davon träume ich immer, auch heute noch."
Und dann erzählte ihm der Alte von den Lagern in Polen, von den Duschräumen, den Öfen, dem Steinbruch, in dem er eine Zeit lang schuften musste, bis man ihn in die Schreibstube holte, weil er doch ein Studierter war und so tat, als würde er etwas von Buchhaltung verstehen. Ein Freund hat ihm das Wesentlichste davon in ein paar Nächten beigebracht. Und er erzählte ihm auch von seinem Leben davor, und von der Zeit damals. Und von seiner Einsamkeit heute. Und der Junge besuchte seinen Freund dann noch öfter, meist zwei, drei Mal in der Woche. Der alte Mann konnte einfach unheimlich gut erzählen. Und der Junge glaubte, dass der alte Mann gern erzählte, denn er schaute immer ganz böse auf, wenn jemand in die Bücherei kam und dabei störte.
Der Alte drückte dem Jungen damals auch zwei so Bücher über Träume in die Hand. Geholfen haben sie nicht. Er hatte auch nachher noch diese furchtbaren Träume. Aber er wusste dann zumindest, dass er nicht damit alleine war und dass die Träume jedenfalls nicht von seinen Büchern kamen. Das war immerhin schon Etwas. Es nahm ihm zumindest sein schlechtes Gewissen, das er seiner Mutter gegenüber hatte, weil er sie belog.
Aber es hat geholfen, mit dem alten Mann darüber zu reden. Und irgendwann hat er dann angefangen, über diese Träume zu schreiben. Das hat auch ein wenig geholfen, aber die Träume kamen trotzdem immer und immer wieder. Furchtbare Träume. Und deshalb liebte er diese alten Dichter, diese Expressionisten so sehr. Die hatten auch Träume, die mussten sie gehabt haben, sonst hätten die nicht so schreiben können. Diese furchtbaren Bilder vom Krieg, von Krankheiten, von Bestien in Mensch- und Tiergestalt. Und das Alles zu einer Zeit, als es noch gar nicht geschehen war. Die Dämonen, die über der Stadt hockten und ihre dunklen Schatten warfen durchs Häusermeer bis hinein in die kalten Stuben. Die Ratten, die in Wasserleichen, sich an Leber und Niere satt knabbernd, an den Strand getrieben wurden. Ein ersoffener Bierfahrer hatte eine helllila Aster zwischen die Zähne geklemmt. Puuhh, wie gruselig. Nebelwesen, gesichtslos, die wild zerrten an den sich im Nachtwind bauschenden Vorhängen und Angst machten vor der Welt da draußen.
Und über dem kleinen Jungen hing wie eines Tieres abgezogene Haut ein roter Turm, der sein flackerndes Licht warf in seinen Raum, wie der Widerschein von Blut. Das Feuer brauste wie Sturm über die abgesäbelten, überall herum liegenden und alles madig machenden Köpfe, mit den hervor quellenden, aus allen Winkeln ihn anblickenden rot adrigen Stechaugen. Ganze Völker trieben willenlos in einen Tod. Narren hüpften wie besessen von Kopf zu Kopf und lachten ein irres Klirrenlachen. Der Kobold Hunger mit seiner langen Schlangenzunge warf schwarze und braune Gerippe durcheinander, dass ihm nur so der Schädel brummte. Fette Frackfiguren, denen die Geldscheine aus den Taschen quollen, pressten diesen ausgemergelten Toten die Leiber und die Hälse, doch es kam kein Blut. Der gelbe Seuchenwind kroch feuchtklebrig, wie Schwaden von Nebel, über das Land und erstickte Alles darunter. Wüsten, so schwarz vom Öl, brannten lichterloh in kleinen, kurzen Flammen und darüber Nacht. Ewig dunkle, finstre Nacht. Selbst am Tag drang kein Sonnenstrahl durch diese dicke Wolke von Rauch. Vögel und Fische trieben elendiglich verreckt in bleiernen Wellen in diesem schwarzen Meer. Manche Vögel versuchten noch zu flattern, doch die Flügel waren vom dreckigen Pick so schwer. Manche Fische röchelten mit weit offenem Maul und sahen ihn an, mit für Fische so ungewohnt lebendigen Augen der Qual und starben. Ein Zug voller Leichen, deren Beine und Arme über Waggonwände hingen, zog Nacht für Nacht in wankenden Schattenfiguren über Wand und Decke an ihm vorüber. Ein riesiges Becken, in dem Soldatenstiefel Kindsköpfe zertraten, in Großaufnahme, immer und immer wieder, und die Frauen, die in Höllenqualen kreischten, während Riesenpenisse mit Soldatenkappen auf die Riesenöffnungen von heraus spritzendem Blut einstachen und dabei lachten. Elektroschockkabel zischten wie wild gewordene Riesenschlangen in dieser verängstigten Menschenmasse herum und verspritzten Lichterblitze, während die Menschen vor Schmerz aufschrieen, wenn sie den Funken zu nahe kamen. Und die vielen, vielen Mannsgestalten, die vornüber sackten, während Pistolen an Beinen herum stelzten und sich in die Genicke davor verschossen. Und am Beckenrand die blaugrünen Helme, mit den weinenden Augen, zum Schutz befohlen, aber unfähig, auch nur einen einzigen Finger zu rühren. Und das Schrecklichste dabei, dieses Zittern der gesichtslosen Helme. Ein einziges lautes, schnelles und tausendfaches Tacka-ti-tacka-ti-tack auf Beton. Und dazwischen die tanzenden Derwische, mit diesem Hauch von Spur nur von einem Gesicht. Und die vielen, vielen, vielen anderen Bilder. Die Ratten, die eingesperrt hinter Wassern warten, böse und wild, sich selbst auffressend und sich trotzdem bis zur Unzahl vermehrend, zu Tausenden darauf wartend, dass das Wasser weiche. Krank, siechend, unheimlich krank, aber überlebend und deshalb so stark. Augen so böse, so böse auf den Menschen. Und krank. So furchtbar furchtbar krank, wie seine Träume.
Der kleine Junge verkroch sich unter seiner Tuchend und las und las und las. Er wurde dann älter, aber er weinte noch immer, Nachts, manchmal. Alleine, er war ja so alleine mit seinen Träumen. Und er wollte mit niemandem darüber reden, weil er noch immer Angst hatte, um seine Bücher. Nur mit dem alten Mann sprach er manchmal darüber. Und sie sprachen auch über seine Geschichten und seine Gedichte. Eines Tages meinte der alte Mann zu ihm: "Junge, du musst aufpassen. Wenn Einer die Welt so sehr liebt, wie du, dann kann er daran verbrennen. Wer die Menschen zu sehr liebt, stirbt meist unter der Menschen Hand. Die Menschen wollen nicht geliebt werden, nein, nein. Sie wollen belogen werden und gut geführt. Zumindest soll es so aussehen. Sie wollen schöne Geschichten hören und keine, die sie in ihren Träumen stören. Du musst ein wenig aufpassen, mein Junge, was du so schreibst und so sagst. Für dein Alter bist du schon verdammt gefährlich."
Und so war es dann ja auch. Es ist tatsächlich gefährlich, die Menschen zu lieben. Denn wenn man Jemanden wirklich liebt, dann sagt man ihm auch die Wahrheit. Doch die Menschen mögen die Wahrheit nicht. Sie lieben mehr diejenigen, die sie belügen. Das stört sie nämlich nicht beim Träumen. Und dann starb der alte Mann. Und der Junge weinte.
Doch dann, bald darauf, er war inzwischen ein stattlicher junger Mann, so um die 19 Jahre herum, doch dann kam Tänzerinnenschlank. Und Tänzerinnenschlank lehrte ihn mit der Zeit, seine Bilder ein und aus zu schalten, fast nach Belieben. Vielleicht hätte er seine Bilder ja für immer ausschalten können, wenn er gewollt hätte, doch nun gehörten sie inzwischen zu ihm und diese seine Bilder wurden zum Quell seiner Sprache. Einer furchtbaren Sprache vom Leben, von der Niemand etwas wissen wollte. Aber es waren seine Bilder, und sie hatten etwas von seinem Leben, und so wollte er nicht von ihnen lassen. Und er hatte ja seine Tänzerinnenschlank, nach der er so krank war, so krank nach ihrem Brüstepaar, ihrem immer so feucht glänzenden, langen Haar und ihrer so unsagbar zarten Haut, die Poren warf, so hoch wie Körner von Sand, wenn er ihr seine Gänsehautgeschichten auf ihre Haut hin erzählte. Aber jetzt nicht diese Geschichten von diesen bösen Bildern, nein, er hatte ja auch seine so schönen Bilder vom Leben. Und seine Tänzerinnenschlank liebte seine wunderschönen Geschichten vom Leben, seine Gedichte vom Küssen, vom Streicheln, vom Lecken und vom Schlecken, vom ins Ohr flüstern, von seinem Lüstern nach ihrer Haut, nach ihrem Fleisch. Sie liebte seine Geschichten von seiner Liebe nach ihr. Und er liebte und lebte.
Der Sommer ging hin so schnell, wie der laue Wind blies über eine sonnige Lichtung im Wald, auf der im Mai für eine Woche lang ein ganzes Meer von Maiglöckchen blühte, in dem sie sich zum ersten Mal geliebt haben. Sie kannten sich seit ein paar Wochen und gingen spazieren in diesem Auenwald. Die Maisonne stand schon hoch oben am Himmel und zeigte an diesem Tag ein wenig von der Kraft des kommenden Sommers und auf einmal stob ein Duft in der Luft durch ihre Nasen. Mmmmh. Maiglöckchenduft. Und er wurde stärker. Und dann traten sie auf die Lichtung. Die Strahlen der Sonne brachen sich wie funkelnde Blitze durch das Geäst der Bäume und zu ihren Füßen lag danieder ein einziges Blütenweiß über dem Dunkelgrün der Blätter. Auf ein Mal war Alles so still. Es war, als würde die Luft ihren Atem anhalten und die Welt aufhören sich zu drehen. Auf ein Mal wurde die Welt ganz klein, so klein, wie diese Lichtung und dieses Maiglöckchenfeld. Und es war dieser irre Duft in der Luft, den er niemals vergessen wird. Diesen Maiglöckchenduft. Diesen einzigartigen Duft. Heute noch muss er weinen, wenn er im Mai alleine ist, spazieren geht, und diesen Duft irgendwo wieder findet, den er immer wieder sucht, in dieser einen Woche im Mai.
Sie zogen dann ihre Jacken aus, baten die Maiglöckchen um Verzeihung, und setzten sich genau in der Mitte von diesem Maiglöckchenfeld, genau in der Mitte der Lichtung, auf den Boden, nebeneinander, mitten hinein in diese Wolke von Duft in der Luft. Und sie küssten sich. Und küssten sich. Und küssten sich. Und streichelten sich. Und küssten sich. Und streichelten sich und sie sprachen kein Wort. Sie sahen sich manchmal an, so zwischendurch, und sogen beide am Duft in der Luft. Und lachten. Sahen sich an ..... und ..... sogen beide den Duft in der Luft durch die Nasenlöcher .... und lachten. Und küssten sich. Sie horchten beide ein wenig ängstlich in den Wald hinein. Doch da war nichts, das sich regte. Die Welt hatte noch immer ihren Lauf eingestellt und wartete. Eine einzigartige Stille lärmte um sie herum. Sie hatten noch nie zuvor so eine laute Stille vernommen, gespürt, gefühlt. Der Junge zitterte an seinem ganzen Leib. Wie wird es sein? Wie wird es sein, wenn er ihren zarten Mädchenleib hinüber trägt in dieses Wesen Frau? Und irgendwie ergab sich dann aus dem Einen das Andere.
Und er nahm sie dann zu seiner Frau. Zuvor aber erzählte er ihr die Geschichte von Tänzerinnenschlank und ihrer Gänsehaut auf ihre Haut. Er flüsterte ihr das Gedicht "Abends" von Georg Heym, sein absolutes Lieblingsgedicht, "... es ist ganz dunkel. Und die Küsse fallen wie heißer Tau im dämmernden Gemach ...." auf ihre Zitterhaut. Er nahm sie so Kuss um Kuss, so Millimeter für Millimeter so zart gehauchten Kuss um zart gehauchten Kuss, während er diese wunderbaren Worte der Liebe auf Haut erzählte. Und er leckte sich so aufreckende Pore um sich aufreckende Pore einfach weg. Und zum ersten Mal in seinem Leben küsste er eine Frau dort, wo das Meer seinen Anfang nimmt und auch sein Ende. Er ertrank in ihren Wellen von Feuchtheit, er ertrank in ihren Wellen des Verzitterns, er ertrank in den Wellen des Lebens und gleichzeitig des Tods der Welt und er lebte, denn er liebte. Er liebte und gab und nahm.
Und seine Träume waren nur noch Träume. Er zitterte nicht mehr in der Nacht. Er badete nicht mehr im Schweiß der Nacht. Er lebte und liebte.
Der erste Sommer verging. So schnell und so wunderwunderbar. Der Herbst und der Winter, eine einzige Sekunde in der Ewigkeit. So kurz, als hätte es sie nie gegeben und doch so lang, wie ein ganzes Leben. Der Frühling kam und die Maiglöckchen blühten ein zweites Mal. Sie lebten und liebten. Der Sommer wurde zum Hafen ihrer Gier. Wie Wolken auf dem Meere lagerte der heiße Dunst im Wald von der Abende so schwarzem Elixier. Das Gedicht "Abends" nun schon hundert Mal erzählt, brünstete in Gänsehaut auf ihrer Haut dahin und der Sommer verlor sich schneller noch als schnell im Herbst.
Krebs. Diagnose: Wachstumstumor einer Jugendlichen. Sie haben ihr einfach ein Stück Arm kurz unter der Schulter einfach weg geschnitten. Und dann haben sie sie ihm so Stück für Stück von seiner Seite weg geschnitten. So Stück um Stück, so Träne um Träne, und zuletzt dann ganz. Zwei Sommer, zwei Felder von Glöckchen im Mai, und der Junge war wieder allein. Allein mit sich und seinen Träumen, die kein Mensch verstand und er schon gar nicht.
Er hatte gerade seine Träume ein wenig vergessen gehabt und hatte einen neuen Helden gefunden. Charles Bukowsky. Ein österreichischer Bukowsky werden, ja, warum nicht. Man ließ ihn da und dort lesen, klopfte ihm auf die Schulter und war zufrieden. So ein Zwilling tat nicht weh. Klons gab es ja damals noch nicht, zumindest wussten wir noch nicht davon. Aber Peng. Tänzerinnenschlank, die Muse aller Musen, die, die seine Bilder malte und vielleicht auf dem Weg war zu einer großen Malerin, die, die man von seiner Seite einfach weg geschnitten hatte, war weg. Peng. So einfach Peng und weg. Alles, was wichtig war in seinem Leben war weg, von einem Tag auf den anderen auf ein Mal einfach peng und weg.
Und als dann seine Tränen versiegt waren, da wurde er zum Bösen. Seine Träume waren wieder da und er musste darüber schreiben. So Einen wollte man nicht. Noch dazu, wo er den Traum einer ganzen Generation in Scherben schrieb, nein, so einen wollte man nicht. Man war schließlich ja Gutmensch, Friedensmensch. Und man hat den Jungen ganz einfach abgetrieben. Abgetrieben, mitten heraus aus dem hochschwangeren Leib einer expandierenden, wohlgenährten, sich unheimlich glücklich am Leben vorbei träumenden Welt der Gedanken und vor Allem der Kunst. Peng, so einfach peng und brutal.
Er hatte angefangen, Worte zu finden für die Opfer seiner Welt. Worte für die Opfer, die vielen, vielen Opfer einer verträumten, die Täter liebenden Generation. Opfer, die man ins Schweigen gedrängt hatte, ins absolute Schweigen. Der Mensch hatte eine neue Philosophie gefunden, der Täterhumanismus regierte das Leben in der westlichen Welt. Und ab nun schwieg er, der nun zum Mann gereifte Jüngling, mit den Opfern. Er erklärte sich solidarisch im Schweigen. Opfer, Opfer, Opfer, und sie wurden mehr und mehr. Die Opfer wuchsen an zu Legionen auf dieser Welt und niemand wollte diese immer mehr anwachsende Zahl der Opfer sehen. Niemand wollte mit Opfern etwas zu tun haben in dieser verträumten Welt. Schweigen, Schweigen, das Schweigen der Opfer wurde zur Devise, zur den Opfern auferlegten Pflicht. Und er fühlte dieses Schweigen der Opfer, so wie er die Stille im Wald auf seiner Lichtung mit den Maiglöckchen lärmen gehört hatte. Das Schweigen der Opfer wuchs in seinem Herzen zu einem lauten Getöse. Das Schweigen der Opfer brüllte immer lauter und lauter in seinen Ohren. Und er wusste, was einst geschehen würde, wenn denn dieses so unheimlich laute Schweigen der Opfer brechen würde. Er hatte ja seine Bilder aus seinen Träumen. Er begegnete den Opfern in den Stiegenhäusern und er wusste: Opfer. Auf den Straßen und er wusste: Opfer. Er sah in manche Augen und er wusste: Opfer. Aber er kannte auch die Gegenseite. Er ging in ein Büro und er wusste: Täter. Er stand mit dem Rücken zu einem Mann an einer Bar, er hielt seine Nase in die rauchgeschwängerte Luft, und er wusste: Täter. Er sah in manche Augen und er wusste: Täter. Und er kannte auch die Anderen und er wusste: Kein Opfer, kein Täter, denn er fühlte nichts. Nichts, außer der unendlich tiefen Unendlichkeit einer völligen Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern.
Und er schwieg. Er schwieg solidarisch mit den Opfern. Aber niemals hörte er auf zu schreiben. Er schrieb und schrieb von seinen Bildern. Und dann, eines Tages, er war schon über dreißig, fingen seine Bilder an so Stück für Stück Wirklichkeit zu werden. Die brennenden Ölfelder in Kuwait. Seine Geschichte "Die verkehrte Schöpfung" spielte sich Abend für Abend quer durch alle Nachrichten. Der Tag wurde zur Nacht. Aus Leben wurde Tod. Peng. Und er sah Gott-Satan sitzen auf seinem Felsenstein mitten im absoluten Nichts und das Gesicht Saddam-Satan grinste ihn an. Aber er glaubte noch nicht daran. Denn etwas stimmte nicht an diesem Krieg. Nach seinen Bildern hätte der erste gemeinsame Krieg der Gutmenschengemeinde des Westens gegen einen von ihr geschaffenen Bösen ein Atomkrieg sein müssen. Es hätte ein Atomkrieg mit einer neuen Atomwaffe sein müssen und wir würden lange, lange Zeit nichts davon wissen. Doch es war kein Atomkrieg. Auch wenn die Welt nichts davon mit kriegen würde, er zumindest würde es wissen, so Viel war für ihn klar. Schließlich wusste er ja von dieser Krux.
Dann da ein Bild und dort ein Bild. Ein Kleineres, ein Größeres. Dann zitterten seine blaugrünen Helme wie Espenlaub im Stahlgeklapper Zitterton für Zähneklapperton auf Beton und sahen dem Massaker von Srebrenica zu, die Hosen voll, stinkend, stinkend, wie nur fünftausend UNO-Soldatenhelme aus Holland stinken können. Aus anderen Ländern hätten sie genau so sehr gestunken und gezittert. Denn die Zeit der Hosenscheißer blühte sich gerade ihrem Höhepunkt entgegen. Manche der dort anwesenden Soldaten haben inzwischen Selbstmord begangen, weil sie nicht mehr mit ihren Bildern leben konnten. Doch die Opfer und ihre Herren schwiegen weiter. Ein Schweigen ist in der Welt. Ein einziges, so lautes Schweigen. Das Schweigen der Opfer.
Und dann hörte er 1996 erstmals von dieser neuen DU-Munition, dieser Depleted Uranium Munition, also dieser mit Uran 238 abgereicherten Munition. Diese Munition durchschlug jeden Panzer dieser Welt. Es hieß, dass dieses Uran 238, ein Abfallprodukt unserer Atomkraftwerke, völlig ungefährlich sei. Angeblich würde ein Granitblock mehr strahlen, als dieses Uran 238. Doch für ihn war auf einmal völlig klar: dieser Erste Irakkrieg 1991 war dieser Atomkrieg, von dem wir lange, lange Zeit nichts wissen würden. Ja, sogar er hatte Nichts gewusst, obwohl er es ja gewusst hat. Ab dieser Zeit glaubt er wieder an sich und seine Träume.
Doch Niemand, wirklich Niemand wollte es hören. Doch dann flohen die Flugzeuge durch die Türme der Vergesslichkeit und die Träumer, die Sich-am-Leben-vorbei-Träumer erschraken. Und die hochfährigen Türme der Lüge und des Betrugs stürzten ein und gebaren eine neue, noch schlimmere Lüge vom Leben. Die Lüge vom "Bewaffneten Frieden" entstand. Und nun fallen die Bomben. Und die gelben Zungen der Gifte werden nun bald kriechen über hinter sich lassendes totes Land. Und die Neue Lüge wird leben. Sie wird als Einzige das Gemetzel unter den Opfer überleben. Und diese Neue Lüge wird Neue Kriege gebären und zuletzt dann einen ganz, ganz Großen.
Und dann, wenn die Neue Verlogenheit ihren Sieg feiert, wenn sie im Neuen Freudenrausch siegestrunken durch die Straßen wanken, dann, dann, ja dann .... ja dann werden die Ratten kommen, die irgendwo auf dieser Welt warten. Ratten, eingesperrte, kranke Ratten, die darauf warten, dass das Wasser, das sie umschließt, weg geht. Und diese Ratten, diese krank gewesenen, hinter Wassern eingesperrten Ratten sind böse, ganz, ganz furchtbar, furchtbar böse auf den Mensch. Sie werden ihren Hass tragen über die Menschen, die ihnen und auch so vielen anderen armen Tieren so viel Böses getan. Er weiß nicht, wo diese Ratten leben, aber er weiß, dass sie irgendwo da draußen sind und darauf warten, dass dieses Wasser weg geht. Und er weiß auch, dass es weg geht, dann, wenn der Westen seinen Sieg feiert und der Rest der Welt sich in das Neue Sklaventum gefügt hat.
Aber er weiß auch, dass Bin Laden das gewusst hat, als er noch lebte. Er hat seine Augen gesehen. Sonst hätte der niemals den Krieg mit der waffenmordstarrenden Festung des Westens gewagt. Bin Laden wusste, dass er den Krieg nicht gewinnen kann, aber er wird dann im Frieden nachher obsiegen. Bin Laden dachte nicht in Kategorien von Heute oder von Morgen. Er dachte in Kategorien von Jahren, von zwei, drei Jahrzehnten. Bin Laden war nicht bloß ein Terrorist und ein Killer, wie man uns dies weis machen will. Er war auch Revolutionär, vor Allem Revolutionär und ein Prophet. Bin Laden kannte den Westen. Er kannte den Westen besser, als der Westen sich selber kennt. Er wollte die Gedanken der Französischen Revolution, die dem Westen, und bisher nur dem Westen, den Wohlstand und eine gewisse Sozialität beschert haben, in der ganzen Welt verankern. In der ganzen Welt. Habt IHR da draußen das verstanden? In der GANZEN WELT!!!!!
Versteht Ihr auch, was das bedeutet?????
Dieses Wort:
WELTREVOLUTION!
In cirka 20 Jahren möchte der dann schon alte Mann mit Euch noch ein Mal über diese Geschichte reden. Heute ist es zu spät. Alles hat schon begonnen. Die Ratten, diese kranken Ratten warten da draußen, irgendwo, sie warten darauf, auf dass das Wasser weg geht und er weiß nicht, WO. Diese Ratten werden letztendlich der Weltrevolution zum Sieg verhelfen. Und der Wahnsinn, dieser Neue, die Völker verbindende Wahnsinn wartet ebenso. Also warten wir erst ein Mal und rotten inzwischen aus unsere Opfer. Unser Erster Großer Neuer Führer, der Herr Bush, meint es doch so. Oder habe der Mann von Heute da was falsch verstanden?
Und der Mann von Heute weiß auch, was nicht wartet Heute Irgendwo:
eine Neue die Völker verbindende Friedensgeneration.
Eine Solche wird es nie, nie wieder geben,
Nirgendwo.
Denn die Welt wird jetzt Neu zusammen wachsen,
in Blut und Tränen, in Eiter und Kot,
in unheimlich unendlicher furchtbar furchtbarer Not,
in Krieg und in
Tod.
Nachwort:
Er weiß bis Heute nicht, warum die Helme blaugrün sind und nicht blau. Und er weiß auch nicht, wer die vor Freude hüpfenden Derwische mit den schemenhaften Gesichtern sind. Manchmal dachte er ja, es wären die Waffenfabrikanten und -händler. Aber er hat sich alle Bilder dieser schmierigen Typen aus dem Internet, aus Büchern und Zeitungen besorgt. Keiner von Ihnen hat eine Ähnlichkeit mit den tanzenden Derwischen. Dabei weiß er, dass die Lösung dieses Rätsels wichtig sein könnte für die Zukunft. Dies natürlich nur, wenn seine Träume stimmen.
© Copyright by Lothar Krist (Jänner 2002)