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Der Junge, das Mädchen und der Dämon
Er kam. Er wusste, was er zu tun hatte. Und er wusste, wie er es tun würde. Der Dämon hatte sein Opfer gefunden. Würde er diesen Auftrag ausführen, hätte er für eine ganze Weile ausgesorgt. Andererseits wusste er, dass dieser Pakt anders war. Gefährlicher, riskanter ... und besser bezahlt. Diesen Gedanken verdrängte er jedoch sofort wieder. Nur die Dümmsten denken in seinem Metier sogar bei der Arbeit an die Belohnung. Mehr oder weniger eine Art natürlicher Selektion, da diese Schwachköpfe ohnehin selten lange überlebten. Enom hatte nichts als Verachtung für sie übrig. Sich selbst hingegen konnte er ohne Übertreibung zu den Besten zählen, was ihm viele Feinde, aber auch viele Kunden einbrachte. Und seinem Letzten hatte er diesen Auftrag zu verdanken, der ihn in die Welt der Menschen gebracht hatte.
Sein Ziel konnte er bereits sehen, was jedoch nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Für seinen Plan brauchte der Dämon einen anderen Körper, was ihn dazu veranlasst hatte, seinen Eigenen zuhause zurückzulassen. Nur sein Geist war jetzt hier und der würde sich einen neuen Körper suchen.
Welchen, wusste er bereits. Er hatte sich einen weiblichen Menschen ausgesucht. Sie war jung, fast noch ein Kind. Der Grund für seine Wahl waren die Gefühle, die sein Opfer ihr entgegenbrachte. Obwohl es von Berufs wegen keine Bindung eingehen durfte, empfand es doch erstaunlich viel Sympathie für die Menschin. Noch einmal besah er sich seine Umgebung. Sein Opfer saß auf einem Stein und starrte auf das Meer. Die Menschin war nur wenige Schritt weit von ihm entfernt, andere Menschen gab es hier nicht. Gut. Der Dämon fuhr in sie. Es geschah, ohne, dass es von außen erkennbar gewesen wäre. Damit war sie ihm ausgeliefert. Menschen konnten ihren Körper nur verlassen, wenn dieser zerstört war, was eine Rückkehr ausschloss. Die Menschin war gefangen in ihrem eigenen Körper. Der Dämon hätte sie töten können, ihr kleines Licht auslöschen, aber das hätte ihm nichts gebracht und im Gegensatz zu vielen seiner idiotischen Kollegen ergötzte er sich nicht am Leid anderer. Mit einer Hand durchwühlte er den Sand, auf dem er saß, auf der Suche nach einem kleinen Hilfsmittel, welches er wohlweislich in der Nacht zuvor dort versteckt hatte.
Ramos saß auf einem Felsen. Seine Meister hatten ihn an diesen hintersten Winkel der Welt geschickt. Er hasste es hier, aber das half ihm nichts. Als Wächter war er zu Gehorsam verpflichtet. Wenn ein Dämon versuchte, in diese Welt hinüberzugelangen, war es seine Aufgabe, ihn zu töten, bevor er Schaden anrichten konnte. In Gedanken versunken saß er da. Aus den Augenwinkeln sah er jemanden auf sich zukommen. Sie war es. Die Einzige, die ihm in dieser Umgebung sympathisch war, auch wenn er noch nicht einmal ihren Namen kannte. Er schaute zu ihr auf.
»Was gibt`s?«
Keine Antwort. Dann fing sie an zu grinsen. Verständnislos schaute er sie an. Auf einmal sah er eine Messerspitze hinter ihrem Rücken aufblitzen. Im Bruchteil einer Sekunde verstand er, was geschehen war. Er wusste, dass dieses Mädchen besessen war. Davon zeugte in erster Linie die Schnelligkeit, mit der sie das Messer jetzt in seine Richtung stieß, und nur seinen Reflexen, die in all den Jahren permanent verbessert wurden, hatte er es zu verdanken, dass er ausweichen konnte. Noch immer grinste sie und noch einmal stieß sie zu. Mit der einen Hand wehrte der Junge ihren Schlag am Unterarm ab, und umfasste dann ihr Handgelenk. Mit der anderen drückte er ihren Ellbogen durch. Ein Knacken war zu hören. Der Schrei, den sie jetzt ausstieß, kam tatsächlich von ihr und nicht von dem Dämon. Im Stillen verfluchte er sich. Das hatte er vollkommen vergessen. Der Dämon war gegen Schmerz immun, nur der Besessene spürte ihn. Er konnte den Dämon also nicht verletzen, ohne gleichzeitig dem Mädchen weh zutun.
Normalerweise bekämpfte er nur Dämonen in ihrem eigenen Körper. Von Fällen wie diesem hatte er durchaus schon gehört, aber selbst noch nie damit zu tun gehabt. Fieberhaft versuchte er, sich daran zu erinnern, was sein Lehrer ihm hierzu beigebracht hatte. Seine Gegnerin ließ ich jedoch nicht die Zeit dazu. Zwar hatte sie vorhin das Messer fallen gelassen, als er ihren Ellbogen verletzt hatte, aber auch so hatte er seine Schwierigkeiten. Der Junge war schneller, aber der Dämon war sogar im zierlichen Körper des Mädchens deutlich stärker. Das bekam der Wächter auch jetzt zu spüren, als ihm ein Schlag vor die Brust fast die Luft wegnahm und ihn einige Meter weit nach hinten schleuderte. Sofort war sie wieder über ihm und versuchte, einen Fußtritt zu landen. Im letzten Moment schaffte er es, sich wegzurollen und nutzte den Schwung, um wieder auf die Füße zu kommen. Ein weiterer Schlagabtausch folgte. Sie griff an, er parierte. Sie attackierte, er wehrte ab. Sie schlug zu, er verteidigte sich. Die Situation wurde nicht gerade dadurch erleichtert, dass er ihr nicht wehtun durfte. Doch es gab eine Lösung, dessen war er sich sicher.
Er versuchte nachzudenken. Er brauchte Zeit. Zeit, um sich zu konzentrieren. Ihr nächster Angriff war ein Faustschlag gegen seinen Hals, der ihm mit Sicherheit die Luftröhre zerschmettert hätte. Im letzten Moment gelang es ihm, den Schlag mit seiner Handfläche abzufangen. Für einen kurzen Moment verlor sie einen Teil ihres Gleichgewichts. Das wusste Ramos zu nutzen, und riss sie mithilfe seines höheren Körpergewichts nach vorn. Damit hatte er sich eine kurze Atempause verschafft. Noch einmal fokussierte er seine Gedanken und dachte nach.
Und mit einem Mal fiel ihm alles wieder ein; die Austreibung, die Schwachstelle, ... einfach alles, was Besessenen zu tun hatte. Ab diesem Zeitpunkt wusste er, was er zu tun hatte.
Zumindest ungefähr. Der Junge besah sich seine Kontrahentin genauer. Dafür nutzte er seine speziellen Sinne, die in den vielen Jahren des Trainings über die Maße geschärft worden waren. Das Mädchen war gerade erst dabei, sich aufzurichten. Immer noch konzentrierte er sich darauf, jene Schwachstelle zu finden, die ihm sein Lehrer vor Jahren, als andere in seinem Alter gerade das Zehner-Einmaleins gelernt hatten, gezeigt hatte. Und dann, nach einigem Suchen wurde er fündig. Er nahm den Fleck als dunkle Stelle unter ihrer rechten Schulter, knapp über der Herzregion wahr. Es war ein recht kleines Mal, aber jetzt, da er es gefunden hatte, stach es wie ein Leuchtfeuer sogar durch die Kleidung hindurch heraus. Dieser eine Punkt lag bei jedem Besessenen woanders, aber jeder besaß ihn. Das war der Platz, an dem der Geist des Dämons den Körper des Menschen zuerst berührt hatte. Das war das Kontrollzentrum des fremden Geistes. Von dort aus wurde der Körper gelenkt. Das war die Schwachstelle, nach der der Junge die ganze Zeit gesucht hatte. Jetzt musste er es nur noch schaffen, sie zu treffen.
Mittlerweile war das Mädchen wieder bei ihm. Ein weiterer Schlagabtausch folgte, bei dem der Junge einen Treffer an der Hüfte einstecken musste, selbst jedoch keinen Angriff ausführen konnte. Trotzdem war dieser Abtausch mehr ein Abtasten, um zu sehen, wie es um die Ausdauer und Konzentration des Gegners mittlerweile bestellt war. Jetzt begann ein gegenseitiges Umkreisen. In Wahrheit jedoch manövrierte der Junge seine Gegnerin nur in die richtige Position. Irgendwann stand sie genau richtig, sodass er versuchen konnte, seinen improvisierten Plan auszuführen.
Zunächst versuchte er mit dem Fuß voran einen Vorstoß. Es war ein plumper Angriff. Qualitativ gerade noch ausreichend, aber viel zu langsam und ungeschickt, um seiner Feindin gefährlich zu werden. Diese reagierte jedoch genau so, wie der Junge es sich erhofft hatte. Sie packte ihren Gegner am Bein, erhöhte seine Geschwindigkeit, in dem sie ihn zu sich nach vorn zog, und änderte dabei gleichzeitig die Flughaltung, sodass der Junge mit dem Bauch voran am Boden landete. Beide dachten sich in dem Moment Alles verläuft wie geplant.
Ramos vermochte es gerade noch, schlimmere Verletzungen zu verhindern, indem er sich abrollte. Die Richtung stimmte nicht ganz, er musste seine Bahn etwas weiter nach links korrigieren, aber die Entfernung war perfekt. Er lag jetzt genau über dem mittlerweile fast vollständig im Sand verscharrten Messer. Sofort war die Besessene über ihm Triumphierend blickten böse Augen auf den am Boden liegenden herab. Er blieb liegen, als Zeichen, dass er aufgab.
»Du hättest mich töten können«, stellte der Dämon fest.
»Und damit einer Unschuldigen das Leben genommen.«
»Liegt es wirklich daran, dass sie unschuldig ist? Oder hat es vielmehr damit zu tun, dass du sie liebst?«
»Ich darf sie nicht lieben. Liebe macht schwach. Sie verhindert die Kontrolle über die Gedanken und lenkt einen ab.«
»Und dennoch tust du es.«
»Weil ich zu schwach bin, als dass ich etwas dagegen tun könnte.«
Das stimmte sogar.
»Und genau diese Schwäche wird dein Untergang sein.«
»Und genau das verdiene ich auch. Aber eines möchte ich noch wissen.«
»Dann sprich und vielleicht verrate ich es dir.«
»Warum genau willst du mich töten.«
»Ah! Eine beliebte Frage. Das Warum. Die Frage, die ich mitunter am häufigsten von meinen Opfern höre. Sogar noch öfter, als die Frage, wie ich das Töten mit meinem Gewissen vereinbare.«
»Das interessiert mich nicht.«
»Gut. Um deine Frage zu beantworten, es ist nichts persönliches, glaub mir. Ich hasse dich und deinesgleichen nicht mehr und nicht weniger, als jeder andere Dämon, Wächter, aber ich werde dafür bezahlt, dich zu töten.«
»Von wem?« Jetzt wurde es interessant, jetzt konnte er vielleicht noch einige Informationen aus dem vermeintlichen Sieger herausholen.
»Wer weiß? Meine Kunden halten sich gern im Hintergrund. Dadurch kann ich weniger verraten, falls man mich schnappt. Aber der Auftrag lohnt sich.«
»Wie viel?«
»Neunzigtausend.« Ja, das war wirklich viel Geld. Dafür würde tatsächlich manch einer seine eigene Mutter ermorden.
»Ich biete dir das Doppelte. Ich bin ein Wächter, ich habe Zugriff auf genug Geld, um dir sogar Zweihunderttausend zahlen zu können.«
»Glaub mir, Wächter, mir wurde bereits oft genug Geld von meinen Opfern angeboten, wenn ich sie nur verschone. Aber selbst ich habe meine Prinzipien und Regeln.«
Gut, damit war der letzte Versuch gescheitert, das Ganze friedlich zu regeln.
»Dann sollten wir das Ganze jetzt besser beenden.«
»Sehr schön, du hast dich entschlossen, in Würde abzutreten. Weißt du, ich mag es nicht, wenn sie so schreien.«
»Kann ich mir vorstellen. Ach ja, eines noch.«
»Was denn jetzt noch?«, fragte der Dämon, der allmählich immer ungeduldiger wurde.
»Was passiert mit dem Mädchen?«
»Ihr wird nichts geschehen. Du hast mein Wort.«
»Das Wort eines Mörders.«
»Was habe ich zu verlieren? Aus welchem Grund sollte ich lügen? Ich bin nicht grausam und wenn ich gewollt hätte, wäre sie bereits tot.«
»Schön, ich glaube dir. Dann bringen wir das Unangenehme jetzt lieber hinter uns.«
»Einverstanden.«
Das Mädchen holte aus und zielte auf den Hals des Jungen. Ein Schlag, um jemanden effektiv und lautlos zu töten. Das kam dem Wächter sehr gelegen. Schwieriger wäre es gewesen, hätte der Dämon versucht, ihm das Genick zu brechen. So jedoch hatte Ramos gute Chancen. Der Wächter sah seine Chance gekommen, zog das Messer hinter seinem Rücken hervor und zielte auf die dunkle Region über dem Herzen des Mädchens. Der Treffer saß. Wieder war ein Schrei zu hören, aber diesmal kam er von dem Dämon und nicht von dem Mädchen.
Mit dem Tod des Dämons übernahm das Mädchen wieder die Kontrolle über ihren Körper. Es war vorbei. Was blieb, war der gebrochene Ellbogen, aber auch der würde heilen. Wie so vieles.