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Der Jahrmarkt
Das Riesenrad hat angehalten. Malusch und sein Sohn Kortor haben Glück: Sie befinden sich in einer der oberen Gondel, von wo aus sie den gesamten Jahrmarkt überblicken können. Auf den Straßen unter ihnen füllen bunte Lichter, Stimmengewirr und heitere Musik die Nacht mit Leben.
Lächelnd betrachtet Malusch seinen Sohn, der aus dem Staunen nicht mehr rauskommt. Er besucht den Jahrmarkt zum ersten Mal, für ihn ist alles aufregend und neu.
„Papa, die Leute sehen von hier oben echt klein aus.“
„Ja, Kortor, das tun sie.“
„Können wir nachher noch Zuckerwatte kaufen?“
Malusch blickt ihn streng an. „Du hattest schon einen Paradisapfel. Zu viel Zucker ist nicht gut für dich.“
„Och, bitte, Papa.“ Er sieht ihn mit diesem Ausdruck an, bei dem er nicht nein sagen kann. Er erinnert ihn immer an einen Hundewelpen.
„Na schön, aber erzähl´s nicht deiner Mutter.“
Ein Ruck geht durch die Gondel und das Riesenrad setzt sich in Bewegung. Als es unten ankommt, bleibt es einen Moment stehen, um den Fahrgästen das Verlassen der Gondeln zu ermöglichen.
Malusch und Kortor steigen aus, um ihre Runde über den Jahrmarkt fortzusetzen. In einiger Entfernung sehen sie in roten Buchstaben das Wort „Knusperhaus“ auf einem kleinen Häuschen. Wahrscheinlich gibt es dort wie gewohnt alle erdenklichen Arten köstlicher Süßigkeiten: von gebrannten Mandeln über Paradiesäpfel und mit Schokolade überzogenen Weintrauben bis hin zu Zuckerwatte in vielen verschiedenen Farben.
Malusch hat den Jahrmarkt schon immer gemocht. Wehmütig denkt er an seinen ersten Besuch zurück. Sein Vater hatte ihn im Alter von 12 Jahren zum ersten Mal mitgenommen. Wie alle Kinder war er sofort Feuer und Flamme gewesen. Seit diesem Tag hat er den Jahrmarkt jedes Jahr besucht.
„Papa, guck mal da.“
Kortor deutet energisch auf eine gewaltige Achterbahn mit vielen Loopings und Kurven. Die Schienen bestehen aus weißen Knochen, an denen noch einige Fleischreste zu hängen scheinen. Donnernd und knatternd fahren die mit kreischenden Fahrgästen besetzten Wagen über die Schienen. Von einer roten Neontafel leuchtet ihnen in blauen Buchstaben „Knochenbahn“ entgegen. Unter dem Schriftzug grinst sie ein kindlich wirkender Totenschädel an.
Malusch sieht zu seinem Sohn. „Die ist jedes Jahr hier. Möchtest du gerne fahren?“
„Ja, Papa!“ Kortors Augen leuchten begeistert auf.
Die Schlange vorm Kassenhäuschen ist überschaubar, weshalb die beiden schon nach kurzer Zeit an die Reihe kommen und in einen der Wagen steigen können. Sie sehen vom Erscheinungsbild aus, als wären sie ursprünglich einmal in einer Mine verwendet worden.
Den Servicemitarbeiter, der dem kleinen Kortor lächelnd in den Wagen hilft, kennt Malusch schon viele Jahre. Genau wie mit den meisten anderen Mitarbeitern des Jahrmarktes ist er mit ihm zusammen aufgewachsen.
„Gute Fahrt, Malusch.“ Er schließt die Sicherheitsgurte und zwinkert ihm zu. „Wehe, du kotzt mir die Sitze voll.“
Malusch verdreht gespielt die Augen. Klackend setzt sich der Wagen in Bewegung und die Fahrt beginnt. Langsam geht es bergauf.
Malusch blickt nach unten zu den Knochen. Er ist immer wieder aufs Neue fasziniert davon, wie so eine Konstruktion halten kann.
Oben angekommen donnert der Wagen mit atemberaubender Geschwindigkeit nach unten. Malusch spürt, wie sich sein Magen zusammen zieht. Es ist ein angenehmes Gefühl.
Neben ihm schreit Kortor kurz überrascht auf. Der Beschleunigung folgt eine scharfe Rechtskurve, gefolgt von einer weiteren steilen Abfahrt, die in einen Looping übergeht. Kortor jubelt begeistert.
Etwa auf halber Strecke fährt der Wagen in den Schlund eines überdimensionalen Totenschädels ein, an dessen Ende sich die Geschwindigkeit verringert. Hier geht es wieder steil nach oben, bevor die Fahrt ein letztes Mal rasant abfällt. Einige weitere Kurven und Loopings später gelangen Kortor und Malusch zurück an den Anfang der Achterbahn.
Der Servicemitarbeiter nimmt sie winkend in Empfang und beugt sich zum Kortor hinunter.
„Und mein Junge, hat es dir gefallen?“
„Das war total cool. Papa, fahren wir noch eine Runde?“
„ Vielleicht später, Kortor. Lass uns erstmal den Rest des Jahrmarktes ansehen. Es gibt noch viel zu entdecken.“
„Na gut, aber nachher fahren wir nochmal, ja?“
„Na klar.“
Malusch verabschiedet sich und setzt mit seinem Sohn die Runde über den Jahrmarkt fort. Er nickt einigen der vorbeigehenden Besucher zu, die er gut kennt. Wie jedes Jahr sieht er fast nur bekannte Gesichter.
Nach einigen Metern haben sie das Knusperhäuschen erreicht. Malusch will darauf zusteuern, doch Kortor zieht ihn auf eine Schießbude zu, die sich direkt daneben befindet. Ein weißes Plakat mit schwarzer Schrift informiert darüber, dass sowohl mit Luftpistole als auch mit Luftgewehr auf die Ziele geschossen werden kann. Von der Decke hängen viele Preise, mit denen eine gute Trefferquote belohnt wird. In erster Linie sieht Malusch Stofftiere und Kinderspielzeug. Allerdings findet er auch andere Dinge wie z.B. Sektflaschen, Rosen und Tüten gefüllt mit Tee unter den Gewinnen.
„Kannst du gut schießen, Papa?“
„Also, früher schon.“ Er deutet auf die Preise an der Decke. „Soll ich mal versuchen, den braunen Teddy für dich zu gewinnen?“
Kortor strahlt über das ganze Gesicht. „Ja, bitte, Papa.“
Malusch entscheidet sich für ein Luftgewehr. Er bezahlt für insgesamt 10 Schuss. Um den braunen Teddy zu gewinnen muss er mindestens acht Treffer erzielen.
Er legt das überraschend schwere Luftgewehr auf einer mit der Theke verschraubten Stütze an und lädt die Waffe, indem er an einem langen Metallhebel am oberen Teil des Gewehrs zieht. Klack, klack.
„Los, Papa, das schaffst du.“
Malusch visiert die Ziele an. In der Wand befinden sich mehrere kreisförmige Öffnungen, durch die menschliche Köpfe gezwängt und mit einem Metallkragen befestigt wurden. Die Augenlider der Gefangenen sind an oben festgetackert, um sie am Blinzeln zu hindern. Einige der Ziele verharren vermutlich schon einige Zeit in dieser Position; ihre Augen sind bereits entzündet und eitern.
Malusch versucht, ruhig zu atmen. Mit einem leisen Klicken löst sich der Schuss. Knapp verfehlt er das Ziel. „Die Waffe verzieht nach links,“ kommentiert Malusch.
„Hätte ich jetzt auch gesagt.“
Wieder visiert Malusch an. Langsam krümmt sein Finger den Abzug.
Klack. Der zweite Schuss trifft. Der Augapfel einer jungen Frau platzt mit einem leisen Plopp, gefolgt von einem gequälten Aufschrei.
„Getroffen, Papa.“
Auch die weiteren acht Schüsse gehen nicht vorbei. Mit jedem Treffer platzt ein Ziel. Eine gallertartige Flüssigkeit läuft aus den frischen Einschusslöchern und tropft in eine silberne Schale unterhalb der Köpfe. Auf diese Weise ist der Aufwand der Reinigung später deutlich reduziert.
„Das war eine Spitzenleistung.“
Der Besitzer der Schießbude lächelt Malusch an. „Da haben Sie sich den Bären für ihren Jungen aber verdient.“
Dankend nimmt Malusch das Stofftier entgegen und reicht es dem strahlenden Kortor.
„Wie siehts aus, wollen wir uns jetzt eine Zuckerwatte gönnen?“
„Ja, bitte, Papa.“
Gemütlich schlendern die beiden zum Knusperhäuschen. Auch den Verkäufer dieses Standes kennt Malusch schon sehr lange.
„Hallo Rotok.“
„Hey, Malusch. Schön, dass du vorbeischaust. Was kann ich gegen dich tun?“
Malusch lacht. Immer noch der alte Scherzkeks.
„Mach mal bitte zweimal Zuckerwatte für mich und meinen Jungen.“
„Ach, den Kortor habe ich gar nicht erkannt. Der hat ja einen Satz gemacht. Ist wirklich groß geworden. Welche Farbe wollt ihr?“
„Rot, bitte.“
Rotok beginnt, die Zuckerwatte auf einen dünnen Holzstiel zu wickeln.
„Wart ihr schon in der Geisterbahn?“
Malusch schüttelt den Kopf. „Nein, bis jetzt nicht. Wir sind noch nicht weit gekommen.“
„Also, dieses Jahr lohnt sie sich wirklich.“
Neben Malusch tauchen weitere Kunden auf, die bedient werden wollen.
„Entschuldigt, ihr zwei.“ Er reicht Malusch die Zuckerwatte. „Ich muss weiter machen. Gegen zehn hab ich hier Schluss. Vielleicht können wir dann kurz ein Bier zusammen trinken?“
„Gerne, Rotok. Ich komme später vorbei, dann quatschen wir nochmal.“
Malusch bezahlt und gibt Kortor die Zuckerwatte.
„Danke, Papa.“
Sie setzen ihren Weg fort und kommen an einer Reihe weiterer Buden vorbei. Das Angebot an Leckereien kann sich sehen lassen: Bratwurst, Pizza, Süßigkeiten ... Es gibt nichts, was es nicht gibt.
„Willst du das mal machen?“
Malusch deutet auf einen blauen Stand, auf dem in bunten Leuchtbuchstaben „Fäden Ziehen“ geschrieben steht.
„Fäden ziehen? Was ist das?“
„Du ziehst an einer Schnur, und je nachdem, was am anderen Ende ist, kannst du einen Preis gewinnen.“
„Hört sich lustig an.“
An dem Stand hängen mehrere rote Fäden von der Decke. Das Spiel ist einfach: Der Jahrmarktbesucher kauft, je nach Wunsch, eine bestimmte Anzahl Fäden, um anschließend daran zu ziehen.
Das andere Ende führt hinunter bis zu einem der zehn auf Tragen aufgebarrten Menschen. Ihre Bauchdecken wurden entfernt, sodass ihre Eingeweide freiliegen und gut sichtbar sind. Die Schnur ist entweder mit einem der Organe verbunden, die demjenigen dann aus dem Körper gezogen werden, oder mit einem kleinen, weißen Zettel mit der Aufschrift „Niete“.
Auf grünen Tabellen, die links und rechts am Stand angebracht sind, ist aufgelistet, welche Preise es für welches Organ zu gewinnen gibt. Für den Darm, z.B. erhält man einen süßen blauen Plüschelefanten.
„Fünf Fäden, bitte.“
Malusch bezahlt und kriegt die roten Schnüre in die Hand gedrückt.
Er sieht Kortor an. „Möchtest du oder soll ich?“
„Lass mich bitte, Papa!“
Er nimmt die Fäden und beginnt zu ziehen.
Bei den ersten vier Versuchen hat Kortor Pech. Es kommt jedes Mal lediglich ein weißer Zettel mit der Aufschrift „Niete“ zum Vorschein.
Enttäuscht sieht er zu seinem Vater herüber.
„Nur weiter, Junge. Das wird schon.“
Beim fünften Anlauf hat er endlich Erfolg. Bereits nach dem ersten Zug beginnt einer der Menschen, ein grauhaariger Mann etwa im Alter von 70, zu kreischen.
Malusch klopft seinem Sohn auf die Schulter. „Ich glaube, du hast den Magen erwischt.“
Mit jedem Zug löst sich das Organ etwas mehr von dem schreienden Körper. An einer Stelle hakt es kurz, doch mit einem kräftigen Ruck gelingt es Kortor, den Magen herauszuziehen. Tropfend hängt er am anderen Ende der Schnur wie ein nasser Waschlappen.
Der Alte ist mittlerweile still und starrt an die Decke. Sein Mund bewegt sich auf und ab, als würde er einen stummen Dialog führen.
„Super, Kortor. Jetzt wollen wir mal schauen, was du dafür kriegst.“
Er blickt auf die Tabelle.
„Nur einen Luftballon?“ Kortor sieht enttäuscht aus. Malusch legt ihm tröstend die Hand auf seine Schulter.
„Ach, mach dir nix draus. Vielleicht gewinnst du später bei der Losbude was.“
Das traurige Gesicht von Kortor hellt sich schon nach wenigen Augenblicken wieder auf.
„Papa, was ist das?“
Er zeigt auf eine ganz besondere Attraktion in Form eines großen, gelben Zeltes mit einem roten Dach. Am Eingang befindet sich ein Plakat, auf dem zwei Boxer abgebildet sind.
„Das ist ein Boxzelt, Kortor. Dort boxen zwei Männer gegeneinander.“ Er sieht auf die Uhr. Die Anfangszeit der Kämpfe hat sich in den ganzen Jahren nicht geändert.
„Die nächste Vorstellung beginnt in 10 Minuten. Möchtest du gern rein?“
„Au ja!“
Beim Betreten empfängt sie in dem großen Zelt lautes Stimmengewirr. Die Luft ist stickig, es ist fast unerträglich heiß. Der Geruch von Schweiß und dem Stroh, das über den Boden der weitläufigen Manege verteilt ist, liegt in der Luft.
Obwohl die Tribüne sich bereits gut gefüllt hat, gelingt es Malusch und Kortor, gute Plätze zu ergattern, von denen sie einen perfekten Blick auf das Geschehen haben.
„Und was passiert jetzt, Papa?“
Malusch will gerade antworten, als im selben Moment Applaus ertönt. Eine geschminkte Gestalt mit Anzug und Zylinder betritt die Manege.
Nach einigen Augenblicken verstummt das Klatschen.
„Ladys und Gentlemen.“ Gebannt starrt Kortor auf die Szene.
„Heute Abend haben wir leider nicht wie üblich drei, sondern nur einen Kampf für sie.“
Ein enttäuschtes Raunen erfüllt den Raum.
„Ich bitte Sie, das zu entschuldigen. Vier unserer Kämpfer sind bedauerlicherweise kurzfristig ausgefallen. Erlauben Sie mir, Ihnen als kleine Entschädigung etwas zu Trinken anzubieten. Selbstverständlich auf Kosten des Hauses.“
Zwei weibliche, ebenfalls geschminkte Gestalten beginnen damit, Limonade und Bier unter den Gästen zu verteilen.
Eine Tür öffnet sich. Zwei athletische junge Männer, etwa Mitte zwanzig, betreten die Arena. Sie sind mit einer Boxshorts und Turnschuhen bekleidet, der Oberkörper ist frei. Auf ihren bandagierten Händen kann man, wenn das Licht richtig fällt, kleine, glitzernde Glassplitter erkennen, die mithilfe von Klebstoff an den Bandagen befestigt wurden.
„Natürlich hoffe ich trotzdem, dass sie das Schauspiel genießen werden. Verpassen sie nach dem Kampf auch auf keinen Fall unsere Tiershow.“
Malusch hört nicht mehr hin. Ihn interessiert die Tiershow überhaupt nicht. Er will den Kampf sehen.
In den Gesichtern der jungen Männer spiegelt sich Angst. Ihre Blicken huschen unruhig über das Publikum.
Zwei weitere Mitarbeiter betreten die Arena. Jeder von ihnen hplt eine Peitsche in den Händen, in die spitze Dornen eingeflochten sind.
„Mögen die Kämpfer bitte die Ausgangsposition einnehmen.“
Wortlos weichen die Athleten vor den Männern mit den Peitschen zurück. Ihre Hände zittern.
„Die Regeln sind einfach,“ fährt der Ansager fort. „Es gibt keine Rundenzahl und keine Zeitbegrenzung. Derjenige, der überlebt, ist der Sieger.“
Ein Jubeln geht durch die Menge.
„Ich denke, ich habe jetzt auch genug geredet. Ich bin manchmal halt eine richtige Labertasche. Nun denn: Lasst den Kampf beginnen.“
Tosender Applaus macht sich in dem stickigen Zelt breit. Ein Gong ertönt. Das Startsignal für den Kampf.
Unsicher sehen sich die Kontrahenten an.
Der Athlet in der roten Hose wendet sich zum Publikum.
„Ihr blöden Fachwichser könnt mir mal das Arschloch sauber lecken! Einen Scheiß werd ich kämpfen! Fickt euch!“
Der andere steht einfach nur da und starrt auf den Boden. Auf seinem Gesicht zeichnet sich keine Regung ab.
Malusch muss grinsen. So fängt es immer an. Und trotzdem: Am Ende kämpfen sie alle.
Mit einem Knall landet die Peitsche auf dem Rücken des roten Kämpfers. Die Dornen reißen tiefe Wunden, die bis auf das Fleisch reichen. Er schreit auf und sinkt kurz in die Knie. Das Publikum jubelt.
„Da braucht wohl jemand etwas Motivation.“ Die Stimme des Ansagers geht fast gänzlich in dem Jubel des Publikums unter, als ein weiterer Knall ertönt und auch der Athlet in der blauen Hose von einer Peitsche getroffen wird. Noch immer machen beide keinerlei Anstalten, gegeneinander zu kämpfen.
Im hinteren Teil der Manege geht mit einem Klicken, begleitet von einem Summenden Geräusch, ein Flutlicht an. Zwei große Holzpfähle erscheinen in der Dunkelheit, an die jeweils eine Frau gefesselt ist. Sie sind von einem Ring aus Feuer umgeben, der die Kämpfer davon abhalten soll, zu ihnen zu gelangen.
„Darf ich vorstellen, Ladys und Gentlemen? Begrüßen sie bitte die reizenden Ehefrauen der jungen Herrschaften.“
Erneut macht sich Applaus breit.
Die Kämpfer versuchen verzweifelt, zu ihren Frauen zu gelangen, aber selbst wenn das Feuer nicht wäre: Die Mitarbeiter mit den Peitschen schlagen mit erbarmungsloser Härte auf sie ein und drängen sie zurück.
„Also, verehrtes Publikum. Wollen wir hoffen, dass diese beiden Damen genug Motivation für unsere Boxer sind. Wie immer darf die Ehefrau des Gewinners zur Belohnung weiterleben, während die andere als besonderes Highlight während des großen Feuerwerks am Ende des Jahrmarktes geschlachtet und gegessen wird.“
Erneut Applaus. Die beiden Männer starren den Moderator entsetzt an.
„Natürlich, wenn sie nicht kämpfen wollen, schlachten wir halt beide.“
Die Gestalten, die bis jetzt reglos bei den Frauen gestanden haben, ziehen fast zeitgleich ein Fleischerbeil hinter ihrem Rücken hervor.
„Also, was darf es sein?“
Die Blicke der Athleten wandern rastlos zwischen dem Moderator und ihren Frauen hin und her.
„Na schön, wie ihr wollt. Schlachtet sie!“
„Nein!“ Der Boxer in der blauen Hose, der bisher erstaunlich ruhig gewesen ist, stürzt nach vorne und beginnt, auf seinen Gegner einzuschlagen.
Der Angriff völlig unvorbereitet. Alle Schläge finden ihr Ziel.
Vermutlich wird es ein kurzer Kampf werden. Malusch sieht zu Kortor. Sein Blick ist starr auf die Manege gerichtet. Die Augen glühen in dem halbdunklen Zelt in einem intensiven Rot.
Er scheint zu spüren, dass er beobachtet wird, und dreht den Kopf zu ihm.
„Papa, können wir morgen wieder herfahren?“
Malusch lächelt ihn an. Er kann ihn gut verstehen. Nach seinem ersten Besuch konnte er es auch kaum erwarten, wiederzukommen.
„Ich denke mal schon. Vielleicht kriegt Mama morgen frei und kommt auch mit.“
„Das wäre echt klasse.“
Kortor wendet sich wieder dem Kampf zu. Der Boxer in der roten Hose ist mittlerweile auf dem Boden zusammen gesunken.
Malusch kann nur die linke Gesichtshälfte erkennen, aus der eine leere Augenhöhle in Richtung Publikum starrt. Teile der Lippe, mehrere Zähne und ein Auge liegen daneben. Unbarhmerzig schlägt sein Gegner auf ihn ein. Immer wieder fressen sich Glasscherben in das Fleisch und reißen Stücke heraus.
Kortors Augen strahlen jetzt stärker. Sie sehen ein bisschen aus wie funkelnde Rubine.
Ein wenig später
Ein Mann stirbt und kommt zur Himmelspforte, wo Petrus ihn empfängt.
„Also, mein Lieber, du warst während deines Lebens weder ein besonders guter noch ein besonders schlechter Mensch. Du hast die Wahl: Möchtest du in den Himmel oder in die Hölle?“
Der Mann überlegt kurz und antwortet: „Ehrlich gesagt habe ich mir darüber nie Gedanken gemacht. Darf ich mir beides anschauen, bevor ich mich entscheide?“
„Natürlich. Als Erstes zeige ich dir den Himmel.“
Gemeinsam treten sie durch das Himmelstor. Der Mann schaut sich um.
Es ist friedlich und ruhig. Der Weg, auf dem sie gehen, besteht komplett aus Wolken. Alles ist von einem warmen, hellen Licht erfüllt. Aus der Ferne hört man leise einen Chor von Engelsstimmen. Die Menschen sehen selig aus, sie singen zusammen oder sitzen beieinander und unterhalten sich.
„Das sieht wirklich sehr schön aus.“
„Also, möchtest du hierbleiben?“
Ich weiß noch nicht. Dürfte ich trotzdem bitte kurz die Hölle sehen?“
Petrus sieht in vielsagend an. „Bist du sicher, dass das nötig ist?“
„Ich möchte es zumindest gesehen haben, bevor ich mich entscheide.“
Petrus hält sein Wort und führt den Mann in die Hölle. Als sie angekommen sind, sieht er sich überrascht um. Es ist alles ganz anders, als er es sich vorgestellt hat.
Im Prinzip besteht die Hölle aus einem großen Jahrmarkt. Menschen stehen an Bierzelten und betrinken sich ausgelassen. In der Luft hängt der leckere Geruch von Bratwurst und Schaschlik.
Weiter entfernt am anderen Ende kann der Mann Buden mit Süßigkeiten, Schießstände und verschieden Karussells entdecken. In der Mitte befindet sich ein gewaltiges Riesenrad. Der Mann ist begeistert.
Nach einem kleinen Rundgang führt Petrus ihn zurück zum Himmelstor. Der Aufstieg dauert, genau wie der Abstieg, insgesamt einen Tag.
Oben angekommen sagt Petrus: „Nun, mein Lieber, hast du dich entschieden?“
Der Mann nickt eifrig. „Ja, ich möchte in die Hölle.“
Petrus sieht ihn ernst an. „Und du bist dir da absolut gewiss?“
„Ja, ich bin mir sicher.“
Er führt den Mann wieder zurück. An der Höllenpforte übergibt er ihm dem Teufel, der ihn hineinführt.
„Herzlich willkommen.“
Das Bild, das sich dem Mann präsentiert, erfüllt ihn mit entsetzen. Er sieht, wie Menschen auf schlimmste Art und Weise gefoltert werden. Die Gliedmaßen werden ihnen ausgerissen und sie werden über dem offenen Feuer gekocht. Schreie erfüllen den Raum. Es riecht nach verbranntem Fleisch, Angst und Exkrementen.
Unsicher sieht er den Teufel an. „Aber ich verstehe das nicht. Gestern war hier doch noch ein Jahrmarkt.“
Der Teufel lacht. „Ja, das ist richtig. Gestern war der letzte Tag unserer Werbewoche.“