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Der Jäger
Aus den Augenwinkeln nahm er eine sehr vorsichtige Bewegung wahr.
Er wusste nicht, wie lange er schon in dieser Position verharrte, Zeit spielt nur eine Nebenrolle in seinem Leben.
Die Kälte plagte ihn inzwischen stärker als früher, sie schien seine Gelenke zu vereisen, seine Gedanken zu lähmen und ihm so seine Geschwindigkeit zu rauben.
Sein Aussichtspunkt war gut gewählt, von hier oben konnte ihm keine noch so kleine Bewegung entgehen, zudem bewahrte dieser ihn vor neugierigen Blicken Dritter.
Sein letztes Mal musste eine gefühlte Ewigkeit zurückliegen, sein ganzer Körper gierte nach dem stimulierenden Adrenalinkick und dem, was danach immer folgte: Absolute Zufriedenheit und der süße Triumph des Erfolges - zumindest für eine kurze Weile.
Langsam drehte er seinen Kopf in die Richtung der aus dem Augenwinkel gerade noch wahrgenommenen Bewegung, und tatsächlich: Dort schlich sie sich langsam und ständig umblickend voran, als würde sie seine Anwesenheit unterbewusst erahnen.
Was nun kam hat er schon unzählige Male erlebt: Durst und Rausch übernahmen die vollständige Kontrolle über ihn, sämtliche von nun an unwichtigen Einzelheiten der Umgebung rückten in den Hintergrund, in seiner Wahrnehmung gab es nur noch Raum für sie. Er konnte ihre nächsten Bewegungen erahnen, spürte förmlich tief im Inneren, wohin sie von ihren Füßen getragen werden würde.
In dem Moment, in dem er seine Schwingen ausbreitete und zum Sprung ansetzte um sich den Lohn seiner Beharrlichkeit abzuholen, beschlich ihn eine seltsame und für ihn neue Vorahnung: Im war kein Moment des Glückes mehr vergönnt.
Kaum einen Lidschlag später spürte er auch schon den heißen Atem seines lautlosen Henkers im Nacken.
Sie war aufgeschreckt durch die Bewegungen in den Wipfeln des Baumes längst sicher mit pochenden Herzen in ihren Bau zurückgekehrt.
Und er hatte sich zum letzten Mal in seinem Leben geirrt.