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Der Inquisitor der Herzen
Drei Geistliche in einer Kutsche. Bruder Gregor, Bruder Nonius und der Inquisitor saßen schwankend auf ihren Plätzen und schauten auf die vorbeiziehende Landschaft. Die Fahrt gestaltete sich rau.
Die aufgedunsenen Wangen Bruder Gregors schwabbelten glänzend im Takt, welchen die über den Feldweg rumpelnden Räder vorgaben.
Unruhe befiel ihn.
„Mir wäre es mehr als recht, kämen wir denn nun endlich an dieser vermaledeiten Kate an, mir drängt es am Afterballen“, sagte er und blähte seine wulstigen Lippen.
“Ein üppiges Mahl und ein belebender Trunk stehen schon lange aus, wie ich finde. Oh Herr, lass sie doch enden diese Pein!“
Der Inquisitor richtete seinen Blick auf Bruder Gregor und zog seine Augenbrauen zusammen.
“Bruder Gregor, min lieber Bruder Gregor. So lehrt euch doch der Herr vor allem Geduld. In seinem Namen bewahren wir die Ordnung der Welt, vor dem Taumel in die Verderbnis der Häresie. Seine Gnade wird dir eines Tages zuteil werden. Denn wisse: man berichtete mir, an jenem Ort leben die prächtigsten Sauen im Lande. Mir düngt, nach getanem Werke wird sich wohl die ein oder andere deiner Gunst versichern wollen, min Bruder!“
Schallendes Gelächter unter den Gottesmännern, während der Inquisitor Bruder Gregor beherzt in die weiche teigige Haut seines wuchtigen Nackens kniff.
Bruder Nonius quiekte vor Vergnügen und rief:
“Wohl an, der Herr füllt die Geldkatze und den Magen von Bärenhäutern nur an besonders sonnigen Tagen, ohne dass sie ihr Gewerk mit Leib und Seele verrichten!“
Feixend warf er sich im Rhythmus der wippenden Kutsche hin und her. Bruder Gregor schaute auf. Sein Gesicht, so rot wie Klatschmohn im Regen .
“Es muss sich um etwas durch und durch dämonisches handeln, da wir mit solch Aufwand in weite Ferne gesandt wurden. Da steht der Bollemoschder des hiesigen Städtchens wohl mindestens mit einer Rotte Sauen und Schläuchen voll Weinbeerblutes in unserer Schuld.“
„Wohl gesprochen Bruder Gregor. So handelt es sich überdies, so wie es verlautbart wurde, um ein allzu schändliches, vom Leibhaftigen selbst erdachtes Ungemach. Würdelos, von absonderlichster Abscheulichkeit. Wie gedenkt ihr dort zu verfahren? Wir sind so fern der Heimat und das Unerwartete benötigt vielleicht besondere Maßnahmen“, wendete sich Bruder Nonius an den Inquisitor.
„In der Tat, Bruder Nonius. In der Tat. Es ist von derart unvorstellbarer und von nie dagewesener Absonderlichkeit, von so abnormer Widernatürlichkeit, dass kein Wille, außer Gottes Wille selbst, stark genug wäre um diese Prüfung zu bestehen. Durch seine Hand gelenkt werden wir der christlichen Menschheit die Bürde des Verfalls von Wert und Glauben von ihren schmalen Schultern nehmen. Gott wird uns den rechten Weg weisen und uns in diesen schweren Stunden beistehen“, sprach der Inquisitor, immer leiser, immer nachdenklicher, bis nur noch das Rattern und Poltern des Fuhrwerkes zu vernehmen war.
Der Inquisitor und seine Begleiter befanden sich bereits seit Tagen auf ihrer Reise. Unaufhaltsam. Hin zu dem Ort ihrer Bestimmung. Die Landschaft wandelte sich ein ums andere mal unter den hölzernen Wagenrädern und stampfenden Hufen. Über einen Gebirgspass, über Graslandschaften, Hutewäldern und Flussauen beschritten sie zuletzt einen Weideweg, der sie gesäumt von Wolfsmilchgewächsen geradewegs zum Rande eines uralten dräuenden Waldes führte. Je näher sie ihm kamen, um so mehr schien sich alles um sie herum, wie auch in ihren Leibern, zu verengen. Als sie dann den Pfad einwärts betraten, sickerten sie zäh in ihn hinein, wie dickflüssiges Blut, das sich blubbernd durch einen rostigen Trichter drängt.
Der Weg durch den Wald war beschwerlich. Das Licht heuchelte bleigrau durch die dichten Baumkronen. Schatten knarzender, hölzerner Arme warfen eine wabernde Decke aus Dunkelheit auf den, sich allgegenwärtig hüfthoch empor reckenden Wurmfarn. Ein süßlich beißender Gestank mischte sich zunehmend unter den Geruch von Holz. Etwas faulendes, moderndes schien sich unter dem Dickicht zu verbergen. Die Geräusche ringsumher erstarkten allmählich zu einem beunruhigenden Crescendo aus animalischer Fremdartigkeit.
Der Pfad führte sie zu einer Lichtung. Von dort aus stahl er sich in weitere Richtungen davon. In der Mitte der Lichtung befand sich eine alte Hütte mit Reetdach. Die Wände der Hütte hatten die Farbe blassen Ochsenblutes. Dunkler Rauch drang aus dem Schlot. Die Unterkunft war von einem blühenden, wild wuchernden Garten umgeben. Ringsum befanden sich tönerne Gefäße und qualmende Räucherschalen.
Unvermittelt war nur noch ein seicht insistierendes Knarzen und ein läutender kling klang Teppich aus zarten Melodien, wie von einem kleinen Glockenspiel, dumpf zu vernehmen.
Der Verbund, sie zählten acht Seelen, hielt an. Männer stiegen von ihren Pferden. Einer von ihnen, mit scharfen Gesichtszügen und auffällig bunter Kleidung, sein Name war Seth, streckte geräuschvoll die Glieder; ein anderer, dessen Name Valentin lautete, schüttelte sich die Beine aus, um die vom Ritt taub gewordenen Körperteile zu beleben. Die beiden Wachen, deren Namen ihnen wohl nur untereinander geläufig waren, verständigten sich auf das Notwendigste.
Der Kutscher Johann stieg von seinem Bock und eilte drängenden Schrittes in den Wald, um seine Notdurft zu verrichten. Eine der Wachen klopfte daraufhin an die Tür der Kutsche und öffnete sie, nachdem man ihm aus dem inneren gewähren ließ. Der Kutsche entstieg zunächst Bruder Gregor, gefolgt von Bruder Nonius und dann zuletzt der Inquisitor selbst.
„Wohl an, so sind wir wohl am rechten Ort. Schaut nach ob die häusliche Gefahr zugegen ist“, wies Bruder Gregor die beiden Wachen an, begleitet von einer wedelnden geringschätzigen Bewegung in Richtung der Hütte.
Der Inquisitor verzog die Mundwinkel nachdenklich und ließ seinen Blick umherschweifen. „So, so“, raunte er. „Hier drängt es sich an Befremdlichem auf engstem Raume zusammen“, sagte er und malte mit dem Zeigefinger Symbole in die Luft. Valentin kratzte sich seinen Bart und Kopf voller Ungeduld. Der Mann Namens Seth, nun, er war sehr gut darin abzuwarten.
Die Wachen folgten der Aufforderung Bruder Gregors. Sie durchschritten den Garten, direkt auf die Hütte zu und hämmerten an die blumengeschmückte Eingangstür. Einer der beiden Männer entrollte derweil ein Papyrus. Ein junge Frau öffnete ihnen die Tür. Ihr Blick war so klar, so wach und von so besonderer Kühnheit, dass es den beiden Handlangern einen Moment lang schauderte.
Sie war von atemberaubender Natur und verströmte eine außergewöhnliche Präsenz. Nachdem sich die anfängliche Verwunderung der beiden gelegt hatte, wurde der Frau weiter verkündet: Es handele sich um Untersuchungen der Kirche von höchster Stelle. Die Ermittlung von Häretikern und Ketzern stünde im Vordergrund.
Die junge Frau neigte ein wenig ihren Kopf und hob nur eine Augenbraue. Ihr Blick schien etwas Mitleidiges zu spiegeln.
Daraufhin hielt die das Schriftwerk verkündende Wache mit halb geöffnetem Mund kurz inne und bevor noch das natürliche, sich im Mundraum sammelnde Rinnsal, durch die entstandene Öffnung des selbigen, auf das sakrale Papyrus träufeln konnte, fuhr diese zunächst deutlich schluckend, gefolgt von einer müden Augenbewegung mit ihren Ausführungen fort.
Einige Zeit zuvor seien bereits Mönche in das Land gesandt worden. Nachdem die Kirche von einem einheimischen Kleriker Hinweise von unvorstellbarer Ketzerei in diesem Gebiet erhielt, wurden die Mönche beauftragt zu prüfen, was an den Berichten wahres zu finden sei. Sie wurden fündig.
Die ansässige Bevölkerung wurde gewarnt und dem Bischof wurde Bericht erstattet.
Der zuständige Inquisitor sei nun mit seiner Gefolgschaft angereist, um die Hauptuntersuchung vor Ort, was in diesem Fall von besonderer Bedeutung sei, zu vollziehen. So das Ende der Verlautbarung.
Der Inquisitor bewegte sich nun gemessenen Schrittes, sein Gefolge dicht hinter ihm auf den Eingang der Hütte zu. Aus der ferne ertönte ein Mark erschütterndes, langgezogenes Geschrei wie von einer wilden Furie oder einem fleischgewordenen Alb.
Die Gottesfürchtigen Männer wandten sich dem Wald zu. Beklommenheit stieg unvermittelt in ihre Herzen. Als sie sich der jungen Frau wieder zuwendeten, lächelte diese und die Männer befiel kaum zu erklärende Furcht. Das Verlangen zu fliehen, zog sich wie eine dunkle Wolke durch ihre Gedanken. Doch zu diesem Zeitpunkt war alles schon längst verloren.
Die Luft begann zu flirren und zu vibrieren. Alles wurde dumpf und trübe, begleitet von einem langgezogenem hochtönendem Pfeifen. Die Männer erstarrten und dann, nur einen Wimpernschlag später wussten sie es mit Gewissheit. Gott hatte sie verlassen.
Die junge Frau lächelte wölfisch, schloss die Augen und dann drang sie mit ihrem Willen, ihrem Geist durch sie hindurch und in sie hinein, während das Geschrei unaufhaltsam näher kam. Die beiden Wachen links und rechts der Türe, William und Leonard, unterwürfig bis zu letzt, eng im Geist, aber so viele Bedürfnisse, zuckendes, wimmelndes Leben der Anhaftungen und unerfüllten Wünsche. Gregor und Nonius, der eine dick, feist und rot, der andere hager, verkniffen, beide mit geweiteten Augen. Ihr Geist war schon lange nicht mehr der ihrige. Moloch Angst, der Vielgesichtige, hatte sie bereits alle fest in den Klauen. Hinter den Geistlichen, eine auffällig bunt gekleidete Gestalt mit fahlem Gesicht. Seth. Seid frühester Kindheit vom Vater darauf betrogen worden, Leben zu nehmen. Erst unzähligen Tieren die Köpfe vom Rumpf reißen müssen, in der Jugend zarter Blüte dann die erste Hinrichtung an einem Menschen. Er hatte so lange gestochen, geköpft, geritzt, gespalten, geschlitzt, zerschlagen, gewürgt, zerteilt und zermahlen bis alles stumpf und leer in ihm war. Betrogen um die Fähigkeit wahrhaftig zu spüren, welchen Wert ein jedes Leben hat. Wo vorher ein Lächeln war, war jetzt ein Grinsen und die Wölfische entblößte scharfe Reißzähne. Zu Seth´s, des Henkers Füßen, bildete sich eine Pfütze Urin.
Das Geschrei schwoll weiter an und es war so als ob es sich aufteilte, aus verschiedenen Richtungen auf sie zukam. Dann war da noch Valentin, der Schreiber, auf der Suche nach etwas das sein Herz wild schlagend hält, damit es Ströme voll dunklen Blutes in sein Hirn zu pumpen vermag, auf das Bäche der Erkenntnis durch die unentdeckten Länder fließen. Dann, eines Tages wenn sein Herz aufhört zu schlagen, im starren unveränderbaren Wort auf ewig, wären ihm dann beide Welten wahrhaftig und vollkommen vertraut, er könnte endlich in Frieden schlafen.
Die Augenlider der jungen Frau hoben sich und die Augen einer Megäre starrten den Inquisitor an.
Er glaubte Diener zu sein, dem höheren verpflichtet, der Gunst des Herren hinterherhinkend, lebendig eingemauert, in ein enges Korsett von Zeugnissen seiner vermeintlichen Stärke und der Verdammnis der Lieblosigkeit gezwängt. Er hat sich zu weit entfernt, entfremdet von seinen tiefsten Bedürfnissen, aber da ist noch ein Sehnen. Ein Sehnen nach der Gemeinsamkeit, pochend pulsierendem Lebens und da ist Verachtung. Die Verachtung für das Nichts in ihm und für die Welt die er leben muss.
Er versuchte sich an seinen Namen zu erinnern. Seinen Namen. Ein schöner, klangvoller Name war es. Als Kind mochte er es, wenn die Mutter ihn bei diesem, seinem Namen rief. Er mochte ihn, doch nun ist er fort. Stille.
Dann gab es nichts mehr. Nur Finsternis, und aus der Finsternis stieg sie empor. Unantastbar, unnahbar, leuchtend, rein und wunderschön, voller Liebe und voller Grausamkeit. Himmel und Abgrund zu gleichen teilen in ihr vereint und sie lächelte so mild und grausam zugleich und sie sprach zu ihnen mit einer allgegenwärtigen sanften Stimme und es war so, als ob alles was jemals in ihren Herzen Ungemach verursachte mit nur einem Fingerzeig fort war, einfach fort war und sie lachte für sie so zärtlich, ganz ohne Hintersinn und so natürlich, das um ihre Herzen alle Bänder zerfielen die es vorher eng und starr machten und aus der Mitte ihrer Herzen selbst sprossen die schönsten leuchtendsten Blumen und es fühlte sich warm und wohlig und wahrhaftig an und dennoch gleichzeitig so grundlegend, grundlegend falsch.