Der innere Zerfall
Ich sterbe fast vor Angst etwas zu verlieren, was ich nicht einmal „besitze“. Ob man die liebe eines anderen Menschen „besitzen“ kann wissen wohl nur wenige Menschen.
Und trotzdem sitze ich hier und mir ist zum weinen zumute. Nicht nur zumute, am liebsten möchte ich auf das Dach meines Hauses steigen und meine Sorge, meine Angst lauthals heraus brüllen.
Stattdessen sitze ich alleine in meinem Apartment und trinke den billigsten Weißwein.
„Liebfraumilch“ von Aldi. Auf der Verpackung steht es sogar. „Fast“ Qualitätswein.
Passt wunderbar zu meiner Person, bin ja auch „fast“ glücklich.
Die Person um die es hier geht ist, wie sollte es anders sein, ein Mädel, welches ich erst vor 4 Tagen getroffen habe, und schon ist mein Seelenfrieden in einem nahezu unheimlichen Ausmaß aus dem Gleichgewicht geraten.
Dazu muss ich noch bemerken, das mein seelisches Gleichgewicht von vornherein alles andere als ausgeglichen war.
Regelmäßige besuche bei einem Psychiater und eine nicht kleine Dosis Psychopharmaka hält mich aufrecht gehend, nicht das ich mich durchs Leben schleppen muss.
Schleppen ist ein recht passender Ausdruck. Schaut man sich auf der Strasse einmal etwas genauer um, sieht man sie zu Dutzenden mit „schleppenden“ Gang. Doch muss dieser nicht wirklich schleppend sein, oft ist er gekennzeichnet durch eine Hektik und aufgelegte Zielstrebigkeit, wodurch man die „schleppende“ Seele erahnen kann.
Menschen, jegliche Hoffnung aus den Gesichtern verschwunden, nur daran interessiert möglichst privat zu sterben. Liebende, Hand in Hand, und wissen doch nichts außer das sie nun nicht mehr allein sind.
Der Zauber des Mitmenschen zu einem grotesken Theater verkommen.
Ich bin in der besten Gesellschaft, aber ein Trost ist dies nicht, mehr eine Drohung.
Ich vermisse sie. Ihr zartes lachen, ihr verschnupftes schnarchen aus der Nacht, in der ich bei ihr schlief.
Ihren Körpergeruch, der so fremd und doch so vertraut ist. Meine Prinzessin.
Sie sollte mich aus meinem selbsterbauten Gefängnis befreien, mich an die Hand nehmen und ins Licht führen, dorthin wo Liebende einander Respekt zeigen, diese Gabe vermittelt durch ein Vertrauen, welches seinesgleichen nicht findet in aller Welt Kirchen.
Melancholie ist bittersüß, vielleicht zu süß und zu wenig bitter.
Wiederum muss ich erkennen das ich alleine bin, alleine mit meinen Gedanken.
Gedanken gepeinigt von Zweifel, vergewaltigt durch das Unterbewusstsein. Immer neue Möglichkeiten ersinnend, wieso sie mich nicht lieben kann oder will.
Angst vor einem Anruf von ihr, diese Worte zu hören“ Du, ich glaube wir sollten uns nicht mehr sehen“. Die Gründe trudeln verfolgend hinterher.
Dann wieder die Frage“ Warum soll ich noch lieben?“ und natürlich habe ich keine Antwort, aber ich frage auch, wieviel Enttäuschung kann ein Geist erdulden, ohne Amok zu gehen?
Meint Schwelle der Geduld ist bedrohlich nahe. Ich sehe schon den Schatten, den die Tür wirft.
Einmal gegangen durch diese Tür, und es gibt kein Zurück mehr, denn dann herrscht entweder der Wahnsinn eines Lebens ohne Liebe, oder aber die Selbstauslöschung.
Erst neulich habe ich etwas fundiert über Menschen, die ihr eigenes Leben für den geliebten anderen geben. Und das Resultat hat mich selbst ziemlich überrascht, denn ich bin nun der Auffassung, das es keine Selbstlose Tat ist, ganz im Gegenteil, es ist ein Akt des puren Egoismus. Theoretisch, das spricht für sich selbst. Man gibt sein Leben, um nicht alleine zurück bleiben zu müssen. Ein Leben ohne den geliebten anderen ist sicherlich schmerzhafter als der „selbstlose“ Tod.
Der CD-Player ist auf Wiederholung eines Songs eingestellt. Immerwährende Wiederholung.
An jedem Morgen ist es das gleiche unsägliche Schauspiel. Die Ermüdungserscheinungen werden intensiver, die Angst vor dem nächsten Morgen setzt schon am Abend des vorigen Tages ein.
Man kann diesen nächsten Tag schon nicht mehr ertragen, alleine der Gedanke daran, und der Magen dreht sich um, ein Magengeschwür ersehnend, um den Schmerz ein physiologisches Antlitz zu geben.
Etwas, was man tasten und hassen kann.
Mensch zu sein heißt nicht glücklich zu sein. Nein, wenn es ein göttlich bestimmtes Schicksal gibt(was ich stark bezweifle), dann ist es wirklich eine göttliche Farce, was sich hier abspielt.
In Jahren habe ich sicherlich nicht allerhand auf der Habenseite, doch Erfahrung kann man nicht messen in Jahren, nur in Erlebten. Erlebte Gefühle als Speerspitze des Seins, der Haken welcher sich im Fleische dreht.
Wein, wenn Gott seiner Anwesenheit Nachdruck verleihen wollte, dann mit der Erschaffung dieser Kategorie von Stoffen, welche das Leiden des Menschseins für einen kurzen Augenblick in den Hintergrund verbannt, um der unbändigen Intensität des Seins ein göttliches Attribut zu verleihen.
Leider entferne ich mich etwas vom Kern meiner Klagen, abschweifend wie der Augenblick des Todes.
Das Mädel, der Grund meiner Klagen, ist nun weiter weg denn je. Sie erscheint vor meinem Augen, und ich habe Schwierigkeiten sie zu erkennen, denn zu sehr sind meine Augen in Tränen getaucht. Tränen, meine Tränen der Liebe, Tränen der Trauer um meiner selbst.
Ins lächerliche gezogen durch diesen Hang zur obskuren Melancholie, gepaart mit der Sehnsucht, die nur liebende in sich tragen.
Der sanfte Atem auf der Haut, ein stöhnen nicht hervorgerufen durch Sex, ein tiefer Seufzer der Seligkeit, Frieden mit sich selbst und der Welt, die Fähigkeit den Wandel der Farben durch die Jahreszeiten zu erkennen, eine Umarmung die Hingabe bedeutet.
Dinge, die man für gegeben hält, und doch selten die Reinheit begreift, die sie inne tragen.
Klischees werden zum Modell der Gesellschaft, eine bewusst hervorgerufene Mutation, um die Reinheit zumindest in verdünnter Form erhaschen zu können.
Worte, nicht mehr als eine Darmentleerung des Geistes, nicht imstande das offenbare Wesen der Dinge erkennen zu können; Intellekt als Handicap.
Der Wunsch nach dem Weinrausch wächst in mir, hervorgerufen durch ein Gefühl der Ekels vor mir selbst, vor der Existenz an sich.
Welchen Nutzen hat die Existenz wenn das, was das höchste Gut sein sollte, nur noch ein Schatten seiner Selbst ist, das verblasste Ebenbild des Schöpfers, gerade noch zu erkennen wenn man wirklich hinschaut. Die Konturen verwischen von Tag zu Tag mehr, jede Enttäuschung ist ein Sieg des Leidens über die Liebe, und dennoch verfällt man wieder den Träumereien.
Wieder schweife ich ab, selbstverliebt in den Klang meiner „Darmentleerungen“.
Ich möchte nur bei ihr sein, ihr sagen das ich sie liebe, von ganzem Herzen, in Demut und Hoffnung ein Widerklang erwartend.
Doch da ist sie wieder, diese Angst. Die Angst vor dem Verlust.
Diese gerade erst erblühten heiligen Gefühle von Zärtlichkeit und Zuneigung schon als Ketzerei verurteilt.
Die Zeit heilt alle Wunden, falls es wieder einmal nicht funktioniert, doch irgendwann sind die Narben zu kräftig, als das Neues auf ihnen erblühen könnte.
Die Zeit vergisst, doch das Ich verändert sich. Ich habe Angst zu erkalten, doch ziehe ich die Kälte vor, wenn meine Zuneigung nicht erwidert wird, dann fällt der Vorhang für immer, auf das es nie wieder geschehen mag.
Man öffnet sein Selbst einen Spalt, in Erwartung auf das Wunder der Liebe, doch man spuckt nur hinein, lauthals lachend, sich erbrechend allen Übels dieser Welt. Der Spalt schließt sich, und es wird dunkel auf immer.
Knack!
Einen Tag später sitze ich an gleicher Stelle; mein geliebter Lehnstuhl mit eingebauten Elektromotor.
Im letztem Jahr bin ich leider Gottes 4 mal umgezogen, und dieser verdammte Stuhl wiegt die Hölle. Nichtsdestotrotz folgt er mir. Nur auf ihm fühlt sich mein Hintern wirklich zuhause.
Wieder trinke ich Wein, wieder bin ich traurig, doch ist der Umfang meines Kummers nicht zu vergleichen mit dem gestrigen. Heute ist es die Sicherheit, die Sicherheit das es nichts werden wird mit der Liebe.