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Der Indianer mitten im Bombenangriff
Ich stand am Tisch und schaufelte Kartoffeln auf meinen Teller.
„Leon, Mark will, dass du ihm beim Fahrradfahren hilfst“, teilte Bettina mir mit.
Ich ließ die Kartoffeln am Tisch stehen und kam in den Hof.
Diese kleine deutsche Familie hatte mich vor vier Wochen aufgenommen. Sie wussten nicht, was ich war oder woher ich kam. Sie hatten keine Ahnung, was ich durchmachte.
Ich sah den kleinen braunhaarigen Mark mit seinem Fahrrad auf den Hof kommen.
Der Dreizehnjährige weinte und das Vorderrad war total verbogen. Der Stern rutschte etwas höher, als er sich die Tränen abwischen wollte.
„Na, little Boy! Haben sie dir wieder das Fahrrad verbogen?“, fragte ich und kam auf ihn zu.
Mark sah mich an und schluchzte.
„Ja, diese blöden Soldaten!“
„Das wird schon, Chirakorito!“, sagte ich.
„Was heißt Chirakorito?“, fragte Mark.
„Häuptlingssohn, kleiner Mark. Du weißt, dass du deinen Eltern nichts davon erzählen darfst?“
Der Junge nickte und breitete die Arme aus. „I love Amerika!“
„Nicht so laut! Du weißt, dass keiner wissen darf, dass ich Amerikaner bin“, fauchte ich den Jungen an und schnappte ihn. Ich hob ihn hoch und er kreischte begeistert.
Eine Weile wirbelte ich ihn im Kreis herum und setzte ihn dann ab.
„Das war toll. Nochmal!“, quengelte er.
„Nein, Mark!“, sagte ich streng und ging zu seinem Fahrrad. Ich sah mich kurz um und kontrollierte auch die Fenster. Dann packte ich das verbogene Rohr und bog es wieder richtig.
„Super, Leon! Wie kannst du das?“, fragte Mark.
„Das, mein kleiner Chirakorito, ist mein Geheimnis.“
Der Junge sah mich trotzig an.
„Ich will es wissen. Bitte, sonst sage ich Mama, dass du Englisch reden kannst und aus Amerika bist.“
„Okay, du weißt doch was Superhelden sind?“
„Ja... rede weiter!“
„Ich bin einer dieser Nachtsuperhelden mit den spitzen Eckzähnen. Aber dies muss unser Geheimnis bleiben. Verstanden?“
„Verstanden ... Geheimnis!“, meinte Mark und griff sein Fahrrad. Er brachte es zum Schuppen.
Ich sah ihm seufzend hinterher.
Hoffentlich hielt er wenigstens gegenüber der Wehrmacht den Mund. Wenn mich Henrys Männer fanden, würde ich nicht wieder im Vampirkonzentrationslager landen, sondern wahrscheinlich sofort geköpft werden.
Dann roch ich plötzlich einen verführerischen Geruch. Es roch nach Eisen und ... Blut.
Ich jagte ins Haus und blieb vor der Küchentür stehen.
Maria stand am Herd und lutschte an ihrem Finger.
Ich schluckte und wandte mich rasch ab.
Aber das Kribbeln war da. Meine Fänge bildeten sich aus und ich biss die Zähne zusammen.
Als ich mich umdrehte, schaute mir der Urvampir, der ich war, aus dem Spiegel entgegen.
Den durchdringenden roten Augen dürstete es nach Blut. Ich sah meine Reißzähne hervortreten.
„Shit!“, stieß ich aus.
„Leon?“ Ich drehte mich rasch um und sah Markus, den ältesten Sohn.
„Oh mein Gott! Hast du wieder Hunger?“
Ich nickte und war froh, dass es Markus war.
„Komm mit, Kind des Darok!“, sagte der Mensch und ich folgte ihm in den Keller.
Dort betraten wir meine Kammer.
Er setzte sich und ich bemerkte das Loch auf seiner Jacke am rechten Arm.
„Du hast ...“
„... den Stern abgerissen, ja! Sollen sie mich doch zusammenschlagen. Das ist demütigend. Alle meine alten Freunde wollen nichts mehr von mir wissen“, beendete er wütend den Satz.
„Es ist bald vorbei!“, sagte ich.
„Hoffentlich!“
Markus krempelte seinen Ärmel hoch und hielt ihn mir hin.
„Trink, Leokari!“, forderte er.
Meinen alten Geburtsnamen aus seinem Mund zu hören, war wunderschön.
„Helia mea Darok!“, sprach ich in der Sprache meines Stammes und meine Augen wurden rot.
Der Urvampir kam zum Vorschein und ich biss in Markus' Arm.
Das Blut schmeckte gut. Ich trank nur ein paar Schlucke und setzte ab.
Meine Hand wanderte zu meinem Mund und ich spuckte auf meine Finger und verteilte die Spucke auf Markus' Arm. Die Bisswunde heilte zu. Es war, als hätten meine Zähne ihn nie berührt.
„Danke!“, keuchte ich und lehnte mich zurück.
„Gern geschehen. Kannst du sie nicht aufhalten? Du bist doch ein Vampir. Kannst du Hitler nicht ... “
„Nein, Markus! So einfach ist das nicht. Meine Rasse ist auch beteiligt. Es gibt auch Untote unter den Nazis.“, erklärte ich und erhob mich. Das Blut rauschte durch meinen Körper und ich fühlte die Kraft, die es mir verlieh.
„Wie kannst du eigentlich ... wie wird man, das was du bist?“, fragte er.
Ich lachte und öffnete die Truhe. Dort nahm ich eine kleine Kiste heraus und machte sie auf.
Ein Kopfschmuck aus Federn kam zum Vorschein.
„Ich wurde durch einen Dämon, dass was ich bin, Markus“, erklärte ich.
„Wie alt bist du?“, keuchte der Mensch.
„Ich sagte dir, dass ich ein Kind des Darok bin. Es ist eine Bezeichnung, die mein Stamm verwendet. Alle übrigen unserer Rasse nennen uns Vampirindianer oder Urvampire.“
„Urvampire? Also die aller Ersten? Indianer? Du bist doch nicht ... “
„Doch Markus! Ich stamme aus Amerika und bin Teil der Indianer und war einst Häuptling meines Stammes, noch vor eurem Columbus. Meine Geburt liegt im Jahr 1297. Ich bin also 445 Jahre alt“, sagte ich.
„Wir haben jetzt 1942! Du lebst schon so lange!“
Ich nickte und strich über die Feder. In diesem Moment vermisste ich meine Heimat.
Ich hätte nicht gehen sollen.
Tränen traten mir in die Augen.
„Lebt dein Volk noch?“, fragte Markus.
„Mein Stamm hat, dank der Dragobrüder, die Besiedelung überlebt“, antwortete ich.
„Die Dragobrüder?“, fragte Markus.
Ich wollte ihm gerade antworten, da hörte ich es. Ein ganz leises Brummen.
Ich kannte das Brummen.
„Hole deine Eltern hier her, sofort!“, schrie ich panisch und sprang auf.
Der Junge reagierte nicht.
„Los! Es kommen Bomber!“, schrie ich ihn an und endlich rührte sich Markus. Er hechtet sofort aus dem Raum.
Ich begann zu lauschen. Doch ich konnte nur das Englisch von ganz weit weg hören. Doch ich schnappte ein Wort auf.
„King!“. Das hieß nichts, es konnte auch englische Bomber sein.
Dann bohrte sich ein einziger Name in mein Gehör.
„Firemoon!“
Das war kein Angriff der Alliierten, es waren die Liberatore.
Scheiße! Ich griff nach dem Kopfschmuck und setzte ihn mir auf. Dann riss ich meinen rechten Ärmel herunter und sorgte so dafür, dass man das Brandmal in Form eines V gut sah. Das Kennzeichen der vampirischen Konzentrationslager musste man gut sehen können.
Dann begann ich meine Kräfte zu aktivieren. Ich fühlte wie meine Körper sich veränderte. Meine Augen wurden rot und die Adern standen hervor. Die Macht meines Gottes, meines Dämons, durchflutete mich.
Aus meinen Rücken sprossen Flügel. Meine Haut überzog sich mit braunem Fell und meine Hände und Füße mutierten zu Krallen.
„Kommt! Leon ist hier unten“, hörte ich Markus.
„Ich hab Angst!“, wimmerte Mark, der kleine Bruder.
„Wo ist Leon?“, fragte der Vater.
„In seiner Kammer!“, antwortete Markus.
Schlagartig ließ ich meine Kräfte sprechen und sie verriegelten die Tür.
Ich lauschte und hörte es Krachen.
Schreie drangen an mein Ohr.
Die Bomben waren gefallen.
Dann krachte es im Keller. Ihnen durfte nichts passieren.
Ich jagte aus der Tür. Ich schleuderte die Holztür aus den Angeln und sah wie sie mich anstarrten.
„Was ist das? Bettina, nimm die Kinder!“, schrie der Vater.
„Hören sie mir zu! Ich bin Leon“, rief ich. Doch der Vater griff nach einem Spaten und trat auf mich zu.
„Du wirst meine Familie nicht fressen, Monster!“, schrie er und hielt den Spaten hoch.
Ich hielt meine Krallen bewehrten Hände nach oben und sagte: „Ich bin Leon. Es tut mir Leid. Aber ich bin kein Monster. Ich bin ein Vampir und will ihnen helfen zu überleben.“
„Es ist Leokari. Er ist ein Indianer. Lass es sein, bitte!“, flehte Markus.
Doch dann hörten wir Stimmen. Die Tür wurde aufgerissen und Männer in Grün stürmten herein.
Sie sprachen eine Sprache, die selbst ich nicht verstand.
„Russen!“, schrie Bettina und fiel in Ohnmacht.
Die Männer starrten mich an und richteten ihre Gewehre auf mich. So geschwächt wie ich war, würde ich sie nicht aufhalten können. Kugeln würden mir nichts anhaben. Aber der Familie würden sie schaden.
„Nein, Bitte! Er ist nicht gefährlich!“, schrie Markus und stellte sich mit ausgestreckten Armen vor mich.
„Markus nicht!“, schrie ich und sah entsetzt zu, wie die Männer die Gewehre anlegten.
„Angriff! Aber nicht töten! Es sind Alliierte!“, hörte ich eine Stimme englisch schreien.
Mehrere Schemen jagten durch die Tür und jeder Russe wurde von einem Mann in Rot umgeworfen.
„Stärkt Euch und löscht ihr Gedächtnis.“
Die Männer in Rot kamen dem Befehl nach. 20 Vampirgebisse blitzten auf und meine Artgenossen bissen die Russen in den Hals.
Die Familie kauerte sich um die am Boden liegende Bettina und der Vater umklammerte den kleinen Mark.
Ich löste meine Verwandlung und meine Flügel mit den roten Augen verschwanden.
Zu meiner großen Erleichterung kam General Medical durch die Tür.
„General, was ist mit der Familie?“, fragte einer der Vampire.
„Mister Leokari! Was machen Sie denn hier?“, stammelte Medical.
„Ich bin aus einem Vampirkonzentrationslager geflohen und habe mich hier versteckt. Diese Familie war sehr gut zu mir. Bitte bringen Sie diese Menschen nicht um. Auch, wenn das Gesetzt des Blutbunds es verlangt. Es sind Juden. Wir Verfolgten sollten zusammen halten“, erklärte ich dem Engländer.
„Ihre deutsche Identität wurde schon in Bremen angeblich getötet. Die Nationalsozialisten halten sie für tot. Wie ist ihnen die Flucht aus Avramsburg gelungen?“, fragte Medical.
„Henry verfolgt mit Hitler zusammen Vampire. Aber die Lager sind nur auf jüngere Vampire ausgelegt, nicht auf einen über vierhundertjährigen Urvampir. Wir müssen die Vernichtung unserer Rasse aufhalten. Die Liberatore sollten an der Seite der Aliirten kämpfen“, meinte ich.
Einer der Russen stöhnte und die vampirischen Soldaten gaben den Menschen ihr Blut, um sie das Geschehene vergessen zu lassen.
„Wir haben gemeinsam mit Russland Hamburg gerade bombardiert. Wir kämpfen gemeinsam für die Befreiung Deutschlands. Natürlich wissen die Menschen nicht, dass wir Vampire sind. Der Blutbund hat die Zusammenarbeit entschieden“, antwortete Medical.
„Endlich mal was Positives!“, sagte ich und trat zu Markus.
„Was wollen diese ... diese ... Männer von uns?“, fragte der Junge.
„Sie wollen nichts von euch. Ich werde euch jetzt verlassen müssen. Aber wenn dieser ganze Wahnsinn vorbei ist, komme ich zurück. Du wirst dich gleich an nichts erinnern. Weder an die Bomben, weder an diese Soldaten, noch an mich. Aber vertraue mir Es ist zu deinem Schutz, Markus. Danke, dass ich dein Blut trinken durfte. Danke, dass du mich gefunden hast“, sagte ich zu dem Menschen.
„Lasst sie alles vergessen. Sechs Liter Vampirblut dürften reichen“, bat ich Medical und ging aus dem Keller. Das Haus war verschwunden und überall lag Zerstörung.
Ich strich über die Feder auf meinem Kopf.
Es gab Hoffnung. Es gab Hoffnung für die Vampire Deutschlands und für die Juden.
Dieser Krieg würde, wie jeder Krieg enden. Irgendwann.
Ich ging durch die Straße davon und begann ein kleines Lied meines Stammes zu singen.
Die Menschen, die nach ihren Angehörigen suchten, starrten mich verwundert an.
„Mama, ein Indianer!“, rief ein Mädchen.
Ja, ich war ein Indianer. Ein Vampirindianer. Es war Zeit in meine Heimat zurückzukehren.
Ende