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Der Holzfäller und seine Tochter
Es war spät in der Nacht. Die Dunkelheit in der kleinen Hütte wurde nur vom schwachen Schein des Kaminfeuers zurückgehalten. Die Hütte war nicht besonders groß. Ein kleiner Tisch mit 3 Hockern zeichnete sich in der Ecke von der Dunkelheit ab ,ein Schrank und eine Kochstelle in der anderen. An den Wänden hingen kleine Jagdtrophäen und getrocknete Kräuter, neben der Tür lehnten eine Axt und eine Muskete. Hinten in der Hütte führte eine schmale Treppe nach oben, zu einem zweiten Boden auf dem ein Bett stand. Das Bett war leer, die Matratze voller getrocknetem Schweiß, hier hatte schon seit Tagen niemand mehr geschlafen. Alle Decken und Kissen lagen nahe am Kamin. Dort lag in Decken und Felle gehüllt eine kleine Gestalt am Feuer. Neben ihr saß ein Berg von einem Mann.
Seine breiten Schultern und dicken Arme schienen nicht ganz zu seinem ansehnlichen Bauch Mannes passen. Er trug einen verwaschenen roten Pulli und grüne Arbeiterhosen. Den Kopf hatte er auf seine behaarten Hände, die mehr Pranken glichen gestützt.
Er war alt, graue Strähnen zogen sich durch den riesigen Bart der sein Gesicht verdeckte, tiefe Falten lagen wie Krater um seine Augen. Dunkelbraune fast schon schwarze Augen, die voller Trauer auf das kleine Bündel Fell unter ihm starrten.
Dort lugte das Gesicht eines kleinen Mädchens heraus. Ihre roten Locken waren schweißnass und zerwühlt, dunkle Sommersprossen hoben sich von ihren totenbleichen Wangen ab wie schwarze Pestflecken. Ihr Atem ging unregelmäßig, mit einem leichten Zittern. Immer wieder öffneten sich ihre Lippen, um unverständliche laute zu murmeln oder vor Schmerzen zu stöhnen.
Der Holzfäller starrte weiterhin seine Tochter an. Sein kleines Mädchen. Tränen ließen seine Sicht verschwimmen. Schnell wischte er sie mit seiner Hand aus den Augen und stockte. Diese riesigen Hände hielten seinen Blick gefangen, grobe fleischige Pranken bar jeglicher Zärtlichkeit oder Vorsicht. Sie waren schwielig und in der Lage ohne weitere Mühe alles zu packen und zu zerquetschen. Er dachte an den Tag, als seine kleine geboren wurde, daran wie er sie gehalten hatte. So ein kleines zartes Wesen, zerbrechlich und schwach, und wie die Angst ihn packte, Angst sie aus Versehen zu verletzen oder zu festzuhalten. Das glockenhelle Lachen seiner Frau die ihren großen Furchtlosen Holzfäller zum ersten Mal vor Angst gelähmt sah und ihm das Baby aus der Hand nahm. Wie sehr er sie an diesem Tag geliebt hatte.
Wo war sie jetzt? Fort, von den Strapazen der Geburt zu geschwächt, war sie von einer Krankheit dahin gerafft worden kurz, nachdem das Baby keine Milch mehr gebraucht hatte. Fast so als hätte sie nur so lange durchgehalten, um ihr Kind am Leben zu halten. Und nun wurde auch sein Mädchen von einer Krankheit aufgezehrt. Er hatte getan, was er konnte, all seine Kraft und all seine Liebe gegeben, doch eine Krankheit kann man nicht mit Axt und Muskete bekämpfen, eine Krankheit kann man nicht mit Geld besiegen, alles was man tun kann ist zu warten und zu hoffen, dass man sie überlebt. Er konnte nur hier sitzen und warten, ob seine Tochter überleben würde.
„Das ist nicht fair.“ Die Worte drückten sich an dem dicken Klos in seinem Hals vorbei. „Nicht fair, ihr Götter, warum mein kleines Mädchen?“ Die Tränen liefen ungehemmt seine Wangen hinab und versanken in seinem Bart. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Wieder und wieder schlugen sie auf seine Knie.
„Erst meine geliebte Frau und nun meinen einzigen Schatz? WIESO?“
„Papa“ die Stimme seiner Tochter war weniger als ein Flüstern, doch es ließ ihn erstarren.
In dem Lager aus Fellen und Decken räkelte sie hin und her, bis sie einen ihrer Arme befreit hatte. Langsam streckte sie ihm ihre Hand entgegen. Die kleinen Fingerchen fassten zart in seinen Bart.
„Papa warum bist du so traurig? Bist du traurig, weil es mir nicht gut geht?“
Schniefend brachte er ein Nicken zu Stande, seine Hände schlossen sich um ihre. Die kleine Hand verschwand vollkommen zwischen den seinen.
Seine Stimme bebte. „ Es war doch dein Geburtstag mein Liebling, ich bin traurig, weil ich dir dein Geschenk nicht geben konnte.“
Für einen Moment kam wieder Leben in ihren Blick. „Die Pferde, du hast versprochen mit mir die Pferde ansehen zu gehen und mir das Reiten beizubringen. Papa ich werde schnell gesund und dann holen wir mein Pferd, ja?“
„Natürlich meine Süße“. Doch ihre Augen waren schon wieder zu gefallen. Sie zitterte und als er ihre Hand losließ viel sie schwach auf den Boden. Langsam deckte er sie zu. Jetzt war nicht die Zeit schwach zu sein und zu weinen. Scheiß auf die Götter, scheiß auf die Trauer. Wieder sah er seine Hände an und diesmal wusste er genau, was damit zu tun war. Sie konnten nicht das Leben aus einer Krankheit herausquetschen wie aus einem Huhn aber ihre Kraft konnte noch nützlich sein.
Sie war seine Tochter und genau so stark wie er.
„Alles was du willst meine kleine.“ stieß er durch zusammen gebissene Zähne hervor,“alles was du dir wünschst, wird wahr werden.“
Er sprang auf, schnappte seine Axt, seinen Mantel und stieß die Tür auf. Die Kälte des Winters warf ihn fast rückwärts wieder in die Hütte hinein, mit zusammengebissenen Zähnen schloss er die Tür hinter sich und warf sich dem Frost entgegen. Schweigend trugen ihn seine Füße durch den Wald, sein Atem schoss in dicken Wolken aus der Nase wie Dampf aus einer alten Lokomotive. Ohne zu blinzeln, starrte er in die Ferne und hielt Ausschau nach seinem Ziel. Es war totenstill im Wald, der Schnee lag unberührt wie eine weiße Decke über den Boden ausgebreitet, die ganze Welt schien zu schlafen. Das einzige Geräusch waren das Schnauben des Holzfällers und der knirschende Schnee unter seinen Stiefeln.
Endlich erreichte er seine Lichtung, auf der er arbeitete. Eine gefällte Tanne lag quer über die Lichtung ausgebreitet. Ihre Äste waren fein abgehackt und zu einem Haufen aufgeschichtet, der Stamm selbst war unberührt. Es war das letzte was er getan hatte bevor seine Tochter krank wurde.
In der Dunkelheit lag sie da wie ein toter Riese, dem die Gliedmaßen abgetrennt wurden. Der Holzfäller zücke ein Feuerzeug und ging hinüber zu den Tannenästen. Der süße Geruch von Harz nebelte ihn ein und für eine Sekunde stand er nur da, sog ihn ein und nahm ihn tief in sich auf. Dieser wundervolle herbe Duft, der ihn stets bei der Arbeit umgab, entspannte ihn und half ihm sich zu fokussieren. Die Flamme des Feuerzeugs zuckte in der Dunkelheit hypnotisierend hin und her.
Langsam ging er um den Haufen Äste herum und zündete ihn an allen Seiten an. Hungrig sprangen die Flammen auf das Holz über, innerhalb weniger Sekunden loderte der Haufen lichterloh.
Im grellen Schein des Feuers zückte er seine Axt, die Augen aufgerissen und die Zähne gebleckt fing er an den Baumstamm in Stücke zu hacken. Wieder und wieder drosch er die Axt fest in den Stamm und schlug große Stücke heraus. Die Flammen begannen zu tosen, der Hall seiner Axt schallte tief in den Wald hinein und er schrie aus vollem Halse bei jedem Schlag.
„WIR BRAUCHEN KEINE GÖTTER, KEINE HILFE, KEIN MITLEID! SIE IST MEINE TOCHTER WIR SIND STARK UND SIE WIRD IHR GESCHENK BEKOMMEN! NOCH SIND DIESE ALTEN PRANKEN ZU ETWAS NÜTZE!“
Seine Schreie zerrissen die Stille der Nacht und den Frieden des schneebedeckten Waldes. Ihm war es egal und wenn die Feen selbst von ihren Bäumen steigen würden, um ihn aufzuhalten, zur Not würde er den gesamten Wald niederholzen.
Dutzende Schläge später hielt der Holzfäller inne und sah auf den durchgeschlagenen Stamm. Den ausgeweideten Kadaver des einstmals mächtigen Baums. Vor ihm lag der perfekte Holzklotz, den er aus dem Stamm geschlagen hatte. Das Feuer hatte sich gierig und schnell durch die Tannen gekämpft und begann zu erlöschen.
Gerade als sich seine Hände um das Stück Holz legten, hörte er hinter sich ein tiefes Knurren.
Er drehte sich um. Das Licht der letzten Flammen brach sich in den eisblauen Augen eines großen Wolfes, der wenige Meter von ihm entfernt im Schnee stand.
Das Fell des Wolfes war buschig und weiß wie Schnee, es schien fast mit der Umgebung zu verschwimmen, so dass die Aufmerksamkeit des Holzfällers unweigerlich auf seine Augen und die gefletschten Zähne gelenkt wurden.
Vollkommen bewegungslos starrte der Wolf den Holzfäller an und knurrte. Dieser packte seine Axt fester. Sein Blick war so starr wie der des Wolfes und langsam zogen sich auch seine Lippen zurück, um Zähne zu zeigen. „Meine Tochter hatte Geburtstag, ich halte hier ihr Geschenk in den Händen und solltest du räudiger Köter zwischen mich und meine Tochter kommen, dann Gnade dir Gott.“
Langsam machte er einen Schritt vorwärts den Blick weiterhin starr auf die Augen des Wolfs gerichtet, der Wolf bellte! Setzte zum Sprung an.
Die Axt des Holzfällers zischte durch die Luft und grub sich tief in einen Baum neben ihm. „RRRRAAAAAAARRGGHH!“ Sein Brüllen hallte durch den gesamten Wald. Überall um ihn herum fiel der Schnee von den Bäumen und es raschelte an dutzenden Orten als kleine verängstigte Tiere, die er aus dem Winterschlaf gerissen hatte, voller Panik flohen.
Der Wolf drückte sich auf den Boden und begann zu winseln. Mit einem mächtigen Ruck zog der Holzfäller seine Axt wieder aus dem Baum, hob sie an um dem Wolf den Rest zu geben, dann roch er den vertrauten süßen Geruch von Baumharz. Die Axt hielt mitten in der Luft inne. Der Wolf sah verängstigt zu ihm auf, immer noch winselnd.
Der Duft war beruhigend, half wieder klar zu denken. Es war nicht an der Zeit für sinnloses Blutvergießen. Seine Tochter wartete auf ihn. „Verschwinde kleiner Wolf. Verschwinde und komm nie wieder hier her.“ die Stimme des Holzfällers war nun sanft.
Mit einem Satz war der Wolf in den Wald gesprungen, sein Fell verband sich sofort mit dem Schnee und er war verschwunden.
Die Schritte des Holzfällers waren nun schnell. Zielstrebig eilte er durch den Wald , das Stück Holz fest gegen die Hüfte gepresst. Der Wald um ihn herum war wieder eingeschlafen, erneut war sein Schnauben, das einzige was die Stille durchbrach. Die Kälte fühlte sich gut an. Etwas zu tun fühlte sich gut an. Endlich musste er nicht mehr untätig herum sitzen und warten, sondern konnte etwas für seine Tochter tun. Er wusste nicht ob es pure Verzweiflung war, ein Hüttenkoller, der ihn nach 7 Tagen Krankenpflege nach draußen gejagt hatte oder doch ein Funke Hoffnung aber es fühlte sich verdammt gut an.
Als er die Hütte erreichte stieß er die Tür auf, warf Mantel und Axt achtlos beiseite und griff sich ein langes Messer von der Kochstelle. Dann setzte er sich ans Feuer und begann wie manisch das Stück Holz zu bearbeiten. „Du bekommst dein Geschenk meine kleine, tapfere Kriegerin“.
Ein Lächeln verzog seine Lippen, während der Holzklotz unter seinem Messer zu schrumpfen begann und langsam eine Form annahm. Wie im Fieberwahn zog er das Messer kreuz und quer über das Holz, die Zeit nahm abstrakte Formen an. Saß er hier schon Stunden oder Tage? Es war egal alles, was zählte, war den Klotz zu beenden.
Nach einiger Zeit, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte hielten seine Bewegungen inne. Um den Schemel, auf dem er saß lagen hunderte kleiner Holzsplitter und in seiner Hand ruhte ein kleines hölzernes Etwas.
Ein kleines Holzpferd, es war gedrungen und hatte sehr dicke Beine, der Schweif war mehr ein krummer Stiel und eine Mähne hatte es auch nicht, trotzdem es war ein Pferd. Ein kleines zerbrechliches Stück Holz, das in seinen riesigen Händen fast verschwand.
Er lächelte, es war wie sein kleines Mädchen an dem Tag ihrer Geburt. Doch diesmal hatte er keine Angst es zu verletzen, es war klein und zart wie seine Tochter doch auch hart und robust, genau wie seine kleine Tochter.
Er umschloss das Pferd mit beiden Händen und kniete sich vor die Lagerstatt des kleinen Mädchens. Ganz sanft legten sich seine Hände auf ihren Körper und rüttelten sie wach.
„Kleine wach auf.“ Ihre Augenlider flatterten und öffneten sich langsam. Er öffnete seine Hände und hielt ihr das kleine Holzpferd vors Gesicht.
„Alles gute zum Geburtstag mein Schatz. Dieses Pferd wird dein Begleiter sein und immer auf dich aufpassen genauso wie dein Vater.“ Er lächelte und unterdrückte seine Tränen.
„Sobald du wieder gesund bist, werden wir los gehen und dir ein Pferd besorgen, das genau so aussieht“
Einen Moment sagte sie nichts, ihr Schweigen füllte den Raum noch schwerer als die Dunkelheit der Nacht. Dann verzogen sich ihre Lippen langsam zu einem Lächeln, das Funkeln ihrer Augen erwachte wieder zum Leben und schnell griff sie sich das Pferd, um es an ihr Gesicht zu drücken.
„Danke Papa, ich verspreche dir, ich werde ganz schnell wieder gesund und ich werde dieses Pferd nie wieder hergeben.“ Sie legte das Pferd neben sich auf das Kopfkissen und schloss die Augen.
Der Holzfäller legte sich neben sie und sah in ihr kleines Gesicht. Die Müdigkeit der schlaflosen Nächte überkam ihn wie ein Schlag. All seine Glieder schmerzten schrecklich, seine Hände waren von der Arbeit verkrampft und einige Schnitte, die er sich wohl beim schnitzen zugezogen hatte brannten auf seiner Haut. Ohne eine Chance es zu verhindern, fielen seine Augenlider zu und die angenehme schwärze des Schlafes umgab ihn. Das letzte was er roch, war der Duft von Baumharz. Das letzte was er hörte, war die Stimme seiner Tochter. „Ich habe dich lieb Papa“. Es war ok einzuschlafen, dieses Mal war es wirklich ok. Dann war, da nur noch schwärze.
Ein heftiger Schmerz riss ihn aus dem Schlaf. Laute Geräusche ließen seinen Kopf klingeln und immer wieder schlug etwas auf seine verspannten Muskeln, die Wellen von Schmerz durch seinen Körper sandten. Er schlug die Augen auf, grelles Licht blendete ihn, ein weiterer Schlag, er stöhnte vor Schmerz. Dann wurde seine Sicht klarer und ein Umriss zeichnete sich über ihm ab. Seine kleine Tochter hatte sich über ihn gebeugt. Die ohrenbetäubenden Geräusche waren ihre Stimme und die vermeintlichen Schläge kleine Knuffer die sie ihm verpasste, um ihn wach zu rütteln.
Ihre Wangen waren wieder rosig, die Sommersprossen wieder hell und leuchtend. Keine blasse Haut mehr. Die Bewegungen ihrer Hände waren voller Leben. Mit der einen hielt sie ihr neues Holzpferd umklammert, mit der anderen knuffte sie ihn weiterhin.
„Papa,Papa ich bin gesund steh auf. Wir müssen zu den Pferden du hast es versprochen.“
Er traute seinen Augen nicht. In einer Bewegung schlossen sich seine großen Arme um seine Tochter und drückten sie sanft. Als ihre Ärmchen versuchten sich, um seinen breiten Rücken zu legen, wusste er, dass dies kein Traum war.
Dieses Mal hielt der Holzfäller seine Tränen nicht zurück, sondern ließ ihnen freien lauf.