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Der Himmel so grau
Der Himmel war wie jeden Tag so grau, dass man nicht vermochte die Sonne hinter dem Horizont zu erkennen. Die tristen Strassen waren überfüllt von Fussgängern, die in Reih und Glied ihren Weg gingen. In ihren dunkel-tristen Kleidern und den monotonen Kurzhaarfrisuren. Ihre Blicke waren starr auf den Hinterkopf des jeweiligen vorderen Passanten gerichtet. Gigantische Metall und Betonblöcke, die in die unendliche Höhe ragten und in denen das selbe eisige Leben sein Dasein fristete, umzingelten die asphaltierten Strassen.
Doch unter den Füssen dieser äusserlich so leblosen Gestalten war es noch viel kälter, dunkler und trister. Dort unten war ein Reich des Schattens. -Die weiten Kanalisationsgänge, überfüllt von einem schrecklichen Gestank und dem Müll tausender Jahre Menschheit- durch diese Schattengänge mochte man bei genauem Betrachten hin und wieder eine Gestalt vorbei huschen sehen. Meist fand man sie im östlichen Teil der Gänge 24F, wie sie durch das kleine Gitter nach oben schaute und über sich die vielen Menschen hin und zurück gehen sah. Er stand dort und starrte einfach nur nach oben und atmete tief und voller Sehnsucht ein und aus. „Sie sehen alle so gleich aus.“, dachte er sich, „Wie eine einzige Familie, mit ihrer tiefweissen, reinen Haut, den kurzen, fein gekämmten hellbraunen Haaren, nur das Geschlecht und Alter scheint sie noch voneinander zu trennen. Doch das werden sie eines Tages auch überwunden haben.“
Beinahe jeden Tag stand er hier, um sich seinen sehnsüchtigen Gedankengängen hinzugeben und etwas dieser Gemeinschaft für sich in Anspruch zu nehmen.
„Geh da sofort weg!“
Eine laute, rauhe und wütende Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen und blitzschnell huschte er in eine feuchte dunkle Ecke und zog sich die Kapuze seines, alten Ledermantels über den Kopf.
Eine Gestalt näherte sich ihm und blieb kurz vor der Gitteröffnung stehen. Das wenige Licht das vor der Gestalt nach unten schien, liess sein Gesicht erkennen. Es war ein alter Mann, müde und tief schnaufend, der nun seine Hand nach der Schulter des Beobachters ausstreckte.
„Du weißt, sie dürfen dich nicht sehen, es ist närrisch von dir dieses Risiko einzugehen.“
Die Stimme des Alten wurde sanft und seine Hand, die er ihm nun auf die Schulter legte, schien dem Beobachter eine vertraute Geste zu sein.
„Lorel, du musst mir vetrauen.“
Lorel kam etwas aus dem Schatten hervor. Seine Gestalt war gross und muskulös -absolut durchtrainiert, seine Haut dunkel und schwarz und sein Gesicht so fein und unschuldig wie das eines Kindes, das noch nie etwas „Schlechtes“ zu Gesicht bekam.
„Ich war einsam Vater.“
Der alte Mann sah ihn nur kurz an, drehte ihm dann den Rücken zu und meinte: „Hast du das Buch gelesen?“
„Ja Vater.“
Lorel sank seinen Blick beschämt zu Boden.
„Ich habe dir weitere Bücher und Verpflegung in dein Gemach gelegt, Lorel. Halte noch etwas aus, es wird sich bald alles ändern.“
Der Alte verschwand wieder in den Weiten der Kanalisation und liess Lorel zurück.
Der alte Professor Quir musste nur wenige Meter gehen bis er zu einem unbeobachteten Ausstieg aus der Kanalisation heraus gelangte. Nach einem letzten Blick zurück in die Gänge, wo sich irgendwo Lorel versteckt hielt, stieg er mühselig die Sprossen hoch. Er sah zu dem farblosen Himmel und meinte ein weiteres Mal: „Es wird sich bald alles ändern.“
Er begab sich zu seinem Gleiter, stieg ein, liess ein Musikstück laufen und hob ab.
Nur noch wenige waren in der heutigen Zeit privilegiert einen Gleiter nach freiem Ermessen zu nutzen und sich unkontrolliert bewegen zu können, ohne sich an die allgemeinen Ordnungen und Vorschriften halten zu müssen. Professor Quir war einer dieser Menschen, doch Musik wäre selbst für ihn verboten gewesen, was ihn nicht im geringsten scherte.
Als er sein Laboratorium, wie auch Wohnung –Block 1243567b- erreicht hatte, schloss er seine Augen und landete mit einem genüsslichen Grinsen im Gesicht blind auf dem Asphaltdach. Vor dem Laboratorium, liess er sich von seiner Sicherheitsanlage die Augen, Finger und die Stimme scannen, worauf die Tür vor ihm aufging. Es war ein klassisches und nach öffentlichen Meinungen veraltetes System, doch er wusste, dass sie um einiges sicherer war, als die neuen von der Regierung vorgeschriebenen Exemplare, welche die Regierung nämlich per Knopfdruck nach Belieben ausser Funktion setzen konnte. Er ging zu seinem Master-PC und fand eine hinterlassene Botschaft, die sogleich in Vollbild vor ihm in die Luft projiziert wurde. Es war Napoleon Bonaparte, einer der obersten Männer der Regierung. Wie viele seiner reichen Amtskollegen frönte er der Mode sich einen Namen einer berühmten Geschichtsfigur zu kaufen, was in Quirs Augen lächerlichen Humbug darstellte. In der Nachricht bat Bonaparte über die neuesten Forschungsergebnisse des Professor informiert zu werden und um raschen Rückruf.
„Geistlicher Kleinwuchs.“, spöttelte Quir vor sich hin und begann damit seine Pflanzen zu giessen. Auch das war etwas zu dem nur noch die wenigsten Menschen eine Erlaubnis hatten –Pflanzenhaltung. Diese Exemplare –2 Girlanden, 3 Kakteen und ein Rosenstrauss- hatte der Professor selbst angefertigt.
Als er alle Pflanzen getränkt hatte, machte er sich daran zu überlegen, was er Bonaparte diesmal erzählen wollte, welche Lügen er ihm noch auftischen konnte. Er wurde unangenehm dabei unterbrochen, als der Master-PC einen Anruf meldete. Es war Bonaparte, der plötzlich vor Quir erschien.
„Endlich erreiche ich sie Professor.“
Quir hasste Bonapartes schleimiges Auftreten und sah, dass dieser wohl etwas kahl auf dem Kopf geworden war.
„Ihre Genmischung weist wohl ein paar Fehler auf.“
Erschrocken fuhr sich Bonaparte mit den Händen über den Kopf, während sein Gesicht dabei rot anlief.
„Passen sie auf, dass das niemand bemerkt, sonst sind sie ihre hohe Stelle schnell los und landen als Genabfall mit zerrissener Kleidung in den Strassenecken¨“, spöttelte Quir. Bonaparte verschwand für einen Moment aus Quirs Blickfeld und erschien wieder mit perfekter Haarpracht.
Quir konnte sein Glück über diese Entdeckung kaum fassen und kostete den Moment von Bonapartes Erniedrigung bis auf den letzten Tropfen aus.
„Nun, genug davon Professor, ich zähle auf ihre Verschwiegenheit.“
Sein Tonfall war plötzlich sehr ernst, sogar etwas ärgerlich geworden.
„Wie steht es mit der Zeitforschung?“
Quir räusperte und hustete vor sich hin und meinte dann: „Nun es geht voran.“
„Geht es nicht genauer?“
„Ich werde ihnen meine Ergebnisse schriftlich zuschicken. Ich hoffe ich kann mit ihrer finanziellen Mithilfe weiterhin rechnen.?“
„Nun,“, diesmal räusperte Bonaparte vor sich hin, „schicken sie mir zuerst einmal ihre Fortschritte und ich werde daraufhin tun, was in meiner Macht steht.“
Bonaparte brach das Gespräch abrupt ab und Quir liess sich erschöpft in seinen Sessel fallen. Ihm war klar, dass er in Bedrängnis war. Er wusste weder, wie lange er noch von der Regierung in Ruhe gelassen, noch wie lange Lorel in seinem jetzigen Lebensstandard ausharren und Geduld halten würde. Er verliess den Raum und musste ein weiteres Mal die Sicherheitsscanns über sich ergehen lassen, bevor er in einen nächsten Raum gelangte, in dessen Zentrum eine merkwürdige Maschine stand. Es war eine Art Kugel, welche in der Luft von zwei Drahtseilen gehalten wurde, von denen das Eine von unten das Andere von oben her ragten und wiederum an zwei flachen, kreisförmigen Apparaten befestigt waren. Quir lief besorgt durch den Raum und fuhr mit seiner Hand über die vielen kompliziert wirkenden Maschinen.
„Welche Bürde habe ich mir da nur aufgeladen.“
Auf der Suche nach etwas Entspannung und Ablenkung begab sich Quir dann wieder zurück in den Wohnraum, wo er dem Master-PC befahl ein Unterhaltungsprogramm laufen zu lassen. Es gab seit Jahren nur noch das staatliche Programm und schaffte es seit jeher Quir in schnellster Zeit Schlaf finden zu lassen..
Ein Nachrichtensprecher in grauem Anzug sass da, mit seinen kurzen, braunen Haaren und dem perfekten Gesicht und sprach die Nachrichten.
„Heute acht Uhr morgens wurden zwei aus dem Genabfall stammende Wesen –ein männliches, wie auch ein weibliches- von einem Polizisten in Notwehr getötet. Der Poli.....“
„Warum gehörten sie wohl zum Genabfall?“, fragte sich Quir.
„Hatten sie eine zu lange Nase, die Frau einen zu grossen oder zu kleinen Busen, O-Beine oder vielleicht Haarausfall?“
Bei diesem Gedanken musste er mit dem Bild des kahlen Bonapertes vor Augen, lachen.
„Das war keine Notwehr.“, dachte er mit wiedergefundenem Ernst.
„Jetzt fangen sie schon damit an ihre eigenen Leute, bei deren Genzusammenstellung vor ihrer Geburt ein kleiner Fehler unterlief und sie vom Durchschnitt trennte, zu liquidieren.“
Er wusste, dass Bonaparte das selbe Schicksal ereilen würde, wenn seine Kahlköpfigkeit ans Licht käme. Quir selbst hatte Glück, durch sein Genie und das Genie seines Vaters, Grossvaters, Urgrossvaters u.s.w., konnte auch er hier wieder sich des Privileges glücklich schätzen, Schwächen haben zu dürfen. Er war gewöhnlich zur Welt gekommen, ohne Genplanung, doch weil er der Mann war, der mit den Lehren seines Vaters als einziger das Zeitreisen möglich machen könnte, war er von grossem Nutzen. Es gab nur eine Handvoll weiterer Menschen auf der Welt, die in anderen Gebieten, die selben Ränge einnahmen wie er.
Die heutigen Menschen waren so programmiert, dass sie beim ersten Zeichen von Altersschwäche, was im Durchschnitt mit ca. 80Jahren stattfand, in den Sterbeprozess übergingen.
„Was sie wohl mit einem wie mir einmal machen würden, wenn ich immer weiter altern und dabei immer kränker würde?“, fragte er sich. „Nun der Himmel ist eben grau.“
Er befahl dem Master-PC die Sendung zu beenden und ging zu Bett.
„Wir stehen davor zu beenden –mit all seinen Konsequenzen- was man vor uns in der Vergangenheit begonnen hat. Zu diesem Ziel der Sicherstellung unserer Rasse stehen uns Krieg, Blut und Leid bevor, doch wir tun dies für unsere Kinder und deren Kindeskinder, für eine genetisch reine Zukunft!“
Lorel hatte sich nahe zu einer Öffnung hin gekauert, um die alten Worte zu hören, die wie jeden Tag erneut durch die metallischen Lautsprecher auf die Strassen heraus tönten. Als die mechanische Aufnahme zu Ende war, drehte er sich um zu den am Boden liegenden Geschichtsbüchern, die bis zu fünf Jahrhunderten zurück zählten.
„Hast du alles gelesen Lorel?“
Lorel setzte sich auf und erkannte Professor Quir, der auf ihn zukam
„Vielleicht würden sie mich akzeptieren, physisch kann ich ihren Level bei weitem halten, Vater.“
Quir sah seinen Sprössling enttäuscht an. Er trat an Lorel heran und setzte sich dann zu ihm.
„Erzähl mir, was der Anfang des Verhängnis der Menschheit war, Lorel!“
Sein Ton war bestimmt und schien keinen Widerspruch zu dulden.
„Die Partei -das wahre Volk-!“
„Und was tat diese Partei?“
„Sie begann sich an die Menschen heranzuschleichen, ihre ersten Wahlsprüche schienen kaum gefährlich, doch mit jedem neuen Slogan und jedem neuen Wähler begannen diese extremer zu werden. Die Leute bemerkten die Veränderungen kaum, da diese so langsam und intelligent von statten gingen. Sie wurden manipuliert und gegeneinander aufgehetzt, ohne dass es ihnen bewusst geworden wäre und irgendwann hatte die Partei die Menschen so weit, um sie in Kriege zu führen.“ -„Rassenkriege!“, korrigierte ihn Quir.
„Ja, drei grosse Rassenkriege, mit den neuesten Chemischen Waffen. Daraufhin wurde eine neue Weltordnung aufgebaut und die letzten Überlebenden fremder Rassen wurden gehetzt und getötet.“ -„Doch das war nicht genug!“, unterbrach ihn der Professor erneut barsch.
„Nein, nun wurden auch die Menschen sogenannt reiner Rassen, plötzlich als unrein dargestellt. Geburtenkontrolle wurde zunehmend eingeführt und Kinder schon vor der Geburt genetisch geformt.“
Lorel verstummte, doch der Professor war noch nicht zufrieden
„Und die Menschen versklavt!“, rief er wütend. „Sieh sie dir an, man hat aus ihnen Roboter gemacht –die totale Zensur, ein Überwachungsstaat. Diese Menschen da oben, wissen nicht einmal mehr, was geschehen ist.“
Seine Stimme war brachial geworden, wie von einem wütenden Tier getrieben. Nun umfasste er Lorels Kopf mit beiden Händen.
„Du willst zu ihnen nach oben? Sie würden dich für eine Ausgeburt der Hölle halten. Diese Wesen da oben, wissen nicht mehr, dass es einst Menschen mit schwarzer Hautfarbe gab!“
Nun erst erkannte der alte Professor die Furcht in Lorels Augen und liess ihn abrupt los.
„Warum hast du mich denn so erschaffen?“
Der Professor konnte ihm nicht antworten. Mit den Worten „habe Geduld.“ verliess er fluchtartig die Kanalisation und flog wieder zurück ins Labor.
Was hätte er ihm sagen sollen? Er brachte die Frage nicht mehr aus seinem Kopf.
Er wusste noch immer keine Antwort- auch als er vor der Maschine stand, mit der er ihn erschaffen hatte.
Den Embryo den er gestohlen hatte und hier genetisch so veränderte, dass es ein schwarzes Kind würde. Ein Kind ohne Mutter war schon längst kein Problem mehr und Quir war sich sicher, irgendwann würde man auch die Geschlechter ganz überwunden haben.
Hätte er Lorel etwa sagen sollen, dass dieser nur ein Werkzeug des Professors war. Ein Werkzeug für eine Aufgabe, die er selbst nicht erfüllen konnte. Lorel war ein genetisch perfekter Mensch, bis auf die Hautfarbe.
„Bis auf die Hautfarbe?“
Wie konnte gerade er so denken?
Er versuchte in Lorel den selben Hass zu schüren, wie einst die Partei „Das wahre Volk“ es bei den Menschen getan hatte. Und selbst die Aufgabe, die er Lorel zudachte schien sich von deren Taten nur geringfügig zu unterscheiden. Zeit seines Lebens hatte der Professor an seinem Plan oder viel mehr dem Plan seiner Vorfahren nie gezweifelt, -bis zu diesem Tage. Nun zweifelte er, auch wenn nur für ein paar Sekunden, er hatte Zweifel und liess sich dann vom Master-PC in einen tiefen, entspannenden Schlaf führen.
Die Nacht war eingebrochen.. Während Lorel in einem der vielen Bücher des Professors über die Sterne las, blickte er hin und wieder durch eine Öffnung hoch zu dem dunklen, leeren Himmel. Wie gerne wäre er nach oben gestiegen und hätte den ganzen Himmel nach diesen Sternen abgesucht, vielleicht gab es ja irgendwo noch welche zu sehen und Lorel wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlichster. Könnte er denn jetzt den Aufstieg nicht mal wagen? Nun, zu dieser Zeit, wo kaum noch Menschen auf den Strassen waren?
Lorel wusste, Quir würde das nie erlauben, doch dieser musste auch nicht in der stinkenden Kanalisation leben.
Er würde sich die Kapuze tief ins Gesicht hinein ziehen, dachte Lorel, so dass ihn niemand erkennen könnte und seine Hände würde er unter dem Mantel versteckt halten, man würde ihn nur für einen Zugehörigen des Genabfalls halten, nicht mehr. Waren das wieder nur Träumereien- wie jeden Tag und jeden Abend?
„Nein, diesmal nicht!“, entschied sich Lorel, „ich werde nicht mehr länger warten und mein Leben selbst bestimmen.“
Nervös und voller Ungeduld lief er nun mit schnellen Schritten zum nächsten Ausstieg. Jeder Tritt den er weiter auf dem Weg nach oben bestieg, schürte seine Nervosität weiter. Endlich war er dann oben und blickte erwartungsvoll zum Himmel hoch, auf der Suche nach den letzten paar Sternen. Doch er fand nichts. Er suchte den ganzen Himmel ab, doch schneller, als ihm lieb war, wurde ihm klar, dass es keine Sterne mehr zu sehen gab.
Enttäuscht schlich er trostlos durch die Strassen, die ihm eben so trist vorkamen wie der Himmel.
Von da unten hatte er nur ein begrenztes Blickfeld, das ihm erlaubte, viele Erwartungen und Vorstellungen zu entwerfen, wie es hier oben sein könnte, doch es gab hier nichts, was seine Erwartungen im Entferntesten erfüllt hätte. Nicht einmal Menschen konnte er um diese Uhrzeit sehen.
Doch Lorel wollte nicht aufgeben und ging weiter die Strassen auf und ab, irgend etwas musste es zu finden geben und er würde es mit Sicherheit finden. Aber egal wie weit er lief und wie viele Kilometer er hinter sich liess, alles sah überall genau gleich aus.
„Kann denn das wirklich unendlich so weiter gehen?“
Irgendwann setzte er sich an eine Wand gelehnt zu Boden, wo er erschöpft und voller Enttäuschung einschlief.....
„hey, was tust du hier? Du kannst nicht einfach auf offener Strasse schlafen! Geh zurück in dein Quartier, du genetischer Müllhaufen!!“
Lorel war gerade daran seine Augen zu öffnen, als er schon mit Elektroschocks taktiert wurde. Doch das reichte dem Polizisten, der vor ihm stand, noch lange nicht, er begann auch nach Lorel zu treten, bis dieser endlich auf den Beinen stand und die Flucht ergriff.
Polizisten wurden schon vor ihrer Geburt ausgewählt und dann genetisch darauf eingestellt. Sie wurden noch perfekter als der Durchschnittsmensch programmiert, härter, verschwiegener und Loyaler dem Staat gegenüber. Viele Eltern waren begeistert solche Kinder zu bekommen, da Polizisten viele Privilegien im Privatleben zu gegönnt waren. Der Professor war überzeugt, dass heute nicht mehr nur Polizisten, sondern auch alle anderen Menschen bereits vor ihrer Geburt genetisch ein Berufsleben und vielleicht sogar schon Alltagsleben vorprogrammiert bekamen, ohne dass es jemand wusste, so hatte der Staat noch mehr Kontrolle über die Gesellschaft.
Inzwischen war es Morgen geworden und Lorel fand sich unter Massen von Menschen wieder, die in Reih und Glied liefen, er hätte es nicht geschafft den einen Mann oder die eine Frau von der anderen zu unterscheiden, sie schienen auf den ersten Blick identisch –gekleidet, frisiert, gebaut und selbst ihr Gang war einer gleich dem anderen.
Er versuchte bemüht sich in ihre Kolonnen einzugliedern, doch er fand keine Lücke, in die er sich hätte einreihen können und lief nervös kreuz und quer durch die Strassen umzingelt, von roboterähnlichen, ausdruckslosen Wesen, die ihm immer mehr Angst machten. Plötzlich brach er durch die Kolonnen durch und rannte die Strassen hinab, auf der Suche nach einem Abstieg zurück in die Kanalisation. Die Menschen, die er dabei weggestossen hatte, blieben verwirrt stehen, was sich wie eine Kettenreaktion verbreitete und plötzlich blieb die ganze kilometerweite Kolonne von Menschen stehen, deren Weg von irgend etwas gekreuzt und so gestört wurde und alle aus dem Konzept brachte, so dass sie nicht mehr weiterzugehen wussten.
Natürlich blieb dieser Vorfall nicht unbemerkt, überall an den Wänden der Hochhäuser waren Kameras angebracht, die jeden Winkel der Strassen kontrollierten. Polizeigleiter flogen über die Köpfe der Passanten auf der Suche nach dem Störungsauslöser und Polizisten zu Fuss versuchten den Passanten Anweisungen zu geben weiter zu laufen, doch kaum hackte es irgendwo in der Kolonne erneut, brach wieder der ganze Gang ab –Ein Chaos herrschte.
Lorel bemerkte kaum etwas von diesem irrwitzigen Treiben und war immer noch verzweifelt auf der Suche nach einem Weg zurück in sein zu Hause, als plötzlich vor ihm ein kleiner Junge auftauchte. Er hatte noch nie ein Kind vor sich gesehen und blieb abrupt stehen. Es war ein wunderschönes Kind, seine Haare waren länger, als die der Erwachsenen und seinen blauen Augen schienen Lorel riesig, als sie ihn ansahen. Der Junge griff instinktiv nach Lorels Händen, was dieser nicht abwehrte und starrte dann auf diese braunen Finger des für ihn fremden Mannes. Der Junge strich fein über Lorels Handflächen und gab Lorel so ein Gefühl von Wärme, wie es dieser noch nie erfahren hatte und sich zu dem Jungen hinunter kniete. Der Junge fuhr nun mit seinen Händen dem dreckigen, alten Ledermantel hoch bis zur Kapuze und legte sie sanft nach hinten zurück und starrte fassungslos in Lorels Gesicht, der ihn wiederum lächelnd ansah.
Dann plötzlich schrie der Junge laut auf und stiess Lorel von sich, Lorel fiel wie erstarrt zu Boden. Der Junge rannte schreiend die Strassen herunter, während Lorel langsam bewusst wurde, was geschehen war. Als er aufgestanden war und sich verwirrt umsah, blickte er in die Kameras, die von jeder Ecke aus auf ihn gerichtet waren. Er wusste, dass er entdeckt war und konnte hören, wie sich ihm die Polizeigleiter näherten.
Er hielt die Hände über seinen Kopf, als der erste Gleiter über ihm auftauchte, doch ohne eine Warnung oder ähnliches abzugeben, schoss ein tödlicher elektronischer, Strahl nur knapp an Lorels Kopf vorbei, nun lief er endlich los, ohne zu wissen wohin. Das erste Ziel war in eines der Häuser zu gelangen, da er dort zumindest vor den Gleitern sicher wäre und so stürmte er in eine der Eingangshallen eines der Betonmonster. Es waren erst wenige Menschen dort, die bei seinem Anblick wie angefroren stehen blieben. Lorel rannte weiter die Treppen nach oben, als er schon die wütenden Stimmen der Polizisten hörte, die ihm hinterher stürmten. Lorel rannte die Stufen hoch, ohne zu wissen, wie viele er schon hinter sich gelegt hatte, als er plötzlich nun auch von oben die Stimmen seiner Jäger vernahm. Er verliess das Treppenhaus und fand sich in einem verlassenen Bürokomplex wieder. Es müssen hunderte von Master-PCs gewesen sein, die dort aneinandergereiht bereitstanden und nur ein schmaler Weg führte durch den Raum, den Lorel hoffnungslos entlang lief, er sah dass der Weg an einem Fenster endete und keine neuen Fluchtmöglichkeiten eröffnete, als jedoch ein weiterer elektronischer Strahl an ihm vorbeischoss und das vor ihm liegende Fenster in tausend Splitter schoss, gab es für ihn kein zurück mehr und er lief stur weiter, er lief und lief, immer schneller und mit einem Satz brach er durch die Überreste der riesigen Fensterscheibe, durch eine weitere hindurch und fand sich im nächsten Gebäude wieder, welches mit dem vorhergegangen identisch war.
Schlaf, das hatte Professor Quir gebraucht. Als er an diesem Morgen aufwachte, waren die Zweifel wie weggeblasen. Noch immer schläfrig ging er zu einem der wenigen Fenster, das dieses Gebäude beherbergte und sah zum grauen Himmel hoch und dann auf die Strassen herunter und erblickte eine verwirrt dastehende Menschenkolonne, die von wütenden Polizisten angewiesen wurde weiterzugehen. Frohen Mutes und vergnügt pfeifend sah er dem Treiben auf den Strassen zu. Als er dann aber die vielen Polizeigleiter vorbei fliegen sah, wurde Quir misstrauisch und setzte den Master-PC in Gang.
„Was geht auf den Strassen vor sich?“
fragte er in gleichmässigem Tonfall, da der Master-PC sonst nicht reagieren würde. Dieser schaltete nun eine Nachrichtensendung ein, in der der Professor von dem schwarzen Wesen erfuhr, das vor der Polizei floh.
Im ersten Moment überkam ihn ein Rausch von Wut, der dann aber stärkster Angst wich und den Professor aufs Dach zu seinem Gleiter führte.
Lorel hatte inzwischen endlich wieder die Kanalisation erreicht und rannte verzweifelt die Röhrenwege hinab, die nun auch von den Polizisten durchkämmt wurden.
Lorel rannte, er rannte so schnell er konnte. Er hatte das Gefühl als hätte er seit zig Minuten nun schon nicht mehr geatmet, sein Herz schien jeden Moment seinen Brustkorb zu durchbrechen und seine Beine konnte er kaum noch spüren, doch er rannte unentwegt weiter. Er hatte längst aufgehört darauf zu achten, wo er lang lief, es lag nun alles in der Hand seines Instinktes.
Die Schritte hinter ihm waren bereits leiser geworden, als er in einem Schacht landete, der von einer Gittertür abgesperrt wurde. Lorel begann auf sein Hindernis einzutreten, mit aller Kraft die ihm noch zur Verfügung stand, trat er gegen diese Tür, als wäre sie sein grösster Feind und konnte hören wie die Schritte seiner Verfolger wieder hörbarer wurden.
Nach einer kleinen Ewigkeit hatte er sich den Weg endlich frei gemacht und lief weiter in die abgesperrten Röhrenwege hinein
Er wusste die einzige Chance Lorels war es, die Kanalisation zu erreichen. Er wusste dort unten kannte er sich aus, wie niemand anderes und dass ihn dort niemand aufspüren könnte. Und aufhalten? Nur etwas könnte ihn aufhalten, etwas so simples –das Ende.
Er fühlte sich wie in einem Vakuum. Weder atmete Lorel, noch sah oder hörte er sich nach seinen Verfolgern um, er rannte nur vorwärts, bis – bis er stehen blieb. Einfach so. Er blieb plötzlich stehen. Nicht etwa, dass sich irgend etwas an seiner Situation von einem Moment auf den anderen geändert hätte. Nein. Er blieb einfach stehen. Der Grund war nur ein kleiner Lichtstrahl, der plötzlich seinen Blick kreuzte und nun vor ihm, den Boden zeichnete. Nachdem Lorel diesen kleinen Fleck vor sich einige Zeit betrachtet hatte, nahm er seinen Weg wieder auf. Er nahm ihn aber in ganz langsamen und gemächlichen Schritten wieder auf –dem mysteriösen Lichtstrahl entlang. Desto weiter er ging, desto heller wurde es um ihn, bis er plötzlich so geblendet war, von diesem Licht, dass er einen Moment lang nichts mehr sah. Dann erkannte er, dass er am Ende seiner Flucht angelangt war. Er stand plötzlich an der Grenze zu einem über hundert Meter tiefen Abgrund. Und am Himmel stand eine Sonne, die alles so grell erscheinen liess, dass sich Lorel, wie in einem Traum vorkam. Unter seinen Füssen, ganz unten am Grunde dieser Klippe, erblickte er einen See oder viel mehr ein Meer aus Dreck, Kot und Abfall, ein Meer von siedendem, sprudelnden und verdampfendem Abfall so weit sein Auge reichte. Und erst da, in diesem Moment, als er langsam wieder zu sich kam, sein Atem wieder einsetzte, sein Herz wieder einen ruhigeren Takt fand und seine Augen wieder klarer zu sehen begannen, erst da fühlte er diese plötzliche, trübe Hitze und den Gestank, der nun noch viel widerlicher war, als sonst in seinem Leben. Und er blickte weiter hinaus in dieses endzeitliche Höllenmeer.
Er hatte seine Augen bereits geschlossen, als er die Stimmen seiner Verfolger hören konnte, die sich ihm wieder näherten. Er hörte wie sie sich über den Gestank und die Hitze beklagten und ihn im selben Atemzug verfluchten. Er war bereit von aller Hoffnung Abschied zu nehmen.
Ein kühler Luftzug, der ihm plötzlich ins Gesicht wehte, veranlasste ihn ein letztes Mal seine Augen zu öffnen und einen Gleiter vor sich in der Luft über den Lavaströmen aus Müll zu erblicken. Durch die Scheiben über dem Cockpit erkannte er überrascht den Piloten.
Vater!?
Du hier?
Was soll ich tun?
Ich höre sie kommen!
Es ist zu spät!
Wir haben ihn, dort!
Lauft, er ist in der Falle!
Hier ist der richtige Platz für deinen Tod, Bastard.
Feuer!
Feuer!
Was tust du, Lorel? Was stehst du da und starrst mich an?
Sie sind hinter dir, Junge!
Sie sind hinter dir.
SPRING!
Tod oder Leben.
Ist hier mein Ende oder der Anfang eines neuen Kapitels?
Ich habe keine Kraft mehr.
Leben!
Ein neues Kapitel!
SPRING!
Die Kanalisationsröhren und ihre Verfolger lagen bereits weit hinter ihnen, als es Lorel endlich geschafft hatte von aussen ins Innere des Gleiters zu steigen, er wäre bei diesem waghalsigem Manöver mehrere Male beinahe nach unten gestürzt. Doch nun hatte er es geschafft und nahm erschöpft neben dem Professor Platz, der Stur nach vorne starrte, ohne ein Wort an Lorel zu richten.
„Was für ein Ort war das Vater?“
Quir hielt seinen Blick weiter nach vorne gerichtet.
„Das Ende. Das Ende der Welt.“
Sie redeten den Flug über kein weiteres Wort mehr. Sie landeten über Quirs Wohnung und von Eile gehetzt führte Quir Lorel vorbei an seinen Sicherheitsanlagen in sein Labor, zu der merkwürdigen, kugelförmigen Maschine.
Lorel, der nicht ahnte, was mit ihm geschah, oder wo er war. Sah bei jedem Schritt verwirrt um sich und schaffte es nur mit Mühe dem Professor zu folgen, der ihm keine Verschnaufpause gönnte oder ihn zumindest über seine Pläne in Kenntnis setzte.
Erst im Labor bei diesen merkwürdigen, für Lorel beängstigenden Apparaturen blieb er stehen und sah zu seinem Schützling hinüber.
„Die Zeit ist gekommen dich fortzuschicken.“
„Ich ver..“
„Hör mir nur zu Lorel. Ich habe dir all den Schrecken vor Augen geführt, der in den letzten Jahrhunderten die Menschen überkam. Tod, Krieg, Zerstörung, Manipulation. Ich habe dich für diesen Augenblick grossgezogen. Alles hat seinen Sinn Lorel, du hast ein Schicksal zu erfüllen.“
Auf den Bildschirmen der Überwachungskameras, konnte Quir erkennen, wie sich Bonaparte und seine Gefolgschaft wütend, an seiner Sicherheitsanlage zu schaffen machten. Quir lächelte.
„Du bist nirgends mehr sicher Lorel. Und ich kann dir nicht mehr helfen. Hier!“
Er hielt Lorel einen verschlossenen Brief hin.
„Nimm dies und nimm es mit, darin wirst du erfahren, was deine genaue Aufgabe ist.“
Lorel packte den Brief in seine Hose.
„Du wirst ihn bei Ankunft, am Ende deiner Reise brauchen.“
„Welche Reise, Vater?“
Quir sah wieder zum Monitor, wo Bonaparte mit seinen Leuten noch immer versuchten die Sicherheitsanlagen zu überlisten.
„Du wirst in die Vergangenheit reisen. Bevor die Kriege und alles begann. Du musst verhindern, dass es jemals soweit kommt, doch näheres wirst du in diesem Brief finden. Lies ihn, wenn du am Ziel angekommen bist, die Zeit läuft gegen uns. Folge mir!“
Quir führte Lorel zu der weissen Kugel und öffnete eine Tür, eine Art Cockpit entpuppte sich im Inneren der Kugel.
Lorel musste darin Platz nehmen und Quir, fixierte ihn mit vier dicken Gurten. Mit einem letzten Lächeln, das er Lorel auf den Weg gab, setzte er ihm eine Art Helm über den Kopf, der mit Sauerstoffschläuchen verbunden war.
Verwirrt liess Lorel alles mit sich geschehen, er konnte noch nicht einmal einordnen, was ihm der Professor gerade erklärt hatte, wie sollte er nun all diese Vorgänge verstehen. Als der Professor plötzlich die Kugel schloss und von aussen verriegelte, begrub unendliche Angst Lorels Geist.
Nun rannte Quir zu den Schaltpulten. Er begann an Knöpfen zu drehen, Hebel umzulegen, verschiedene Anzeigen auf Monitoren zu kontrollieren etc. Er wusste nicht, ob es klappen würde, er hatte noch keine Tests machen können. Es musste klappen, mit dem ersten Versuch. Plötzlich setzte er durch irgendeinen Griff die Maschinerie in Gang. In dem sich die Kugel begann zu drehen, geschwungen von den Metallseilen die sie von unten und oben her fest hielten. Die Kugel schwang immer schneller im Raum. Bonaparte und seine Männer waren vom Überwachungsmonitor verschwunden. Die Kugel schwang immer schneller. Lorel längst bewusstlos. Die Kugel schneller und schneller und schneller. Ein Knall. Die Kugel war mit blossem Auge nicht mehr zu erkennen. Ein Luftzug ging durch den Raum, der Bonaparte die Haare vom Kopf blasen würde, dachte Quir. Zitternd vor Angst griff er nach einem grossen Hebel und zog ihn nach unten. Im Innern der Kugel liessen die Gurte Lorels Körper los und plötzlich stand die Kugel wieder still, von einem Moment auf den anderen. Ruhe. Quir stand zitternd in einer Ecke des Raumes. Mit weichen Knie trat er an die Kugel heran. Seine zitternde, rechte Hand griff langsam nach einer Öffnung. Mit einem Zischen ging die Tür zum Innern der Kugel auf. Das Cockpit war leer. Ein Schwall von Hitze schlug in Quirs staunendes Gesicht. Er brach in lautes Gelächter aus. Erblickte plötzlich etwas auf dem Sitz. Er nahm den verschlossenen Brief in die Hand, in dem stand, was Lorel in der Vergangenheit zu tun habe. Quir nahm ein Feuerzeug und setzte ihn in Flammen.
„Du wirst es schaffen Lorel. Du hast alles gelernt, du wirst wissen was zu tun ist.“
Zufrieden setzte er sich zu Boden. Ein weiterer Knall, die Tür des Laboratoriums wurde von aussen durchbrochen. Fünf Polizisten standen plötzlich vor Quir und hielten ihre Waffen auf ihn gerichtet, durch ihre Menge hindurch trat Bonaparte. Staunend sah er sich im Raum um.
„Wo ist er, Professor?“
„Weit weg.“
„Ich verstehe.“