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Der Himmel so grau II
Licht. Licht drang in seine Augen. Der altbekannte Geruch von Dreck und Müll erreichte seine Sinne. Langsam öffnete Lorel seine Augen, wie nach einem langen, anstrengendem Traum. Er fand sich in einer kleinen Gasse zwischen zwei Häuserwänden wieder, um ihn herum standen Mülleimer. Langsam stand er auf und lief aus dem Gässchen hinaus auf einen weiten Platz. Er stand mitten auf einem von Menschen überfüllten Terrain, das die Passanten kreuz und quer beliefen. Die Menschen waren wie von einem anderen Planeten. Sie trugen die unterschiedlichsten Kleidungen und Frisuren. Waren mal dicker, mal kleiner. Und Lorel lief inmitten ihrer Menge umher, ohne dass er überhaupt jemandem auffiel. Plötzlich blieb er stehen. Sein Blick haftete auf einem Mann, der ihn eben angerempelt hatte. Er war wohl gekleidet, sportlich, hatte einen kahlen Kopf und trug eine Sonnenbrille. Lorel sah fassungslos runter auf seine Hände und dann wieder zu dem Mann, der gerade in dem Menschengewirr verschwand. Er sah aus, wie Lorels Doppelgänger.
Lorel öffnete seine Arme weit auseinander und drehte sich im Kreis inmitten dieses Menschenmeeres. Er genoss jede flüchtige Berührung und jeden Anblick dieser Menschen, von denen keiner wie der andere aussah. Die bunten Farben ihrer Kleider, Haare, Fingernägel und ihrer Haut waren so schön, wie es sich Lorel nie hätte ausmalen können und sie alle lebten wild und frei, liefen ohne Koordination umher. Und mitten unter ihnen Lorel, wie er sich drehte und wendete, atmete, sah, lachte, hörte und fühlte....
„Wir stehen davor zu beenden –mit all seinen Konsequenzen- was man vor uns in der Vergangenheit begonnen hat. Zu diesem Ziel der Sicherstellung unserer Rasse stehen uns Krieg, Blut und Leid bevor, doch wir tun dies für unsere Kinder und deren Kindeskinder, für eine genetisch reine Zukunft!“, tönte es wieder pünktlich über die Strassen und die Köpfe der in Reih und Glied marschierenden Passanten.
In einem der vielen Betonbauten, ganz weit im obersten Stock, in einem finsteren Zimmer stand der Professor. Eingekesselt in einer Art Energiefeld. Vor ihm sass Bonaparte an einem Tisch, auf dem die Pläne der Zeitmaschine ausgebreitet auflagen.
„Ist es das, was ich denke, Professor?“
„.......“
„Ja, es ist sie. Was hatten sie damit nur vor?“
„.......“
„Mit ihr und diesem verunglückten Klon?“
„.....“
„Wo ist er, Professor?“
„.......“
„Sie wollen uns nicht helfen, uns in ihre Pläne einweihen?“
„......“
„Genug, mal sehen, wie lange sie dem Oppener ihr Geheimnis vorenthalten können.“
Als Bonaparte sich umdrehte und zur Tür hinging, versuchte Quir durch das Energiefeld durchzubrechen und sich auf ihn zu stürzen. Doch kaum berührte sein Körper die Barriere, wurde er von zig Elektroschlägen durchströmt. Quirs Körper lag qualmend am Boden, als Bonaparte das Zimmer verliess.
Diese Lippen, ihre Haare, Hände und ihre Haut. Es war als wären sie von der gleichen Familie. Lorel folgte ihr durch die Menge hindurch über Strassen, die von Unmengen an Vehikeln befahren wurde, geführt von unerklärlichen Gefühlen.
In einer Gasse blieb er stehen, als er sah wie zwei riesige Männer ihnen vom anderen Ende her entgegenkamen. Sie waren gross und kräftig gebaut. Lorel sah zu, wie sie die wunderschöne Frau anrempelten, die dem aber keine Beachtung schenkte und versuchte weiterzugehen, doch die beiden Männer versperrten ihr spottend den Weg. Lorel beobachtete das Schauspiel aus einiger Entfernung heraus.
„Hey Mädchen.“
Einer der Beiden legte seine Hand an ihre Wange. Sie strich sie rauh weg. Worauf sie der eine Mann an ihrem Handgelenk packte, sie versuchte sich loszureissen, doch sein Griff wurde nur noch stärker.
„Scheiss-Niggerin!“, schrie der, der sie hielt und stiess sie nun zu Boden.
Die beiden Männer sahen ihn nicht kommen, sie hörten ihn auch nicht, doch sie spürten seinen Schlag und seine Tritte. Obwohl beide Männer schon am Boden lagen, hörte Lorel nicht auf wütend auf sie einzutreten. Er zog den einen wieder hoch und schlug ihn gegen die Häuserwand, dann wandte er sich zum anderen hin, zog auch diesen wieder hoch und traktierte ihn mit weiteren Schlägen.
„Stopp, sie haben genug.“
Er liess den Zweiten wieder zu Boden sinken und sah zu der Frau.
„Sie haben genug.“
Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn aus der Gasse hinaus, fort von den von Blut überströmt daliegenden Männern.
Sie führte ihn einige Strassen weit, ruhig und sanft, wo sie stehen blieb. Lorel sah sie verwirrt an.
„Welches Jahr haben wir?“
„Was?“-„Welches Jahr?“
„Sie wissen nicht...“
„Welches Jahr?“
„2012.“
Sie sah ihn einige Zeit fragend an, bevor sie dann meinte: „Haben sie eine Bleibe, wissen sie, wo sie schlafen können oder haben sie Geld?“-„Nein. Nein.“
„Möchten sie nun doch mit uns reden, Professor?“
„Es hat keinen Sinn, Bonaparte. Sie werden meinen Geist nicht wie eine Nuss knacken. Ich nehme mein Wissen mit ins Grab.“
„Wir werden sehen, Professor, wir werden sehen.“
Quir war auf einem grossen, metallischen Lehnstuhl fixiert. Er, völlig nackt lag auf dieser Apparatur. Auf beiden Seiten entlang des Stuhles waren je 6 metallische Arme -ähnlich einer Spinne oder eines Skorpions. An den Enden dieser Arme waren Stachel von einem Zentimeter Durchmesser. Der Stuhl war über Kabel und Schläuche mit einem gigantischen Master-PC verbunden. Auf Befehl Bonapartes hin setzten sich die Arme in Bewegung. Quir schloss seine Augen. Er machte einen ruhigen Eindruck, als hätte er keine Angst, vor dem was nun mit ihm geschehen würde. Die Arme kamen seinem Körper immer näher und bohrten langsam ihre Stachel in seine Füsse, Knie, Hüfte, Brust, Arme, seinen Hals und seine Schläfen –links, wie auch rechts. Der Schmerz, den Quir in diesem Moment fühlte, liegt ausserhalb des menschlichen Bewusstseins. Die Stachel schraubten sich durch das Fleich, die Knochen und Nerven.
Das Einzige was Quir tun konnte, war nicht zu denken, nichts durfte seine Gedanken in Gang setzen, nicht einmal Schmerz, der ihn nun in die Unendlichkeit der Qualen entführte.
Diese Maschine war dazu gebaut, gezielt Gedanken, verstecktes Wissen, Wünsche zu suchen und sie nach aussen zu tragen. Sie war eine der stolzesten Erfindungen des zukünftigen Rechtssystems, sie hatte noch nie versagt.
„Es ist so schön hier“, flüsterte Lorel.
Er sass da, auf dem Boden und sah Sasha zu, wie sie schlief. Weshalb auch immer, sie vertraute ihrem fremden Retter so sehr, dass sie ihn zu sich in die Wohnung lud, damit er unter einem warmen Dach übernachten konnte, sie bezog ihm das Sofa im Wohnzimmer. Doch er sass eigentlich schon die ganze Nacht über hier und wachte vor Sasha`s Bett.
„Hast du noch nie eine schlafende, schwarze Studentin gesehen?“
Sie wusste nicht warum, doch es war ihr nicht einmal unangenehm, als sie plötzlich den Fremden vor ihrem Bett bemerkte.
„Nein.“
Sasha lächelte und sie sahen sich beide an.
„Darf ich dich um etwas bitten.“
„Klar, ich bin dir noch immer was schuldig.“
„Erzähl mir etwas“
„Was „Erzähl mir etwas“, was soll ich dir erzählen?“
„Irgendetwas, alles. Von dir, diesem Ort, dieser Zeit, egal.“
Sie lächelte ihn verlegen an. Es war das schönste Lächeln, dass er je zu Gesicht bekommen hatte.
Sie überlegte einen Moment. Dann: „Nun, ich bin Studentin. 23 Jahre alt. Ich habe einen kleinen Bruder. Ich vermisse meine Familie. Ach ja, ich studiere Medizin. Ich suche noch nach dem Mann für s Leben. Ich bin politisch sehr interessiert und aktiv, ich ..“
„Politik?“
„Was ist?“
„Ich, ich hab eine Aufgabe. Ich muss...“
Seine Stimme war nachdenklich und besorgt geworden.
Lorel tastete seine Hosen ab.
„Was suchst du?“
„Der Brief, ich muss... Wo ist der Brief? Meine Aufgabe...Ich muss meine Aufgabe erfüllen!“
Zwei Männer. Gross. Muskulös. Schwarz gekleidet. Bewaffnet. Beide sitzen in einer Kammer, wo sie über ein Kabel mit dem Master-PC verbunden sind. Er speist sie mit Informationen. Über Lorel. Über Professor Quirs Plan. Ihre Aufgabe. Lorel aufzuhalten. Das Jahr 2012.
Der Input ist ausgeführt der erste steigt in die Kugel. Sie schwingt, von blossem Auge nicht mehr zu erkennen, im Raum. Der Hebel wird umgelegt. Die Kugel stoppt. Er ist fort. Der Zweite Mann betritt das Cockpit der Kugel. Er wird fixiert. Geschlossen. Die Kugel schwingt, von blossem Auge nicht mehr wahrnehmbar im Raum. Der Hebel wird umgelegt. Die Kugel stoppt. Er ist fort.
„Du sagtest, du kennst dich in Politik aus?!“-„Ja, tu ich .“-„Kennst du die Partei „Das wahre Volk“?“
„Ja, wir halten sie für gefährlich. Sie streiten es zwar ab, doch wir sehen hinter ihren Reden viel Hass versteckt.“
„Wer ist „wir““
„Die Gruppe in der ich aktiv bin.“
„Ich will euch helfen, euch beitreten.“
Lorel wirkte verändert. Plötzlich nervös und irgendwie berechnet. Er machte Sasha in diesem Moment Angst.
Der nächste Morgen. In einem alten Schuppen. Es liegen viele Plakate und beschriftete Schilder auf Tischen. Daneben Farbeimer und weiter hinten drei Telefone. Sasha führte Lorel durch den Raum.
„Siehst du, hier planen wir unsere Demo von Morgen. Da wird der Parteivorsitzende von „Das wahre Volk“ eine Wahlrede halten und wir sind dabei.“
Am Nachmittag des selben Tages war der Schuppen gerammelt voll von Menschen aller Herkunft, die Telefonate führten, um Leute auf ihre Seite zu bringen oder Plakate und Schilder malten. Auch Lorel versuchte zu helfen, wo er konnte. Während Sasha an der Universität war, kümmerte sich der junge, schwarze Karim um das neue Mitglied ihrer Gruppe. Er war etwas hitzköpfig, aber auch der Überzeugteste und Motivierteste
von allen.
Er war wie ein Spurenleser vorgegangen, der Mann im schwarzen Anzug. Er war der Erste der beiden Gesandten, der ihn aufspürte. Er stand auf der gegenüberliegenden Strassenseite des Schuppens. Mit der Hand tastete er nach seiner Waffe und machte sich dann auf den Weg die Strasse zu überqueren...
„Sehen sie, Professor, alles beim Alten.“
Der Professor war auf einer senkrechten Barre in Stehposition fixiert. Er konnte sich nicht bewegen, der Oppener, hatte irreparable Schäden bei seinen Nerven und Knochen verursacht. Bonaparte setzte sich ihm gegenüber. Auf dem Tisch zwischen ihnen standen eine Flasche Champagner und zwei teure Kristallgläser.
„Der Junge hat versagt, Professor. Stossen wir an. Auf die Zukunft.“
„Wir haben keine Zukunft.“
Der in schwarz gekleidete Mann betrat stumm das umfunktionierte Lagergebäude und ging an den vielen Menschen vorbei, ohne sie zu beachten. Als er Lorel erblickte blieb er stehen. Lorel sah zu ihm und wusste, wofür er gekommen war. Er trat an ihm vorbei und verliess von ihm gefolgt den Raum.
„Ziehen sie keine Unschuldigen mit hinein.“, sagte er zum dunkel gekleideten Mann, als er die Strasse erreicht hatte, drehte sich blitzschnell, stiess den Jäger mitten auf die befahrene Strasse und rannte los, irgendwo hinein in eine verlassen Gasse.
Ein roter Ford, konnte gerade noch vor dem Kopf des Jägers bremsen. Dieser sprang sofort wieder auf die Beine und folgte Lorels Weg.
Bonaparte goss in beide Gläser Champagner bis an den Rand.
„Ich hoffe, sie sind durstig, Professor.“
„Nun, ich bin auf ihre Hilfe angewiesen, aber gegen einen letzten Schluck vor dem Untergang unserer Zivilisation habe ich nichts einzuwenden.“
Bonaparte lachte genüsslich.
Ohne Frage hatte Lorel hier weniger Vorteile gegenüber seinem Jäger, als damals in den Kanalisationsröhren der Zukunft, doch dafür folgte ihm auch nur ein einzelner Mann und keine Armee. Er stieg über Mauern und Gitter, überquerte Hinterhöfe und Schrottplätze. Der Jäger blieb dicht hinter ihm.
Bonaparte trat mit dem Glas Champagner gemächlich zu Quir heran. Und führte das teure Kristallglas an seinen leicht geöffneten Mund.
„Zum Wohle, Herr Professor.“
Der Jäger war schnell, er hatte trotz seines schlechten Starts nur wenig Zeit eingebüsst und war Lorel eng auf den Fersen. Mit der Waffe im Anschlag trat er ans Pier. Es lagen weder Schiffe an, noch gab es hier irgendwelche Menschen. Selbst Lorel konnte er nicht sehen. Obwohl er genau wusste, dass er hier irgendwo war. So schlich er mit gezogenen Waffe durch den verlassenen, toten Hafen.
Nun nahm auch Bonaparte einen Schluck aus seinem Glas.
„Ich habe ihm zwei Männer nachgeschickt. Sie werden ihn aufhalten.“
„Wir werden sehen, Bonaparte.“
Nun lächelte der Professor.
Wo bist du?
Ich kann dich riechen.
Es ist vorbei.
Der Jäger sah nicht, wie hinter ihm eine finstere Gestalt langsam aus dem Wasser an Land stieg und sich ihm näherte.
Was?
Lorel umklammerte ihn von hinten und versuchte ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen, doch der Jäger reagierte blitzschnell und warf Lorel vornüber, die Waffe ging bei dieser Aktion jedoch so ungeschickt los, dass ihm ein Elektroimpuls seinen Linken Fuss zu Kohle schmorte. Mit einem lauten Schrei fiel er rückwärts zu Boden.
Lorel roch das verbrannte Fleisch, als er vom Boden aufstand. Gerade als der Jäger wieder zu sich kam und die Waffe auf Lorel richten wollte, schlug ihm dieser einen Steinklumpen übers Gesicht und in einem zweiten Schlag zertrümmerte er ihm sein rechtes Handgelenk in dessen Hand er die Waffe hielt, worauf diese zu Boden fiel. Von Wut, Hass und grösster Erregung getrieben, hob Lorel die Waffe hoch und drückte sie an die Schläfe seines Verfolgers.
„Überlege gut, was du tust.“, begann der Jäger mit zitternder Stimme, „Die Zukunft, die du kennst, besteht ebenso aus Menschen, wie es diese Gegenwart hier tut. Aus Kindern, Müttern, Vätern, guten Menschen. Du würdest sie alle töten...“
„Glauben sie an Schicksal, Professor?“
„.......“
„Dies hier alles ist Schicksal. Er wird nichts daran ändern können. Es ist geschrieben, schwarz auf weiss...“
„Kannst du Völkermord verantworten? Ich habe Familie und du willst sie auslöschen?“
„.....“
„Du bist nicht Gott, du spielst Gott!“
„Die Menschen haben diesen Weg gewählt, Professor und sie werden ihn wieder wählen.“
„Dann sei es so.“
„Dann sei es so.“
Lorel warf den toten Körper des Jägers in den See, entlud die Waffe und warf sie ihm hinterher. Es gab nun kein zurück mehr. „Dann sei es so“ hörte er sich noch immer sagen, während er wieder den Rückweg zum Ausgangsort dieser Verfolgung aufnahm. Wenn er Gott spielte, dann würde er es auf jeden Fall, besser machen.
Wer ist dieser Mann?
Das kann nicht der sein, der mich gestern noch mit diesem kindlich, naiven Blick beim Schlafen beobachtete.
Was ist geschehen?
Lorel, du machst mir Angst.
Sasha stand da und beobachtete wie Lorel stumm und mit getrübten Blick in der hintersten Ecke des Schuppens sass. Das Treiben um ihn, schien ihn nicht zu kümmern. Immer wieder sah er auf seine Hände. Sie wagte es nicht ihn anzusprechen.
Karim stand am anderen Ende des Raumes, auch er beobachtete Lorel, wie er da sass.
Wer ist dieser Mann?
Ein Fremder. Ein Mann auf der Suche.
Er hat den Blick eines Killers.
Ein Killer auf der Suche nach seinem Ziel?
Der Regen hat eingesetzt. Es war finster auf den nassen Strassen, nur die unzähligen Sterne und der Mond schienen von oben herab. Durchnässt überquerte Lorel die Schatten der Vergangenheit.
„Meine Aufgabe Vater, was soll ich tun?“, rief er verzweifelt in die Nacht.
Ein grosses Gebäude stand an dem Ort, wo er Halt machte. Grosse Plakate mit Aufschriften wie: „Gehören Sie zum wahren Volk?“ oder wie „Stehen Sie zu Ihren Mitmenschnen!“.
Unter einer Strassenlaterne setzte er sich auf den Boden, in eine Pfütze von Regen. Auf einem der Plakate das Bild des Parteiredners Hebert Reis. Ein grosser, gut gebauter etwa 50jähriger Mann. Seine Haare waren hellbraun, nach hinten gekämmt. Sein Mund umfahren von dicken Lippen. Er war Lorel sympathisch.
Seinen Weg konnte er alleine nicht beenden, die Waffe des Jägers hatte er untauglich gemacht, deshalb brauchte er nun für den letzten Schritt Hilfe. Es regnete noch immer in Strömen, er stand auf der Strasse vor der Wohnung, in der Karim lebte. Ein hitzköpfiger Junge. Der genug von Reden hatte. Ein Kind, das ungeduldig war. Und Lorel konnte nichts anderes tun, als diesen Umstand auszunutzen.
Er musste nach dem Klingeln nicht lange warten, bis Karim die Tür öffnete.
„Du hier? Was willst du?“
Karim war angezogen. Er schien nicht geschlafen zu haben. Lorel starrte in sein Gesicht, als ihm etwas klar wurde.
„Du hast nicht vor Morgen zu reden.“
„Was willst du?“
Karims Ton war misstrauisch.
„Wir müssen ihn aufhalten.“
Der Blick des Killers, da ist er.
Er hat sein Ziel also gefunden.
„Komm rein, Lorel.“
Ich kenne diesen Jungen, er ist mir nicht fremd.
Etwas hat mich zu ihm geführt.
Ein blasses Gefühl von Erinnerung.
Zu blass um etwas Klares zu erkennen.
Lorel war nicht überrascht, als ihm der Junge stolz ein Jagdgewehr präsentierte.
„Der Hirsch wird heute Abend auf dem Podium stehen.“, spottete Karim, „ich werde mich in einer Stunde ins Rathaus schleichen und Stellung beziehen. Sie müssen erfahren, dass wir uns wehren werden.“
Es war bereits die zweite Flasche Champagner, die zwischen den Beiden auf dem Tisch stand.
„Sagen sie, Bonaparte, unter uns, wie ist das mit ihren Haaren passiert?“
„Wohl ein kleiner, genetischer Fehler, der unterlaufen ist. Die Haarprotese kostete mich ein vermögen.“
„Ich werde schweigen, wie ein Grab. Ausser sie durchbohren mir noch einmal meinen Kopf, dann werden sie diesen Gedanken als allererstes vorfinden.“
Quir spielte ein lautes, gekünsteltes Lachen, das in einem Anfall von Schmerzen erstickte.
„Was wird mit mir geschehen?“
„Man wird sie in den nächsten Minuten holen kommen, Professor. Und sie zum Genabfall befördern.“
Bonaparte hielt Quir wieder das volle Glas an den Mund.
Es war früh Morgens, Karim und Lorel schlichen durch ein geknacktes Fenster ins Rathaus und versteckten sich im obersten Stockwerk, in einer Art Abstellkammer. Ein kleiner Spalt genügte, um das Gewehr auf das Rednerpult zu richten. Dort warteten sie zusammengekauert, auf den Beginn des Gipfeltreffens.
Protestrufe hörte man von der Strasse her bis zu ihnen hoch. Lorel verliess ihr Versteck und begab sich zu einem Fenster. Er starrte hinunter auf die Strassen und erblickte Sasha.
Vielleicht wird alles gut gehen.
Und ich komme hier heraus.
Klopfe Abends an deine Tür.
Und du nimmst mich in den Arm und sagst,
dass alles vorbei sei und dass es gut wäre,
dass ich richtig gehandelt habe und du stolz auch mich seist.
Ich würde leben.
Zusammen mit dir.
Wie ein jeder in dieser Zeit.
Ganz normal unter den anderen Menschen.
Die Schritte von Leuten im Treppenhaus riss ihn aus seinen Gedanken und veranlasste ihn wieder nach oben zu verschwinden.
Unter den Augen von Lorel und Karim begann sich der Saal im Rathaus zu füllen.
„Welchen Tag haben wir heute?“
Karim sah zu seiner Uhr.
„Na den 23.“
„23. Was?
„den 23.9 2012, ok?“
Der 23.9.2012, ich kenne dieses Datum.
Nur woher?
„Stossen wir an, Professor. Auf die Zukunft! Und auf die Entdeckung des Zeitreisens!“
„Auf das Zeitreisen, mein Freund.“.
Der Saal war gefüllt und nun traten die Vertreter der Partei des wahren Volkes aufs Podium.
Karim hatte das Rednerpult genau im Visier und Lorel versuchte bemüht auch etwas, durch den schmalen Spalt zu erkennen. Ein blonder, dürrer Mann mit Spitzbärtchen und übertrieben aufrechtem Gang trat auf die Bühne. Klopfte gegen das Mikrofon und setzte dann zur Begrüssung an. Von draussen hörte man noch immer die Protestrufe.
„Nun meine Damen und Herren, schön dass sie so zahlreich erschienen sind.“
„Ich kenne diese Stimme.“
„Das ist Hawer, die linke Hand des Parteileiters. Er hat nichts zu sagen, Lorel. Gleich kommt der wirklich dicke Fisch.“
Der Blondschopf sprach weiter.
„Nun meine Herren entschuldigen sie den Krach von draussen. Es sind Leute, die uns und unser Wahlprogramm nicht verstanden haben, aber das soll uns jetzt nicht kümmern. Begrüssen sie mit mir....“
„Professor,..“
Bonaparte wurde für einen Moment wieder ernst.
„glauben sie wirklich, dass es etwas ändern würde, wenn ihr Schützling das Attentat verhindern könnte?“
„Da ist er, Lorel, ich hab ihn im Visier.“
Der 23.9.2012? Diese Stimme? Nein!
„Ich hoffe, Bonaparte, ich hoffe.“
Lorel entriss Karim das Gewehr.
„Was soll das, Lorel?“
Lorel starrte auf das Gewehr in seiner Hand.
„Ein junger Schwarzer erschiesst am 23.9.2012 den Politiker Herbert Reis bei einer friedlichen Parteiveranstaltung. Der erste Schritt in den Sog von Hass, Misstrauen und Gewalt.“
„Was redest du, Mann, gib mir das...“
Plötzlich still. Hinter den Beiden mit einer Waffe in der Hand ein schwarz gekleideter Mann. Er hält die Waffe auf Lorel gerichtet. Lorel entlädt langsam das Gewehr in seinem Arm und gibt es zurück an Karim.
„Geh! Verlass das Gebäude. Er wird dir nichts tun.“
Karim versteckte das Gewehr unter einem langen Mantel und trat stumm und in Verwirrung aufgelöst aus dem Versteck die Treppen nach unten.
Es ist vorbei.
Er hörte einen Schuss und rannte panisch aus dem Gebäude.
Zwei Polizeibeamte betraten den Raum.
„Wir sollen ihn abholen, Sir.“
Bonaparte nickte und drehte sich wieder zum Professor.
„Alles beim Alten, Professor. Wie es war und immer sein wird. Wir müssen uns nun wohl verabschieden.“
„Sir, was ist mit ihren Haaren?“
„Was?“
Bonaparte strich sich über den Kopf –Kahl!
„Was? Professor, was..?“
Er starrte zu den zwei Beamten, die sich, um Gottes Willen, die sich aufzulösen begannen.
Schreie drangen von überall her in den Raum, herauf von den Strassen, den anderen Räumen von den zwei Beamten her. Überall panische Schreie. Der Tisch, die Flasche, sie verschwanden vor Bonapartes Augen. Als er an sich herunter sah, konnte er beobachten, wie sich seine Beine aufzulösen begannen, als würde ihn jemand langsam ausradieren.
„Professor!?!?!“
Er lachte, selbst er war nur noch zur Hälfte präsent. Die linke Hälfte seines Körpers war im nichts verschwunden, alles löste sich auf. Nur die Schreie von überall her blieben. Er hatte noch nie so viel Emotion in dieser Welt erlebt.
„Tun sie was, Professor, was geschieht mit uns??!!“
„Wir müssen uns verabschieden. Wir waren nie, sind nicht und werden nie sein.“
Ein Sog von Nichts.
„Ist die Kamera an?“
„Gleich. 3,2,1, Los!“
„Meine Damen und Herren, ich begrüsse sie auf Kanal 5. Ich stehe hier vor dem Rathaus, in dem sich gestern Abend schreckliches abgespielt hat. Um Punkt 20 Uhr sieben, als Herbert Reis, das Rednerpult betrat um seine Wahlrede für seine Partei des wahren Volkes zu beginnen, löste sich irgendwo ein Schuss und ein schwarzer Mann stürzte aus dem obersten Stockwerk in die unten versammelte Menge, er war sofort tot. Der Täter konnte gefasst werden, gerade als er das Gebäude verlassen wollte. Er trug eine illegale der Polizei unbekannte Art von Waffe bei sich .
Der Täter schweigt bist zu diesem Moment. Bei sich trug er ein Wahlabzeichen, dass ihn als Mitglied der Partei des wahren Volkes ausweist und eine bisher unbekannte Form von Datenträger. Dieser Datenträger wurde vor einer Stunde von Fachmännern der Polizei entschlüsselt. Die Stimme, die sie gleich hören werden, wurde als die Stimme von Erich Hawer identifiziert, die linke Hand des Parteivorsitzenden.
„Wir stehen davor zu beenden –mit all seinen Konsequenzen- was man vor uns in der Vergangenheit begonnen hat. Zu diesem Ziel der Sicherstellung unserer Rasse stehen uns Krieg, Blut und Leid bevor, doch wir tun dies für unsere Kinder und deren Kindeskinder, für eine genetisch reine Zukunft!“ Von linker Seite wurde der Partei schon des öfteren Vorgeworfen rechtsextreme Ansichten zu propagandieren, was diese bisher vehement abstritt.
Auch diese Aufnahme, die sie eben hörten, wurde von der Partei geleugnet.
Klar ist, dass die Indizien eindeutig sind und auch die Polizei gegen die Parteileitung zu ermitteln beginnt.
Das war für sie Kanal 5, auf eine gute Zukunft.“.....................