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Der Herr der Hüllen

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08.10.2014
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Der Herr der Hüllen

Karl reinigte die Haupthalle und bemerkte nicht, dass Herr Bender und Frau Lehmann, die hinter den Bankschaltern standen, sich einen Spass daraus machten, ihm Papierkügelchen auf den bereits gereinigten Boden zu spicken. Als er am Ende der Halle ankam, blickte er auf die Uhr und lächelte zufrieden. Er lag gut in der Zeit, war sogar etwas eher fertig, als normalerweise. Die Halle war gross, durch die hohen Fenster strahlte das Sonnenlicht eine angenehme Wärme. Karl wollte gerade seinen Reinigungswagen nehmen und mit dem Lift in das erste Obergeschoss fahren, als er die herumliegenden Papierkügelchen entdeckte. Verwirrt nahm er seinen Besen aus dem Wagen und fing an, die Kügelchen aufzuwischen. Er war sich ziemlich sicher, dass er die Halle gründlich gereinigt hatte, beschwören konnte er es aber nicht. Vielleicht hatte er einfach nur gedacht, er hätte alles sauber gewischt. Leider war sein Gedächtnis nicht das Beste. Als er beinahe die Hälfte aufgewischt hatte, kam von den Bankschaltern her zuerst ein Kichern, dann ein aufgeregtes Getuschel und zum Schluss prustete jemand vor Lachen.
„Na Karl, fegst du auch alles schön sauber?“
Karl blickte auf. Die Einzigen, die in der Halle waren, waren Herr Bender und Frau Lehmann.
„Ja, Sir.“ Karl konnte nicht gut lesen und nicht schreiben, aber er liebte Hollywood-Filme. Seitdem sein alter Herr, der nun schon seit beinahe sechs Jahren tot war, ihm den ersten Actionknaller mit Bruce Willis gezeigt hatte, war es um ihn geschehen. Und seither redete er jeden mit „Sir“ und „Misses“ an, auch wenn ihm das mehr als einen abschätzigen Blick eingebracht hatte.
Als Karl die Halle zum zweiten Mal gereinigt hatte, ging er zum Fahrstuhl.
„Ey Karl, hast du keine Augen im Kopf?“
Abermals drehte sich Karl zu Lukas um. „Wieso meinen Sie, Sir?“
Herr Bender blickte zu Frau Lehmann. „So jung, und doch so blöd.“ Und dann fügte er zu Karl gewandt hinzu: „Schau dir `mal die Halle an, du nichtsnutziger Blödmann. Nennst du das etwa sauber machen?“ Frau Lehmann musste sich die Hand vor den Mund halten, um nicht laut loszulachen.
Mit verwirrtem Blick suchte Karl die Halle ab, die er schon zweimal gereinigt hatte. Dann sah er abermals die Papierkügelchen und tränen stiegen ihm in die Augen. „Entschuldigen Sie bitte, Herr Bender, Sir. Ich dachte, ich hätte alle erwischt. Bitte sagen Sie nichts Herrn Klopp. Ich mache alles sauber.“ Hastig riss er den Besen erneut aus dem Wägelchen und begann zum dritten Mal die Halle zu putzen. Die beiden Bankangestellten hinter den Schaltern grinsten sich an und hatten schon weitere Papierkügelchen bereit gelegt, um Karl ein viertes Mal die Halle reinigen zu lassen.
Hätte Karl gewusst, was an diesem Tag noch folgen würde, hätte er die Halle nicht auch nur ein einziges Mal gereinigt - geschweige denn vier Mal.


* * * *


Als Karl aus dem Fahrstuhl im ersten Obergeschoss stieg, brummte ihm der Schädel. Er versuchte zu verstehen, weshalb er all den Dreck auf dem Hallenboden nicht beim ersten Mal schon gesehen und weggewischt hatte, doch er kam nicht darauf. So in Gedanken versunken bemerkte er nicht, wie von rechts ein gebrechlich wirkender Mann mit dicken Brillengläsern um die Ecke huschte. Der Mann war Abteilungsleiter und immer im Stress.
Karl stiess einen überraschten Schrei aus, denn der Mann mit den dicken Brillengläsern rauschte geradewegs in ihn hinein.
„Was stehen Sie hier dumm rum, Karl?“, fragte der Mann. „Haben Sie nichts zu tun?“
„Ich bitte um Entschuldigung, Herr Geiger, Sir, ich war in Gedanken versunken und …“, sagte Karl – zitternd vor Angst – doch Herr Geiger unterbrach ihn.
„Du bist hier, um sauber zu machen, nicht um deinen kindischen Gedanken nachzujagen. Hast du das verstanden? Na los, geh wieder an die Arbeit, oder ich werde mich mal ein wenig mit Herrn Klopp über dich unterhalten.“ Mit diesen Worten stieg Herr Geiger in den Lift und liess Karl mit Tränen in den Augen zurück. Er wischte sich mit dem Hemdsärmel die Augen trocken und fing an, den Gang zu fegen, der vom Lift zu einem Grossraumbüro führte.


* * * *


Karl lag hinter seinem Zeitplan zurück, weshalb er erst um halb Eins Uhr Nachmittags eine Pause einlegen und zum Mittagessen übergehen konnte. Er ging in den Bereich, der für die Putzleute und die hauseigenen Techniker gedacht war und setzte sich an einen von fünf grossen Tischen. Viele hatten Ihr Mittagessen bereits beendet und waren wieder an die Arbeit gegangen. Karl setzte sich an einen verlassenen Tisch, stellte seinen Plastikbehälter mit dem Essen vor sich hin und begann ein Spiderman-Comic-Heft zu lesen.
Als er noch mit seinem Vater zusammen gewohnt hatte, konnte er immer Reste des letzten Abendessens mitnehmen – sein Vater war ein ausgezeichneter Koch. Doch seitdem er gestorben war, hatte er fast jeden Tag das Gleiche gegessen: Wiener Würstchen mit Mayonnaise und als Beilage ein hartes Brötchen. Ab und zu gab es auch eine Tiefkühl-Lasagne oder ein seltsames Gemisch aus Rührei, Pfannkuchen und Salat.
Ohne Vorwarnung wurde Karl das Comic-Heft aus der Hand gerissen. Er hob den Kopf und schaute in ein lächelndes Mondgesicht, das dem Chef-Techniker gehörte. Der Mann hiess Walter Hessler, war ein Koloss von einem Mann und liess anhand seiner fettigen Haare und seiner glänzenden Haut erkennen, dass er sich nicht all zu viel aus Körperhygiene machte. Halb unter dem Ärmel seines Shirts versteckt war eine kleine 88 auf seinem Oberarm tätowiert - was zweimal für den achten Buchstaben im Alphabet stand: HH - Heil Hitler.
„Na, Junge, liest du wieder deine Ami-Kindergeschichten?“, fragte der Techniker und blätterte mit gespieltem Interesse im Comic.
Karls Augen leuchteten auf. Ein Lächeln setzte sich auf sein Gesicht.
„Ja, Herr Hessler, Sir. Aber es sind nicht nur Kindergeschichten.“, sagte Karl mit einer Freude in der Stimme, die er sonst nur hatte, wenn er über Actionfilme sprechen konnte. „Es handelt sich dabei eigentlich immer um den Grundsatz, dass das Gute in jedem Menschen ist, und dass es sich immer lohnt, für das Gute zu kämpfen.“
„Aha.“, sagte der Techniker mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht. „Willst du, dass ich dir jetzt auch `was Gutes tue?“
Karl konnte sich darunter nichts vorstellen, also bejahte er. Daraufhin zeriss Hessler das Comic-Heft, legte die beiden Hälften nochmals übereinander und zeriss es abermals. Entsetzen stand in Karls Augen – ungläubiges Entsetzen. Der Techniker, Walter Hessler, lachte. „Ich habe dir geholfen, deinen Job nicht zu verlieren.", sagte er. „Wir haben bereits viertel vor eins – ab an die Arbeit du fauler Hund.“ Und als er schon davonging, blickte er kurz zurück und sagte: „Und nenn mich nicht Sir, ich bin keine Ami-Schwuchtel!"
Obwohl Hessler der Chef der Techniker und nicht sein Chef war, stand Karl ohne zu zögern auf, kramte seine Sachen zusammen - auch das zerrissene Comic-Heft, das auf dem Tisch verteilt lag - und ging wieder an die Arbeit. Diesmal hatte er nicht nur Tränen in den Augen, sie rannen ihm auch die Wangen hinunter.


* * * *


Den Nachmittag verbrachte Karl damit, die Abfalleimer zu leeren, die Toiletten zu schrubben und die Reinigungsmittel aufzufüllen. Dass man ihm das zutraute, machte ihn stolz - er mochte seine Arbeit, auch wenn er oft das Gefühl hatte, nicht gut genug für die Arbeit zu sein.
Es war schon spät und er füllte gerade das letzte Reinigungsmittel in einen grossen Behälter, als Herr Klopp in die Putzkammer gestürmt kam. Die Tür streifte Karl am Arm, sodass er das Putzmittel auf dem Boden verteilte.
„Was soll diese Sauerei?“, fragte Herr Klopp.
Karl wollte sich gerade entschuldigen, als der elegant gekleidete Geschäftsführer weitersprach. „Stimmt es, dass du heute beinahe doppelt solange gebraucht hast, um die Halle zu reinigen, Karl?“ Mit strengem Blick musterte er Karl.
„ J. . . Ja, Herr Klopp, Sir“, stotterte Karl „Aber ich . . .“
„Nichts aber!“, schrie Herr Klopp. „Ich habe mich weit aus dem Fenster gelehnt, als ich dich eingestellt habe. Weisst du, wie viele Leute mir gesagt haben, dass das ein Fehler sei, dass du zu nichts zu gebrauchen seist?“
Karl senkte den Kopf und gab ein kleinlautes „Nein“ zur Antwort.
„Und jetzt“, brauste Herr Klopp weiter auf. „Und jetzt machst du nicht nur deine Arbeit nicht ordentlich, sondern stellst mich auch noch vor der gesamten Belegschaft bloss. Wieso hast du Herrn Geiger angerempelt?“
„Das . . . Das habe ich nicht, Sir, er ist in mich hineingelaufen.“
„Und jetzt lügst du auch noch!“, schrie Herr Klopp mit hochrotem Gesicht. „Vielleicht war es wirklich ein Fehler, dich einzustellen.“ Er machte eine Pause, atmete tief durch. „Morgen kannst du deine Sachen packen und . . .“ Er erstarrte mitten im Satz. Etwas war seltsam an Herrn Klopps Gesichtsausdruck. Er schien wie erstarrt.
„Herr Klopp, Sir, ist alles in Ordnung mit ihnen?“, fragte Karl. Nichts. Stille. Der Geschäftsführer machte keinen Wank.
„Sir, geht es ihnen nicht gut?“, versuchte Karl abermals herauszufinden, was mit Herrn Klopp los war. Doch der Mann, der Sekunden zuvor noch wild ausgerufen und gestikuliert hatte, bewegte sich nicht mehr, stand einfach ruhig vor Karl und sagte nichts.
Karl bekam es mit der Angst zu tun. So etwas hatte er noch nie erlebt. Sanft berührte er Herrn Klopp‘s Arm.
„Sir, kann ich ihnen helfen?“
Doch Herr Klopp blieb weiterhin wie zur Salzsäule erstarrt stehen und machte keine Anstalten, Karl weiter anzuschreien. Andere wären vielleicht froh gewesen, doch Karl beschlich langsam ein ungutes Gefühl. Was sollte er machen? Was war bloss mit Herrn Klopp passiert? Er schaute auf die Uhr. Die Bank hatte bereits geschlossen, vor wenigen Minuten hatten die Bankschalter geschlossen. Wenn er Glück hatte, konnte er aber noch jemanden im Gebäude finden und um Hilfe bitte.
„Bleiben sie ganz ruhig, Herr Klopp, Sir. Ich hole Hilfe.“ Mit diesen Worten verliess Karl den Putzraum.


* * * *


Karl rannte durch die Gänge. Doch alle schienen die Bank schon verlassen zu haben. Es kam ihm unheimlich vor, so alleine durch die Gänge zu sprinten, ohne zu wissen, wie er Herrn Klopp helfen sollte. Er hoffte inständig, dass noch jemand im Haus war.
Als er in die Eingangshalle kam, erfüllte eine Wärme seinen Körper: da war noch jemand. Karl ging zu den Bankschaltern - Herr Bender und Frau Lehmann standen an ihren Plätzen.
„Herr Bender, Sir, sie müssen mir helfen“, begann Karl. „Herr Klopp hat einen Anfall, oder irgendetwas in der Art.“
Herr Bender aber machte keine Anstalten, Karl entgegenzukommen.
„Schnell Sir“, sagte Karl und war nun beinahe bei den Schaltern. „Ich weiss nicht, was ich machen soll! Vielleicht hat er ein . . .“, doch dann verstummte Karl. Er berührte Herr Bender an der Schulter, schüttelte ihn leicht. Dann ging er zwei schritte weiter und machte das Selbe mit Frau Lehmann. Beide waren ebenfalls erstarrt und wirkten auf ihn wie leblose Hüllen. Panik schlich sich in seinen Verstand. Schweiss drang aus allen Poren. Was sollte er bloss machen? Was geschah hier? Er versuchte sich zu beruhigen, versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.
Der Technikraum, durchblitzte ein Gedanke sein verwirrtes Gehirn. Er hastete durch die Halle, hämmerte auf die Lifttaste und fuhr hinunter in den Technikraum. Er konnte nur hoffen, dass wenigstens Herr Hessler noch hier und bei Bewusstsein war. Er stürmte aus dem Lift und da war Herr Hessler. Doch schon von weitem erkannte Karl, dass auch er sich nicht mehr bewegte. Dass auch Herr Hessler zu einer leblosen Hülle erstarrt war. Also rannte er wieder in den Lift und durch die Eingangshalle nach draussen. Und in diesem Moment übermannte die Panik ihn vollkommen. Was er draussen vorfand war Chaos, reinstes Chaos. Mehrere Wagen waren in Gebäude gefahren, zwei Autos brannten, er sah einen Rollstuhlfahrer, wie er leblos zwischen einem Auto und einer Hauswand eingequetscht war. Fussgänger auf den Gehwegen standen alle seelenruhig da und machten keinen Wank. „Was zum . . .“, sagte Karl bei sich und ging wieder in die Bank. Das einzige, was ihm jetzt noch einfiel, war den Notruf zu wählen. Er hob den Telefonhörer von der Gabel und gab die Notrufnummer ein. Nichts. Die Leitung war tot.


* * * *


Karl hatte keine Ahnung was hier vor sich ging. Er wusste nicht, was er machen sollte. Er versuchte nur, irgendwie klar denken zu können. Es schien, als ob eine seiner Comic-Geschichten es in die Realität geschafft hätte. Dann durchfuhr ein Blitz seine Gedanken und er musste ein wenig lächeln. Endlich konnte er wieder klar denken. Wenn alle wie leblose Hüllen dastehen, ich aber weiterhin gehen und sprechen kann, dann heisst das, dass ich ein Superheld bin. Er versuchte sich an die aberhundert von Comics zu erinnern, die er gelesen hatte. Konnte das sein? Könnte er ein Superheld sein? Ja, das war die einzig logische Erklärung für Karl. Die Stadt wird sicherlich angegriffen . . . Das ist ein Angriff eines Super-Schurken. Aber ich kann doch nicht die gesamte Stadt alleine verteidigen. Seine Gedanken rasten. Was sollte er also als nächstes unternehmen?
Er ging zu Herrn Bender und Frau Lehmann. Er musste sie irgendwie aus der Gefahrenzone schaffen. Doch um sie zu tragen, hatte er zu wenig Kraft. Er fasste beide an den Armen, redete behutsam auf sie ein und versuchte sie zu den Liften zu führen. Zu seiner Verwunderung musste er nur leicht in eine Richtung ziehen und sie setzten sich sofort in Bewegung. Mit schleiernem Blick folgten sie ihm, solange er sie führte. Zu dritt gingen sie in den Lift. Karl fand es für den Moment am besten, wenn er sie in den Bereich mit den Esstischen führte, dort konnte er sich um sie kümmern, ohne, dass es der Super-Schurke herausfinden konnte.
Nachdem er beide auf einen Stuhl gesetzt hatte, holte er Herr Hessler und setzte ihn neben die beiden. Dann ging er in den Putzraum und holte Herr Klopp.
Als er auch ihn platziert hatte, durchsuchte er die gesamte Bank. Ausser Herr Geiger hatten scheinbar aber alle die Bank bereits verlassen. Auch ihn platzierte er an dem Tisch und überlegte, was er als nächstes tun sollte. Er durchstöberte sein von Nebeln durchsetztes Gehirn und konnte sich dann an eine Szene aus einem Actionstreifen erinnern. Er ging von Hülle zu Hülle und überprüfte ihren Puls: alle lebten noch. Das erste Mal an diesem Tag erfüllte Karl Erleichterung.


* * * *


Karl sass nun schon beinahe über zwei Stunden neben den Hüllen und überlegte, was er als nächstes tun sollte. Wenn er wirklich der Einzige war in der Stadt, der normal geblieben war, dann musste er etwas unternehmen. Aber was? Er konnte doch nicht alle Hüllen einsammeln und hier versammeln. Er hatte keine Superkräfte. Und er fühlte sich auch nicht als Superheld, er hatte Angst, getraute sich nicht die Bank zu verlassen.
Das Radio, dachte er. In einer Notsituation sollte man das Radio anmachen und auf Anweisungen von der Regierung warten. Er selbst besass kein Radio, doch er wusste, dass Herr Hessler irgendwo eines haben musste. Er ging zu dem Spind von Herrn Hessler und öffnete ihn - nicht ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu empfinden. Und da war es. Klein und mit langer Antenne. Er nahm es heraus und setzte sich wieder neben die Hüllen. Voller Erwartung schalltete er es ein und lauschte. Doch es kam nur Rauschen aus den Lautsprechern. Auf jedem Sender nur rauschen. Enttäuscht schaltete er es aus und stellte es vor ihm auf den Tisch.
Da ihm momentan nichts weiter einfiel ging er abermals zu Herrn Hesslers Spind - er hatte dort mehrere Ravioli-Dosen gesehen. Er nahm alle vier heraus und begann in der kleinen Küche die Ravioli aufzuwärmen. Die fünf Hüllen sassen noch immer reglos und mit starrem Blick am Esstisch.
Nach wenigen Minuten war das Essen fertig. Er füllte fünf Teller mit den heissen Ravioli und setzte sie vor die reglosen Hüllen. Er holte fünf Gabeln und setzte sich neben die erste Hülle - Herrn Klopp. Mit unendlicher Geduld und Fürsorge spiesste er zwei Ravioli auf die Gabel, pustete, damit sie Herrn Klopp nicht den Gaumen verbrannten und führte sie zu Herrn Klopps Mund. Langsam öffnete Karl von Hand den Mund und führte die Gabel mit den Ravioli hinein. Dann schloss Karl - abermals von Hand - den Mund wieder und legte Herrn Klopps Kopf sanft in den Nacken, sodass die Ravioli den Weg in die Speiseröhre fanden. Zu Karls Erleichterung klappte dies besser, als er gedacht hatte. Nach und nach führte er weitere Ravioli ein, immer dem selben Schema folgend. Als der Teller leer war, wandte sich Karl der zweiten Hülle zu: Herr Bender. Es dauerte beinahe zwei Stunden, bis er auf diese Weise alle fünf Hüllen gefüttert hatte.
Danach holte er aus seinem Spind seine Zahnbürste und füllte ein Glas mit Wasser. Nachdem er allen die Zähnegeputzt hatte, suchte er einige Jacken zusammen, die Angestellte in den Grossraumbüros um die Stühle gehängt und nicht nach Hause genommen hatten, machte aus ihnen halbwegs gemütliche Betten und Kissen und legte alle fünf Hüllen sanft auf die provisorischen Betten. Er entfaltete über jeden noch eine Jacke, die zu Decken umfunktioniert wurden und sah seine Hüllen mit traurigen Augen beim Einschlafen zu.
Karl ging nochmals in die Eingangshalle, schloss alle Türen und legte sich dann ebenfalls neben seine Hüllen. Müde und verwirrt, nicht aber ohne Stolz, das alles alleine geschafft zu haben, schlief er schlussendlich ein.


* * * *


Am nächsten Morgen machte Karl ein kleines Frühstück aus Früchten, die er in Schalen im Grossraumbüro gefunden hatte, und fütterte seine Hüllen damit. Danach ging er mit jeder Hülle einzeln in die Duschräume, zog sie aus und wusch sie fein säuberlich. Als er das hinter sich gebracht hatte, überlegte er, wie er sie dazu bringen sollte, das Morgengeschäft zu erledigen. Er versuchte sie einfach auf die Toiletten zu setzen, doch das hatte nichts gebracht. Da er sowieso irgendwoher Essen hatte herkriegen müssen, beschloss Karl auch gleich Windeln zu besorgen.
Mit einem lächeln im Gesicht, stolz, dass ihm so viele gute Ideen gekommen waren, setzte er alle Hüllen wieder an den Tisch und machte sich bereit, um in den nächstgelegenen Einkaufsladen zu gehen. Zum Glück war dieser nicht weit entfernt, Karl ängstigte nur schon der Gedanke daran, rauszugehen und eventuell dem Super-Schurken zu begegnen.
Mit einer Eisenstange bewaffnet, die er im Spind von Herrn Hessler gefunden hatte, machte er sich auf den Weg. Er spähte durch die Eingangstüren - alles war ruhig und wirkte wie verlassen. Einzelne Rauchsäulen stiegen auf. Als Karl sich sicher war, dass niemand in der näheren Umgebung auf ihn lauerte, verliess er die Bank und lief die Strasse hinunter. Das Chaos erschreckte ihn. Überall waren Wagen verunfallt, lagen Leichen auf dem Boden oder standen Hüllen bewegungslos auf den Gehwegen herum. Am liebsten hätte er alle zu sich in die Bank genommen, doch die fünf, für die er sorgte, machten ihm schon genug Arbeit. Schweren Herzens musste er die Hüllen auf den Strassen sich selbst überlassen.
Als er zwei Strassen weiter um die Ecke bog, zuckte er zusammen. Etwas ganz in seiner nähe war in die Luft geflogen. Er blickte in die Richtung, aus der der Lärm kam, konnte jedoch nur eine Katze erkennen, die an einer Leiche knabberte. Ihm wurde übel. Die Stange zur Abwehr erhoben ging er nun schneller. Er wollte so schnell wie möglich wieder in die sichere Bank zurückkehren. Seine Angst sollte nicht unberechtigt bleiben . . .


* * * *


Vorsichtig trat er in den Einkaufsladen. Das Licht war aus, doch von draussen drang genug herein, um das Wichtigste holen zu können. „Hallo“, rief Karl in den verlassenen Einkaufsladen. „Ist da jemand?“
Nichts.
Die Luft schien rein zu sein.
Karl packte sich einen Einkaufswagen und huschte durch die Gänge, suchte seine Sachen zusammen. Auch hier standen überall leblose Hüllen im Weg. Er beachtete sie nicht und packte Konserven, Wasser und Waschzeug ein. Zum Schluss holte er noch die Windeln. Als er gerade die dritte Packung in seinen Wagen legte, hörte er, wie die Türen zum Einkaufsladen aufgemacht wurden. Sofort blieb er wie erstarrt stehen und horchte. Angst schlich sich in sein Bewusstsein. So leise er konnte, liess er noch zwei weitere Packungen Windeln in seinen Wagen gleiten und schlich dann den dunklen Gang entlang zum Ausgang. Mit der linken Hand schob er den Einkaufswagen - jedesmal wenn ein Rädchen quietschte, zuckte er wie von der Tarantel gestochen zusammen - in der Rechten hielt er seine Eisenstange, bereit um Feinde abzuwehren.
Am Ende des Regals liess er den Wagen kurz stehen und schaute um die Ecken. Die Eingangstüren waren keine zehn Meter mehr entfernt. Karl konnte niemanden sehen. Vielleicht hatte ihm sein Verstand einen Streich gespielt. Er blieb noch einige Sekunden stehen, dann beruhigte er sich und schob den Wagen weiter Richtung Ausgang. Als er schon beinahe draussen war, hörte er hinter sich eine Stimme.
„Na, was haben wir denn hier?“
Karl drehte sich blitzartig um, zu Tode erschreckt.
Zwei Gestalten standen im Mittleren Gang. Eine davon stützte sich auf Krücken, seine Beine sahen aus, als wäre ein Laster darüber gefahren. Die Andere, gross und breitschultrig, hielt den Kopf seltsam schräg, als ob er ihn nicht richtig sehen konnte.
„Ha. . . Hallo“, stotterte Karl. Seine Eisenstange hielt er nun mit beiden Händen.
„Siehst du das, Fred?“, sagte der Mann mit den Krücken. „Blöde Frage!“, er lachte laut und gehässig auf. „Natürlich siehst du blinder Hund so wenig, wie ich einen Marathon gewinnen würde.“
Er stupste den grossen Mann mit dem Ellbogen an, dann wandte er sich wieder Karl zu.
„Hier hat uns jemand schon die Arbeit abgenommen und uns einen Wagen voller Essen bereit gestellt.“ Wieder lachte der Mann mit den Krücken. Auch Fred grunzte vor sich hin. „Na, das ist aber nett von ihm, Piet“.
„Bitte, Fred, Sir und Piet, Sir. Es gibt hier genug für alle. Sie müssen nur nach hinten gehen und es sich holen“, sagte Karl mit zitternder Stimme. Obwohl er Actionfilme liebte: selbst hatte Karl noch nie eine Schlägerei gehabt - und er wollte es auch dabei belassen.
„Bitte, Fred, Sir und Piet, Sir“, äffte der Krückenmann ihn nach. „Hier haben wir es wohl mit einer noch grösseren Hohlbirne zu tun, als du schon bist, Fred.“ Wieder grinsten beide. Langsam kamen sie immer näher.
„Bitte, lassen sie mich in Ruhe. Es gibt hier doch wirklich genug für alle.“
„Bitte, lassen sie mich in Ruhe“, äffte diesmal der Blinde ihn nach. Sie waren schon beinahe bei Karls Wagen angekommen. Karl selbst hatte sich langsam hinter den Wagen gestellt, so fühlte er sich ein wenig sicherer.
„Wissen sie, was hier los ist?“, fragte Karl und hoffte so die unangenehme Situation zu entspannen.
„Ja, das wissen wir. Die Krüppel haben nun die Macht und nicht mehr die Normalos, was denn sonst?“, sagte der Krückenmann abfällig. „Bist du sogar zu blöde, um das zu begreifen?“
Mit diesen Worten schlug er mit einer seiner Krücken gegen den Einkaufswagen. Karl zuckte zusammen und wich weiter zurück.
„Na, was hast du denn schönes für uns eingepackt, Dumpfbacke?“, fragte der Krückenmann und spähte in Karls Wagen.
„Was zum . . .“, sagte er und blickte zu seinem blinden Kumpanen. „Der hat doch tatsächlich Windeln eingepackt.“ Der Blinde lachte abermals laut auf.
„Na, Kleiner, noch nicht stubenrein?“
„Do. . . Doch, Sir. Die sind doch nicht für mich.“, sagte Karl. „Die sind für meine Geschäftskollegen und für meinen Chef. Sie bewegen sich nicht und wenn ich ihnen keine Windeln anziehe, dann machen sie sich noch in die Hosen.“
Der Krückenmann und der Blinde prusteten los.
„Hast du das gehört, Fred? Ha. . . Ha. . . Hast du das gehö- hö- hört?“ Der Krückenmann kriegte sich fast nicht mehr ein, so fest lachte er. Karl stand da und fragte sich, was daran so lustig sei.
„Du besorgst dir Windeln, damit deine Geschäftskollegen sich nicht in die Hosen machen?“, fragte der Blinde, der sich auch fast nicht mehr einkriegte. „Bist du schwachsinnig, oder so?“
„Muss er wohl“, erwiderte der Krückenmann. „Wieso sollte er sich sonst noch bewegen können?“
Karl verstand die Welt nicht mehr. Tränen stiegen ihm in die Augen. „Ich muss mich doch um sie kümmern, bis sie wieder aufwachen.“
„Hast du gehört, Piet? Er muss sich doch um sie kümmern. Wie niedlich!“
Karl stiess mit dem Rücken an die Eingangstüre. Weiter konnte er nicht mehr zurückweichen, ohne die Türe zu öffnen.
„Alle machen sich immer über unsereins lustig“, sagte der Krückenmann nun mit gehässigem Tonfall. „Und du willst dich noch um sie kümmern? Bist du denn nie erniedrigt worden? Haben sie sich denn nie über dich lustig gemacht?“ Nun schrie er beinahe. Karl bekam es mit der Angst zu tun. „Wie blöde bist du eigentlich? Uns gehört nun die Welt, und du willst dich um die Normalos kümmern? Sollen wir ihm zeigen, was wir mit den Normalos machen, Fred?“
„Ohh ja, komm wir zeigen es ihm.“
Der Krückenmann ging zehn Meter weiter und bückte sich hinter eine Kasse. Er zog an etwas, doch Karl konnte nicht erkennen, was er hervorzuholen versuchte. Nach kurzem Gezerre hatte es der Krückenmann geschafft.
Karl wurde schlecht.
„Das machen wir mit den Normalos. Die haben nichts besseres verdient!“
Der Krückenmann hatte eine Hülle vom Boden aufgehoben. Dort, wo normalerweise der Kopf war, klaffte eine blutige Wunde. Sie hatten ihn geköpft.
„Und mit Normalo-Sympathisanten machen wir das Selbe.“
Der Krückenmann liess die Leiche wieder fallen, zückte ein grosses Fleischermesser aus seinem Gürtel und ging langsam auf Karl zu.


* * * *


Panik packte Karl. Er riss die Eingangstür auf und versuchte den Wagen hinter sich herzuziehen. Doch der blinde Koloss hatte den Wagen gepackt. Gegen dieses Monstrum hatte Karl keine Chance. Er liess den Wagen stehen und rannte aus dem Einkaufsladen.
„Hinterher, Fred“, rief der Krückenmann. „Er haut ab!“
Karl rannte so schnell er konnte. Hinter sich blickend sah er, wie die beiden ihn verfolgten. Der Blinde war keine zehn Meter von ihm entfernt. Der Krückenmann war erstaunlich schnell, konnte das Tempo aber nicht halten. Er schrie dem Blinden Anweisungen zu, damit der wusste, wo er hinlaufen musste.
Ich muss hier weg, dachte Karl. Ich muss mich verstecken.
Doch dann dachte er wieder an seine Comics. Verhielt sich so ein Superheld? Nein, dachte er. Wenn ich nichts unternehme, bringen sie noch weitere Hüllen um. Karl blieb stehen. Er hob seine Eisenstange, bereit um dem Koloss entgegenzutreten.
„Pass auf, Fred! Er hat . . .“
Doch es war bereits zu spät. Karl donnerte mit ungewohnter Kraft die Eisenstange gegen den Schädel des blinden. Den Blinden hob es von den Füssen und er fiel hin.
„Du Drecksau“, schrie der Krückenmann, machte aber keine Anstalten, zurückzuweichen. Im Gegenteil. Noch immer kam er auf Karl zu.
Der Blinde blieb benommen liegen. Karl stürzte sich auf den Krückenmann, der jedoch jeden Hieb gekonnt mit seinen Krücken parrierte.
„Ich werde dir zeigen, wozu ein Mann ohne Beine in der Lage ist, mein Junge“, fauchte der Krückenmann.
Karl hatte nun einen wilden Eifer erfasst. Er drosch wie wild auf den Krückenmann ein. „Ihr habt die Hüllen umgebracht“, heulte Karl. „Dafür werdet ihr büssen!“
Mit der Rechten Krücke wehrte der Krückenmann ab, mit der Linken versetzte er Karl zugleich einen Schlag in das Knie. Karl stürzte, rappelte sich aber gleich wieder hoch. Einem nächsten Schlag wich Karl gekonnt aus und Schlug mit der Eisenstange in die Rippen des Krückenmanns - Karl hörte, wie etwas knackte. Der Krückenmann fiel keuchend zu Boden. Karl liess aber nicht von ihm ab, hob seine Eisenstange erneut und wollte sie auf den am Boden liegenden Mann niederfahren lassen.
Doch ruckartig wurde ihm die Eisenstange aus der Hand gerissen. Der blinde Koloss hatte sich wieder aufgerappelt und hatte sich von hinten an Karl herangeschlichen.
„Piet, wo bist du? Gehts dir gut?“
„Diese Drecksau hat mir die Rippen gebrochen“, keuchte der Krückenmann.
„Bring ihn um, Fred! BRING IHN UM!“
„Komm schon, Bürschchen, wo bist du?“, sagte der Blinde.
Karl blieb ruhig stehen, nur wenige Meter von ihm entfernt. Was sollte er ohne Waffe gegen so einen Riesen machen? Dann kam ihm eine Idee.
Er schlich, so leise er konnte, um den Koloss herum.
„Pass auf, Piet! Er ist hinter dir!“
Doch Karl war schneller. Er sprang mit dem Knie voran in den Rücken des Kolosses, schlang gleichzeitig seine Hände um sein Gesicht und zog es nach hinten. Das kannte er aus einem Actionstreifen. Auch hier knackte etwas hörbar - noch lauter sogar, als beim Krückenmann. Der blinde Koloss landete auf Karl, bewegte sich aber nicht mehr.
„Piet, komm schon. Piieett!?“
Karl kämpfte sich wild schnaufend unter dem Koloss hervor und betrachtete ihn. Er hatte ihm das Rückrad gebrochen. Der Koloss war tot.
„Du hast ihn umgebracht“, schrie der Krückenmann. „Du hast ihn umgebracht . . .“ Er hielt sich seine Rippen, hatte mühe beim Atmen.
Karl hob die Eisenstange auf und ging auf den Krückenmann zu. Dieser versuchte sich aufzuraffen, schrie aber nur vor Schmerzen laut auf und blieb stark atmend liegen.
„Bitte“, flehte er. „Wir sind doch beide gleich, mein Fruend.“ Er atmete schwer ein. „Du bist doch auch kein Normalo . . . Wir müssen doch zusammenhalten!“
Karl schaute ihn an, zögerte kurz. Dann hob er die Eisenstange über den Kopf und lies sie hinuntersausen.
„Nein“, schrie der Krückenmann und hob schützend die Hände vor sein Gesicht.
Die Eisenstange schlug krachend in den Teerboden neben seinem Kopf ein.
Karl konnte keinen wehrlosen Mann umbringen, auch wenn sie bei ihm keine Sekunde gezögert hätten.
„Lass dich nie mehr hier blicken“, sagte Karl mit schwerem Atem.
„Ich kann mich kaum bewegen“, sagte der Krückenmann. „Bitte hilf mir“.
Karl ging an ihm vorbei.
„Bitte hilf mir, ich werde hier elendig verrecken, wenn du mir nicht hilfst!“
Karl holte seinen Einkaufswagen und ging wieder am Krückenmann vorbei, beachtete ihn aber nicht mehr.
„Bitte, du kannst mich hier nicht liegen lassen! Bitte!“
Karl konnte seine Schreie noch eine ganze Weile hören.
Er versuchte sie zu ignorieren. Sie hatten ihn angegriffen. Nicht er sie.
Erst als er schon wieder beinahe bei der Bank angelangt war, verstummte der Krückenmann.


* * * *


Nach einigem ringen mit sich selbst, und nachdem er Routine bekommen hatte, beschloss Karl, dass er noch ein halbes Dutzend weiterer Hüllen auf den Strassen einsammeln sollte, um sich um sie zu kümmern. Hauptsächlich Frauen und Kinder.
Wochen vergingen, in denen sich Karl rührend um die Hüllen kümmerte. Doch sie blieben Hüllen. Zu einen Zwischenfall wie mit dem blinden Koloss und dem Krückenmann kam es nicht mehr. Vielleicht hatte das damit zu tun, dass Karl sich immer besser in dieser seltsam still gewordenen Welt auskannte und er einige Tricks anzuwenden lernte und Geheimwege herausfand. So konnte er immer Nachschub holen, ohne auf den Hauptstrassen unterwegs sein zu müssen.
Die Hüllen, welche auf der Strasse sich selbst überlassen blieben, fielen irgendwann tot in sich zusammen und verrotteten schlussendlich.
Er grübelte immer wieder darüber nach, was dazu geführt hatte, dass die Normalos zu Hüllen wurden, doch ihm wollte keine passende Erklärung einfallen. Vielleicht, so vermutete er, hatten die Normalos zu lange die Verantwortung für die Probleme auf der Welt weggeschoben. Hatten zu lange die Natur ausgeplündert, hatten zu lange ihre Probleme mit Bomben und Gewalt gelöst, legten zu viel Wert auf Äusserlichkeiten, hatten zu lange nur ihre eigenen Interessen im Sinn - und so rächte sich nun die Natur an ihnen. Vielleicht ging auch ein Experiment in einem Geheimlabor der Regierung schief, wer weiss schon, was die Geheimdienste und Militärs alles für abartige Experimente durchführten? Den Super-Schurken, den er anfangs für diesen Umstand verantwortlich machte, tauchte jedenfalls nicht auf. Auch eine feindliche Armee fiel nicht über das Land herein.
Ihm war es schlussendlich auch egal. Er kümmerte sich weiter um die Hüllen und hatte Spass dabei. Er lernte immer mehr, und sein Gehirn wurde langsam richtig gut darin, sich Dinge zu merken. Er hätte nie gedacht, dass er so viel Verantwortung übernehmen konnte.
Und als er schon nicht mehr daran geglaubt hatte, dass die Hüllen je wieder zu normalen Menschen werden würden, bewegte sich plötzlich eine Hülle auf ihrem Stuhl.

 

Hallo Leute

Ich bin neu hier und wollte einfach mal sehen, wie so die Kritik zu meiner Kurzgeschichte ausfällt.

Grüsse

wortzauberer

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo "wortzauberer,

da ich offensichtlich der Erste bin: Willkommen im Forum. Habe Deine Geschichte mit Interesse gelesen, bei Deiner Wortwahl ist mir aufgefallen, daß Du teilweise Umgangssprache verwendet hast, z.B. mit Papierkügelchen spicken - hab ich noch nie gehört. Das würde ich ändern.
Inhaltlich ist Deine Geschichte ja schon eine Parabel: Das gutmütige unterste Glied der Gesellschaft bringt die (selbsterklärt) über ihm Stehenden gut durch und zieht für deren Bedürfnisse noch "in den Krieg". Plötzlich in der absoluten Verantwortung gewinnt Dein Protagonist stetig hinzu, dabei hilft ihm seine triviale Gut/Böse - Unterscheidung. So gesehen ist auch Dein Ende konsequent und rund.
Wenn ich aber nicht auf diese Ebene möchte, sondern nur die reine Horrorgeschichte möchte, dann wäre es mir zu langweilig, Deine Figuren zu stereotyp , mehrmals ins Absurde abdriftend.

Gruß
Felix
Wenn ich allerdings

 

Hi Felix

Vielen Dank für deine schnelle Rückmeldung!

Ok, muss ich wohl noch ein paarmal drüber gehen. Ist mir, jetzt wo du es sagst, auch aufgefallen, dass einige Wortbilder nicht so recht passen.

Ich wollte eben gerade nicht eine reine Horror-Geschichte schreiben, von demher kann ich mit deiner Kritik gut leben. Und natürlich hast du recht: es sind praktisch nur stereotypische Figuren - da ich einfach den krassen Unterschied herausarbeiten wollte.

Vielleicht habe ich dabei den Bogen ein wenig überspannt.

Aber du hast mir bereits geholfen, vielen Dank für deine Kritik!

Grüsse
Wortzauberer

 

Hallo wortzauberer
und willkommen bei den Wortkriegern.

Ein hübscher nick, den du dir ausgesucht hast. :)
Sehr gut ist auch, wie du dich hier bisher ins Forum eingebracht hast. Du wirfst nciht mit Texten um dich, sondern agierst auch auf der Geben-Seite, kommentierst also selbst. Das ist unter Garantie auch der beste Weg, um das eigene Schreiben zu verbessern.
Was deinen Text angeht ... ALso die Grundidee finde ich spannend. Plötzlicher Stillstand. Nur einige wenige sind davon verschont. Das könnte so ein King-Setting sein.
Warum ich dir Geschichte dennoch nciht so dolle finde, liegt zum großen teil an technischen Dingen, als am Handwerk.
Die Sätze sind teilweise zu sperrig, insgesamt uferst du aus, wo du sparsamervorgehen solltest.
Die Pointe, okay, dass da jetzt kein Knaller kommt, sondern eben einfach so ausläuft ... Kann man machen. Diese Schelte allerdings, nee, die streich mal wieder. 1. kippt das vollkommen aus dem Erzählton deines Erzählers und zweitens sticht da unnötig der moralische Zeigefinger hervor. Unpassend. Du drückst auch schon so sehr stark auf die Tränendrüse, also wie der arme Karl da behandelt wird. Gibt es alles, ganz klar, aber hier scheint ja einfch jeder ein Arsch zu sein ;) Da würde ich auch runterdrehen. Auch 4x hintereinander die Sache mit den Kügelchen ... Weiß nicht.
ich pick mal ein bisschen was raus, um dir zu zeigen, was ich auf handwerlicher Ebene meine:

Bereits der EInstiegssatz:

Karl reinigte die Haupthalle und bemerkte nicht, dass Herr Bender und Frau Lehmann, die hinter den Bankschaltern standen, sich einen Spass daraus machten, ihm Papierkügelchen auf den bereits gereinigten Boden zu spicken.
Der ist total ungelenk. Das ist ein Todesurteil für den Einstieg. EIn Buch klappt man zu, im Internet hat man noch schneller wieder weitergeklickt.
Kurz und knackig muss das kommen. Und neugierig machen. Also letzteres schafft der Satz schon, aber ersters ...

Als er am Ende der Halle ankam,
ankam ... halte ich für das falsche Verb, wenn er am putzen ist

blickte er auf die Uhr und lächelte zufrieden.
dass es ein zufriedenes lächeln ist, erfahren wir ja durch den SAtz danach. Reduzieren

Er lag gut in der Zeit, ar sogar etwas eher fertig, als normalerweisew
warum dieser Zusatz? längt nur, erster Teil reicht

Verwirrt nahm er seinen Besen aus dem Wagen und fing an, die Kügelchen aufzuwischen.
wischen mit dem Besen? ;)

Als er beinahe die Hälfte aufgewischt hatte, kam von den Bankschaltern her zuerst ein Kichern, dann ein aufgeregtes Getuschel und zum Schluss prustete jemand vor Lachen.
das ist zu viel des Guten. Kichern reicht doch

Er wischte sich mit dem Hemdsärmel die Augen trocken und fing an, den Gang zu fegen, der vom Lift zu einem Grossraumbüro führte.
- und schrubbte den Gang.
Du musst wirklich kürzer treten, mehr verdichten.

Doch Herr Klopp blieb weiterhin wie zur Salzsäule erstarrt stehen und machte keine Anstalten, Karl weiter anzuschreien.
lass dir den Satz mal auf der Zunge zergehen. ;)

Ich brech jetzt hier mal ab. Das sind nur kleine Beispiele. Du solltest den Text insgesamt noch mal kritisch durchleuchten und entschlacken, entschlacken.
Nicht entmutigen lassen, die Idee ist gut, Spaß am Schreiben hast du auch. Jetzt geht es um den Feinschliff!

Ich muss los
grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo wortzauberer,

auch von mir ein herzliches Willkommen.

Zur Geschichte:
Die Grundidee find ich wirklich klasse: Ein etwas minderbemittelter Typ findet sich in einem Albtraum wieder, in dem die Mehrheit der Menschen zu leblosen Hüllen wird.
Wie weltenläufer schon gesagt hat, fühlte ich mich sofort an Stephen King erinnert. Und das heißt was. Man merkt auch, dass du richtig Spaß am Schreiben hast. Das ist sehr wichtig, finde ich.

Aber das war's dann leider auch schon mit den positiven Dingen.

1. Aus der Geschichte könnte man wirklich viel rausholen. Ich meine, das Ganze aufzulösen fände ich persönlich cool, aber schwierig und ich verstehe, wenn du sagst, dass du es nicht auflösen willst. Also, wieso wird jeder "Normalo" zu einer Hülle? Wieso Karl und Fred und Piet nicht? Für mich sind auch die Handlungen Karls ein bisschen zu unrealistisch, unpassend. Er wird von sämtlichen Mitarbeitern gehänselt und das erste, das er macht, ist sich um sie zu kümmern, sie zu füttern, usw. Natürlich ist das Teil der Message, die du rüberbringen willst,

Das gutmütige unterste Glied der Gesellschaft bringt die (selbsterklärt) über ihm Stehenden gut durch und zieht für deren Bedürfnisse noch "in den Krieg". Plötzlich in der absoluten Verantwortung gewinnt Dein Protagonist stetig hinzu, dabei hilft ihm seine triviale Gut/Böse - Unterscheidung.
, wie Felix-Florian festgestellt hat.
Aber für mich wirkt das einfach zu gezwungen und unecht. Und mit dem Setting könntest du da echt eine fiese Survival-Horror-Story hinbekommen. Am Anfang war ich voll drin in der Story und dachte mir: Yay, das ist 'ne richtig coole Idee. Und dann hast du irgendwie das ganze Gas rausgenommen.

2.

verliess
und viele, viele mehr, schreibt man alle mit ß.

3.

Die Halle war gross, durch die hohen Fenster strahlte das Sonnenlicht eine angenehme Wärme.
Ist finde ich ein komischer Satz. Durch die hohen Fenster fielen die Sonnenstrahlen herein und erwärmten die große Halle. Aber bei deinem Satz fehlt irgendwas.
„Sir, geht es ihnen nicht gut?“, versuchte Karl abermals herauszufinden, was mit Herrn Klopp los war.
Auch das ist kein deutscher Satz. Der zweite Teil stimmt nicht.
Solche Fehler hast du ein paar drin und ein paar Kommafehler.

4.

Mit einer Eisenstange bewaffnet, die er im Spind von Herrn Hessler gefunden hatte, machte er sich auf den Weg.
Was diese Nazis alles im Spind haben... Ist auch irgendwie schräg, 1. dass ein doch offensichtlicher Nazi Cheftechniker in einer anscheinend doch relativ großen Firma ist und 2. dass dieser eine Eisenstange in seinem Arbeitsspind aufbewahrt.

Ich hoffe, dass dir die Punkte ein bisschen helfen.

Grüße
Dex

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo wortzauberer,

finde ich eine sehr interessante Idee.

An einigen Stellen hatte ich den Eindruck, dass du dem Leser nicht so viel zutraust, daher auch die Adjektive wie "selbstzufrieden" und "verwirrt", die klären sollen, aber es wäre besser, sie wegzulassen, da man aus der Story, Gesichtsausdruck etc. das selbst rauslesen kann.

Mir gefällt die Idee super, glaube aber, man könnte noch einiges kürzen, wie oben schon erwähnt wurde.

Die Umgangssprache würde ich auch noch ändern (grunzte vor sich hin, wie von der Tarantel gestochen).
Insgesamt berührt sie glaube ich aus oben genannten Gründen noch nicht. (Sorry, ich gebe zu, ich checke die Zitierfunktion hier noch nicht, aber hoffentlich in Bälde so schöne Zitate wie oben.)
Du hast schon super Feedback bekommen, ich hoffe, das hilft dennoch etwas weiter!

Gruß
kasusanna

PS. Schreibst du nach Schweizer Art? Dann wäre die ss-Schreibung ja legitim.

 

Vielen Dank schonmal für die vielen Rückmeldungen!
weltenläufer

Diese Schelte allerdings, nee, die streich mal wieder. 1. kippt das vollkommen aus dem Erzählton deines Erzählers und zweitens sticht da unnötig der moralische Zeigefinger hervor. Unpassend. Du drückst auch schon so sehr stark auf die Tränendrüse, also wie der arme Karl da behandelt wird. Gibt es alles, ganz klar, aber hier scheint ja einfch jeder ein Arsch zu sein Da würde ich auch runterdrehen. Auch 4x hintereinander die Sache mit den Kügelchen ... Weiß nicht.

Da hast du recht. Werde ich anpassen. Und allgemein nochmals drüber gehen und kürzen.

Auch vielen Dank für die einzelnen Quote's, damit hilft du mir extrem! Habe ja wirklich einige komische Sätze drin ;)

Dexter

Und dann hast du irgendwie das ganze Gas rausgenommen.
Dex

Ab wann, findest du denn, habe ich das Gas rausgenommen?

Danke, werde einige Punkte, die von dir angesprochen werden nochmals überarbeiten.


kasusanna

An einigen Stellen hatte ich den Eindruck, dass du dem Leser nicht so viel zutraust, daher auch die Adjektive wie "selbstzufrieden" und "verwirrt", die klären sollen, aber es wäre besser, sie wegzulassen, da man aus der Story, Gesichtsausdruck etc. das selbst rauslesen kann.

Die Umgangssprache würde ich auch noch ändern (grunzte vor sich hin, wie von der Tarantel gestochen).


Auch dir danke für deine Rückmeldung - bei mir ist es schon eine Weile her, seitdem ich "On Writing" gelesen habe, deshalb super, dass du mir gleich einige Dinge, die auch der Meister immer wieder sagt, mir gleich aufzeigen konntest. Danke!

Und ja, ich schreibe nach Schweizer Art. Deswegen die vielen "doppel-S-Fehler".

Ich möchte zwar King's Schreibstil nicht nachmachen, sondern meinen eigenen Schreibstil entwickeln, dass aber einige von euch parallelen zum Meister des Horrors sehen, ehrt mich ein wenig ;)

Vielen Dank für die vielen Feedbacks. Ich hab jetzt einiges vor mir ;)

Grüsse
Wortzauberer

 

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