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Der Herr über Leben und Tod

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11.04.2016
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Der Herr über Leben und Tod

Ich schließe die Augen. Das metallische Klicken der sich drehenden Trommel dröhnt in meinen Ohren und jedes Klick kann den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Ich spüre den Griff in meiner schwitzenden Rechten und drehe die Trommel mit der linken Hand. Ich drehe sie immer wieder, aber mir fehlt das Gefühl. Ich kann es nicht anders nennen, Gefühl trifft es am ehesten. Das Gefühl, dass alles richtig ist. Dass die Kammer leer ist. Dass alles gut sein wird. Andere nennen es Instinkt, Bauchgefühl oder Intuition. Es gibt sogar solche, die es Vorsehung nennen. Aber wer bin ich schon, dass ich über diese Menschen urteile?
Mir schießt ein Gedanke durch den Kopf: Wenn mich jemand fragt, warum ich das tue, was würde ich antworten? Nun, weil ich das kann. Andere Menschen sind Ärzte, Polizisten, Ingenieure oder Lehrer, weil es das ist, was sie können und gern machen. Ich kann das hier. Mache ich das denn gern? Ja, sehr sogar. Meine Sucht ist Adrenalin. Am liebsten mag ich den Moment kurz bevor ich abdrücke. Ich liebe die Illusion, ich sei der Herr über Leben und Tod. Als sei eine unsichtbare Kraft beteiligt, die die Trommel in die richtige Position bringt und für die ich lediglich die Richtung zeige. Zwar habe ich alles in der Hand, aber trotzdem wird die Entscheidung darüber, wer lebt und wer stirbt, nicht in meinem Kopf getroffen. Alles wird entschieden, sobald die Trommel anhält. Und ich kann diese Entscheidung nicht verändern.
Ich höre eine ungeduldige Stimme, die mich aus meinen Gedanken reißt:
„Na mach schon, wir haben nicht ewig Zeit.“
Ich öffne die Augen. Ich sehe die unrasierten Visagen, die von einer einzigen Glühbirne im Raum angeleuchtet werden. Ich sitze mit ihnen an einem runden Tisch, in dessen Mitte ein sehr großer Haufen mit Geld und einigen Wertgegenständen liegt. Die anderen sehen mich gespannt und erwartungsvoll an. Eine der Visagen bleckt die gelben Zähne vor unbändigem Blutdurst. Vor mir liegt ein Zettel, auf dem mit meiner Schrift die Zahl 3 steht. Ich drehe die Trommel erneut und plötzlich spüre ich es. Es wird alles gut. Zuversichtlich spanne ich den Hahn und lege mir die Mündung des Revolvers an die Schläfe. Alle sind sehr angespannt, niemand merkt, wie ein brennender Zigarettenstummel ein Loch in die speckige Tischdecke brennt. Nur kurz spiele ich mit dem Gedanken, die Mündung der Visage entgegen zu halten, aber ich spüre, dass der Inhalt dieser Kammer für mich gedacht ist und für niemanden sonst. Handle ich dem zuwider, ist es mein Tod. Aber mir geht es gut. Die Entscheidung wurde gefällt. Ich drücke ab.
„Ach verdammt!“ - brüllt die Visage voller Enttäuschung. Alle außer mir stehen auf und gehen murrend. Ich entlade drei Patronen und drei Hülsen aus dem Revolver und beginne meinen Gewinn zu zählen. Das Hochgefühl breitet sich noch immer in meiner Brust aus und erfüllt mich mit einer Freude, die über die einfache Freude, am Leben geblieben zu sein oder ein Spiel gewonnen zu haben, hinausgeht. Es ist nicht nur Adrenalin. Es ist der Triumph der unsichtbaren Kraft, der mich berauscht. Das würde ich um nichts auf der Welt aufgeben.
„Sind Sie der, den man Lucky Jo nennt?“ - höre ich jemanden fragen.
Ich hebe den Kopf. Vor mir steht ein junger Mann, gepflegt, sicher nicht arm. Ich habe ihn hier noch nie gesehen, aber ich bin zu berauscht, um argwöhnisch zu sein.
„Bin ich. Wollen Sie spielen?“
„Richtig. Ich setze 10 Dollar.“
„Dann nehmen Sie Platz.“
Ich schere mich nicht um das Risiko, denn alles wird gut. Während der Fremde sich hinsetzt, räume ich meinen letzten Gewinn in meine Taschen und lege den Revolver mit den Patronen, den Hülsen und dem Notizblock mit einigen Bleistiften in die Mitte des Tisches. Jeder von uns nimmt einen Zettel und einen Stift und legt einen Schein vor sich hin. Diesmal schreibe ich eine eins auf den Zettel. Als ich und der Fremde uns gegenseitig die Zettel zeigen, steht auf beiden die gleiche Zahl geschrieben. Dann geht es los. Ich befülle den Revolver mit einer Patrone und fünf leeren Hülsen und reiche ihn dem Fremden. Dieser dreht die Trommel einige Male, hält sich den Revolver unter das Kinn und drückt ab. Die Waffe gibt ein hohles Klicken von sich. Dann nehme ich sie und fange an, die Trommel zu drehen. Ich drehe sie mehrmals und warte wieder auf das Gefühl. Und da ist es, alles wird gut. Ich spanne den Hahn und führe die Waffe an meine Schläfe. Plötzlich langt der Fremde über den Tisch und packt den Revolver. Ich drücke ab. Der Schuss ist ohrenbetäubend und die Kugel bohrt sich in die Decke. Fassungslos starre ich ihn an. Das Hochgefühl ist fort, ebenso wie der Rausch. Ich bin wie betäubt. Der Fremde setzt sich wieder auf seinen Stuhl.
„Das wäre sehr bedauerlich, wegen zehn Dollar den Löffel abzugeben.“ - sagt er.
Hat der Fremde es gewusst? Hat er es geahnt? Oder war es pures Glück? Es spielt eigentlich keine Rolle. Die Entscheidung stand fest, ich sollte heute Abend sterben. Ich wies der Kugel die Richtung und wäre der Fremde nicht hier, wäre ich jetzt tot. Was bedeutete das? War er stärker, als die unsichtbare Kraft? Stärker als sie und ich, weil er die Richtung änderte und die getroffene Entscheidung revidierte? Nach dem Warum frage ich gar nicht, diese Frage habe ich mir abgewöhnt. Ich spüre den eisigen Klumpen in meinem Magen. Die Dunkelheit fühlt sich feindselig und bedrohlich an. Ich bin hier nicht mehr erwünscht. Ich stehe auf und laufe auf wackelnden Beinen zum Ausgang. Der Fremde schweigt. Ich stolpere und habe das Gefühl, als würde die unsichtbare Kraft mich hinaus drängen und verstoßen. Sie wird mich nun verfolgen, plötzlich weiß ich es. Beim nächsten Spiel wird sie die getroffene Entscheidung nachholen. Ich renne in Panik hinaus und sprinte so schnell ich kann fort.
Ich werde nie wieder an diesen Ort zurückkehren.

 

Hallo zusammen,
dies ist ein spontanes Kurzgeschichten-Experiment für mich, weil ich sonst Kurzgeschichten auf andere Art und Weise schreibe. Ich hoffe, es ist mir gelungen. Haltet euch mit Kritik nicht zurück, ich bin sehr gespannt. Vielen Dank im voraus!
Grüße
Pantoffelheld

 

Hej Pantoffelheld,

es ist auch für mich ungewohnt, mit der Tür ins Haus zu fallen und so brauche ich einen Augenblick, um zu realisieren, was wo los ist.
Erst vermutete ich einen Auftragskiller à la Léon. Als sich das nicht bestätigte, merke ich, dass mir trotz aller Bemühungen deinerseits, die Gefühlslage deines Protagonisten, die Motivation des Spielers fehlt. Adrenalin reicht mir nicht. Das dürfte tiefer gehen, oder angedeutet subtil bleiben.
Dass bei einem Ich-Erzähler es zum Äußersten hätte kommen können, war eh ausgeschlossen (oder so gut wie) und so war ich am Ende nicht mal überrascht, dass es einen Helden geben würde.
Irgendwie auch schade.

Dennoch hast du deinen Versuch nicht umspannend unternommen, nur eben vorhersehbar.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Pantoffelheld

so unvermittelt anzufangen geht gut bei Kurzgeschichten. unvermittelt anfangen und aufhören auch. muss halt passen. man kann ja Ausschnitte zeigen, die viel offen lassen und trotzdem das Wesentliche erzählen. zum Beispiel weil sie auf allgemein Bekanntem basieren - so dass eben der Leser das Bild vollendet.
es muss nicht alles auerzählt werden, und wenn es so tausend Mal gesehene und gehörte und gelesene Geschichten sind wie die hier, wäre es eine Idee, möglichst wenig zu erzählen oder zu zeigen, und sich dafür auf einen Aspekt zu konzentrieren und den auszubauen.

hier ist in meinen Augen das eigentliche Thema nicht wie die Situation aussieht und Revolver hier und eine Handvoll Dollar da, sondern eigentlich spannend wird es zum Schluss, als deine Figur sich Sorgen macht, geschnappt zu werden, vom Tod, vom Schicksal, was weiß ich.

das ließe auch eine spannende Mehrfachlesart zu: wenn er verfolgt wird oder ihm was passiert - liegt das daran, dass er dem Tod von der Schippe gesprungen ist oder zieht er Gefahren jetzt an, weil er sich darauf konzentriert? will ihn einer erledigen aus der Runde die russisches Roulette spielte, um diesen Eingriff auszugleichen? du könntest falsche Fährte legen und so.
dein Titel deutet ja eigentlich auch in die Richtung - aber so ist die Idee nicht mehr als ein origineller Einsprengsel am Schluss.

geht das auch mit fünf-Finger-Filet und nem Messer? in Deutschland mit Euros? das fühlt sich sonst so falsch an...

jetzt ist's halt ne Skizze eines Themas, das man zu oft gelesen und gesehen hat, meistens von Menschen, die keine Ahnung haben, wie so was aussehen könnte, aber jetzt mal die Medien und INhalte reproduzieren wollen, von denen sie selbst beeindruckt sind.

Gruß, Kubus

 

Hi Pantoffelheld!

Ich fand die Geschichte keineswegs unvorhersehbar. Zumindest nicht für mich. Die Form ist schön flüssig und es ist ein Leichtes dem Sinn des Textes zu folgen.
Eine Formulierung fand ich jedoch ziemlich eigenartig:

. Ich spüre den Griff in meiner schwitzenden Hand und drehe die Trommel an meinem linken Arm
Es müsste doch wenn schon heißen "Mit meinem linken Arm" oder viel besser wäre so etwas wie "mit der links Hand" oder etwas in der Art. Der Teil hat mich nur etwas aus dem Lesen gerissen.
Ansonsten fand ich den Text sehr gut!

 

Hallo Pantoffelheld :)

An sich hat mir deine Geschichte gut gefallen und ich kann nichts finden, das mir grob auffällt oder irgendwie besonders stört. That being said, hier doch noch ein paar kleinere Verbesserungsvorschläge:

Es gibt sogar solche, die es den sechsten Sinn nennen. Aber wer bin ich schon, dass ich über diese Menschen urteile?

Der zweite Satz ist für mich nicht notwendig, weil der erste nicht wirklich etwas Verurteilenswertes enthält. Vielleicht könntest du den ersten Teil weiter ins Extreme ziehen.

Alle sind sehr angespannt

Das ist reine Geschmackssache, aber ich würde es vermeiden, Adjektive mit "sehr" zu bestärken, wenn es möglich ist. Nimm lieber ein aussagekräftigeres Adjektiv.

Dieser dreht die Trommel einige Male, hält sich die Trommel unter das Kinn

Ich finde die Wortwiederholung stört den Lesefluss ein wenig, und "dieser" ist als Satzanfang etwas klobig.

Das Hochgefühl ist fort, ebenso wie der Rausch

Sind Hochgefühl und Rausch nicht so ziemlich das Selbe?

Das war's auch eigentlich schon, hauptsächlich stilistische Sachen. Mir gefällt der Ton und die Stimmung der Geschichte trotzdem sehr gut.

Viel Spaß noch beim Schreiben!

 

Erstmal vielen Dank an alle, die sich für die Kurzgeschichte Zeit genommen haben.

Kanji: Adrenalin ist eine Sache, die am einfachsten zu erklären ist. Seinen Lieblingsmoment und warum er ihn so mag kann man wohl kaum mit einem Wort beschreiben. Adrenalin kommt da am nächsten.
Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, den Protagonisten sterben zu lassen. Ich fand es aber nicht so schön im Vergleich zum Endergebnis. Wenn er stirbt, kann man sagen "das zeigt die Sinnlosigkeit seines Tuns, wegen so wenig sein Leben zu lassen." In der Kurzgeschichte bleibt der Aspekt immer noch bestehen, aber es kommt eine mystische Komponente dazu: Wer war der Fremde? War diese "unsichtbare Kraft", die der Protagonist zu spüren glaubt, ein Produkt seiner Einbildung oder etwas real existierendes, was aber nicht jeder wahrnehmen kann? Diese Fragen wollte ich eigentlich beim Leser auslösen.

Kubus: Es tut mir wirklich Leid, aber ich glaube ich habe deine Kritik nicht verstanden. Ich weiß nicht genau, was du damit sagen willst.

Der Kommissar: Doppelte Verneinung am Anfang, ich bin mir nicht sicher, ob das beabsichtigt war, weil du das nicht näher ausgeführt hast.

A Wilde: Ich dachte, dass Hochgefühl ein Synonym für große Freude ist. Der Unterschied zum Rausch läge darin, dass beim Rausch auch Sinne betäubt werden. Das war beim Schreiben mein Gedankengang.

 

Hallo Pantoffelheld,

Dieses Spiel mit Leben und Tod kenne ich als Russisches Roulette. Es wurde wohl gerne von Offizieren gespielt und zeigte eine morbide Faszination, sein Leben ganz dem Zufall zu überlassen. Faszination sehe ich auch bei deinem Protagonisten mit seiner Sucht, den Zufall oder das Schicksal zu beherrschen und dies immer wieder beweisen zu müssen.

Früher hätte man den Ausgang der Geschichte als Eingreifen des personifizierten Schicksals interpretiert oder einer göttlichen Instanz, die den Menschen in seine Schranken weist.

Hat mir gut gefallen, gerade auch weil die Story sehr reduziert ist ohne Ablenkungen von der Grundidee.

Insofern ist dir deine Erzählabsicht gelungen. Sprachlich gibt's für mich nichts zu kritisieren. Interessanter Versuch.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

wieselmaus:
Vielen Dank für die Rückmeldung :) Man freut sich immer, wenn es Lesern gefallen hat.

Gruß
Pantoffelheld

 

Pantoffelheld

Es tut mir wirklich Leid, aber ich glaube ich habe deine Kritik nicht verstanden. Ich weiß nicht genau, was du damit sagen willst.

etwas konkreter müsstest du schon werden. bei so einer allgemeinen Aussage, weiß ich natürlich nicht, was ich verdeutlichen oder anders sagen könnte. in meiner Rückmeldung war ja mehr als ein Punkt angesprochen. Versuch einer Verdeutlichung: der Text ist voller Klischees, hat aber Potential für einen originellen Gedanken, das nicht genutzt wurde.

 

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