Der Hebelmacher
Er war.
Er war ein einfacher Mann. Er war ein alter Mann, man sah es ihm jedoch nicht an. Er war nicht sonderlich groß, aber auch nicht sonderlich klein. Er war, obwohl es nicht so schien, sehr gebildet. Seit 23 blutigen Sommern lebte er in der Stadt Gunduzahn, in einer kleinen Werkstatt. Sein Heim befand sich in einer kleinen Gasse, zwischen den großen Häusern der Innenstadt. In diese Gasse fuhren keine Pferdegespanne, und nur zwielichtige Gestalten trieben sich dort umher. Er war jedoch keine zwielichtige Gestalt. Nur die wenigsten wussten, dass er dort lebte und arbeitete. Noch weniger wussten an was er dort arbeitete. Sie hatten nur gehört, dass er sich Hebelmacher nannte. In mancher Nacht hörte man aus der Gasse unnatürliche, unmenschliche Schreie. Wenn an den darauffolgenden Tagen die Wachen der Stadt die Häuser durchsuchten, gab es keine Spur jeglicher Gräueltaten. Niemand wusste ob in der Werkstatt des Hebelmachers überhaupt etwas geschah. Nur der Hebelmacher wusste dies. Er wusste dass die Wachen nie etwas finden würden. Er wusste, dass es ihr Tod wäre.
"Haben sie letzte Nacht irgendetwas gehört oder gesehen?", fragte die Stadtwache, schien an der Antwort jedoch desinteressiert zu sein. Der Hebelmacher sagte das gleiche wie immer, es schien schon fast ein Ritual geworden zu sein. "Ich habe Schreie gehört, jedoch nichts gesehen." Hätte er geleugnet etwas gehört zu haben, wäre man misstrauisch geworden. Die Wache spuckte auf den vom Regen aufgeweichten Boden und ging ohne ein Wort. Der Hebelmacher stand noch einen Augenblick in der Tür seiner Werkstatt und sah der Stadtwache hinterher. Die Wache klopfte an der nächsten Tür und die Befragung begann erneut. Der Hebelmacher zog die Tür hinter sich zu und ließ die verregnete Außenwelt hinter sich. Gemächlich schritt er zu seinem Schmiedefeuer und drehte den massiven Eisenstab. Das Eisen war so heiß, dass es schon weiß glühte. Er ließ den Stab los und ging an das andere Ende der Werkstatt. Dort angekommen bückte er sich und öffnete eine Falltür im Boden. Eine schmale Treppe führte in die alles umfassende Dunkelheit. Sein Blick verlor sich in ihr. Ein leises Grollen drang an sein Ohr und er richtete sich wieder auf. Aus einer Ecke holte er sich seinen abgenutzten Lederhandschuh, welche die Hitze von seinen Fingern abhalten konnte. Auch hier konnte er das tiefe Grollen hören, was ihn zur Eile antrieb. Gefassten Schrittes bewegte er sich zur Tür und sperrte sie ab. Sein müder Blick war stahlhart. Er erschauerte jedoch, wenn er an seine Aufgabe dachte. Seinen Handschuh überziehend, griff er nach der glühende Eisenstange.
Er ging die Treppe hinab. Hinter sich zog er die Falltür zu und sperrte sie ab. Nur noch das Glühen der Stange spendete ihm Licht. Ein reines Licht. Beim Abstieg verdampfte die Feuchtigkeit von den aus Felsblöcken errichteten Wänden, wenn er mit der Eisenstange zu nahe kam. Nach einigen hunderten Schritten erreichte er einen Raum. Das Grollen war während des Abstiegs immer lauter geworden, jetzt jedoch war es ohrenbetäubend. Der Hebelmacher blickte auf und sah die leuchtenden Linien des Pentagramms auf dem Boden. In dem Schutzkreis befand sich etwas, was noch dunkler als die absolute Finsternis war.
Ein Dämon.
Der Dämon brüllte vor infernalischer Wut und warf sich immer wieder gegen die Grenzen des Pentagramms. In das Gesicht des Hebelmachers schlich sich trotz seiner schrecklichen Aufgabe ein Lächeln. Er bereute es immer wieder dieselbe Aufgabe zu erfüllen, doch sie war sein Schicksal. Sie war der Preis der Welt und seiner Unsterblichkeit. Als der Dämon seine Anwesenheit spürte wurde er noch zorniger. Die Grenzen des Pentagramms flackerten immer stärker auf, wenn der Dämon sich gegen sie warf. Der Hebelmacher wusste, dass sie halten würden. Sie hatten schon sein Anbeginn seiner Existenz gehalten. Er ließ seinen Blick einen kurzen Moment auf der Treppe, der Freiheit, verharren, bevor er in das Pentagramm trat. Sofort wurde er von dem Dämon erfasst und mit gewaltiger Wucht auf den Boden geschleudert. Er hatte die Stange fest im Griff, als der Dämon von ihm Besitz zu ergreifen versuchte. Als der Dämon seinen Fehler bemerkte war es zu spät. Das Gesicht des Hebelmachers verzog sich zu einer Fratze, während er im Geiste gegen den Dämon ankämpfte. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. In wenigen Augenblicken würde sich der Dämon befreien, doch sie wussten beide, dass es nie dazu kommen würde. Das Schicksal des Dämonen war endgültig. Der Dämon und der Hebelmacher schrien auf, als die Eisenstange sich bis zum Herzen durchbrannte. Beide krümmten sich vor Schmerzen, doch der Hebelmacher konnte die Stange nicht herausziehen, da Eisen und Dämonen sich anziehen. Der Todeskampf dauerte etliche Stunden. Der Hebelmacher starb. Der Dämon beherrschte nun den ganzen Körper, war jedoch vom Eisen gelähmt. Er schrie die ganze Nacht hindurch, er ließ nur noch eine tote Hülle zurück, als auch er vom Nichts erfasst wurde.
Am nächsten Morgen klopfte ein kleiner Junge an der Tür der Werkstatt. Ein erschöpft wirkender Mann öffnete. "Hier sind ihre Äpfel", sagte der kleine Junge schnell und verschwand aus der Gasse. Der Mann stellte den Korb in seiner Werkstatt ab und biss herzhaft in den saftigen Apfel.
Er war ein einfacher Mann. Er war ein alter Mann, man sah es ihm jedoch nicht an. Er war nicht sonderlich groß, aber auch nicht sonderlich klein. Er war der Hebelmacher.
Er war.