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Der Hamster in Dir

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22.09.2002
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Der Hamster in Dir

Maurice starrte benommen aus einem geöffneten Fenster, dessen Hintergrund sich von Moment zu Moment veränderte und das in dem einen Augenblick verschlingendes Schwarz, im nächsten wieder diffuses verzerrtes Glühen darbot. Seine kurzen schwarzen Haare zitterten dramatisch im von außen hereinwehenden Wind und erweckten dabei den Eindruck einer verdorrten und zuletzt abgebrannten Kuhwiese. Zumindest versuchten sie das. Zur Perfektion fehlte noch eine verdorrte und zuletzt abgebrannte Kuh.
Das unermüdliche Wechselspiel des lebendigen Bildes des Fensters in seinem Blickfeld, erinnerte ihn an seinen alten Fernseher, welcher damals ebenso vergessen zu haben schien was er war und was er zu tun hatte, was sich darin äußerte, dass dieser, wenn überhaupt noch etwas, dann verwirrende Ansammlungen schwarzer und weißer Punkte zeigte, in denen Maurice nur selten einen ausreichenden Sinn fand um länger als eine halbe Stunde davor stehen zu bleiben.
Ein guter, und so wie er sich selber gerne darstellte, technisch ungemein versierter Bekannter, hatte ihm damals empfohlen sich einen Spezialisten für derartige Probleme kommen zu lassen, doch Maurice lehnte dankend und traurigen Blickes ab.
Lebendige blaue Augen schienen in dem Moment, des technisch ungemein versierten Bekannten Seele zu ertasten. Zäh floss die Zeit um die beiden herum als Maurice Lippen sich behutsam öffneten um ebenso behutsame Worte hindurchzulassen.
„Alles in meinem Leben, so wie auch Du Teil meines Lebens bist, hat seine eigene Zeit. Es hat seinen eigenen Anfang und ein nicht minder individuelles Ende. Ganz zu schweigen von dem Abschnitt der sich dazwischen verbirgt. Und wenn dieses Ende, entgültig in seiner Form, den Ort erreicht, an dem Du Deine Existenz beschreitest, wäre es schlicht töricht sich ihm in den Weg zu stellen. Du würdest diese Zeit behindern, Du würdest verhindern, dass sich ein Bogen zu einem Kreis schließen, dass aus barer Schönheit pure Vollkommenheit werden kann.“
Maurice versuchte den offensichtlich verwirrten, wenn auch eindeutig technisch versierten, Blick seines Gegenübers zu erfassen, ehe er schon kurz darauf traurig und seine Augen schließend das Gesicht dem Boden zuwendete.
Gedankenfluten rasten wie surfende, kalifornische, braungebrannte Muskelmänner mit mindestens zwei ebenso braungebrannten kalifornischen Busenwundern auf ihren Rücken durch seinen Kopf, während der Blick des Bekannten darauf hindeutete, dass sich dahinter höchstens eine Gedankenpfütze ähnlich einem zu oft benutzen Kinderplanschbecken im Hochsommer verbarg, welches einen verzweifelten Weg aus überaus großen Ohren suchte, weil das Gehirn im Begriff war sich selbst zu erwürgen.
Die Flut seiner Überlegungen spülte Maurice zu seinem Fernseher, wo seine Hand das Kabel aus einer dunkelblauen Steckdose entfernte um danach gemeinsam mit der anderen und der Hilfe der daran anschließenden Arme, das altertümliche Gerät anzuheben, zur Balkontür zu tragen und über das Geländer zu werfen.
Einen tragischen Augenblick später erging sich der Fernseher in einem lauten unabwendbaren Schicksal, begleitet von einem kurzen markanten Schmerzensschrei.
Maurice drehte sich wieder seinem Bekannten zu und lächelte.
„Siehst Du? Aus einem Bogen, wurde ein Kreis.“
Maurice lächelte noch breiter, hob die rechte Augenbraue scheinbar bis zur Mitte seiner Stirn und bedachte seinen Bekannten mit einem verschmitzten Blick.
„Bogen. Kreis.“
Interessiert betrachtete er das ihn ungläubig anstarrende Gesicht seines Bekannten, fand aber außer einer verblüffenden Ähnlichkeit mit einem dem Tode geweihten Kaninchen nicht wonach er suchte.
Wie so oft, wie er sich in diesem Moment erneut bewusst wurde.
Maurice sah viele Dinge; und die meisten davon in vielerlei Hinsicht anders.
Anders als die meisten Menschen die sich in der Welt bewegten die er wahrnahm, betrachtet er seine Umwelt nicht entlang ihrer sichtbaren Linie, sondern unterhalb davon.
Kaum merklich einer, wie er meinte, stupiden Realität entrückt, die sich nach und in seinem Handeln formte.
Dabei kam es gelegentlich vor, dass er bei der Betrachtung der Unterseite der Wirklichkeit den oberen Teil übersah.
Er genoss den kühlenden Luftzug der sein Gesicht liebkoste und an der Nase vorbeiziehend, seine Ohren passierend, ein eigentümlich schönes und sanftes Geräusch in seine Welt rief.
Maurice schaute mit einem milden Blick auf seine Hand.
„Weißt Du eigentlich das, na ja, sagen wir, Schwarz nicht unbedingt Schwarz ist? Kannst Du Dir vorstellen, dass die Nacht in die wir schauen, so viel mehr enthält als nur fehlendes Licht? Das Schwarze der Nacht ist durchflutet mit dem Flüstern eines beständig voranschreitenden Lebens, in dem sich in und auf der Dunkelheit treibend Angst und Hoffnung, Trauer und Freude, Hingabe und Verlust, unzählige gefühlte Emotionen, erlebte Momente, befreite Gedanken und verschwitzte Körper bewegen.
Und wenn Du anstatt Deiner Augen Deine Nase in die Nacht steckst, was denkst Du wirst Du riechen?
Nicht bloß die langsam herabsteigende Smogglocke des mittäglichen Berufsverkehrs oder den Gestank des vor zwei Stunden noch essbaren aber auf dem Herd stehen gelassenen Mitternachtssnacks der unter dir wohnenden Nachbarin. Nein, auch der Geruch der ausgesprochen lauten Vereinigung mit ihrem Nachbarn der dazu führte das der Mitternachtssnack sich untrennbar mit der Pfanne verband, wird darin zu finden sein. Du wirst den Duft des Lebens darin wahrnehmen und zugleich den geschichtenerzählenden Geruch der Vergangenheit erfahren.“
Das Spiegelbild seiner Lippen bewegte sich synchron mit seinen und warmer Atem kondensierte auf einer kalten Scheibe als er bei den letzten Worten seinen Kopf wieder hob.
Seine Hand folgte ihm und warf den darauf sitzenden panikerfüllten Hamster in hohem Bogen durch die Öffnung in eine neun Stockwerke tiefer liegende und von mit geschichtenerzählender, vor-sich-hin-duftender Vergangenheit durchtränkte Freiheit.
„Flieg, kleiner Hamster, flieg!“ rief er dem flugunfähigen Tier hinterher als dieses mit der Dunkelheit verschmelzend in einer malerischen, sternenerfüllten Nacht verschwand.
Er überlegte kurz und rief dann noch etwas lauter „Ich glaube Treib oder Schwimm passt in Anbetracht der Nacht ein bisschen besser in deine derzeitige Lage. Also Schwimm oder Treib kleiner Hamster! Ich bin mir sicher, du machst das richtige.“
Bei Tieren, dachte Maurice, nennt man das Instinkt.

 

Hallo PatrikD,

ein ungewöhnlicher Text. Die Sprache, die originellen Vergleiche, das ironische Element haben mir gut gefallen. Der zweite Absatz schreit zwar nach einem Punkt, aber ansonsten kann man die Geschichte ihrem Erzähltempo entsprechend flott lesen.
Der philosophischste Absatz ist der mit „Alles in meinem Leben“ und der Aspekt des „Bogens“, der zur „Vollkommenheit werden kann“. Hier hätte ich mir noch mehr Ausführungen gewünscht.

Tschüß... Woltochinon

 

Hola Woltochinon!
Ich habe den philosophischen Teil aus purer Gemeinheit heraus in dieser Kürze belassen.
Maurice beschäftigt sich in seinem MOnolog mit dem Ende allen Endens an sich.
Dem Ende des Lebens des Fernsehers und bezieht es auf das Leben im Allgemeinen.
Durch seinen realitätsunterschwimmenden Mund spreche ich hier also vom Tod und seiner Notwendigkeit im menschlichen Leben und davon, dass auch ER einen Teil der Schönheit desselben bildet.
Zudem ist ein Bogen Sinnbild für Aufstieg und Niedergang.
Nicht umsonst beschreibt die Sonne einen solchen und verzierten die guten alten(ausgestorbenen) Römer ihre Bauten mit diesem ausdruckskräftigen und architekturstabilisierenden Bild.
Findest Du die Bildsprache zu komplex oder zu undeutlich?

 

Hallo PatrikD,

also- für mich ist die Bildsprache gut getroffen und originell. Allerdings mag ich diese Art von Stil auch besonders, bin also nicht neutral. Äußerst interessant fand ich die Wortschöpfung „Gedankenpfütze“, vor allem im Zusammenhang mit „Kinderplanschbecken“. In meiner Geschichte „Eine Erzählung“ habe ich ein ähnliches Bild entwickelt.
Deine Meinung über den Tod wird gut deutlich, auch wenn ich mit der schon oft geäußerten Meinung des `Schönen im Tod´ nicht anschließen kann. Mir kommt das immer wie `das Pfeifen im Keller´ vor, vielleicht impliziert man, ist wenigstens das Ende nicht so schlimm, wenn schon das Vorher schwierig ist.
Dem Hamster den Wunsch, er solle doch fliegen können, mitzugeben, ist da auch ein Hoffnungsschimmer, außerdem ist es ein ausdruckstarkes Bild.

Tschüß... Woltochinon

 

Danke, ich gebe mir viel Mühe mit meiner Bildsprache, auch wenn insbesondere mein näheres Umfeld damit selten klar kommt, denn ich rede teilweise so wie ich schreibe.
"Das Pfeifen im Keller" hatte er gesagt, Maurice es im selben Moment gehört und während dunkelschwarze Bilder verängstigt durch seinen Kopf huschten musste er unwillkürlich schmunzeln.
Aber mal ernsthaft, teilweise hast Du recht, teilweise triffst Du nicht ganz.
Natürlich SINGE ich geradezu im Keller, wenn ich mal wieder in einer dieser Situationen stecke, in denen der Bogen einen Kreis zu beschreiben droht, aber gerade deswegen finde ich mich, auch meiner bisherigen Erfahrungen wegen, so leicht damit ab.
Und akzeptiere es in der Tat als etwas, dem man gelassen, mit einem Schmunzeln auf den Lippen begegnen sollte.
Das Leben im Allgemeinen ist immer so schwer wie man es sich macht. Sicher, der ein oder andere hat es schlechter getroffen als wieder der ein oder andere. Aber im Großen und Ganzen ist jeder für sich selbst verantwortlich.
Wenn aber auch die Hingabe an die Eigenverantwortung nicht dazu führt, dass das Vorher gut oder erträglich wird, dann eben bleibt nur noch die Hoffnung, interessanter Weise von Dir bisher als einzigem erkannt, hier symbolisiert durch den Hamster.
Erstaunlich...
Verstehst Du nun warum eine Wüste schöner sein kann als eine ordinäre Oase?

 

Hallo PatrickD,

ohne Schmunzeln, sprich Humor geht es halt im Leben nicht. (Eine wichtige Erkenntnis).
Den Hamster in mir lasse ich fliegen, gebe ihn aber einen Fallschirm mit. Der Oase gönne ich ihr Dasein, in ihrem Kontrast kann sich die Wüste so richtig herausputzen.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Patrick,

ein schwieriger Text von Dir, in dem Du dem Leser viel zumutest. Manch einer wird bei Texten wie diesem gerne von künstlerischer Freiheit sprechen um damit alles zu legitimieren, was aus seiner Feder stammt. Streckenweise bin ich aber dennoch der Meinung, dass Du den Assoziationsbogen überspannst und nicht mehr nachvollziehbare Bezüge schaffen willst. Aber auch einige orthografische und grammatikalische Fehler sowie diverse stilistische Unzulänglichkeiten möchte ich noch entdeckt haben.

Beim Lesen fragte ich mich desöfteren, welchen Sinn Deine überbordende Bildersprache innerhalb der Erzählung haben könnte. Wie gern Du nämlich persönlich in Bildern erzählst, und das, wie Du erwähntest, auch privat tust, interessiert mich als Leser bzw. Konsument natürlich nicht. Und lyrische Sprache sollte nicht um seiner selbst Willen zum Einsatz kommen!

Ein Detail von vielen, bei denen ich unwillkürlich die Augen verdrehen musste:

Maurice sah viele Dinge; und die meisten davon in vielerlei Hinsicht anders.
:rolleyes:
Sätzen wie diesen fehlt einfach jegliche Aussagekraft! Schwammiger könntest Du Dich gar nicht mehr ausdrücken. Ich bin überzeugt davon, dass jeder x-beliebige Mensch auf Erden "viele Dinge sieht" und dabei "die meisten davon in vielerlei Hinsicht anders". So what? :(

Möglicherweise ist Dein Text leistungsfähiger, als es mir beim ersten Durchlesen bewusst wurde. Deine meiner Meinung nach allzu symbolgeschwängerte Ausdrucksweise versperrte mir allerdings leider den Zugang.


Gruß
Philo-Ratte

 

Hallo Patrick!

Ich habe Deine Geschichte vier Mal gelesen und stelle mir noch immer die selbe Frage, wie beim ersten Mal: Was soll das mit dem Hamster?

Ich finde einige Deiner Ausdrücke sehr schön, zum Beispiel

Zäh floss die Zeit um die beiden herum als Maurice Lippen sich behutsam öffneten um ebenso behutsame Worte hindurchzulassen.
Allerdings finde ich auch, daß Du den Bogen etwas überspannst mit der Geballtheit Deiner bildhaften Formulierungen.

Wenn der Tod das Schließen des Kreises ist, dann aber nur, wenn auch der Kreisbogen in seiner vollen Länge gezeichnet wurde. Nur dann kommt das Ende der Linie auch beim Anfang an. Ein gewaltsames Schließenwollen überspannt den noch zu kurzen Bogen und er bricht, es kommt zu keinem Schluß, keiner Schließung. Übrig bleibt eine verbogene Linie, die nie mehr die Schönheit eines Kreises erlangen kann.
Dein Protagonist versucht, gewaltsam Kreise zu schließen und hinterläßt lauter Scherben.

Alles liebe,
Susi
PS.: Fehlerkorrktur kommt noch... ;)

 

So, nun die versprochene Fehlerkorrektur bzw. stilistische Kritik:

"diffuses verzerrtes Glühen"
- ist zwar nicht grundlegend falsch, wäre aber schöner entweder "diffuses, verzerrtes Glühen" oder "diffus verzerrtes Glühen"

"hatte ihm damals empfohlen sich einen Spezialisten"
- empfohlen, einen

"schienen in dem Moment, des technisch ungemein versierten Bekannten Seele zu ertasten."
- ohne Beistrich (Komma)

"Du, Deine,..." (im ganzen Text)
- gehören in der neuen RS klein geschrieben, nur Sie usw. gehört noch groß

"wenn dieses Ende, entgültig in seiner Form, den Ort erreicht, ... ,wäre es schlicht töricht sich ihm in den Weg zu stellen."
- endgültig
- die ersten beiden Beistriche würde ich weglassen, dafür hier einen dazugeben: "schlicht töricht, sich ihm"

"wenn auch eindeutig technisch versierten, Blick"
- ohne Beistrich

"surfende, kalifornische, braungebrannte Muskelmänner"
"braungebrannten kalifornischen Busenwundern"
- entweder beide mit Beistrichen oder beide ohne. Ohne ist schöner.

"zu oft benutzen Kinderplanschbecken"
- benutzten

"Steckdose entfernte um danach"
- entfernte, um
"anschließenden Arme, das altertümliche"
- ohne Beistrich

"Aus einem Bogen, wurde ein Kreis."
- ohne Beistrich

"Weißt Du eigentlich das, na ja, sagen wir"
- eigentlich, dass naja (und das Du natürlich)

"unzählige gefühlte Emotionen"
- Emotionen sind Gefühle, das ist so, als würde da stehen gefühlte Gefühle. Vielleicht "dich verwirrende Gefühle" oder sowas?

"was denkst Du wirst Du riechen?"
- du, wirst du

"noch essbaren aber"
- essbaren, aber

"der dazu führte das der Mitternachtssnack"
- führte, dass

"Das Spiegelbild seiner Lippen bewegte sich synchron mit seinen und warmer Atem"
- mit seinen was?

"Ich glaube Treib oder Schwimm passt in Anbetracht der Nacht ein bisschen besser in deine derzeitige Lage. Also Schwimm oder Treib kleiner Hamster!"
- treib oder schwimm (2 x) - müßte es nicht "zu deiner derzeitigen Lage" heißen?

"das richtige"
- das Richtige

Alles liebe,
Susi

 

Hallo Susi,

ich dachte, die Sache mit dem Hamster wurde schon in den Anmerkungen geklärt?

Alles Gute,

tschüß... Siegbert

 

Lieber Siegbert!

Geklärt? Es stehen da Andeutungen, aber für mich kann ich trotzdem nichts damit anfangen. Absolut Null.

Alles liebe
Susi

 

Hallo susi,

warum gerade ein Hamster als Hoffnungssymbol fungiert, kann ich nur versuchsweise erahnen.
Der Autor der Geschichte lebt ja noch, ich will mich da nicht in den Vordergrund drängen...

Tschüß... Siegbert

 

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