Was ist neu

Der Hahn

Mitglied
Beitritt
25.09.2018
Beiträge
6
Zuletzt bearbeitet:

Der Hahn

„Opa, du weinst ja“, sagte der Steppke, als ich das Märchenbuch zuklappte und auf seinen Nachttisch legte. „Mein Papa sagt immer, große Jungen heulen nicht, bist du kein großer Junge?“
„So, so, sagt er das?“, fragte ich und wischte mir über die Augen. „Hat dir Papa nie von den Tränen erzählt, Basti, die man weinen kann aus Freude?“
„Nein. Muss man das, wenn man die Bremer Stadtmusikanten vorliest, vor Freude weinen?“
„Ich schon, mein Junge, ich schon. Ich hatte einmal einen Freund ...“
„Erzähl, Opa, erzähl! Ich schlafe dann auch bestimmt ein“, und dabei kuschelte sich der Junge in die Federn, wie ein Huhn in sein Nest.

Wie ein Huhn ...
Unser Bauernhof lag versteckt in einer Senke, umgeben von Wiesen und Bäumen, deren Blütenduft im Frühjahr bis hinunter zur Oker zog, und von Feldern, die im Herbst goldbraun leuchteten vom reifen Hafer.
„Komm da runter, Bismarck, los komm schon!“ Ich hüpfte im Hof auf und ab und wedelte mit den Armen in Richtung Dachfirst. Ich hatte Angst um unseren Hahn, der sich wohl in Übermut von der Erde gelöst und mit Zwischenstopps über Hundehütte und Misthaufen bis hinauf auf das Dach geflattert war. „Du Dämlack. Brichst dir noch die Knochen, komm endlich runter da!“, rief ich, aber meinem Freund war nach Triumph:
„Kikerikiiie, kikerikiiiie“, und dabei reckte er den Hals, als wolle er am Himmel anstoßen. Hätte er mal besser nach der Uhr gesehen, denn es war lichter Tag, nicht die Zeit, Leute zu wecken.

Es war nicht so, dass ich mir keinen anderen zum Freund hätte aussuchen können. Brake zum Beispiel, unseren Neufundländer, der in seiner Hütte faulenzte, wobei ich ihm oft neidisch vom Brunnenrand aus zusah, während meine Hände blutig wurden vom Kälberstricke-flechten. Oder Hilde, eine unserer Kühe, deren Blick aus Glubschaugen so wunderschön leer und deren Euter abends immer so wunderschön voll waren mit fetter warmer Milch, die ich so mochte. Oder sogar Martin, den Knecht. Konnte der doch mit seinen starken, tüchtigen Händen Körbe flechten und Kälbchen in die Welt helfen, aber mit seinem verkrüppelten Bein leider nicht einmal Fangen spielen.
Nein, mein bester Freund war der hochnäsige Bismarck. Und das nicht erst, nachdem er mir mit seinem Kikeriki das Leben gerettet hatte, als ich einmal in die Jauchegrube gerutscht war und noch nicht schwimmen konnte. Mit dem Gockel konnte man besser spielen als mit jedem anderen.
„Ich fange dich, ich fange dich“, rief ich und tobte hinter ihm her, durch das Gras, den Kies, über Pfützen und Kuhfladen. Und er immer vornweg. Erst langsam, fast watschelnd, dann rennend, flatternd, im Zickzack, wieder geradeaus, kreischend, wild fuchtelnd, um sich im letzten Moment unter den Brettern hindurch in das Hühnerhaus zu retten. Auf die oberste Stange. Sein „toook, tok, tock“, danach klang selten erschöpft, eher... angeberisch, wie: „Na siehste, mich kann keiner.“
Ich liebte dieses schwarz-kupferglänzende Geschöpf, wie es den Kopf fast fragend zur Seite legte, wenn ich auf ihn einredete. „Komm, wir spielen Versteck.“ Wenn ich dann, eine dünne Spur Körner hinter mir, im Kuhstall verschwand und der scharrende, pickende, tockernde Hahn Minuten später mit wippendem Kamm vor meinem Heuhaufenversteck auftauchte und mir erneut zu verstehen gab: „Na siehste!“

Es war eine schöne Zeit. Bis eines Tages die Straßenbauer unsere Hofeinfahrt asphaltieren kamen. Der herrliche Geruch nach Teer, der Qualm und der unförmige Tonnenwagen, in dem das schwarze Zeug gebrutzelt wurde, lockten mich wie magisch an. Aber wohl auch andere, denn am nächsten Morgen weckte mich kein Hahn, sondern meine Mutter.
„Was ist mit Bismarck?“, wollte ich wissen.
„Er ist weggelaufen“, und als sie aus dem Fenster deutete, hinüber zur Einfahrt, sah ich dort nur noch zwei Männer und die Dampfwalze.

„Dann hast du vorhin ja doch aus Kummer geweint“, sagte Bastian.
„Nein, mein Junge, denn ein paar Tage später hat mir mein Opa die gleiche Geschichte vorgelesen, wie ich dir gerade. Die Bremer Stadtmusikanten. Da wusste ich, wo der Gockel war, der alte Angeber: Obenauf, wie immer, und ich war stolz auf ihn.“

„Waren das jetzt alte Schnurren, Opa?“
„Schlaf jetzt, du Bengel Engel.“
„Mein Papa sagt nämlich immer, der Opa erzählt nur alte Schnurren.“

 

Hallo @brehb!

Willkommen bei den Wortkriegern.

Schade, dass du kein Lese-/Vorlesealter für deine Geschichte angegeben hast. Was ist deine Zielgruppe?

Ich empfehle dir übrigens, auf die Vorgeschichte zu verzichten und einfach die Geschichte zu erzählen, die du erzählen willst.

Dazu habe ich eine Frage: Wann soll die Geschichte spielen? Anfang des letzten Jahrhunderts (oder kurz nach dem zweiten Weltkrieg)?
Für Nostalgiker sicher kein Problem (aber dann ist deine Zielgruppe eher die Rentnergeneration: "Ach wie schön das damals doch war", weniger die heutigen Kinder).

Du erzählst schön, flüssig, bildreich.

Wenn du allerdings FÜR Kinder schreibst, erzählst, solltest du es ihnen, besonders bei der Satzlänge

Erst langsam, fast watschelnd, dann rennend, flatternd, im Zickzack, wieder geradeaus, kreischend, wild fuchtelnd, um sich im letzten Moment unter den Brettern hindurch in das Hühnerhaus zu retten.
Wenn ich dann, eine dünne Spur Körner hinter mir, im Kuhstall verschwand und der scharrende, pickende, tockernde Hahn Minuten später mit wippendem Kamm vor meinem Heuhaufenversteck auftauchte und mir erneut zu verstehen gab: „Na siehste!"
einfacher machen.

„Was ist mit Bismarck?", wollte ich wissen.
„Er ist weggelaufen", und als sie aus dem Fenster deutete, hinüber zur Einfahrt, sah ich dort nur noch zwei Männer und die Dampfwalze.

„Dann hast du vorhin ja doch aus Kummer geweint", sagte Bastian.

=> Diese Schlussfolgerung (und die Erkenntnis, was da passiert ist) schaffen kleinere Kinder noch nicht. Da müsstest du dich schon etwas klarer ausdrücken.

Wie gesagt, immer vorausgesetzt, du schreibst FÜR Kinder (und nicht für Nostalgiker).

Grüße,
Chris

 

Hallo brebh

Ich kann mir nicht vorstellen, dass du die Geschichte für Kinder geschrieben hast. Mir gefällt die Geschichte. Mich berührt es sehr, dass der Opa beim Märchen erzählen, an seinen Bismarck denkt und seinem Enkel seine Geschichte auch erzählt. Ich erlebe oft an mir selber, dass Geschichten in der Gegenwart, Geschichten in der Vergangenheit berühren. Manchmal ist es echt schön, sich an seine Kindheit zu erinnern und die Enkel teilhaben zu lassen. Deine Geschichte empfinde ich als Alltagsflirt, sie ist flüssig und rund geschrieben.
Ja... wie schön es doch damals war :-)
Danke.

 

@N. Ostrich:
Schnurre: possenhafter Einfall, ulkige Geschichte. (Altmodisches Wörterbuch schlägt Internet!)
Der Begriff ist vermutlich vom Spinnrad abgeleitet (schnurrendes Spinnrad: Schnurre), von den Geschichten, die man sich an Winterabenden erzählte, wenn alle zusammensaßen und die Frauen Wolle verspannen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke ihr Lieben,
es ist schön, dass ihr Gefallen an der Geschichte findet. Und wir sind uns einig: Sie ist nicht für Kinder geschrieben, sondern für Ältere, die gerne ab und an eine Kindergeschichte lesen, z.B. weil sie selbst als Vorleseoma/Opa eingespannt sind/waren. Über Vorschläge, den Text zu verbessern, denke ich gerne nach. Den Text simplifizieren (durch weglassen der umgebenden Geschichte) hingegen möchte ich nicht.

Danke nochmals
Gruß
brehb

 

Sie ist nicht für Kinder geschrieben,

Hallo brehb,

und willkommen hier.
Ich habe das Stichwort "Kinder" herausgenommen. Dies soll nur verwendet werden bei Geschichten für Kinder.

Gerne kannst du ein bis drei andere Stichworte /Tags für deinen Text vergeben. Klicke dazu auf das Bleistift-Symbol ganz oben. Mögliche Tags siehst du hier ("Genres / Tags", Alltag bis Weihnachten). Bitte so in das genannte Feld eingeben.

Viel Spaß hier und viele Grüße,
GoMusic

 

„Komm da runter, Bismarck, los komm schon!“

Hoppela, nahezu ein historisches Thema, Bismarck im hsitorischen Brennpunkt von der frühen Kupferzeit über römische Funde und den Bauwerken des Hochmittelalters bis hin zu Goethe und Heine nebst den Brüdern Grimm (nicht nur als zwo der Göttinger Sieben) und der scheinbaren Moderne in ehemaligen Panzerstraßen und der sowjetischen Überwachungsanlage, einer Dampflok und dem Zustand der Welt überhaupt in Not und Elend - der Harz (die Oker verrät‘s), und der dem neuerlichen Einbruch der Moderne durch befestigte Wege (geteert und nicht gefedert) auch im Ländlichen.

lieber brehb -

und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts!

Schöne Geschichte, finde ich, an der ich so gut wie nix bemäkele – sehn wir mal von grafischen Schwächen ab, die aber insgesamt überschaubar sind (da ist ein relativ kurzer Text in ganz anderer Funktion als ein ausufernder) und jeden - was mich einschließt, sonst wär's ja kein "jeder", den's erwischen kann.

Hier geht's bereits los

„Opa, du weinst ja“, sagte der Steppke[,] als ich das Märchenbuch zuklappte und …
(„Als“ leitet einen vollständingen Nebensatz ein. Das kann man auch nicht durch einfaches Möbelrücken, etwa „Als ich das …. und auf seinen Nachttisch legte, sagte der Steppke …“ verhindern. Da musstu aufpassen - kommt weiter unten gleich noch mal ... womit wir bei den Auslassungspunkten sind
„Ich schon, mein Junge, ich schon. Ich hatte einmal einen Freund[...]...“
Wie Du nämlich die Auslassungspunkte setzt, behaupten sie, es fehlte wenigstens ein Buchstabe am vorhergehenden Wort – aber ich erkenn ihn nicht. Komm einfach nicht drauf! Fehlt wohl auch nix. Da wäre dann die Ästhetik des Apostrophs auch viel sparsamer.
Besser eine Leerstelle zwischen vorhergehendem Wort und den Auslassungspunkten (müsstestu alles noch mal durchsehen)

... und von Feldern, die im Herbst goldbraun leuchteten[...] vom reifen Hafer.
Das zwote Komma weg!, der Relativsatz endet mit dem Punkt -
und es geht weiter mit einem Relativsatz, selbst wenn das Relativpronomen sich schamvoll hinter einer Präposition verstecken sollte
Der herrliche Geruch nach Teer, der Qualm und der unförmige Tonnenwagen[,] in dem das schwarze Zeug gebrutzelt wurde, lockten mich wie magisch an.
Sätzen geht‘s wie dem richtigen Leben, sie haben Anfang und Ende – hier hastu am Nebensatz -ein ziemlich normaler Relativsatz, finde ich - das Ende, nicht aber den Anfang getroffen ...

Gleichwohl:
Gern gelesen vom

Friedel

 

danke, Friedel ...

gern zur Kenntnis genommen, zügig geändert (und leider auch schon wieder vergessen, fürchte ich)

PS: Und was ist mit Bismarckhering und -Salat, oder auch Bismarckscher Sozialgesetzgebung?

Gruß
brehb

 

PS: Und was ist mit Bismarckhering und -Salat, oder auch Bismarckscher Sozialgesetzgebung?
Korrekt, selbst den "Bismarckheringsalat" muss man nicht trennen, gibt es doch noch aus den Zeiten Mark Twains (der sich vor der deutschen Wortzusammensetzungskunst fürchtete, man lese einige Aufsätze von ihm, die er mit germanistischer Zunge schrieb, ich werd albern) den Hottentottentittentantenattentäter, der immer noch nicht gefasst ist.

Tschüss

Friedel

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom