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Der grosse Schatz
Inmitten vieler Blumen, Mistelbäume und Olivenbäume steht das Haus. Blumen und Kräuter würzen die Luft. Das Haus, blau-weiss, wie eben ein typisches griechisches Inselhaus, steht auf einer kleinen Anhöhe. Eine weisse Treppe führt zum Eingang. Wirft man beim Eintreten ins Haus einen Blick zurück, sieht man die Weite des Meeres. Unter der Treppe befindet sich ein grosser Keller. Darin werden Olivenöl, Wein und die Kartoffeln gelagert. Es liegen viele Werkzeuge, Holz und diverser alten Plunder herum. Haben sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt, sieht man noch vielen anderen Krempel. Sachen aus einer vergangenen Zeit. Und blickt man noch genauer hin, kann man in der hintersten Ecke einen kleinen verschlissenen grüner Koffer entdecken.
Eleni und Darek sitzen im Gras vor dem Haus und plauderten miteinander. Das junge Paar kennt sich seit einigen Jahren und liebt sich sehr. Sie lachen und scherzen miteinander. „Eleni, ich muss etwas mit dir besprechen.“ Darek wurde auf einmal sehr ernst. Eleni schaut ihn mit grossen Augen an. „Was willst du besprechen?“ Darek ringt mit Worten und sagte dann: „Alle meine Freunde gehen in den Krieg, ich werde auch gehen.“ Die Augen von Eleni wurden noch grösser. „Warum?“, fragte sie leise. „Wir wollen Teile Kleinasiens, in denen auch Griechen leben erobern, und ebenfalls Istanbul“. Das Königreich Griechenland braucht uns“, sagte er enthusiastisch. Darek redete feurig und Eleni hörte ihm kaum mehr zu. Ihr zog es das Herz zusammen und sie fühlt einen riesigen Kloss im Hals. Darek merkt bald, dass seine Geliebte ihm gar nicht mehr zuhört. „Sei nicht traurig, Eleni. Es wird alles gut und wir kommen als Sieger nach Hause zurück. Und dann, Darek stockte, und dann werde ich dich heiraten und wir verbringen das ganze Leben zusammen“. Darek stand auf und ging auf die Knie. „Willst du mich heiraten? Eleni?“ „Nein“, rief Eleni wütend und rannte davon. Sie rannte die Treppe hoch, trat ins Inselhaus, schloss die Haustür, rannte in ihr Zimmer und warf sich auf ihr Bett. Sie weinte bitterlich.
Eine Woche später zogen alle jungen Männer vom Dorf in den Krieg. Eleni und Darek haben nicht mehr miteinander gesprochen. Sie schaute nur vom Fenster zu, wie sich die Männer sammelten und loszogen. Sie war immer noch unglaublich wütend.
Darek schrieb jede Woche einen Brief an Eleni. Darin beteuerte er seine Liebe und erzählte vom Krieg. Er erzählt ihr von seinen Zukunftsplänen und malt sie in leuchtenden Farben aus. Eleni las keinen einzigen Brief. Sie war immer noch wütend auf ihn und hatte viel anderes zu tun.
Sie war schwanger, wütend und verzweifelt. Sie war eine wunderschöne schwangere Frau und dies zog viele Männer an. Sie hätte jeden Mann im Dorf haben können, aber das Herz von Eleni war verschlossen.
Sechs Monate nachdem Darek in den Krieg gezogen war, wurde die kleine Medea geboren. Medea war ein wunderschönes Mädchen mit schwarzen lockigen Haaren. Sie ist ein ganz sanftes Kind. Eleni liebt sie sehr.
Als Medea ihren 10. Geburtstag feierte, war Darek immer noch nicht wieder daheim und niemand glaubte mehr an seine Rückkehr. Schon seit Medea‘s 6. Geburtstag sind keine Briefe mehr gekommen. Nie fragte Medea nach ihrem Vater, weil sie genau spürte, dass ihre Mutter nicht über dieses Thema reden wollte.
Die Jahre vergingen und Eleni und Medea führten ein beschauliches Leben. Sie ernteten Kartoffeln, Oliven, Tomaten und Gurken. Sie backten Brot und hielten sich eine Kuh für die Milch. Medea hatte liebe Freunde und war zufrieden mit ihrem Leben.
Medea wurde erwachsen und fragte sich immer wieder, was aus ihrem Leben werden könnte. Ihr Traum war es Schriftstellerin zu werden. Sie wollte Bücher schreiben, über Frauen und Männer, über Land und Leute.
Eines Tages wurde Eleni krank und immer kränker. Bald konnte sie nicht mehr aufstehen und lag nur noch im Bett. Medea pflegte ihre Mutter und nach ein paar Wochen war der Tod von Eleni sehr nahe.
Gerne hätte Medea sie noch nach ihrem Vater gefragt, aber sie getraute sich nicht. Fünf Wochen später ist Eleni gestorben.
Das ganze Dorf trug sie zu Grabe und anschliessend war ein grosses Essen mit allen. An dem Essen erzählten die Dorfbewohner viele Geschichten von Eleni als Kind. Medea nahm allen Mut zusammen und fragte nach ihrem Vater. Die Dorfbewohner schwiegen. Einige Minuten war es ganz ruhig. Medea fing an zu weinen und hörte kaum mehr auf. Niemand sagte ein Wort und Medea fühlte sich vom ganzen Dorf im Stich gelassen. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum alle schwiegen. Medea rannte zurück ins Haus und lies die ganze Gesellschaft sitzen.
In dieser traurigen Zeit reifte für Medea der Wunsch das Dorf zu verlassen. Nur wusste sie nicht wohin. Sie fing an, das Haus zu räumen. Sie entdeckte viele altmodische Sachen. Teilweise verpackte sie diese in Schachteln, teilweise suchte sie einen anderen Besitzer und den Rest schmiss sie weg. Medea war lange Zeit beschäftigt und in dieser Zeit dachte sie über sich und ihr Leben nach. Sie wollte nach Athen ziehen. Bücher schreiben. Und ein neues Leben beginnen.
Dieser Entscheid beflügelte sie sehr. Noch schneller ging nun das Räumen des Hauses.
Im Dorf war eine unverheiratete Frau. Sie entschied sich, ihr das Haus zum Wohnen anzubieten. Die Frau war überglücklich und sagte gerne zu.
Das Haus war nun geräumt. Eleni hatte alle Sachen, die sie mitnehmen wollte, fein säuberlich eingepackt. Alles bis auf wenige Kleider. Sie hatte schon den Fischer gefragt, ob er sie mit dem Boot auf das Festland bringen kann. Er hatte ihr zugesagt. In zwei Tagen würde sie abreisen. Eleni fing an sich von Freunden, Nachbarn und Verwandten zu verabschieden.
Kurz vor der Abreise wollte Medea noch eine Flasche Olivenöl mitnehmen. Sie liebte den herben, leicht bitteren Geschmack dieses köstlichen, samtigen Öles. Schnell war sie im Keller und packte eine Flasche in ihr Gepäck. Sie wollte schon wieder rausgehen, als sie aus dem Augenwinkel in der Ecke den Koffer sah. „Der wäre doch sehr praktisch, um die wenigen Kleider gut einzupacken“, dachte sie. Sie bahnte sich einen Weg zum Koffer und schnappte ihn sich. Mit dem Koffer und der Flasche Olivenöl verliess sie den Keller. Sie ging die Treppe hoch und stellte den Koffer in den Hauseingang.
Schnell nahm sie die restlichen Kleider und öffnete den Koffer. Sie staunte nicht schlecht. Im Koffer waren zwei Stapel mit Briefen, fein säuberlich mit einem Band zusammen geschnürt. Sie öffnet das verknotete Band, hielt einen Brief an ihre Mutter in der Hand. Sie getraute sich kaum den Brief zu öffnen. Langsam und sorgfältig öffnete sie den ersten Brief. Im Umschlag war ein altes Foto mit einem Mann in Uniform. Sie faltete den Brief auf und las:
Meine große Liebe Eleni
ich denke daran, als wir zum ersten Mal geküsst haben und ich mich nie sicherer gefühlt habe. Auf ewig hätte ich mit dir dort bleiben können. Du schenkst mit Liebe, Mut und Kraft. Ein Leben ohne dich kann ich mir nicht vorstellen. Der Krieg ist schrecklich. Es sind viele meiner Kameraden bereits gefallen. Ich habe Angst Eleni, dich nie mehr zu sehen. Du bringst mich zum Lachen und kennst mich wie keine andere auf dieser Welt. Ohne dich kann ich nicht sein. Du bist das Beste, was mir je passiert ist. Darum sage ich dir das, was ich jede Sekunde fühle, wenn ich an dich denke: Ich liebe dich.
Ich werde zurückkommen, wir werden Kinder haben, ich freue mich so zu sehen, was sie von mir und was von dir haben. Ich wünsche mir eine Tochter, die aussieht wie du und ich wünsche mir einen Sohn, der so aussieht wie ich. Oh Eleni, wir werden ein wunderbares Leben haben. Ich liebe dich sehr. Ich werde bald zurückkommen. Du bist mein größtes Glück und alles was ich brauche.
Dein Darek
Medea traten die Tränen in die Augen und sie schluckte. Sie war sehr berührt von den Zeilen dieses Mannes an ihre Mutter. Sie spürte, dass dieser Brief von ihrem Vater war. „Was für ein Schatz habe ich gefunden“, dachte sie. Sie legte alle Briefe sorgfältig in den Koffer zurück, legte ihre Kleider dazu und verschloss den Koffer. Medea sperrte die Haustüre zu, legte den Schlüssel unter die Matte. Sie lächelte sich zu und war bereit in ihr neues Leben zu reisen.