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Der große Auftritt

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07.10.2002
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Der große Auftritt

Sie hatte sich neue Schminkutensilien besorgt, Makeup, Lippenstift, Eyeliner, alles was man für einen großen Auftritt brauchte. Die alten Sachen, die sie aufbewahrt hatte, waren eingetrocknet, nicht mehr brauchbar, nach zwanzig Jahren, in denen sie keinen Grund mehr gehabt hatte, sich groß heraus zu putzen. Das alte Kleid, schwarz, schlicht und lang, passte fast noch. Ein bisschen fülliger war sie geworden, das musste sie schon zugeben, aber wenn sie die Stola umlegte, dann kaschierte das die Pölsterchen, die sich durch das zu enge Kleid abzeichneten. Eigentlich waren nur die Schuhe ein Problem, sie war es nicht mehr gewohnt, mit hohen Absätzen zu gehen, aber sie müsste sich nun einfach wieder daran gewöhnen.

Sie nahm noch mal einen großen Schluck aus der Flasche mit dem Cognac, den man ihr zusätzlich zur Gage von 25 Euro zur Verfügung gestellt hatte. Das war wirklich großzügig, der Wirt hier wusste also genau, dass es gut war, seine Stimme noch mal zu ölen, bevor man auf die Bühne ging. Nun, es gab zwar keine Bühne, das hier war eine ganz normale Kneipe, aber sie würde singen, vor Publikum singen. Vielleicht waren die Leute, die hier immer saßen, keine Musikkenner, das konnte schon sein, aber man musste immer welche in Kauf nehmen, die keinen Sinn dafür hatten. Endlich erfüllte sich ihr Traum, das war wichtig, zwanzig Jahre lang hatte sie sich gewünscht, wenigstens ein letztes Mal singen zu können. Zwanzig lange Jahre, in denen man das Interesse an ihr und ihren Liedern verloren hatte. Man hatte aufgehört, sich ihre Chansons anzuhören, die sie früher in Bar’s, einmal sogar in einer kleinen Mehrzweckhalle, vorgetragen hatte. Damals kannte man sie in der regionalen Szene, man schätzte es, wenn sie Edith Piaf’s Chansons sang, das passte zu ihr, kam gut an. Sie hatte ganz gut davon leben können, konnte immer ihre Miete bezahlen, war nie auf Hilfe anderer angewiesen. Danach war’s anders. Aber jetzt hatte sie wieder Arbeit, musste nicht mehr zum Sozialamt gehen, sich dumm anschauen lassen. Ihr Job in der Markthalle war nichts besonderes, das wusste sie schon, aber sie bekam das Putzen und Beseitigen von Obst- und Fischkisten bezahlt und das war wichtig.

Und jetzt hatte sie der Wirt dieser Kneipe angesprochen, sie gefragt, ob sie zum zehnjährigen Jubiläum nicht mal auftreten wolle. Schließlich war sie doch ein Star gewesen, ein Juwel inmitten der Stammgäste. Ja, sie war Stammgast hier, erzählte oft von Früher, erzählte von ihren Erfolgen, aber irgendwie hatte sie nie das Gefühl gehabt, dass man ihr wirklich zugehört hatte. Gelacht hatten sie immer, abgewinkt mit einem abfälligen, „ach du“. Aber jetzt, jetzt wusste sie, dass man ihr, zwischen dreckigen Witzen, Streitereien und den üblichen Stammtischgesprächen zugehört hatte. Einmal hatte einer im Suff gesagt, „na, det muss ja aussehen, du janz groß uff ner Bühne, ick lach mir tot. Die Primadonna vom Kiez, wa?“. Alle hatten sie gegröhlt, sich auf die Schenkel geklopft, aber das war ihr egal, sie waren ja besoffen, und da sagte man viel, man kannte das ja.

Früher hatte sie manchmal sogar eine Garderobe, ganz für sich, keinen großen Raum, aber immerhin einen Schminktisch, einen beleuchteten Spiegel. Hier gab es so was nicht, sie musste sich auf der Damentoilette behelfen, aber das ging gut. Der Spiegel war zwar schon etwas blind, hatte in der Mitte einen Sprung, aber das reichte vollkommen aus, um sich für den Auftritt zu schminken. Sie nahm noch mal einen Schluck aus der Flasche, ein Markenprodukt, da hatte sich der Wirt wirklich nicht lumpen lassen. Ein bisschen stellte sich das Lampenfieber ein, sie spürte es an ihren zitternden Händen, dagegen half es immer, etwas zu trinken. Früher hatte sie ein Glas Sekt vor ihren Auftritten getrunken, aber Sekt war jetzt nicht mehr ihr Ding, schmeckte ihr nicht mehr. Jetzt trank sie nach der Arbeit immer andere Sachen, passte auch besser zu ihrem jetzigen Job, jeden Abend ein paar Biere und Schnäpse, hier in der Kneipe, da war’s nicht zu teuer. Danach konnte sie immer gut schlafen, war doch besser, als irgendwelche Pillen zu nehmen, die sonst welche Nebenwirkungen hatten.

Irgendwie klappte das mit dem Schminken ganz gut, so was konnte man halt oder man konnte es nicht. Ein bisschen mehr musste jetzt halt sein, man war ja keine Zwanzig mehr. Aber wenn sie sich so ansah, war sie ganz zufrieden, vielleicht ein bisschen viel Wangenrot, vielleicht ein bisschen viel Rot auf den Lippen, aber das war egal. Für Auftritte musste man sich kräftiger schminken und es würde auch keinem auffallen, dass sie mit dem Eyeliner ausgerutscht war. Jetzt war keine Zeit mehr, das zu korrigieren, der Wirt hatte schon geklopft und lachend, „ihr Auftritt Gnädigste“, reingebrüllt. Es wurde Zeit, sich die Perücke aufzusetzen, wie gut es war, dass sie die nicht weg geschmissen hatte. Sie hatte sie früher ab und zu bei ihren Auftritten schon getragen, immer dann, wenn ihr echtes Haar nicht richtig saß. Jetzt gab ihr echtes Haar einfach nicht mehr viel her, war glanzlos geworden, störrisch und die Farbe war auch nicht mehr schön. Noch einmal einen kräftigen Schluck aus der Flasche, das würde helfen, wenn schon keiner „toi toi toi“ über ihre Schulter spuckte. Endlich war es so weit, gleich würde sie auftreten.

Das Schwanken kam sicher von der Aufregung, dem unsicheren Gehen auf diesen hohen Absätzen, auf denen sie ständig umknickte. Das war jetzt aber unwichtig, jetzt würde sie die Türe zum Gastraum öffnen und die da draußen würden sich wundern, was sie aus sich machen konnte, wenn sie nur wollte.

Sie lachten alle, hatten sich wahrscheinlich gerade einen Witz erzählt, einen von der Sorte, die sie sich immer erzählten. Einer brüllte, als er sie sah, „det is ja noch makaberer, als ick mir det vorjestellt habe. Ne Spottkarte is ein Scheiß dajegen“. Na ja, so redeten sie halt, wenn sie besoffen waren, sie würde ihnen schon zeigen, was sie drauf hatte. Wenn sie erst singen würde, dann würde ihnen das Lachen schon vergehen.

„Weißte wat, Mädel, eh du dir hier die Knochen brichst und ick nen Notarzt für meine Gäste holen muss, weil sie vor Lachen am Ersticken sind, kriegste deine Knete und nen warmen Platz am Tresen. Eigentlich wollten wa ja och nur mal kieken, wie unser janz großer Star in janz großer Garderobe aussieht. Jetzt fang bloß nicht noch zu Trällern an“, sagte der Wirt, der sich vor Lachen kaum aufrecht halten konnte, während er sie zum Tresen schob. Und aus der Musikbox schallte Frank Sinatra’s "My way“.

 

Hi Déjà-vu!
Du hast eine sehr schöne, aber auch sehr traurige Geschichte geschrieben... Was mir richtig gut gefallen hat, war das Ende. Auch, wenn es kein Happy-End war, es kam überraschend und das hat mir gefallen. Eine kleine Kritik möchte ich jedoch noch hinzufügen: Versuch doch mal mehr auf deine Wortwahl zu achten, du hast öfters in zwei aufeinander folgenden Sätzen die gleichen Verben oder Adjektive benutzt. Ansonsten fand ich deine Geschichte aber echt gut!
Bye, Mary-Lou.

 

Hallo Mary-Lou!

Vielen Dank für's Lesen der Geschichte. Es hat mich sehr gefreut, dass sie dir gefallen hat. Danke auch für deinen Tipp, ich werde es mir selbst nochmal durchlesen und hoffe, dass mir die Wortwiederholungen auffallen. Man schaut Tausendmal drüber und sieht's selbst oft nicht.

Gruß
Déjà-vu

 

Hallo Dèjá vu,

ich kann mich meiner VOrschreiberin nur anschließen.
Du bringst den Seelenzustand der alternden Sängerin gut herüber. Inzwischen dem Alkohol verfallen überschätzt sie sich selbst und will den erneuten Auftritt wagen. Auch für mich ein überraschendes Ende.
Grüße Heidi

 

Hallo Deja-Vu,

ja, wunderschön beschrieben wieder, Gefühle und Gedanken kommen an,und traurig,verletzend am Schluss. War eingendlich leider nicht sonderlich von diesem seelisch grausamen Ende überrascht, eine Vorahnung war da...der Spott kann furchtbar sein, Du bringst einen zum Mitfühlen. :(

Mit lieben Grüßen, Anne

 

Hallo Heide, hallo Maus!

Ganz lieben Dank für eure Antworten. Ich habe mich natürlich sehr gefreut, dass euch die Geschichte gefallen hat. Na ja, ich wollte sie am Ende einfach nicht singen lassen. Vermutlich wäre das noch tragischer für sie geworden.

Einen lieben Gruß an euch beide
Karin

 

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