Der Gestank des Chaos
Warum Er mir genau zu diesem Zeitpunkt, neben der Kerze, Papier und einen Bleistift in das stinkende Verlies gelegt hat, weiß ich nicht mit Sicherheit. Vielleicht will Er, dass ich der Nachwelt von dem erzähle, was ich hier unten erlebte, vielleicht sammelt Er nur die letzten Gedanken seiner Opfern und behält diese um seine abscheulichen Verbrechen nie zu vergessen. Ich weiß jedoch, dass Angst eine wichtige Rolle in seiner grotesken Tragödie des stillen Todes spielt, und ich selbst nur, wenn überhaupt, eine Nebenrolle, oder noch wahrscheinlicher, nur ein beliebiges Requisit in Dantes Unterwelt bin. Als wolle Er mir zu verstehen geben, dass, trotz aller Angst, trotz des ganzen Schreckens, bis jetzt alles nur ein bizarres Märchen war. Wie dunkel muss dann „seine“ Realität sein?
Ich werde versuchen, „ihm“ zuvor zu kommen. Ich kann „ihn“ nicht direkt sehen, aber sobald ich wieder diesen Geruch von verwesendem Fleisch wahrnehme, „ihn“ rieche, dann wird mir dieser Stift nicht nur mehr dazu dienen, die zitternde Stimme meines Verstandes fest zu halten, sondern um eben diesen ein und für alle mal zum schweigen zu bringen. Der Botschafter wird zum Henker erhoben.
…
Ich habe die ganze Zeit wach gelegen, doch nichts ist geschehen. Ich habe „ihn“ weder gesehen, noch gefühlt, noch habe ich den Leichengestank gerochen, wie jedes mal, kurz bevor sich meine Umstände hier … veränderten. Da ich mit meiner verbleibenden Lebensspanne nichts anzufangen weiß, die Kerze fast schon ausgebrannt ist, und die Angst die ich verspüre sich wie ein Geschwüre durch meine Eingeweide langsam in Richtung Vernunft frisst, werde ich das letzte bisschen Mensch in mir noch nutzen, um dem Leser dieses, meines letzten, Briefes in knappen Worten zu erzählen, was für ein unendliches Chaos auf uns alle wartet, nur dass ich schon alles hinter mir haben werde, lange bevor jemand aus „eurer“ Welt dies überhaupt begreifen wird.
Wie genau Er mich hier her gebracht hat, kann ich nicht mit Gewissheit sagen, genauso wenig
kenne ich meinen genauen Standort, noch warum ausgerechnet ich von „ihm“ ausgewählt wurde, leider kann vieles, wie ich schon sagte, durch reine Analyse von Fakten geschlussfolgert werden.
In meinem letzten Leben, denn es muss ein anderes gewesen sein, war ich Besitzer eines kleinen Buchgeschäftes. Dieses befand sich in einer ins Nichts endenden Seitenstrasse der Marsh Street in einer von heruntergekommenen Nachbarschaft, welche sich wiederum in eine Gott verlassene Kleinstadt gefressen hatte: Arkham. Hätte ich damals auch nur im Ansatz von dem erahnt, was ich heute weiss, wären mir meine früheren Lebensumstände nicht hundsmiserabel erschienen, oder vielleicht hätte ich einfach meine alte Muskete genutzt, um mir eine erlösende Kugel in den Kopf zu schießen. Das Gebäude in dem ich lebte und arbeitete stammt aus dem späten 15. Jahrhundert und wurde im Laufe der Geschichte von einer Vielzahl an mehr oder minder düsteren Gestalten bewohnt. Zusätzlich zum Parterre hat es ein Obergeschoss und einen tiefen, gewölbeartigen
Keller, in dessen fünf kalten Ecken sich unzählige Ratten und Spinnen tummelten. Die Dielen waren ebenfalls morsch, der Putz fast komplett zu Staub zerfallen, die Wände und Decken hinterlassen den Eindruck von gesplittertem Glas und waren wahrscheinlich genau so spröde.
Weder Zeit, noch der Versuch der Stadtbewohner vor über 200 Jahren mit der zerstörerischen Kraft dutzender Sprengkörper das Gebäude zu sprengen, konnten dieses morsche und marode Haus in die Knie zwingen. Die Leute sprachen von einem Alptraumhaus, dem Schlafplatz des Wahnsinns der jeden Tag draußen tobte. Sie Ahnten nicht, wie sehr sie Recht hatten. Der korrumpierte Zustand meiner Wohnungs- und Geschäftsstätte entsprach in etwa dem meiner damaligen finanziellen Situation. Der Vermieter, ein gewisser Howard Rhode, eigentlich der Letzte Erbe einer alteingesessenen und früher sogar aus einem Aberglaube heraus gefürchteten Unternehmerfamilie, teilte meine Vorliebe für alte Bücher und Schriften. Aus diesem Grund hielt er die Kosten, die ich für die Miete aufbringen musste, recht gering hielt und erhielt aus Dank von mir die Erlaubnis sich zu jeder Zeit in meinen archaischen Archiven aufhalten zu können. So kam es dazu, dass Howard Rhode mehrere Nächte in der Woche meinen Vorschlag in Anspruch nahm, um nach Texten zu suchen, die ihn mehr über die Geschichte seiner Ahnen verraten könnten, als den bürgerlichen Erzählungen zu entnehmen war. Es wurde allgemein angenommen, dass ein so kometenhafter Aufstieg der Familie nur durch ein Pakt mit dem Teufel oder anderer, nicht minder schauderhaften Seelensammler möglich gewesen ist.
Sicherlich behielt ich den Laden auch, weil es sonst weit und breit keine Interessenten für ein dermaßen sanierungsbedürftiges Objekt gab. So entstand mit der Zeit eine Freundschaft, und hätte er mir nicht auch erlaubt die Miete verspätet zu bezahlen, hätte ich mich längst zum Ausziehen gezwungen gesehen und es wäre mir jetzt besser ergangen. Auf diese Weise verbrachte ich etliche Jahrzehnte zwischen modrigen Büchern und uralten Texten, bis mein Freund und Vermieter mich an einem Sonntag Abend wissen ließ, dass in der kommenden Woche die Statik der gesamten Bausubstanz durch Mitarbeiter des städtischen Bauamtes geprüft werden musste. Danach sollte das Haus, wenn möglich, unter Denkmalschutz gestellt, der Stadt verkauft und anschließend renoviert werden, um ein kulturhistorisches Museum einrichten zu können. Was das für Konsequenzen mit sich bringen würde, wusste ich, jedoch konnte ich es meinem alten Freund nicht verübeln. Zudem versprach er mich zu unterstützen, bis meine Suche nach einer neuen Unterkunft zu einem erfolgreichen Schluss kommen würde.
In der folgenden Woche trafen die städtischen Ingenieure ein, also übergab ich ihnen alle meine Schlüssel und ließ sie ungestört ihrer Arbeit nachgehen. Ungefähr zwei Stunden später wurde ich gerufen um mir eine eigenartig gewölbte Nische in meinem Keller zu zeigen, die sie in der Dunkelheit beinahe übersehen hätten. In diese waren eigenartige Reliefs und Muster gemeiselt, und bei genauerer Untersuchung stellte sich heraus, dass dies wohl ein Durchgang sei, welcher anscheinend noch tiefer in die Erde hinein führte. Was für eine Bedeutung die früheren Handwerker in diese winkeligen und fremd anmutenden Schnörkel geschlagen hatten oder warum die Nische zugemauert worden war, konnten wir uns ... noch nicht erklären. Was sich da unten befände, sei jedoch am nächsten Tag und mit geeignetem Gerät zu sehen.
Dies waren die letzten, menschliche Worte die ich in unserer Realität in mein Ohr drangen, und deren Widerhall und Erinnerung mir mit bestialischer Gier nach dem was war die Seele zernagen.
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Als ich am nächsten Tag meine Augen öffnete, fand ich mich von tiefster Dunkelheit umhüllt wieder. Mein erster Gedanke war kein schrecklicher, schon mein ganzes Leben lang kam es vor, dass ich in besonders finsteren Nächte aufwachte. Doch während es mir sonst immer möglich war, mich in meine wärmende Decke einzuhüllen, um weiter zu schlafen, oder das Nachtlicht einzuschalten, um kurz aufzustehen, fiel mir auf , dass dieses Mal etwas … anders war.
Die Matratze unter mir fühlte sich an wie kalter, feuchter Steinboden, und meine schützende Decke hatte sich in stechenden Frost verwandelt. Dass es sich bei dieser unwirklichen Situation um keinen Alptraum handelte, traf mich nach einigen Sekunden der Verwirrung. Ich hielt meine Umwelt zunächst für eine hyperrealistische Ilusion, ein böses Spiel meines Unterbewusstseins, bei der Gefühle, Sinne und Gedankengänge denen der wachen Welt in Nichts nachstanden.
Es war der bestialische Gestank nach fauligen Fisch, welcher die tiefsten und ältesten Empfindungen des Menschen wie eine zähflüssige Masse aus den verschlungenen Winkeln meines Gehirns und durch meine schwachen Venen in das innerste meiner jetzt so leidgeprüften, schmerzenden Seele presste. Innerhalb eines Augenblicks wurde aus einem Menschen, der sich selbst für rational hielt, ein von einer unbegreiflichen, allumfassenden Angst gehetztes Häufchen Elend. Die Empfindungen in diesem Moment waren zu Intensiv und mein Verstand kämpfte dagegen , in dem er mich unverständliche Flüche schreiend und wild gestikulierend über den Boden rollte, nur um bei vergeblichen Fluchtversuchen gegen Wände zu laufen. Nach einiger Zeit fing der Geruch des Vergänglichen an sich zu verflüchtigen, und mit ihm mein Wahnsinn. Ich zwang mich meine Atmung zu verlangsamen, um so meinen Körper, meine Seele, aber vor allem meinen Geist in einen funktionsfähigen Rhythmus zurückfallen zu lassen.
Jemand hatte mich in ein dunkles Zimmer gesperrt, mehr wusste ich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht. Mir schossen schreckliche Bilder von Mord, Folter und anderen Grausamkeiten die ein Mensch einem anderen ab und zu antun. Sollte ich hier unten verhungern oder gar verdursten? Wurde ich nur aufbewahrt, um anschließend ein Lösegeld von mir zu verlangen? Wahrscheinlich nicht, wer würde sich die Mühe eines solchen Unterfangens und deren gesamten Planung machen, und dann nichts über meine Finanzen herausfinden? Nach einigen, kopfzerbrechenden Minuten, kam ich hinter dem wahrscheinlichen düsteren Zweck meiner Entführung: hierbei handelte es sich entweder um einen triebhaften oder einem rituellen Akt. Beide Möglichkeiten lösten in mir Todesangst aus.
Ich befand, dass es Sinn mache, mehr über diesen Ort, meiner Lage, in Erfahrung zu bringen, um so eventuelle Schwachstellen in der Struktur des Raumes oder irgend einen schweren Gegenstand zur Verteidigung zu finden. So wäre es mir entweder möglich gewesen auf der Stelle zu fliehen oder meinen Peiniger zuerst niederzuschlagen, um dann das Weite zu suchen. Doch außer ein paar winziger Knochen, welche ich aufsammelte, war alles leer. Die Überreste des Tieres, welches wahrscheinlich mal eine Ratte gewesen war, nutzte ich nun als Wegmarkierungen um vollständige Gewissheit über die Geometrie meines Kerkers zu erlangen. Ich legte einen Knochen in die erste Ecke die ich ertastete und wiederholte diesen Vorgang an jeder weiteren, bis ich schließlich insgesamt fünf Knochen aus meiner Hand gelegt hatte, bevor ich wieder an den ersten stieß. Meine Gedächtnis verband dabei meine Situation mit der von Poes Gefangenen in der Grube, der geduldig und beinahe selig auf das unvermeidbare, schrecklich schwingende Pendel wartet. Trotz des mulmigen Gefühls im Bauch, schritt ich vorsichtig aber entschlossen ins Leere, um nach 13 Schritten eine kalte, nasse granitartige Wand zu fühlen. Dieser Raum war genau so aufgebaut wie das Kellergewölbe unter meinem Haus. Für einen kurzen Moment keimte in mir die Hoffnung auf, dass ich nur im Schlaf gewandelt sei, und auf irgend eine Art und Weise durch die eigenartige von den Ingenieuren freigelegte Nische noch Tiefer geklettert sei. Dies hätte wiederum zur Folge, dass die zwei städtischen Angestellten mich früher oder später finden mussten. Ein Gedanke wie dieser fühlte sich wie kühlender Balsam auf meiner vor Wahnsinn brennenden Seele an. Diese beruhigende Erkenntnis erlaubte es mir mich langsam auf den Boden fallen zu lassen, um dann in einen von Erschöpfung verursachten, tiefen Schlaf zu versinken.
Kaum hatten sich meine Augen wieder geöffnet, erkannte ich in der gegenüberliegenden Ecke meines Kerkers etwas Helles, in meinen Augen handelte es sich zunächst um das rettende Licht aus der Taschenlampe eines der beiden Ingenieure, doch kaum angekommen, stellte sich diese aufkeimende Saat der Hoffnung als ein Bote der Vergänglichkeit dar. Eine ranzige Kerze stand umgeben von einem Krug, dessen Inhalt so trübe wie meine Vorstellung hier jemals wieder raus zukommen war. Zwei Scheiben hartes Brot ergänzten das Bild und ließen die Szenerie wie einen heidnischen Opferaltar erscheinen. Was für eine „Gottheit“ wohl so verdorben ist? Ich befand mich also immer noch unter meinem eigentlichen Keller. Das musste bedeuten, dass sich die gesamte unterirdische Anlage noch weit tiefer als nur zwei Stockwerke in die Erde gebohrt hatte. Genau so gut hätte mich vor den Toren der Hölle befinden können, ich war verloren. Die überwältigende Intensität und die Art der Gefühle, welche mich darauf heimsuchten, erlauben keine durch menschliche Sprache mögliche Beschreibung. Er war dabei sich mir zu offenbaren und würde mich nicht mehr gehen lassen, bis meine blanken Knochen von seinem nächsten Opfer gefunden werden. Wenigstens wird dieser dann aus meinem Oberschenkel eine schlagkräftigere Waffe formen können als ich aus dieser widerlichen Ratte. Dies war mein letzter, natürlicher Gedanke bevor mir klar wurde, dass ich nun bald „seine“ Welt kennen lernen würde, eine Dimension von Angst, Wahnsinn und Hoffnungslosigkeit. Ich war seine Quelle.
Das nächste Erwachen zeigte mir, dass derjenige, der mich eingesperrt hatte, anscheinend ein Philosoph der Angst war. Dunkelheit, das ist alles was mir von diesem ungewissen Augenblick, bis hin zu dem Moment, an dem Er beschloss mich zum Geschichtenerzähler zu erheben, von außen her zu mir drang. Mein Geisteszustand, jedoch, stand im krassen Gegensatz zu dieser schwarzen Monotonie. Was ich in dieser Zeit dachte, fühlte und litt, kann einfach keinem menschlichen Geiste entsprungen sein, sei dieser auch noch so krank und verkommen. Zwar konnte ich Ihn nicht direkt sehen oder … riechen, doch konnte ich spüren, wie er in meinen Kopf eindrang: ich durchlebte die schlimmsten Zeiten meines erbärmlichen Lebens wieder. Mir wurde klar dass der Mensch sich in seiner konstruierten Existenz an mickrige Trugbilder wie Liebe und Hoffnung klammert, doch nur Dunkelheit und Chaos sind real, denn diese Zustände existieren aus sich selbst heraus. Löst sich nicht auch der Körper nach dem Tod in ein Durcheinander von totem Fleisch, Knochen, Erde und Maden auf? Denn fürchten wir uns nicht vor dem Nichts? Das war es, was Er in Wirklichkeit war, nicht was er zum überleben brauchte. Was ich als Angst empfand, war nur der kleiner Bruchteil den der menschliche Geist von einer so transzendenten und totalen Form wahrnehmen konnte. Ich verstand nun, denn Er hatte meine Fesseln der Ignoranz mit Hilfe dieses unheiligen Wissens gesprengt. Wissen welches mich in den Tod begleiten wird, in die Hölle, von der ich nun wusste, dass es kein Entkommen gibt.
Inzwischen waren unsere Geister so eng miteinander verschmolzen, dass ich „sein“ Bewusstsein fühlen konnte. Ich reiste mit ihm Äonen in der Zeit zurück, in Tiefen des Weltalls die kein Lichtstrahl je erwärmt hatten und in der Zukunft auch nicht werden. Ich erlebte interdimensionale Kriege und Schlachten zwischen Zivilisationen, die wir Menschen nicht als lebendig bezeichnen würden. Mir war es möglich das zu Empfinden was er Empfand, als sein Kosmos von uralten, bestialischen Kräften zerrissen wurde. Ich sah, wie Er in unserem Teil des Universums nach einer Zuflucht Ausschau hielt. Ich konnte fühlen, wie Er zum ersten Mal die Präsenz unserer Welt spürte, nur um dann „seine“ schattige und ewige Existenz in diese Richtung zu lenken. Zu dieser Zeit wurde unsere Erde von anderen Wesen als dem Menschen beherrscht. Genauer gesagt hatten diese Bewohner uns Menschen geschaffen nur um ihnen zu Dienen . Wir mit unserer niedrigen Intelligenz und unserer auf eine Dimensionen beschränkte Wahrnehmung sollten niemals merken, dass wir keinen Willen besitzen.
Vor diesen überaus mächtigen Wesen schaffte Er es sich zunächst zu Verstecken, doch ein Dasein als Außenseiter war keine auf Dauer akzeptable Situation für ein so vollkommene Existenz. Er würde sich ein paar dieser mickrigen Arbeitstiere leihen und diese dann einfach für „seine“ Zwecke einsetzen: sie sollten „ihm“ helfen ein Signal in die Tiefen des Alls zu streuen, um so die restlichen von diesen nie lebenden und niemals sterbenden Wesen her zu locken. Auf diese Weise könnten die dortigen Bewohner vertrieben oder vernichtet worden, und so hätte das kalte Chaos wieder einen Platz im Universum, an dem es sich sammeln und konzentrieren könnte.
Um seine Geschwister zu rufen, ließ er die Knechte, von welchen nun einige seiner Macht verfallen waren, das Haus errichten, in dem ich so lange Jahre gelebt hatte. Dann liess Er sie graben, mindestens es brauchte die Lebensspanne mehrerer Generationen „seiner“ Sklaven bis das Loch die Tiefe erreicht hatte, die Er benötigte. Hier unten würde Er ungestört die zur Kommunikation notwendigen Menge an Energie sammeln, ohne dass die Bewohner dieses Planeten „ihm“ gefährlich werden konnten, hier unten war Er abgeschirmt, und nichts von „seinem“ heimlichen Treiben würde jemals bis an die Oberfläche gelangen. Mit einer ausreichenden Menge an Kraft, auf einen Schlag entfesselt, würde Er die seinigen beschwören.
Nach wenigen hundert Jahren begann das vor einer all zu raschen Entdeckung schützende Gemäuer alt und brüchig zu werden. Die so entstehenden Risse führten zwangsläufig zu einem Energieleck, und schließlich dazu, dass die Ureinwohner dieser Welt uns Menschen benutzten, um seine Knechte als Teufelsanbeter zu auf dem Scheiterhaufen zu Asche zerfallen zu lassen und „ihn“ mittels Beschwörungsformeln in „seinem“, MEINEM Verlies gefangen zu halten.
Er weiß, dass es kein Entrinnen aus seinem Gefängnis gibt. Aber was mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, war die Tatsache, dass ich gefühlt habe welche fremdartige und unfassbare Leere aus dem Inneren unzähliger, astronomischen Strudel auf unsere Teile der Milchstraße aufmerksam geworden ist.
…
Die Kerze ist schon beinahe ausgebrannt, das Papier fast bis zum letzten freien Flecken gefüllt, und ein Stift viel zu kurz um mir die Gnade eines würdigen Todes zu erweisen. Doch was ist das, wieso ist mir das nicht früher schon aufgefallen? Dieser alte und faulige Stift wurde nicht mit den Buchstaben seiner Herstellerfirma bedruckt, sondern mit Initialen. Diesen, oder einen ähnlichen Bleistift habe ich schon einmal gesehen: H.R. steht für Howard Rhode. Aber wieso sollte mein alter Freund mich hier unten einsperren und mir Angst machen? Was für Halluzinogene lösen einen solchen alptraumhaften Trip zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Lethargie und Todesangst, zwischen Chaos und Ewigkeit aus? Nein, das war keine Einbildung, sondern Real. Kurz bevor ich die Rolle meines Freundes in diesem Schauspiel verstehe, sehe ich wie sich kurz in etwa drei Meter Höhe ein kleines, dreieckiges Loch öffnet und ein Brief in mein Verlies flattert. Ich muss wissen was das ist.
Es war ein Brief von Howard. Es ist so weit. Ich werde den Inhalt nicht wiedergeben, weder die verbleibende Mine noch mein Verstand reichen noch aus. Was ich erfahren habe, hat mir klar gemacht, dass das was mich hier unten festhält, bald nach der ganzen Welt greifen wird. Auch über Howard weiß ich jetzt mehr. Den Brief lege ich bei, auf dass ihn ein stärkerer Geist als meiner liest und zusammen mit meinen Aufzeichnungen die Wahrheit versteht. Ich flehe die Götter die uns erschaffen haben diesen vor dem Wahnsinn zu schützen, auf dass er einen Weg findet, die Menschen von ihrem bevorstehenden Schicksal zu erlösen. Die Kerze stirbt, ich kann nicht mehr schreiben und stelle mich nun meinem Tod. Ich fühle wie meine Eingeweide sich zusammenziehen, und kalter Schweiss von meinen fettigen, verfilzten Haaren über mein tränenverschmiertes Gesicht rinnt. Jede Faser meines geschundenen Körpers bis zum Bersten gespannt. Ich rieche „ihn“. Noch kann ich schreiben, doch der Geruch des Todes, nein, der Gestank des Chaos, wird unerträglich. Blut strömt aus meinem Mund und meine Brust hinab, ich habe mir vor Angst die Zunge abgebissen, die ich sowieso nicht mehr brauche. Langsam nimmt die Dichte der Atmosphäre um mich zu, ich spüre wieder den Wahnsinn. Wie lange soll ich diesen Zyklus des Grauen den noch durchleben? Wie weit soll dieses „seine“ Spiel denn noch getrieben werden?
Der Geruch ist jetzt so intensiv und schwer, dass mein Gesicht brennt, nach jedem Satz muss ich mich abwenden und blutige Galle spucken. Er steht genau hinter mir und wartet auf mich, doch mir ist noch eingefallen wie ich mich retten kann. Meine Zunge wird nun doch ein letztes mal nützlich sein, ich habe sie genau hinter mir auf den Boden gespuckt. Ich verabschiede mich nun.
Viel Glück, denn das werdet ihr brauchen, der Menschheit untertänigst,
I.J.L.M
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Als ich meinen Blick nach hinten wende, finde ich nur einen roten Fleck auf den Boden. Jedoch erkenne ich im letzten flackern der sterbenden Kerze eine schwebende, mit Blut triefende Zunge und es wird dunkel.