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Der Geschmack von Seelen
Der Boden flimmert vor Hitze. Das Blut auf Charis’ Stiefeln ist schwarz und unter dem Staub kaum noch zu sehen, nur noch zu riechen.
Charis folgt der Straße seit Tagen. Die Wüste hat sie willig aufgenommen, sie verschluckt. Nun soll der Sand sie abschleifen und die Sonne sie garen. Die Lakaien der Wüste lauern. Spinnen, so klein wie ein Fingernagel, mit der Macht ganze Familien zu vernichten, huschen lautlos von Düne zu Düne, verfolgen sie. Die trockene Luft dringt in die letzten Verästelungen ihrer Lunge und lässt Charis husten.
Sie genießt jede Sekunde. Der Tod spielt für Charis keine Rolle, die Einsamkeit hat sie gesucht.
Eine Frau in Jeans und einem weißen T-Shirt wankte auf Charis zu, ihr rechter Schuh fehlte. Der Mascara hatte schwarze Höfe unter den Augen hinterlassen, Tränen hingen an den Wimpern. Am Boden ein Mädchen, ihr Gesicht bedeckt von Blut und türkisen Haaren. Auf dem Turnbeutel stand L♥VE. Charis wollte sich neben das Mädchen legen, ihr die Haare aus den Augen streichen und leise ins Ohr lügen, dass alles wieder gut würde.
Die Schreie vermischten sich mit den Explosionen der Blitzeinschläge und ließen Charis’ Gedanken erzittern, sich winden, den Fokus verlieren. Die Kämpferin, die einst schnellen Schrittes und voller Energie in den Kampf gezogen war, die davon überzeugt gewesen war, die Welt zu einem besseren Ort machen zu können, war verschwunden und zurückgeblieben war eine Charis, die das Gefühl hatte, ihre Stiefel wären mit Blei gefüllt.
Sie folgte dem schwarzen Dunst, der für sie so deutlich war wie der Geruch für einen Suchhund, und genauso unsichtbar für den Rest der Welt.
Das Knarzen der engen Lederhose verbindet sich mit dem Klopfen des Katanas auf ihrem Oberschenkel zu einem Marsch, in dessen Rhythmus Charis dahintreibt. Sie wünscht, sie könne auf alle Ewigkeit in dieser Hitze einen Fuß vor den anderen setzen. Ihr Blick folgt einem Strauch, der durch die Dünen rollt und in den Schlieren der heißen Luft verschwindet.
Menschen kommen selten an solch einen Ort. Es sind nicht sie, vor denen Charis flieht, sondern das, was überall dort ist, wo es viele Menschen gibt. Was ihnen folgt wie die Ratten.
Achtzig Meilen weiter westlich erzeugt eine Mercedes G-Klasse mit geschwärzten Scheiben eine Staubwolke und diese ein Runzeln auf Charis’ Stirn. Ein Anzugträger, ausgestattet mit Muskeln und spitzen Reißzähnen, tritt auf das Gaspedal; auf dem Beifahrersitz und auf der Rückbank sitzt je eine Kopie. Der blonde Junge hinten rechts schaut aus dem Fenster, die Pupillen rattern hin und her.
Charis bleibt stehen. Der Schweiß läuft ihr den Rücken hinab und kitzelt am Steißbein. Ihre Lippen sind ein nur noch ein dunkelroter Strich. Sie könnte tiefer in die Wüste fliehen, weg von der Straße. Sie geht weiter. Sie wird das Auto ignorieren, dann wird es sie ignorieren.
In einem See aus schwarzer Luft stand eine Dämonin. Das enge Top und das Tutu passten zu den pinkglänzenden Schnürstiefeln. Blitze flimmerten zwischen ihren Fingern. Sie lachte Charis an und die Pippi-Langstrumpf-Zöpfe hüpften auf und ab.
„Freut mich, dass du vorbeischaust. Mir wurde grade etwas langweilig.“ Ihr Blick glitt über den Platz. „Menschen laufen einfach nur weg.“ Sie schob ihre Unterlippe vor.
„Kein Angst. Ich laufe nicht weg.“ Charis zog ihr Katana und ging in den Nebel.
„Chef, da ist jemand auf der Straße.“
„Weiterfahren.“ Der Junge blickt nicht von der vorbeiziehenden Einsamkeit auf. Draußen nur Wüste, drinnen nur Dummheit.
„Es ist eine Frau.“
Der Junge schaut nach vorne und schweigt.
Der Fahrer verzieht sein Gesicht zu einem Grinsen, an seinen Zähnen sammelt sich Speichel. „Wir hatten schon lange keinen Spaß mehr, Boss.“
Es ist ermüdend mit Halbdämonen zu arbeiten. Die menschlichen Triebe lassen keine Effizienz zu.
„Dann macht schnell. Ich möchte diese Ödnis hinter mich bringen.“
Mit quietschenden Reifen hält der SUV vor Charis. Die Türen öffnen sich und schwarzer Nebel quillt hervor, legt sich wie ein Teppich auf den heißen Asphalt. Es sind keine Menschen, sondern Dämonen, die ihren Gestank verteilen.
Den Rauch sieht nur Charis, er sorgt dafür, dass ihr kein Dämon entkommt. Und damit erwacht auch der Hunger in ihr, um sicher zu gehen, dass sie die aufgespürten Widersacher vernichtet. Er treibt sie an, lässt sie niemals ruhen und Charis nährt ihn mit den dreckigsten Seelen, die sie finden kann.
Obwohl sie den Hunger in die dunkelsten Ecken ihres Seins gedrängt hatte, weil sie ihn und seine Gier nicht mehr ertragen konnte, sammelt sich der Speichel nun in ihrem Mund und die Muskeln machen sich kampfbereit.
Die Luft knisterte vor Elektrizität. Das Blut floss aus der Dämonin in das Tutu und färbte es schwarz. Charis beugte sich wie ein Tier am Wasserloch über die wabernden Nebelschwaden und zog diese gierig in sich ein. Die Seele hatte ihren Halt verloren. Sie musste entsorgt werden und Charis war die Müllkippe. Sie nahm den Dreck in sich auf, merkte wie ihre Kraft wuchs und mit ihr der Ekel. Vor sich selbst und der Welt. Sie war mehr als satt, sie war überfressen von dem Grauen der Welt, ohne das sie nicht überleben konnte. Sie brauchte Abstand, eine Pause von den Menschen, die das Böse anlockten wie Essig die Fliegen.
Die Anzugträger stehen dort in ihren Ausdünstungen als seien sie Tänzer, die auf den ersten Takt warten. Sie lecken sich die Schweißtropfen von der Oberlippe und reiben ihre Schwänze durch den glatten Stoff.
Charis sieht den grauen Nebel und weiß, dass es einfach wird. Je heller der Nebel, desto schwächer der Dämon. Aber auch diese müssen vernichtet werden, also zieht Charis das Katana mit der rechten Hand. Ihre Schritte durchwirbeln die Nebelschwaden und mit einer durchgehenden Bewegung durchtrennt sie den Hals eines Dämons. Die Welt ist zu schnell für sein Hirn. Der Schädel poltert dem Nachbarn vor die Füße, das schwarze Blut tropft, bildet einen See aus flüssigem Teer.
Die beiden verbliebenen Dämonen umkreisen Charis, wie Wölfe, die erkannt haben, dass das Lamm kämpfen kann. Den Anzugträger mit Sonnenbrille stachelt die Herausforderung an, Geifer tropft ihm vom Kinn während seine zu Klauen verkrampften Hände sich öffnen und schließen.
In den schlitzartigen Pupillen des anderen regt sich Unsicherheit, seine Bewegungen sind fahrig. Er zuckt, sucht Lücken in Charis’ Deckung. Er greift an, verlässt sich auf seine übermenschliche Stärke und seine Reißzähne.
Charis weicht mit einem leichten Schritt zur Seite aus, der Dilettant stolpert an ihr vorbei und fällt mit durchtrennten Sehnen auf den Boden. Sein Schrei hallt durch die Wüste. Wimmernd und verkrümmt bleibt er liegen.
Sonnenbrille ist vorsichtiger. Seine Gier ist aus dem Gesicht verschwunden, die Stirn wirft Falten vor Konzentration. Er tippelt von links nach rechts, von vorne nach hinten. Schweiß läuft ihm die Schläfen hinab. Charis macht einen Ausfallschritt nach vorne, er weicht zurück, will sich erneut in Position bringen, doch Charis bedrängt ihn weiter und stößt das Schwert in seinen Bauch. Er stolpert nach hinten, das Schwert gleitet aus seinem Körper und Blut sprudelt hervor. Die Hände können das Leben nicht halten und er knallt auf den Asphalt.
Charis beendet sein Leiden und das des noch wimmernden Kollegen mit einem Schnitt durch die Kehle und es herrscht wieder Ruhe in der Wüste.
Der Nebel wabert noch um seine Besitzer. Charis beugt sich über sie, zögert. Eine Übelkeitswelle überkommt sie und nimmt ihr den Atem. Sie schließt die Augen. Die gelösten Seelen müssen vernichtet werden, bevor sie sich einen neuen Wirt suchen. Der Hunger tobt und schreit in ihr, so nah vor der Beute will er nur noch befriedigt werden.
Charis zieht die dunkle Luft in einem langen Zug ein und ihr Körper bäumt sich in einer Mischung aus Ekstase und Ekel auf. Wenn man Nebel auskotzen könnte, hätte Charis ihn hervorgewürgt.
Der Junge runzelt die Stirn. Was für eine Unfähigkeit. Er steigt aus und geht auf die Frau in den engen Ledersachen zu.
„Seelenfresser. Du möchtest kämpfen?“ Der Dunst um seine Füße ist so schwarz, dass man seine Schuhe nicht erkennen kann.
Charis’ Körper verkrampft und ihre Kiefermuskeln verhärten sich. Die Übelkeit schnürt ihr die Kehle zu. Sie will den Kerl tot sehen. Es ist ihre Aufgabe, dafür wurde sie geschaffen. Er hat den Tod verdient, aber die Vorstellung, seine Seele am Ende aufsaugen zu müssen, lässt Charis schwindeln. „Hau ab“, presst sie hervor.
Der Junge schaut sie erstaunt an. „Ein Seelenfresser, der nicht kämpfen will? Was sagt denn deine Bestimmung dazu?“
Genau diese hatte dafür gesorgt, dass Charis, seit sie denken kann, trainiert wurde, um gemeinsam mit den anderen Seelenfressern die Welt zu säubern. Keiner hat ihnen verraten, dass dies eine Aufgabe ist, bei der man das Ziel nicht erreichen kann. Aber Charis muss weitermachen, bis ein Dämon es schafft ihr den Kopf abzuschlagen. Als Antrieb und Mittel gegen Zweifel hat man ihr den Hunger mitgegeben. Unerbittlichen Hunger, der jeglichen anderen Gedanken verdrängt, der in ihr brennt, als würde er sich durch ihre Eingeweide fressen.
„Na, was ist? Lässt dich mein Geruch nicht schon sabbern?“ Der Nebel um ihn verstärkt sich, breitet sich aus. Er lacht leise. „Komm, tu doch nicht so. Lass uns endlich kämpfen.“ Die letzten Worte schreit er und ein Energieball trifft Charis. Ihr Körper fliegt nach hinten, als hätte ein Riese ein Seil um ihre Hüfte gebunden und fest daran gezogen. Sie schlittert über den heißen Asphalt und endlich löst das Adrenalin ihre Starre. Sie springt aus der Bewegung auf die Füße und richtet das Schwert auf ihren Gegner.
Nebel fließt aus den Fingern des Jungen und nährt einen weiteren Energieball. Die Augen laufen über vor Schwärze und dunkle Tränen rinnen die Wangen hinab. Charis hechtet auf ihn zu. Das Katana surrt durch die Luft, schneidet durch flüchtige Energie und festes Fleisch. Der Dämon springt zurück. Der Kugel verpufft, Blut zischt auf dem Wüstenboden.
„Ärger mich nicht, Seelenfresser.“ Zwei neue Kugeln erscheinen, eine in jeder Hand. Ein Geschoss verlässt die Finger, eine neues entsteht. Charis weicht den Bällen aus, duckt und wendet sich. Ihre Haut verbrennt. Charis nimmt es in Kauf, kommt dem Dämon Schritt für Schritt näher.
Mit einem Schrei überwindet sie den Abstand und hackt dem Monster eine Hand ab. Der Junge schreit vor Wut und Schmerz, krümmt sich über seinen Stumpf. Er faucht und Tentakel aus Energie winden sich aus seinem Mund. Sie nähern sich Charis wie ein Heer aus Schlangen und umschmeicheln sie, schlingen sich um ihre Füße. Sie holt mit dem Katana aus, um die Fesseln abzuhacken, doch ihr Arm erstarrt. Ein Fangarm hält ihr Handgelenk.
Kälte erfasst den Arm. Leben kriecht aus Charis hinein in den Dunst, der sich immer weiter über ihre Haut ausbreitet. Ihre Beine haben kaum noch Kraft und werden nur noch durch die Tentakel aufrecht gehalten, die sich wie eine fette Python um sie gelegt haben. Der Hunger in ihr kämpft, will Charis’ Kräfte aktivieren.
Wie leicht es wäre sich den äußeren Tentakeln zu ergeben, damit die Bestimmung die Macht über sie verliert. Diese Option erscheint Charis wie ein Ohrensessel vor dem Kamin und ihre Gedanken werden träge. Das Gewicht der unzähligen Morde, die sie begangen hat, drückt sie tiefer in das Polster, lähmt sie.
Die Tentakel umfassen Charis’ Hüfte, ihr Oberkörper kippt nach vorne, wie der einer Marionette, der man die Fäden durchschneidet. Der Dämon schwankt – paralysiert von der Macht, die er aus seinem Opfer in sich zieht. Seine schwarzen Augen starren blind in den Himmel und Sabber läuft den Hals hinab.
Der Hunger in ihr zerfleischt sich vor Wut fast selbst, aber Charis hört ihn kaum. Sie will jetzt nicht gestört werden, weder von ihm noch von dem Jungen. Sie will genießen, es ist grad so gemütlich.
In dem Moment, in dem alles egal ist, überkommt sie das Bedürfnis das zu tun, worauf sie Lust hat. Sie, Charis, und nicht sie, die Bestimmung. Die Welt entdecken, um sie zu erleben, und nicht um das Böse darin zu suchen. Erfahren, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Sich die Haare türkis färben und einen Jutebeutel kaufen, um für die zu leben, die sie nicht hatte beschützen können.
Charis richtet sich auf. Der Körper ist schwach, die Gedanken klar, wie lange nicht mehr. Mit zittrigen Fingern quetscht sie sich vorbei an den Fangarmen bis hin zu ihrer Hüfttasche und fingert ein Wurfmesser hervor. Der Dämon ist sich seiner Beute zu sicher und starrt immer noch gen Himmel, nur darauf konzentriert die unglaubliche Macht eines Seelenfressers in sich aufzunehmen.
Das Messer surrt durch die Luft und zertrümmert den Kehlkopf. Der Junge stolpert nach hinten, der Energiefluss wird unterbrochen, die Tentakel unsicher. Er fasst sich an die Kehle, schaut Charis verwirrt an und knallt auf den Asphalt. Das Blut sprudelt aus der Wunde, der Junge röchelt und rote Blasen bilden sich in den Mundwinkeln. Die blonden Haare leuchten grell in dem Dunst. Die Seele ist frei und der Nebel beginnt sich zu regen.
Charis erwartet den Hunger. Doch sie spürt nichts außer dem Wüstenwind, der den Schweiß auf ihrer Stirn trocknet und die Nebelschwaden durchwirbelt. Sie lässt sich auf den Boden sinken. Die Dämmerung kommt auf und es wird erst kühl und dann kalt.
Wie kann sie einen Dämon töten und dann vor seiner Seele sitzen und nichts spüren? Sie spürt Panik in sich wachsen. Was ist sie, wenn sie keine Seelen mehr frisst? Was tut sie, wenn ihr der Hunger nicht mehr den Weg vorgibt?
Sie hatte nie eigene Ziele oder Wünsche, immer folgte sie der Bestimmung. Der vorgegebene Weg war für sie unerträglich geworden, doch ohne ihn fühlte sie sich orientierungslos und allein.
Als die Sonne sich wieder über den Horizont schiebt, steht Charis auf. Auch wenn ihr das Leben mehr Angst macht als jeder Dämon, will sie es versuchen.