Der Geschichtenerzähler
Schon früh fing er damit an und wurde mit 33 Jahren einer der Großen Acht. Doch war er kaum bekannt unter der Menge, denn seine Geschichten waren zu fremd, zu lebensfeindlich für das Volk.
Eines Tages wurde er in den Palast geladen, weil der Herrscher ihn und seine Geschichten kennen zu lernen wünschte. Von da an verbrachte er jeden Tag im Palast um den Herrscher in der Abenddämmerung mit seinen Erzählungen zu unterhalten. Seltsam waren diese Geschichten, ohne Anfang und ohne Ende, wie die Stücke einer fremdländischen Symphonie. Die Helden waren allesamt Gefallene – ruhelose Geister, von ihren eigenen Dämonen gejagt – ihre Beweggründe lagen jenseits alles Menschlichen und für ihre Wünsche und Begierden wurden noch keine Namen erfunden. Der Herrscher ließ sich gerne von diesen Erzählungen verzaubern, denn sie waren neu für ihn und alles Neue erregt schnell Aufsehen. Schon verbrachte er selbst seine Nächte in den Gärten seines Palastes im Schatten großer Bäume, die in der Dunkelheit ihre Persönlichkeit verloren. Dort hing er seinen Gedanken nach, grübelte und sinnte über die Phantasiewelt seines Geschichtenerzählers. Und im Laufe einer Nacht, als er selbst eine Geschichte schrieb und diese in seiner Begeisterung dem Erzähler zeigte, lachte der Künstler ihn aus, laut und unbarmherzig. Einen Dilettanten nannte er ihn, arm an Phantasie und gänzlich unbegabt. Der Herrscher ordnete beschämt die Hinrichtung an: „Um Mitternacht wirst du dein Leben lassen.“ Als der Geschichtenerzähler, von zwei Wachen geführt zum Schafott ging, sah er hoch zu den Sternen und in seinen Augen erschien jener umenschlich, sinnlose Glanz, mit dem auch die Helden seiner Geschichten den unheilvoll hungrigen Himmel ihrer staubigen Welt angeblickt haben mochten.
Drei Trage später ließ der Herrscher einen anderen Geschichtenerzähler einladen, von dem es hieß, seine Geschichten ließen die Gesetze von Raum und Zeit verschwinden.