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Der Gesandte
Das Nerv tötende Pfeifen der Stalinorgeln kam mit jeder Stunde näher und näher. Das Hämmern der Einschläge wirkte auf den Mann wie das unbarmherzige Klopfen eines ungebetenen Gastes. Das Arische Volk – sein Volk – hatte versagt. Und er mit ihm. Also waren sie es nicht wert, weiterzuleben. Die Anderen hatten sich als die Stärkeren erwiesen.
Wenn er es gekonnt hätte, hätte er sie alle längst vernichtet. Doch er war gefangen. Er hatte sich und den armseligen Rest seines Gefolges hier herunter geführt; sich selbst eingesperrt. Es gab keinen Ausweg mehr, keinen Fluchttunnel, kein Entkommen. Denjenigen, die gehen wollten, hatte er zähneknirschend die Erlaubnis dazu gegeben.
Feiges Pack! Nur Wenige hatten geschworen, bis zum bitteren Ende bei ihm zu bleiben. Aber er hatte ihnen kein Wort mehr geglaubt und ihnen von seinem Adjutanten ausrichten lassen, er habe sich schon erschossen. In Wahrheit war es Fegelein, der Verbindungsoffizier zur Waffen-SS gewesen, den die Kugel getroffen hatte. Wenigstens an ihm hatte er sich für den Verrat Himmlers rächen können.
Auf die Falschmeldung seines Selbstmordes hin hatten sich viele getötet. Goebbels, dessen Frau Magda. Zuvor hatten sie ihre Kinder mit Zyankali vergiftet. Alle sechs. Auch er und Eva würden diesen Schritt in wenigen Minuten vollziehen. Den letzten – totalen – Schritt. Eva schlief unruhig; bei jedem Einschlag einer Granate zuckten ihre Lider. Aber er wollte sie nicht wecken. Es gab nichts mehr zu sagen oder zu tun.
Als eine besonders heftige Detonation Eva die Augen aufschlagen ließ, schob er die kleine Kapsel wieder in seine Jackentasche zurück. Erschrocken sah sie sich in dem kleinen Raum um und entdeckte ihn sofort.
„Die Russen … sie kommen immer näher, Adolf. Was wird nur aus uns?“
Beides ärgerte ihn und er musste sich zusammenreißen, um ihr nicht über den Mund zu fahren. Schließlich war sie nun seine rechtmäßige Frau und nicht nur seine Geliebte. Von einer Sekunde zur anderen wechselte er den Gesichtsausdruck.
„Ich werde eine neue Armee aufstellen und die Sowjets zurückdrängen. Dieses Pack hatten wir schon fast vernichtet. Und dann hat die Unfähigkeit einiger Generale sie sich sammeln lassen und ihnen den Sturm auf das Deutsche Reich ermöglicht.“
Sein Gesicht hatte eine deutliche Rotfärbung angenommen und seine Hände öffneten und schlossen sich, als wollten sie sich um unsichtbare Hälse legen und gnadenlos zudrücken. Das Zittern seiner linken Hand, das er seit Monaten nur schwer verbergen konnte, schien immer dann zu verschwinden, wenn er kurz vor einem Wutausbruch stand.
„Ich hoffe nur, dass sich diese Versager eine Kugel in den Kopf gejagt haben“, stieß er beißend hervor und Eva drückte sich in eine Ecke zwischen Wand und Bett. „Wenn wir die Gegenoffensive starten und wieder in die Weiten Russlands vorstoßen werden, dann können sie sich auf etwas gefasst machen. Allesamt Feiglinge und Nichtskönner.“
Ein heftiger – und sehr naher – Treffer ließ den gesamten Bunker erzittern und strafte seine Worte Lügen. Eva zuckte so sehr zusammen, als hätte die Granate direkt über ihnen eingeschlagen. Vielleicht war sie es sogar. In Hitlers Gesicht arbeitete es und in diesem Moment hatte er mehr mit einem Irren Ähnlichkeit als mit dem Größten Feldherrn aller Zeiten. Er wollte gerade zu seinen mehr als unwahrscheinlichen Zukunftsplänen zurückkehren, als das feindliche Feuer sich schlagartig steigerte und nun fast ununterbrochen auf die dicke Panzerung des Bunkers einschlug. Als führte Thor seinen Hammer Mjöllnir, donnerte Granate um Granate heran und brachte beide – Eva und Hitler – dazu, die Hände über die Köpfe zu reißen und nach Dingen im Raum zu suchen, mit denen sie sich schützen könnten. Doch da war nichts, was die starke Betondecke effektiv hätte unterstützen können.
„Adolf … bitte … ich will nicht, dass diese Barbaren mich …“ Sie rutschte vom Bett und kniete sich vor ihm hin. „Eher möchte ich sterben, als dass mich diese Primitiven in ihre schmutzigen Hände bekommen.“
Wieder verschwand der hasserfüllte Ausdruck auf Hitlers Gesicht und machte einem neuen Platz. Die kniende Frau vor ihm – seine Frau – und das Bild, das sie mit ihren Worten in ihm erweckte, wischten seine Wahnvorstellungen vom Endsieg mit brutaler Klarheit davon. Fast ohne sein bewusstes Zutun bewegte sich seine Hand wieder zur Jackentasche. Wie in Zeitlupe schoben sich seine Finger hinein, verblieben dort und schoben sich noch langsamer wieder hervor. Erst als er seine eigene Hand wieder sah, schien er in die Realität zurückzukehren. Er hielt Eva die Hand hin und öffnete sie. Wie einen Schatz zeigte er ihr die kleine weiße Pille.
Sie verstand sofort und nahm ihm das Gift ab. Für mehrere Herzschläge behielt er die leere Hand in der Luft und sah ihr zu, wie sie sich wieder auf das Bett legte und ihn stumm ansah. Ihr Ausdruck war eine Mischung aus Angst, Erleichterung und Sorge.
„Und du?“
Ihre leise Stimme war in dem beinahe pausenlosen Getöse aus Explosionen und krachenden Einschlägen kaum hörbar. Das staccato-artige Hämmern von Maschinengewehren untermalte die wenigen Lücken der Detonationen.
„Ich werde die Pistole nehmen“, sagte er und setzte dabei ein störrisches Gesicht auf. Er nahm aus einer Schublade die goldene Walther PPK Liliput und überprüfte das Magazin. Er schob die Sicherung beiseite und blickte wieder zu Eva.
Sie lag mit geschlossenen Augen auf dem Bett und atmete bereits nicht mehr. Auf ihren Lippen lag ein wenig schaumiger Speichel. Für mehrere Augenblicke klammerte er sich an ihr Gesicht, das so friedlich dalag … so still.
Plötzlich registrierte er, dass es wirklich still war.
Keine Explosionen, keine Granatenschläge.
Nicht der geringste Laut.
Hitler erhob sich und trat an Eva heran, fühlte ihren Puls. Sie war tot. Dann wollte er sich ebenfalls auf das Bett setzen, um neben ihr zu sterben und drehte sich herum.
Und erstarrte.
Eine Gestalt stand in einer der Ecken des kleinen Raumes und rührte sich nicht. Der Raum war zwar spärlich aber ausreichend beleuchtet, trotzdem konnte er nicht mehr als einen dunklen Schemen ausmachen. Aus finsteren Schwaden schienen ihn Augen zu mustern.
Hitler überlegte für einen Moment, ob er schießen sollte, ließ dann aber die Hand mit der Waffe auf das Bett sinken. Immer noch war kein Laut zu hören.
„Sind die Russen zurückgeschlagen?“, fragte er und hoffte, es könnte ein SS-Mann in seiner nachtschwarzen Uniform sein, der sich zu ihnen hereingeschlichen hatte, um die gute Botschaft zu überbringen und nun über den Tod Eva Hitlers ins Stocken geraten war.
„Nein, deine Feinde sind immer noch da draußen“, antwortete ihm eine Stimme, die mächtiger klang, als er es sich je für seine eigene Stimme erträumt hatte.
„Ich höre keinen Kampflärm mehr.“
„Weil ich nicht gewillt bin, den Krach zu übertönen.“
Hitler konnte in der Gestalt immer noch keine Details ausmachen, weder Augen noch Mund. Doch der Ton drückte völlig klar aus, dass diese Stimme sehr wohl in der Lage wäre, jeglichen Krach zu überwinden.
„Wer sind Sie?“
"Ich bin der Gesandte“, kam es lapidar zurück.
"Der Gesandte? Von wem?“ Wenn es kein Bote seiner Militärs war … „Sind Sie Russe? Wie kommen Sie hier herein?“, zischte Hitler und richtete die Walther auf den Schemen.
„Ich bin weder Russe noch ein Bote einer anderen irdischen Macht. Ich bin auch kein Mensch.“
„Was zur Hölle …“, begann Hitler und wollte aufstehen, da bewegte sich der Schatten aus der Ecke einen Schritt nach vorn. Die schiere Macht, die in diesem Schritt lag, ließ Hitler wieder auf das Bett sinken. Die Waffe zitterte in der Hand des Diktators.
„Nahe dran, aber der hat mich nicht zu dir geschickt.“
Plötzlich riss Hitler die Waffe in die Höhe und drückte mehrmals den Abzug. Nichts geschah.
„Du kannst mich nicht töten, nicht mit dieser primitiven Waffe noch mit sonst irgendetwas, was Menschen zur Verfügung steht …“ Immer noch bebte Hitlers Hand vor dem Gesicht, das keines war und sich in finsteren Schwaden verbarg. „Ich bin gekommen, um dich zu holen.“
Hitler drückte die Waffe an seine Schläfe und brüllte dem Schemen aus heißerer Kehle seine vermeintlich letzten Worte entgegen, die trotzdem seine Angst und seinen Wahnsinn nicht mehr verbergen konnten.
„Zu spät … Gesandter. Auch wenn ich dich nicht töten kann, dann doch mich.“
Noch bevor er den Abzug drücken konnte, lachte der Gesandte.
„Schieß nur, dein Körper interessiert mich nicht. Das einzige, was ich mir hole, ist deine verdorbene Seele …“
„Eine Seele? Ich glaube nicht an solch mystischen Humbug. Da wärst du besser bei Himmler an der richtigen Adresse gewesen. Ich besitze einen Geist, der …“
„… verdorben ist“, wiederholte der Gesandte. „Das genügt mir.“ Er wartete und blickte Hitler aus unsichtbaren Augen nur unverwandt an.
Der zögerte immer noch. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht verstand. „Was hilft dir mein Geist? Vor allem, wenn du der Meinung bist, er sei verdorben?“
„Die wahren und ultimativen Mächte des Universums: das ewige Licht und die ewige Dunkelheit; diese Mächte haben mir - wieder einmal - diesen Auftrag erteilt. Ich musste nicht lange suchen. Du hast dich mehr als ausreichend für diese Aufgabe … qualifiziert.“
Hitler schien der Tonfall des Gesandten eine gewisse Befriedigung auszudrücken, mit einer mehr als deutlichen Färbung, die seine Verachtung ausdrückte. Neue Hoffnung und Neugier vermischten sich in Hitlers Augen.
„Welche Aufgabe?“, fragte er und wartete gespannt darauf, was der Gesandte ihm offenbaren würde. Er würde annehmen, egal, was es war. Alles, wenn er nur von hier wegkam. Und wenn er sich in dieser neuen Aufgabe befand, konnte er sich immer noch davonmachen und seine eigenen Ziele erneut in Angriff nehmen. Zu seinem Erstaunen hatte Hitler den Eindruck, als verzöge der Gesandte mit erneuter Verachtung und gnadenloser Konsequenz sein Gesicht. Obwohl er es immer noch nicht sehen konnte.
„Du wirst ein Reich erhalten, das deinem Charakter entspricht“, dröhnte die Stimme des Gesandten und erfüllte den Raum schon mit der ersten Silbe mit einer unausweichlichen Konsequenz. „Du wirst dieses Reich anführen, mit Myriaden Gefolgsleuten beiderlei Geschlechts. Dieses Reich existiert schon weitaus länger, als die von dir angestrebten lächerlichen 1.000 Jahre. Und es wird auch weitere Tausende von Jahren existieren … mit dir … oder ohne dich.“
Hitler riss die Augen auf. „Welches Reich soll das sein? Und was ist mit dem jetzigen Herrscher dieses Reiches?“
"Er ist tot“, sagte der Gesandte knapp.
Hitler ließ die Waffe sinken. „Wer war er?“ Fieberhaft überlegte er, welche Nation auf eine so lange Existenz zurückblicken konnte. Es fiel ihm keine ein.
Der Gesandte machte einen weiteren Schritt auf ihn zu. Sein Gesicht musste sich nahe dem Hitlers befinden, trotzdem konnte dieser nichts in der Finsternis des Wesens erkennen.
„Der Satan … er ist tot.“ Und nach einer winzigen Pause. „Du wirst der neue Fürst der Hölle werden.“ Wieder hielt er inne, um Hitler die Nachricht verarbeiten zu lassen. Dann folgten die letzten Worte. „Und jetzt schieß!“