Der General und die russische Haushälterin
Eigentlich war er kein General. Sicherlich. Wäre es aber geworden, wenn er nicht verwundet worden wäre. Seitdem war er auf Hilfe angewiesen, was kein Problem war, denn als General stand ihm natürlich ein Adjutant zu, der natürlich auch kein Adjutant war. Der natürlich auch nicht von der Wehrmacht gestellt worden war. Aber der den General in seinen Gedanken immer General nannte, und ihn auch seiner Familie gegenüber so nannte, die er später einmal gründete. Der General muss wohl recht reich gewesen sein. Aber das spielt für diese Geschichte weiter keine Rolle.
Der General hatte den Adjutanten zu sich genommen, einen schmutzigen, hungrigen - ich nehme hier mal an polnischen Jungen. Der keine Familie hatte. Der sonst verhungert wäre, in den Kriegswirren. Jedenfalls meint er das. Das hat er auch den anderen erzählt, seiner Familie und so. Und die glauben das. Jedenfalls glaube ich das. Deshalb ist er auch dem General so dankbar. Er, der Adjutant, den niemals jemand Adjutant genannt hat – außer ich, hier. Deshalb hat er auch den General niemals verlassen – aus Dankbarkeit, die er ihm ja schließlich schuldet, auch noch heute, 57 Jahre später. Jedenfalls meint er das. Und deshalb hasst er den General. Jedenfalls meint das der Sohn seiner Frau, die ihn nicht liebt, weil er trinkt. Die ihn deshalb verachtet. Jedenfalls meint das der Sohn seiner Frau. Vielleicht hat sie ihm das auch gesagt.
Sie hat den Adjutanten geheiratet, weil sie sonst keiner genommen hätte, mit dem Kind. Jedenfalls denkt sie das. Sie hat den Adjutanten nicht verlassen, weil er sie nach Deutschland geholt hat. Auch deshalb muss sie dem Adjutanten dankbar sein. Vielleicht hasst sie ihn auch deswegen.
Und der Adjutant trinkt, trinkt, weil er nicht geliebt wird, weil er verachtet wird, weil er vielleicht sogar gehasst wird. Dann hasst er den Sohn seiner Frau. Auf den ist er eifersüchtig. Den liebt sie. Deshalb schmiss er ihn raus.
Der Sohn seiner Frau hasst den Adjutanten. Viel schlimmer: verachtet ihn – und er ist ihm dankbar. Weil er ihn nach Deutschland geholt hat. Und natürlich dem General. Weil der dem Adjutanten das Leben gerettet hat und nur so alles geschehen konnte.
Deshalb war er auch bereit, den General zu pflegen, als dieser aus Altersgründen mehr Pflege brauchte. Oder als der Adjutant zu hinfällig wurde. Egal.
Und nur so konnte es zu der Geschichte kommen, die mir der Sohn der Frau des Adjutanten des Generals erzählte:
Jetzt spricht er mit ihm, was er früher niemals getan hätte, nicht, als der Sohn noch ein Kind war und später erst recht nicht. Jetzt aber, da er in seine zweite Kindheit kam. Nicht, das er sich seiner Würde nicht mehr bewusst wäre, er ein Teil derer, denen die anderen zu dienen haben. Er spricht wie der Herr zu seinem Diener: Er spricht über seine Bedürfnisse. Er spricht über das, was er von der Welt zu recht erwarten kann, definiert die Verhältnisse, begrüßt die Öffnung des Ostens, des lange verschlossenen Raums. Spricht von Russland und den russischen Frauen, „die solche Möpse haben.“ Verdeutlicht diese Aussage mit einer die ganzen Arme beanspruchenden Geste. Und nun liebt der endlich Aufgenommene den kindlichen, geilen, gebrechlichen, alten General ein klein wenig. Verzeiht, aufgrund der Kindlichkeit, aufgrund der Menschlichkeit dieser Geilheit. Er würde sich eine kommen lassen, kündigt der General an, eine russische Haushälterin mit riesen Möpsen. Dafür müsse er nur seine Frau loswerden. Aber das sei ja heute auch kein Problem mehr. Davon träumte der General und schlief ein.