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Der Gelbe Mann
Gerade, als ich ankomme, steigt ein Mann aus seinem Auto, stellt sich bei geöffneter Tür direkt auf die Straße und schaut mich an. Er bohrt seinen Blick durch meine getönte Windschutzscheibe, betrachtet mein linkes Ohr, das sofort anfängt zu jucken und ich frage mich unweigerlich, ob ich hier wirklich richtig bin. Mein Navigationssystem zeigt an, dass mein Ziel nur noch zehn Meter entfernt ist. In etwa da, wo der Mann steht. Ich verlangsame den Wagen auf Schrittgeschwindigkeit, mein Ohr juckt schlimmer, dazu kommt, dass der Mann eine neongelbe Jacke trägt, wie einer von der Autobahnbaustelle und mir die Augen tränen, denn diese Farbe sticht.
Geh weg, geh von der Straße runter, ich muss dahin, wo du stehst. Warum starrt der Typ in mein Auto rein? Hab ich eine Fledermaus am Ohr? Was hat der für ein Problem? Hau ab!
Noch drei Meter und meine Motorhaube in staubigen brillantsilbermetallic würde dem Mann einen zärtlichen Knuff geben. Noch einen Meter bis zum Kontakt und ich bleibe stehen. Kein erlösendes „Sie haben Ihr Ziel erreicht“, mein Navigationssystem schweigt. Ich schweige. Der Mann steht da und schaut in mein Wageninneres.
Dieser Flegel soll aufhören mein Interieur zu begaffen, würde mein Navigationssystem jetzt sagen, wenn es dafür nicht zu höflich wäre. Ich spüre, wie sehr ich diese Stimme jetzt brauche. Die Stimme einer Dame, die Stimme meiner Limousine, die eigentlich ein Kombi ist, von der ich aber zu wissen glaube, dass sie das nicht gerne hört. Ihr riesiges Heck ist ihr unangenehm, sie wäre lieber sportlich als praktisch. Nun, ich kann es ihr nicht verdenken, umso mehr stört mich der Mann. Das ist doch nicht normal. Wir stehen vor ihm und er gafft einfach nur weiter. Ich beuge mich also weit nach vorne, so, dass der Typ meine Lippen auch erkennen kann, und artikuliere lautlose Anweisungen. „Mach nen Schritt!“ Theatralisches Augenrollen meinerseits. Nullreaktion seinerseits.
„Weg da!“ Nichts.
„Zur Seite!“ Ich unterstreiche diese Aufforderung mit einer Geste. Die Handbewegung ist zwar mehr als Empfehlung gedacht, falls der Typ sich einfach nur nicht für eine Seite entscheiden kann, aber sie weist auf sein orangefarbenes Fahrzeug, das immer noch mit offener Tür da steht.
Es passiert etwas. Der Mann steckt seine Hände in die Jackentaschen. Ich meine ein leichtes Kopfschütteln zu erkennen und sehe, wie er seine Unterlippe vorschiebt. Sein Blick flackert kurz. Mein Ohr juckt trotzdem. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich einen glühenden Fleck, dort wo sich seine neongelbe Jacke in meine Netzhaut gebrannt hat.
Schielt der? Will der mir nicht in die Augen gucken? Das ist kein Indianerblick. Will der sich mit mir anlegen oder was?
„Der hat sich schon mit dir angelegt.“
Endlich wieder die Stimmer meines Navis, nun aber mit ungewohnter Schärfe. So habe ich sie noch nie erlebt, so sauer.
Unmöglich. Das ist der Stress, ich bilde mir was ein. Ich muss tief durchatmen, bis zehn zählen, noch tiefer atmen und mir klar werden, wo ich eigentlich bin, und wo ich hin will. Ich schaue mich um. Eigentlich könnte ich zurücksetzen und dann in einem Zug an dem Typen vorbeifahren. Circa zwanzig Meter weiter ist eine freie Stelle hinter einem Bagger. Was hindert mich? Es ist dieser Mann, der in seiner diabolischen Bewegungslosigkeit Macht über mich ausübt und mich daran hindert voran zu kommen. Er ist wie der Wächter, den der Held besiegen muss, ein Dämon, der überwunden werden muss, um die Schwelle ins Neuland zu übertreten. Meine Konfrontation mit dem Schicksal. Er fordert mich heraus und jetzt ist mir alles klar. Ich war hier hergekommen, um da drüben in dem Gebäude, vor dem sich jetzt riesige Erdhaufen auftürmen und Baumaschinen parken, ein Softwareupdate für mein Navi zu kaufen. Doch ich würde mehr als nur dieses Update mitnehmen. Ich würde meine Männlichkeit mitnehmen. Ich würde als neuer Mensch gehen, als einer der alle Widerstände überwinden kann. Ich würde diesen Ort als Sieger verlassen. Die Zeit war gekommen andere Saiten aufzuziehen. Voller Überzeugungskraft drücke ich meinen Fuß aufs Gaspedal und warte darauf, dass der Dieselmotor ein annehmbar bedrohliches Geräusch von sich geben wird, als mir in den verstreichenden Sekunden mehrere Dinge auffallen. Eine große Anzahl Männer in neongelben Jacken, die aus einem Bauwagen steigt, die blinkende Baustellenabsperrung in meinem Rückspiegel und die wunderbare Stimme aus meinem Navi, die sagt: „Jetzt haben sie dich.“