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Der Geistertruck

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03.03.2019
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Der Geistertruck

“Der schwarze Hund ist der Tod vieler armer Seelen auf den Straßen.” Der alte Trucker lehnte sich nach vorne und sah verschwörerisch jeden am Tisch an. Mit gesenkter Stimme fuhr er fort. “Hört mir gut zu Jungs, sonst seid ihr des Todes, denn vor diesem Wesen ist keiner sicher.”
Philipp hob die Hand an den Mund, um sein Lächeln zu verbergen. Er war gerade erst zu der kleinen Runde an den Tisch gestoßen.
Es war eine dieser typischen Feierabendgesellschaften an den Raststätten. In der Abenddämmerung trieben Müdigkeit und Hunger die Trucker in die warmen Restaurants, deren Neonlichter, wie ein Leuchtturm in der Nacht, Ruhe und Essen versprachen. Dort aßen sie gemeinsam und erzählten ihre Geschichten.
Sei es über neue Gesetze, die Familie oder Erlebnisse von der Fahrt. Philipp hatte einen ausgeprägten Riecher für besondere Geschichten. Die Besten fand man in der Regel an den Tischen der alten Hasen.
Diese Asphaltveteranen konnten erzählen! Mit ihren rauen Stimmen und einem Hang zum Übertreiben, der gerade so an der Unglaubwürdigkeit vorbei schrammte, fesselten sie ihr Publikum. Dafür wurden sie meistens großzügig mit Getränken und Essen entlohnt.
Ein blonder Trucker neben Philipp kratzte sich, durch sein umgedrehtes Käppi, den Kopf und meldete sich zu Wort.
“Ich hab mal auf ner Landstraße ein Reh erwischt, bin einfach auf dem Gas geblieben und hab das Vieh an der nächsten Raststätte abgekratzt. Das kleine Ding war kein Problem für meinen fetten Zwölftonner. Was soll der Köter schlimmes machen, mir an die Reifen pinkeln?”
Er lachte laut über seinen eigenen Witz und einige am Tisch schlossen sich an. Phil wollte gerade etwas sagen, nicht dass der Alte die Lust verlor, als dessen Faust auf den Tisch schlug. Sein scharfer Blick durchbohrte den blonden Trucker förmlich und langsam verebbte das Gelächter.
“Der schwarze Hund ist kein Tier, du Trottel! Er ist ein Geist, ein Fluch der Straßen. Unersättlich und immer auf der Suche nach neuen Opfern.”
Gebannt beugte Phil sich vor und jubelte innerlich auf. Alte Truckerlegenden über Geister, Flüche oder seltsame Anhalter, waren die besten Geschichten kurz vor einer Nachtfahrt.
Der Alte fuhr fort.
“Überall am Rand der Straßen, lauern die schwarzen Hunde, sie waren schon da, als unsere Vorfahren ihre haarigen Ärsche an den Bänken von Kutschen rieben. Ihr Ziel sind müde Reisende, die nachts alleine unterwegs sind. Sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, beginnen sie ihre Jagd.”
Jegliches Gemurmel war mittlerweile verstummt, alle am Tisch hörten dem Alten gespannt zu. Zufrieden über die Wirkung seiner Worte, steigerte er sich weiter in die Erzählung hinein.
“Ihr liebstes Ziel sind Trucker, die alleine durch die Nacht fahren, müde vom Tag, den Chef im Nacken und schon Stunden auf der Straße unterwegs. Diese Monster sind schlau, sie wissen, dass wir leichte Beute sind, gefangen in einem rollenden Käfig aus Metall. Versteckt in der Dunkelheit am Straßenrand, rennen sie neben den Trucks her und beobachten euch. Sie lauern darauf, dass euch die Müdigkeit zu schaffen macht, nehmen sich Zeit.”
Der Alte hielt inne, ein Schaudern erfasste seinen Körper, als würde er gerade jetzt von einem der Hunde beobachtet. Der blonde Trucker rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Philipp fühlte ein leichtes Kribbeln im Nacken.
“Es ist zwei Uhr Nachts, ihr fahrt schon seit Ewigkeiten eine dieser elenden Straßen entlang. Die, die nur grade aus gehn, keine Kurven, nichts was euch wach hält. Vor euch nur Schwärze, hinter euch nur Schwärze. Drei Kannen Kaffee intus, aber die Müdigkeit macht sich trotzdem breit. Ihr müsst immer wieder gähnen und schließt kurz die Augen, da seht ihr ihn zum ersten mal. Ein schwarzer Schemen am Straßenrand, ein kurzes Flackern gelber Augen in der Nacht. Ihr könnt es nicht richtig sehen, es ist mehr eine Ahnung, aber irgendwas ist da draußen. Jedes mal, wenn ihr wieder gähnt und nicht aufpasst, kommt der Hund ein Stückchen Näher. Er hat Witterung aufgenommen, weiß wie gerädert ihr seid. Sobald ihr diesen Schemen seht, müsst ihr fliehen. Fahrt zur nächsten Ausfahrt, ins Licht der Straßenlaternen, dahin trauen sie sich nicht.”
Der Alte hielt kurz inne und sah traurig in die Runde.
Der Blonde nahm sein Käppi vom Kopf und begann daran rum zu spielen. Seine Finger tippten nervös auf den Stoff.
Philipps Kehle war staubtrocken. Abwesend nahm er einen Schluck aus seinem Becher. Sein Verstand war an einem anderen Ort. Draußen auf der Straße, in dem schwach beleuchteten Führerhaus, den Schemen des schwarzen Hundes vor Augen.
Der alte Trucker seufzte.
“Aber ihr jungen Kerle, werdet eh nicht auf mich hören. Das tun sie nie. So viele von uns sind dort draußen drauf gegangen. Sie nehmen den Schemen nicht ernst, brauchen die Meilen. Schließlich muss die Fracht abgeliefert werden, also beißen sie die Zähne zusammen und fahren weiter.
Die Zeit verrinnt, die Müdigkeit wird schlimmer, es ist kein einfaches Gähnen mehr. Nein, eure Augen sind schwer wie Blei, die Verlockung sie zu schließen ist unglaublich groß. Nur einen Moment, eine kurze Sekunde Ruhe, was kann es schon schaden? Die Straße ist doch eh kerzengrade und es ist kilometerweit keine Menschenseele zu sehen.
Ihr gebt nach, ich kann es euch nicht verübeln. Ihr seid schon so lange unterwegs, braucht eure Ruhe. Ihr schließt für ein paar Sekunden die Augen, atmet vielleicht tief durch oder streckt euch ein bisschen.”
Plötzlich sprang der Alte auf, sein Stuhl wurde von dem Schwung mitgerissen und fiel klappernd auf den Boden.
“Dann hat er euch! Ihr öffnet die Augen und aus der Dunkelheit kommt eine Bestie ins Scheinwerferlicht gerannt!” Phil schreckte gemeinsam mit den anderen Truckern auf und verteilte einen Teil seines Kaffees auf dem Tisch.
Der Alte fuchtelte mit den Händen in der Luft und schrie sie an. Speicheltropfen regneten aus seinem Mund auf den Tisch, als die Geschichte ihren Höhepunkt fand.
“Ein riesiges, pechschwarzes Biest, das Maul weit aufgerissen, rennt geifernd auf den Truck zu. Monströse gelbe Augen, aus dem Abgrund der Hölle selbst, fixieren euch und ihr wisst, dieses Monster wird durch die Scheibe springen und eure Kehle zerfetzen. Euch bleibt nur der Bruchteil einer Sekunde. Vor lauter Müdigkeit und Angst, könnt ihr nicht mehr klar denken. Ihr reißt das Steuer rum und versucht dem Biest auszuweichen ohne darüber nachzudenken. Erst in dem Moment, in dem ihr die Leitplanke rammt, wird euch euer Fehler bewusst. Doch es ist zu spät, ihr fliegt von der Straße und crasht in den Graben.”
Der Alte beruhigte sich wieder ein wenig. Die Arme auf die Tischplatte gestemmt, sah er unheilvoll auf alle am Tisch herab. Philipp bemerkte, dass er die ganze Zeit den Atem angehalten hatte.
“Die Glücklichen sterben beim Crash….die wirklich armen Schweine überleben und bleiben verletzt im Wrack liegen, unfähig davon zu kriechen. Ihr wimmert und stöhnt, betet dass euch irgendjemand rettet, doch niemand antwortet, niemand kommt. Das einzige was euch antwortet, ist die knurrende Bestie, deren leuchtend gelbe Dämonenaugen immer näher kommen. Sie weiß, sie hat gewonnen, weiß, die Beute kann nicht mehr entkommen. Also genießt sie eure Angst und zögert den Moment hinaus.
Dann endlich hat er euch erreicht und das Einzige, worauf ihr armen Bastarde dann noch hoffen könnt, ist dass der liebe Herrgott eurer Seele gnädig ist.”
Am Tisch herrschte absolute Stille, niemand bewegte sich auch nur einen Zentimeter. Mit feierlichem Ernst, hob der Alte seinen Stuhl auf und setzte sich wieder.
“Also Männer, wenn ihr einen schwarzen Schemen am Straßenrand seht und euch euer Leben lieb ist, erinnert euch an meine Worte.”
Philipp keuchte auf. Blut rauschte in seinen Ohren, sein Herz hämmerte wie wild. Alle am Tisch hatten die Augen weit aufgerissen, einige wischten sich den Angstschweiß von der Stirn.
“Unglaublich Alterchen, ich hab mich fast eingepinkelt!” jubelte er. Mit diesen Worten war der Bann der Geschichte gebrochen. Am Tisch brach allgemeines Gemurmel aus. Alle unterhielten sich über den schwarzen Hund und was ihrer Meinung nach zu tun wäre. Philipp rückte seinen Stuhl näher an den Alten heran.
Vor ihm auf dem Tisch lag ein Tablett voller leerer Teller, daneben eine Rechnung. Philipp griff danach, der Alte ließ ihn gewähren.
“Du hast mir den Abend gerettet. Die Geschichte wird mich heute die gesamte Nacht wach halten.”
Der Alte grinste und sog Phillips Bewunderung geradezu in sich auf. Die Brust vor Stolz geschwellt lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und beobachtete die angeregten Diskussionen.
Philipp lachte in sich hinein und bezahlte die Rechnung. Mit einem Klopfen auf den Tisch verabschiedete er sich und ging vor die Tür.
Die warme Luft eines Sommerabends umfing ihn. Der Geruch von Benzin und Asphalt war allgegenwärtig. Ein herrlicher Duft, wie der vertraute Geruch der eigenen Wohnung.
Er fummelte eine Zigarettenpackung aus seiner Jackentasche, seine Lunge verlangte ihre nächste Dosis Nikotin. An die Wand der Raststätte gelehnt, blies er den Zigarettenqualm in die Luft und genoss die Geräusche der Raststätte. Die summenden Neonlichter und das Rauschen der Autos auf der Straße hatten stets etwas beruhigendes.
Als die Zigarette fast abgebrannt war, streckte er sich und ging in Richtung seines Trucks.


Einige Stunden später, bretterte Philipp eine Landstraße inmitten eines dichten Waldes entlang. Zwischen den Bäumen herrschte tiefste Finsternis. Immer wieder hatte er das Gefühl, die gelben Augen eines schwarzen Hundes zu sehen. Seine Augenlider waren schon seit geraumer Zeit schwer.
Er gähnte herzhaft und glaubte fast ein Bellen zu hören. Eine wunderbare Gänsehaut zog sich über seine Arme, die Geschichte des Alten hatte ihn total erwischt.
Er brauchte irgendetwas um sich ein wenig wach zu halten. Nach kurzem Rumfummeln, sprang der CB-Funk an, ein Gähnen unterdrückend sprach er in das Funkgerät.
“Hey Nachtschwärmer, irgendjemand da draußen? Philipp hier, ich könnte ein wenig Unterhaltung gebrauchen.”
Zuerst antwortete nur statisches Rauschen, dann meldete sich eine Stimme zu Wort.
“Hey Phil, darf dich doch Phil nennen oder? Wo bist du unterwegs?”
Etwas an der Stimme kam ihm bekannt vor.
“Bist du das Alterchen von der Raststätte? Der die Geschichte vom Todeshund erzählt hat?”
Lachen drang aus dem Funkgerät.
“Der schwarze Hund.” korrigierte ihn der Alte. “Das Biest hat dich also noch nicht erwischt?”.
Philipp konnte sein Glück kaum fassen.
“Nein Mann, ich bin hier auf einer Landstraße unterwegs, mitten im tiefsten Wald. Keine Hunde und auch sonst niemand auf der Straße, nur Langeweile. Du hättest nicht Lust noch eine Geschichte zum Besten zu geben?”
“Lass mal überlegen. Landstraße hm?.....Da kenne ich die perfekte Geschichte für dich Kleiner, aber die wird dich was kosten.”
Alter Gauner. Philipp schüttelte den Kopf.
“Eine gute Geschichte ist mir einiges Wert, wir haben nen Deal Alterchen.”
“Wundervoll! Dann lass mich dir die Geschichte vom Geistertruck erzählen. Ein Gefährt direkt aus der Hölle, gefahren von einem rachsüchtigen Geist, jagt er Nachts auf den Straßen. Vor gar nicht allzu langer Zeit fuhr ein Trucker wie du eine Landstraße entlang….”
Die raue Stimme des Alten füllte das gesamte Führerhaus aus. Ihr angenehmer Klang und die schwach leuchtenden Lichter auf dem Amaturenbrett lullten Philipp ein. Seine Gedanken schweiften ab. Langsam verlor er sich in der Geschichte und wenige Sekunden später war es, als würde er sie hautnah miterleben.

Er befand sich auf einer Bergstraße, der Mond schien hell vom Himmel herab und tauchte die Umgebung in sanftes Licht. Aus dem Fenster hatte er freie Sicht in das nebelverhangene Tal unter ihm. So weit das Auge reichte, erstreckte sich dort unten ein Wald. Die Bäume ragten wie Stacheln aus dem dichten Nebel hervor.
Eine Schar Raben löste sich aus den Baumwipfeln und flog aufgeregt durch die Nacht. Philipp zitterte, der Anblick hatte etwas Verwunschenes. Er bog die nächste Ausfahrt ab, den Berg hinunter und direkt in den Wald hinein. Irgendwo hinter den Bäumen wartete ein Lagerhaus auf seine Lieferung und er war spät dran.
Augenblicklich hüllte der Nebel den Truck ein und sperrte das Mondlicht aus. Philipp schaltete die Nebelleuchten an, doch selbst sie reichten gerade mal wenige Meter weit. Außerhalb dieser kleinen Lichtkegel herrschte nur Finsternis. Die Bäume am Straßenrand waren zu dunklen Schemen geworden, die sich bedrohlich über den Truck beugten. Philipp zitterte leicht, er war gefangen, eingeschlossen vom Nebel, inmitten des Waldes.
Dort wo das Licht der Scheinwerfer endete, endete auch die Sicherheit. Außerhalb dieser Lichtkegel lag ein bösartiges Nichts.
Plötzlich schallte hinter ihm das Dröhnen eines Nebelhorns durch den Wald. Er erkannte im Rückspiegel eine Silhouette, die sich langsam aus dem Nebel schälte.
Philipp kniff die Augen zusammen, das Fahrzeug kam schnell näher. Einige Sekunden später konnte er es deutlich erkennen und der Anblick ließ ihn erstarren.
Dort fuhr ein pechschwarzer Truck. Große Auspuffrohre zogen sich an den Seiten des Führerhauses entlang und an seiner Front strahlten zwei große, runde Scheinwerfer dunkelrotes Licht in die Nacht.
Legenden über diesen Truck kursierten schon seit ewiger Zeit unter den Truckern. Ein schwarzer Truck der durch die Nacht fährt, gefahren von einem toten Fahrer und stets auf der Suche nach Beute. Wer von diesem Truck überholt wurde, starb noch auf derselben Straße und war dazu verdammt, im Frachtraum des Geistertrucks zur Hölle zu fahren.
Das musste ein schlechter Scherz sein. Irgendein bescheuerter Trucker, der anderen einen Schrecken einjagen wollte.
Das Nebelhorn schallte erneut durch die Nacht. Eine Lampe ging im Führerhaus des Trucks an und hüllte den Fahrer in helles Licht.
Philipp lies vor Schreck fast das Lenkrad los. Dort saß ein Skelett, in dessen Augenhöhlen helle Flammen tanzten. Den Mund zu einem ewigen, grausamen Grinsen verzogen, winkte es ihm zu. In diesem Moment begann das CB-Funkgerät zu knistern. Ein irres Lachen erfüllte Philipps Fahrerkabine.
“Du und ich sind ganz alleine auf dieser gottverlassenen Straße Kleiner. Deine Seele gehört mir!”
Philipp konnte kaum glauben was er sah. Das war kein Traum, kein bösartiger Scherz.
Der Motor des Geistertrucks heulte auf, dunkle Flammen schossen aus den Auspuffrohren, an der Seite des Führerhauses. Lange Flammenzungen, die den Nebel selbst zu verbrennen schienen.
Die Scheinwerferlampen leuchteten intensiver und färbten die gesamte Umgebung blutrot. Philipp rammte seinen Fuß aufs Gaspedal und schoss die Straße entlang, immer tiefer in den Nebel hinein, haupt Sache weg von dem Scheinwerferlicht des Trucks.
Der schwarze Truck verschwamm ein wenig im Nebel hinter ihm, war ihm aber dicht auf den Fersen. Die Straße gabelte sich. Ohne zu zögern riss Philipp das Lenkrad herum und lenkte mit quietschenden Reifen in eine der Kurven.
Er verschwendete keinen Blick mehr in den Rückspiegel, seine Augen waren fest auf die Straße gerichtet. Die Schemen der Bäume flogen verschwommen an ihm vorbei, als er noch einen Gang höher schaltete.
Philipp nahm eine weitere Abzweigung, direkt danach noch eine. Fieberhaft überlegte er wo er war, spielte das überhaupt eine Rolle? Irgendwo in diesem gottverlassenen Wald musste doch eine Stadt liegen!
Wieder eine Abzweigung. Philipp ging kaum vom Gas, der Truck schrammte einen Augenblick über den Schotter am Straßenrand. Dutzende Kiesel hämmerten gegen das Blech des Trucks.
Das Skelett verhöhnte ihn aus dem Funkgerät . “Glaubst du, du kannst mir entkommen?” das schrille Keckern zehrte an seinen Nerven.
In diesem Moment schoss der schwarze Truck um die Ecke. Das Skelett ließ das Nebelhorn erneut brüllen, doch dieses Mal erschallten daraus die Stimmen tausender gequälter Seelen, die ihren Schmerz in die Nacht hinaus schrien. Als würden die Qualen der Verdammten sie anheizen, explodierten die Auspuffrohre förmlich. Dunkelrote Flammen hüllten den Truck ein und überall wo sie auf das schwarze Blech trafen, hinterließen sie lange Spuren, die hellrot pulsierten.
Das war kein Fahrzeug sondern ein Dämon. Die Adern voller Feuer, Rauch und Schwefel spuckend und seine blutroten Augen, in denen nur der Tod lauert direkt auf ihn gerichtet.
Schreiend trat Philipp aufs Gaspedal. Er schaltete einen Gang höher, dann direkt in den nächsten, das Gaspedal so tief durchgedrückt wie es nur ging. Der Motor des Trucks nahm protestierend noch mehr Fahrt auf. Philipp sah in den Rückspiegel. Der Geistertruck kam mit irrwitziger Geschwindigkeit angerast und ehe er blinzeln konnte, hing er ihm schon fast auf der Stoßstange und versuchte ihn zu überholen.
Philipp riss hektisch das Lenkrad herum. Für einen kurzen Moment geriet sein Truck ins Schlingern, blockierte aber den Geistertruck. Die Freude darüber hielt sich in Grenzen. Sofort scherte der Geistertruck auf die andere Seite aus und setzte zu einem neuen Überholmanöver an. Philipp, der noch mit dem Lenkrad kämpfte, konnte nur ohnmächtig dabei zusehen, wie sich der schwarze Truck neben seinen setzte und langsam aufholte.
Der Dämon war nun so nahe, dass die Hitze des Feuers schmerzhaft auf seiner Haut brannte.
Er hörte hunderte Fäuste verzweifelt gegen die Innenseiten des Laderaums hämmern. Ihr Flehen um Gnade zwängte sich durch das Nebelhorn und mischte sich unter die heulenden Motoren und das Tosen des Feuers.
Philipps Blick zuckte zur Seite, der Geistertruck war nun gleich auf mit ihm. Das Führerhaus brannte lichterloh. Inmitten des Feuers saß das Skelett, seine Knochen waren vom Feuer schwarz gefärbt und rissig. Das Grinsen des Skeletts öffnete sich, Flammen schossen aus seinem Schlund.
“DEINE SEELE GEHÖRT MIR!”
Philipp schrie so laut, dass es seinen eigenen Ohren schmerzte.
Die Hände um das Lenkrad gekrampft, rammte er seinen Fuß, so fest er nur konnte, auf das Gaspedal. Er schaltete in den höchsten Gang, nahm den Fuß von der Kupplung und setzte auch ihn aufs Gaspedal. Der Motor seines Trucks jaulte auf. Sein Heulen mischte sich unter die Schmerzensschreie der Gefangenen und das Gelächter des Skeletts. Alles um ihn herum verschwamm und er schrie heraus, was seine Lungen hergaben.
Langsam, quälend langsam aber dennoch stetig, nahm sein Truck mehr Fahrt auf und setzte sich vor den Geistertruck. Erst traute er seinen Augen nicht, doch es war keine Einbildung. Sein Truck ließ die brennende Höllenkutsche hinter sich zurück.
Zentimeter für Zentimeter verschwand das Führerhaus mit dem brennenden Skelett aus seinem Blickfeld. Die unerträgliche Hitze wurde schwächer und einige elend, lange Minuten später war der Geistertruck wieder im Rückspiegel zu sehen. Philipps Schrei war zu einem heiseren Krächzen verkommen, doch er konnte nicht damit aufhören. Die Füße weiterhin fest auf dem Gaß, fixierte er den Dämon, der langsam hinter ihm zurück fiel.
Schließlich verschwand er ganz im Nebel und wurde zu nichts mehr, als einem leuchtenden Schemen weit hinter ihm.
Philipp drehte sich um und glaubte das verzweifelte Gebrüll des Skeletts zu hören.
“Leck mich du verdammter Dämon, du wirst mich niemals kriegen!” Stieß er heiser aus und streckte lachend seinen Mittelfinger aus.
Er war dem Teufel selbst davon gefahren. Noch immer jubelnd drehte er sich wieder zur Straße und sein Jubel verwandelte sich in einen Schrei. Der Nebel war verschwunden, die Straße vor ihm war klar und deutlich zu erkennen. Ebenso wie die enge Steilkurve auf die er zu raste. Er trat auf die Bremse, die Reifen quietschten, doch es war zu spät. Sein Truck hatte von der irrwitzigen Flucht eine viel zu hohe Geschwindigkeit. Das letzte was er in seinem Leben hörte, war das furchtbare Gelächter des Skeletts aus dem CB-Funk. Es begleitete den verzweifelten Philipp als er durch die Leitplanke krachte und dem Boden entgegen stürzte.


“...und der arme Bastard wurde zu einer weiteren Seele, die bis in alle Ewigkeit im Laderaum des Geistertrucks, in die Hölle fährt.”
Die Stimme des Alten verklang und Philipp schüttelte den Kopf, als wäre er gerade aus einer Trance erwacht. Sein gesamter Körper bestand aus Gänsehaut und ihm standen die Haare zu berge.
Sein Herz hämmerte, als wollte es aus seinem Brustkorb springen und das Lenkrad war schweißnass von seinen Händen.
“Na, hat’s dir die Sprache verschlagen Kleiner?” lachte der Alte.
Und wie es das hatte! “Verdammt, das war die beste Geschichte, die ich jemals gehört habe! Die ist definitiv mehr wert als ein Essen.” keuchte Philipp.
“Ich hatte es auch auf etwas mehr als nur ein einfaches Essen abgesehen.” antwortet ihm der Alte.
Philipp lachte, für so eine Geschichte ließ er sich gerne zur Kasse bitten.
“Wie bist du nur auf diese Geschichte gekommen? Ich meine klar die Legende vom Geistertruck, aber das ganze drumherum, wie denkt man sich sowas aus?”
Der Alte schwieg einen Moment, bevor er antwortete. “Das habe ich mir nicht ausgedacht Junge. Ich war dabei.”
Die Worte standen für einige Sekunden im Raum.
“Du warst was?”
“Dabei, habe es selbst miterlebt.”
Philipp runzelte die Stirn. “Das ergibt keinen Sinn, der Trucker ist gestorben.”
Wieder schwieg der Alte unangenehm lange, so als würde er auf irgendetwas warten. Philipp knirschte nervös mit den Zähnen, irgendwas stimmte nicht. Endlich meldete sich der Alte wieder zu Wort, seine Stimme war nun düster und schwer.
“Ich habe nie behauptet, dass ich der Trucker war.”
Ein Nebelhorn hallte durch die Nacht. In diesem Augenblick dämmerte es ihm und sein Magen verkrampfte sich.
Philipps Augen füllten sich mit Tränen, als sich im Rückspiegel ein schwarzer Truck näherte, dessen Scheinwerfer die Umgebung in blutrotes Licht tauchten.

 
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Heisånn,

Ich kommentiere einfach mal so beim Lesen was mir so einfällt ...

“Der schwarze Hund ist der Tod vieler armer Seelen auf den Straßen.” Der alte Trucker lehnte sich nach vorne und sah verschwörerisch jeden am Tisch an. Mit gesenkter Stimme fuhr er fort. “Hört mir gut zu Jungs, sonst seid ihr des Todes, denn vor diesem Wesen ist keiner sicher.”
Lord Dackel wird sie alle töten!

Es war eine dieser typischen Feierabendgesellschaften an den Raststätten.
Hm .. mal nachdenken! Was ist eine "typische" Feierabendgesellschaft? Ich als Leser habe keine Ahnung davon. Wähle hier gerne das "show" statt dem "tell"!

“Der schwarze Hund ist kein Tier, du Trottel! Er ist ein Geist, ein Fluch der Straßen. Unersättlich und immer auf der Suche nach neuen Opfern.”
Und trotzdem wird der Geist mit einem Hund beschrieben. Also ist da schon so eine Art der Tiersymbolik vorhanden. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es kein Tier wäre ... unnötige Verwirrung.

Der blonde Trucker rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her.
Warum? Ist doch noch gar nichts passiert ..
Ein harter Trucker der Strasse sollte das schon locker wegstecken können!

Fahrt zur nächsten Ausfahrt, ins Licht der Straßenlaternen, dahin trauen sie sich nicht.
Bis hier hin war es gut und dann versaust du es mit einer "Ausfahrt"!

Speicheltropfen regneten aus seinem Mund auf den Tisch, als die Geschichte ihren Höhepunkt fand.
Haha .. was? Nicht schlecht! Keine Ahnung warum ich das gerade feier :D !
Aber .. regneten .. wirklich? Hoffentlich hat der Tisch eine Regenrinne! Ich denke eher die "spritzten" (oder sowas) aus seinem Mund!

An die Wand der Raststätte gelehnt, blies er den Zigarettenqualm in die Luft und genoss die Geräusche der Raststätte. Die summenden Neonlichter und das Rauschen der Autos auf der Straße hatten stets etwas beruhigendes.
Hier würde ich "Geräusche der Raststätte" raus streichen. Ich bekomme schon einen recht soliden Eindruck von der Szene durch das "show" im nächsten Satz.
"An die Wand der Raststätte gelehnt, blies er den Zigarettenqualm in die Luft, genoss die summenden Neonlichter und das Rauschen der Autos auf der Straße. Das hatte stets etwas beruhigendes."

“Lass mal überlegen. Landstraße hm?.....Da kenne ich die perfekte Geschichte für dich Kleiner, aber die wird dich was kosten.”
Unglaubwürdig finde ich. Macht erst den fetten Macker in der Raststätte und verlangt dann Gegenleistungen über Funk?

Dort fuhr ein pechschwarzer Truck. Große Auspuffrohre zogen sich an den Seiten des Führerhauses entlang und an seiner Front strahlten zwei große, runde Scheinwerfer dunkelrotes Licht in die Nacht.
Ob das Ding Tüv bekommen würde ..

Ein schwarzer Truck der durch die Nacht fährt, gefahren von einem toten Fahrer und stets auf der Suche nach Beute. Wer von diesem Truck überholt wurde, starb noch auf derselben Straße und war dazu verdammt, im Frachtraum des Geistertrucks zur Hölle zu fahren.
Ohh :eek: ? Aber da geht mehr als nur "wer überholt wird"!

dunkle Flammen schossen aus den Auspuffrohren
Hm .. es ist Nebel und dunkel .. und dann kann dein Protagonist "dunkle Flammen" sehen? Da hänge ich nicht ganz mit!

Irgendwo in diesem gottverlassenen Wald musste doch eine Stadt liegen!
Hier hätte ich tatsächlich eher "Dorf" oder "Kaff" gewählt statt "Stadt".

konnte nur ohnmächtig dabei zusehen
Nun .. du merkst es selber .. oder :confused: ? Unlogisch! Entweder ohnmächtig oder zusehen. Beides geht schlich einfach nicht. Das eine sagt aus er wäre nicht bei Bewusstsein, und das andere, dass er sehr wohl bei gutem Bewusstsein sei.

Die Füße weiterhin fest auf dem Gaß, fixierte er den Dämon, der langsam hinter ihm zurück fiel.
Er wird zum Raser .. wann kommt endlich die verdammte rote Ampel und der Oppes mit Rollator?

“Ich habe nie behauptet, dass ich der Trucker war.”
Warte ...

Ein Nebelhorn hallte durch die Nacht. In diesem Augenblick dämmerte es ihm und sein Magen verkrampfte sich.
Philipps Augen füllten sich mit Tränen, als sich im Rückspiegel ein schwarzer Truck näherte, dessen Scheinwerfer die Umgebung in blutrotes Licht tauchten.
Nein? Doch!

// --- //

Ich fand den Plot ganz nett. Keine Ahnung wieso eigentlich. Merkwürdig (abgesehen von einigen Logikfehlern) fand ich letztendlich die Verschachtelung bzw. Reihenfolge der Geschichte. Für mich fing die Geschichte eigentlich erst richtig an, als Phil die Zigarette geraucht hatte. Anschließend steigt er in seinen Truck und die Geschichte nimmt seinen Lauf. Die Einführung mit dem Geisterhund Wesen hat mich ja eher weniger interessiert, da du ja eine (fast) neue Geschichte erzählst.

So .. dann dürfen die anderen, die geübter mit Horror Kritik sind, das Ding mal zerpflücken.

Tio ende & out!

 
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Erinnert mich aufgrund des blonden Truckers, der eine Art von Geschichte erzählt, die man unter das Genre der Geistergeschichte subsumieren könnte, an *Spiderweb* von Mariana Enriquez, eine Kurzgeschichte, die in der Dezember Ausgabe 19 & 28 2016 im New Yorker veröffentlicht wurde.

Ich denke, die Immersion die Phillip erfährt, hat deine Geschichte mir exzellent vermittelt durch die Vermischung der Binnenerzählung, d.h. der Geistergeschichte des blonden Truckers, mit der eigentlichen Erzählung, die ebendiese Geistergeschichte einbettet, und erklärt damit, ohne erklären zu müssen, was Geistergeschichten über Kulturen hinweg interessant macht -- unendliche Möglichkeiten der rekursiven Einbettung und Umpflanzung in andere Zusammenhänge, woraus sich diese universelle Nachvollziehbarkeit für verschiedenste Rezipienten ergibt.

Auch das Ende gefällt mir, da die Offenbarung, dass es sich bei der als innnerhalb der Geschichte erzählten Geschichte, deren Erzählung von Phil aus Langeweile heraus erbittet wurde, tatsächlich nur um die Erzählung des Truckers über Funk handelt, die durch Philips Vorstellungskraft zur scheinbaren Realität wird, also nicht für sich alleine steht, sondern von einer weiteren Wendung begleitet wird, die den Trucker-Geistererzähler als "Geist" seiner eigenen Geschichte enthüllt -- sodass ich mich nicht hintergangen fühle, sodass ich also als Leser gar keine Zeit habe darüber nachzudenken, dass die durch die Offenbarung vermittelte Wendung eigentlich nur ein billiger Kniff sein könnte, weil ich nämlich dadurch als Leser schon von der nächsten Wendung vereinnahmt werde.

Ich denke, dass die Geschichte inhaltlich gut gelungen ist und das von dir gewählte Motiv gewinnbringend erkundet; die Form der Erzählung entspricht dem Inhalt, oder bedingt diesen sogar, was nicht selbstverständlich ist.

Danke für die Unterhaltung, die mir diese kurze Idee gebracht hat, danke für die Erinnerungen, die deine Geschichte in mir wecken konnte.

 

Vielen Dank für das Feedback, ich werde die Geschichte, die Tage mal noch ein wenig anpassen.
Vor allem die ein oder andere Formulierung auf die "Itilo" hingewiesen hat, ein wenig umschreiben.

 

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