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Der geheimnisvolle Goldschatz am anderen Ende der Welt
"Nun. Die Seiung der Begebenheit geschah in ihrer Vollzogenheit dergestalterisch, dass ein Mann von der Habung einer Ideenbesitzung ergriffen wurde." Meister Zungschlag unterbrach seinen Vortrag, holte tief Luft und nahm einen Schluck Wasser. Nicht zu viel, die Karaffe musste schließlich bis zum Ende des Vortrags reichen. Und da sollte noch so einiges kommen.
"Und die Nennung dieses Mannes", fuhr er schließlich fort, "höret auf die Namigung derselbst des Klanges Kapuzenrobert. Jener Kapuzenrobert vollzog die Gründung einer Bande, deren Zusammensetzung aus Schergen bestandigte, die ihrerseits eine Teilung seiner Meinungshabung bezüglich den Besitzverhältnissen innerhalb der hochschichtigen Gesellschaftsteile vorwiesen, und begann unterpollu der Zuhilfenahme ihrer Muskulösität und Barbarität, denen, die ihre Reichseiung nicht der Wollung einer Bereuung zukommen lassen wollten, die durch sie ausgeübte Besitzung ihrer Reichtümer durch eine umgehende Entwendung derselbigen zu beendigen."
Der größte Hörsaal des Klosters des allumfassenden Allumfassenden war bis auf drei Mönche wie leergefegt. Einer der Anwesenden kratzte mit seinem Zirkel einen albernen Limerick in seine Tischplatte, der zweite zählte die Unebenheiten in der Deckenverkleidung und der dritte hatte den Kopf auf seinen Armen abgestützt und schnarchte hemmungslos vor sich hin.
"In der Beginnung seiner Tätigkeiten ließ er die Zukommung der Beute an den mit Armseiung beschäftigten Teil der Bevölkerung erfahren, doch dann begann er, wobei die Richtigkeit der erzählerischen Sagenhaftigkeit eine Werdung voraussetzen würde, irgendwann mit der Versteckung derselben, wobei er die Striktung der Geheimhaltung jener Verstecklichkeit stets gewährleistete, indem er die Wissung um diesen Ort nur in Form einer ihm selbst bekannten Anheimfallung zuließ."
Der Lehrmeister behauptete stets von sich, ein sehr toleranter und friedliebender Mensch zu sein. "Sollige jedwedlicher Geist seiner eigenen Befindlichkeit folgend, dergestalt Handligen, wie ebenjener Geiste von der Richtigkeit dessen überzeugt sei", pflegte er immer zu sagen.
Aber hier drang sein Verständnis tatsächlich an eine Grenze. Immerhin war sein Fach, die Lehre der lokalen Mythen und ihre Hintergründigkeit, unglaublich interessant. Voller Abenteuer und Aufregung, Magie und Mysterie.
Der Meister konnte sich einfach nicht erklären, warum niemand seinen Unterricht zu schätzen wusste. Dann zuckte er mit den Schultern und nahm noch einen Schluck Wasser.
Es war nun einmal nicht zu ändern.
...
"Ihr kommt hier nicht rein."
"Wie bitte?"
"Ihr kommt hier nicht rein."
"Du meinst also ..."
"Dass ihr hier nicht reinkommt. Genau. Soll ich euch ne Zeichnung machen?"
"Aber ich bin hier bisher immer reingekommen."
"Heute nicht. Geschlossene Gesellschaft."
"Das trifft sich gut. Wir sind ziemlich verschlossene Gesellen. Mein Freund hier zum Beispiel ..."
"Geschlossen, nicht verschlossen."
"Er ist ein Geistling, wollte ich sagen. Und ich bin ein Held. Ein echter, mit Zertifikat. Fürwahr und Wahrlich. Willst du das Zertifikat mal sehen?"
"Das ist mir total egal. Wir haben heute Pottery Slam und wenn ihr keine Poeten seid, dann kommt hier nicht rein. Und jetzt verzieht euch, oder aber ..." Der Türsteher machte das international gebräuchliche Zeichen für ich prügel dir die Eingeweide raus und bastle mir einen Hut daraus, woraufhin Sven aufgab und von der Tür zurücktrat.
Irgendwie war Joes Kleine Drachenpinte auch nicht mehr das, was sie mal war. Früher, da hatte es hier jeden Abend Livemusik gegeben mit Klassebands wie Mighty Pillepalle and the Infernal Truffelseekers aus dem äußersten Nordosten Südwest-Mittlandes. Aber seit Joe von der kulturellen Revolution gehört hatte, ohne natürlich wissen, was damit gemeint war, war es vorbei mit der Gemütlichkeit. Anstelle von leckerem Mupfelsaft servierte er jetzt Szenecocktails wie den Teekila Sunreis (ein Mixgetränk aus Hagelbuttertee und Hülsenfrucht), anstelle von speckigen Feinrippunterhemden trug er auf einmal Anzüge und anstelle von Olgar dem Barbaren saß nun Holger der Philosophiestudent am Tresen.
Und richtige Männer wie Sven und sein Kumpel Nakii kamen nicht mehr rein. Beziehungsweise Geistlinge. Richtige Männer und richtige Geistlinge.
"Eh ein mieser Laden. Komm, Nakii, wir gehen."
"Was ist ein Pottery Slam?"
"Da lesen kluge Leute anderen klugen Leuten kluge Dinge über andere kluge Leute vor."
"Wirklich? Klingt eher, als würden sie sich mit Tonkrügen bewerfen."
"Das kommt danach."
"Ich glaube, das sehe ich mir mal an."
"Und ich glaube, du hast den Mann nicht verstanden. Er meinte, wir kommen da nicht rein. Er wollte uns sogar ein Bild malen."
"Wer von uns beiden ist denn hier der Geistling?", fragte der Geistling, dematerialisierte sich und schwebte durch die Seitenwand der Drachenpinte. Also, er wäre durch die Seitenwand der Drachenpinte geschwebt, wenn denn nicht Joe, der Wirt, vor ein paar Wochen Besuch von ein paar netten Magiern in schwarzen Anzügen gehabt hätte.
Die hatten ihm erklärt, wie leicht so eine Kneipe von bösen Mächten aus der Hölle heimgesucht wird und wie wichtig daher der Schutz vor genau diesen wäre. Um es kurz zu fassen, Joe hatte das Komplettpaket genommen. Und neben einer Hausrateversicherung ("Um hinterher ungefähr sagen zu können, wo das Haus mal gestanden hat"), einer Reichsschutzversicherung ("Für den Fall, dass Sie irgendwann genug Geld verdienen, um sich eine Höherstufung leisten zu können"), einer Diebstallversicherung ("Sie haben zwar im Moment keinen Stall, aber man kann ja nie wissen") und einer Lebensendversicherung ("Für den Fall, dass sie Ihr Lebensende erleben sollten") war auch eine endoplasmatische Schutzzauberwand im Preis enthalten.
Und genau diese Wand war es nun, die ein unerfreulich dumpfes Geräusch von sich gab, als Nakii mit seinem Kopf gegen sie knallte.
"Hat das weh...", begann Sven fürsorglich.
"Ein Wort und ich materialisier meine Faust in deinem Oberkiefer."
"Das will ich sehen. Geistling."
"Arsch."
...
"Ich hab den Längsten!"
"Hast du gar nicht."
"Doch, hier. Guck doch aufs Maßband."
"Du hast dich bestimmt vermessen. Da, du hältst den Finger gar nicht richtig!"
"Willst du mir jetzt sagen, ich wüsste nicht, wie man misst? Ernsthaft? Ich hab schon gemessen, da warst du noch ein kleiner Zweistelliger!"
"Ach, komm ... du bist doch selbst erst hundertvierzehn."
"Ja, aber ..."
"Jungs", unterbrach Vier. "Hört auf, euch zu streiten. Das ist es doch nicht wert. Und außerdem", fügte er grinsend hinzu, "hab ich den Längsten."
"Ja, deiner ist ziemlich lang, das muss ich zugeben", gab Drei zu. Fünf nickte. Eins murmelte etwas Zustimmendes und Zwei und Sechs übten sich in stummer Bewunderung.
"Dafür ... dafür", grummelte Drei, "ist meiner buschiger."
"Darauf kommt es nicht an. Es geht um die Länge."
"Wer sagt das?"
"Das steht in den Regeln."
"Wer ist denn gestorben, dass du jetzt hier Bartmessungsregelwart bist?"
"Sieben", sagte Vier.
"Oh ja. Stimmt." Die sechs Sieben Zwerge der Apokalypse senkten ihre Köpfe und legten eine kleine Schweigeminute für ihren tatsächlich jüngst verstorbenen Kollegen ein. Sieben war im letzten Sommer ein Edelstallträger auf den Kopf gefallen, und das ist ein Unfall, den niemand, schon gar kein Zwerg, einfach mal so überleben kann. Stallträger ist ein unter Zwiklopen übrigens sehr angesehener Beruf - damit tun sie etwas für die Gesellschaft und helfen Bauern, die ihre Ställe nicht selber tragen wollen.
Nach ziemlich genau zehn Sekunden war die Schweigeminute vorüber.
"Ich glaube", sagte Fünf, "wir brauchen wieder einen siebten Mann."
"Zwerg."
"Ja. Zwerg."
...
"Das ist so beschämend. Und das mir! Ich meine, ich hätte damals um ein Haar diesen fiesen Krampfmagier vom Sumpftal besiegt."
"Der war sieben Jahre alt."
"Sieben Jahre, in denen er eine Menge Krampfzauber lernen konnte. Mein linkes Bein hat drei Tage lang ..."
"Du wolltest ihn besiegen, indem du seinen Spielzeugdinograurier ganz gemein versteckst."
"Kann ja keiner ahnen, dass das Vieh Originalgröße hatte, oder? Ich meine, sonst hätte der Plan ... aber darum geht es auch gar nicht!", sagte Sven. "Es geht darum, dass ich Durst hab."
Es gibt eine Theorie, die besagt, dass alles, das gesamte Universum mitsamt allen Sternen, Galaxien und der Physik, die alles zusammenhält, auf ein paar unverrückbaren Konstanten beruht. Die Lichtgeschwindigkeit zum Beispiel oder die absolute Stille.
Eine dieser unverrückbaren Konstanten hatte weniger etwas mit Physik zu tun, als mehr mit reiner Biologie. Sie war nicht besonders theoretisch, sondern man konnte sie anfassen. Wenn man sich denn traute, denn diese spezielle Konstante war sehr bissig. Und in der Regel sehr hungrig.
Wuff, sagte einer der beiden Hunde auf dem Hinterhof der Kneipe. Es bedeutete in etwa Ich weiß nicht wie es dir geht, mein mir artenspezifisch gleichberechtigter Freund, aber mein Magen meldet mir eine nicht unerhebliche Leere und wäre einer Füllung nicht abgeneigt. Sein bester Freund, bei dem es sich folgerichtig um den anderen der beiden Hunde handelte, antwortete mit einem herzhaften Wuff. Auch wenn dieser Laut sich in Länge, Aussprache und Betonung für das ungeübte Ohr nicht vom ersten unterschied, war seine Bedeutung doch bedeutend kürzer: Japp.
Diese beiden Hunde verbrachten jeden Abend hinter Joes Kleiner Drachenpinte und hofften auf eine Wurst. Oder ein Stück Mupfelpizza. Oder zumindest einen Brotkrumen. Sie hatten hier gesessen, als die Große Rewollution die späteren Pullunderkriege ausgelöst hatte, hatten die Krönung und die Hinrichtung Septimus des Achten miterlebt und den Tag der drei Sonnenfinsternisse. Irgendwie waren sie schon immer hier gewesen.
Und solange dies noch eine echte Kneipe gewesen war, war auch jeden Abend etwas abgefallen. Doch das hatte sich geändert, als ... naja, Poeten sind vorrangig Vegetarier.
"Das erinnert mich an die Zeit, als wir noch mit den bartbarischen Wackingern um die Häuser gezogen sind. Weißt du noch?"
"Also", antwortete Nakii, "eigentlich waren wir ihre Gefangenen."
"Aber sie waren so kurz davor, uns zu akzeptieren."
"Eigentlich waren sie so kurz davor, uns zu essen. Beziehungsweise dich, weil ich ...naja."
"Jedenfalls haben die sich in solchen Fällen einfach ihren Weg ins Innere freigeprügelt."
"Du willst dich mit diesem Türsteher da prügeln?"
"Warum? Würdest du mich etwa zurückhalten wollen?"
"Nein. Auf keinen Fall, das ist sicher lustig", grinste der Geistling.
"Mach dich nicht lustig über mich. Ich bin ein Held, dass das mal klar ist. Und jetzt im Moment pinkelt mir ein Hund ans Bein."
"Ja. Das ist auch lustig."
...
Es rumpelte.
Dann machte es Rattazong. Und dann Pfiiiiusch.
"Was ist denn jetzt schon wieder?", fragte Zwei und legte verärgert die Karten beiseite. Lupenreine Straße in Karat, von sieben bis zwölf.
"Die Maschine", antwortete Vier abwesend. Er musste sich konzentrieren, um sich nichts anmerken zu lassen. Wann bekommt man schonmal drei Esel auf die Hand? Und dann auch noch alle rot.
Es machte Krawusch.
"Das gefällt mir gar nicht." Fünf hingegen war über die Ablenkung nicht komplett verärgert. Immerhin hatte er nur zwei Dreien und ein Aas, was wirklich nicht besonders viel ist.
"Ja, schon gut." Zwei legte seine Karten sorgsam erst zusammen, dann mit den Rücken nach oben auf den Tisch und erhob sich. "Wehe, einer von euch schummelt."
Der Zwerg lief einmal quer durch die Höhle in Richtung Materialschrank. Dort, wo der Werkzeugkasten lag, ein paar alte Musikinstrumente und, ganz wichtig, der Hocker.
Er wies Sechs an, ihm behilflich zu sein, und zu zweit schleppten sie den zwergenhohen Hocker in den kleinen Nebenraum, in dem die Maschine stand. Sie machte Pleueueung und Knarotsch, wenn auch nicht in der Reihenfolge. Die beiden Zwerge stellten den Tritt auf den Boden und warteten auf ihre Kollegen, die ihnen nun mehr oder weniger missmutig folgten.
"Das ist entwürdigend", schimpfte Eins, als er sich auf den Hocker stellte.
"Es ist unser Job", beschwichtigte Zwei, als er auf seinen Kollegen kletterte und schließlich auf dessen Schultern balancierte.
"Ich glaube", keuchte Drei, als er seinerseits auf die Schultern seines Vorredners stieg, "er meint den Hocker."
"Was ist mit der Stellenanzeige? Hat schon jemand geantwortet?", fragte Vier, als er die Spitze des Zwergenturms bestieg.
"Es wird nicht leicht, Sieben zu ersetzen", stellte Fünf fest, als er wackelig auf Vier zu stehen kam.
"Aber wir müssen dringend jemanden finden", schloss Sechs, erklomm die Räuberleiter und drückte auf den Knopf, der ganz oben auf der Maschine angebracht war.
Es machte Klick.
Und dann nichts mehr.
"So, dann können wir ja weiterspielen", sagte Zwei.
"Ich wäre dafür, dass wir neu geben."
...
"Also, nochmal, wir suchen was?"
"Einen Schatz. Den Schatz von Kapuzenrobert, um genau zu sein. Alte Volksweise. Aber wahr."
"Und die Karte zu diesem Schatz haben die Hunde wo gefunden?"
"Sie haben eine Wurst gegessen und die war darin eingewickelt."
"Und dann haben sie uns die Karte gegeben, damit ..."
"Wir den Schatz finden und ihnen einen Teil mitbringen."
"Und du hast das alles in einem einzigen Wuff mitbekommen?"
"Ja. Ich bin ein Geistling", sagte Nakii.
"Weißt du, dass ich dich sehr seltsam finde?"
"Ja. Ja, das sagst du ziemlich oft. Also, laut dieser Karte müssen wir ans andere Ende der Welt."
"Kein Problem. Krieg ich hin. Immerhin bin ich ein Held. Oder müssen wir dazu etwa durch die Zwölfenwälder?" Sven blickte etwas unsicher umher. "Also ... versteh mich nicht falsch. Nicht, dass ich Angst vor denen hätte oder so. Ich meine, ich bin ein Held und so, mit Zertifikat und allem ... aber ich finde, man muss seine Heldenhaftigkeit nicht unnötig unter Beweis ... ich meine, muss ja nicht, oder?"
Der Geistling lachte. "Ich würde gerne mal sehen, wie du deine Heldenhaftigkeit gegen die verkackten Zwölfen unter Beweis stellst."
"Also, was ist? Müssen wir da jetzt vorbei, oder nicht?"
"Nein. Wir wandern durch die Maulmoore, durch den Hexenpark und zum Schluss über den Krummlochberg."
"Hexenpark?"
"Ja, der ist neu. Da war vorher eine mächtige Zwiklopensiedlung, aber die wurden von den bösen Hexen aus dem Norden in Taubbäume verwandelt."
"Oh. Und sie hören jetzt gar nichts mehr?"
"Gar nichts mehr."
"Fürwahr und Wahrlich."
Sven nahm seinen Rucksack ab und schaute hinein. Maulmoore, Zwiklopensiedlung Schrägstrich Hexenpark, Krummlochberge. Als Held alter Schule wusste er natürlich, dass solch eine Reise unter zwei Wochen nicht zu bewerkstelligen wäre. Er überschlug kurz das Inventar seines Beutels und kam zu dem Schluss, dass der komplett leer war.
"Wir brauchen Proviant", sagte er.
"Du weißt, dass ich mich nur von endoplasmatischen Metawinden ernähre, oder? Und die gibt's an jeder Ecke." Nakii dematerialisierte sich und hatte wenig später einen bläulich schimmernden Schimmer in der Hand, den er sich in den Mund steckte. "Siehst du?", schmatzte er, "Kmostet gmar mnichts."
"Ja. Toll. Das ist wirklich prima. Für dich."
"Entschuldigen Sie bitte?" Sven fühlte ein leichtes Ziehen an der Kniefalte seiner Hose, aber er ignorierte es. Hier galt es, einen Streit zu gewinnen. Einen Streit, den er fest überzeugt war, in Kürze zu beginnen. Es war einfach einer dieser Tage, an denen sich Dinge aufstauen, die dann auch irgendwann mal entladen werden müssen. Und wie der großartige Held Kraal, Vorbild und Idol, immer zu sagen pflegte: Entladung ist wichtig, ansonsten platzt man.
"Ich kann das langsam nicht mehr hören", begann er also, sich in Rage zu reden. "Geistling hier, Geistling da! Du bist ja soooo ein toller Geistling. Heirate dich doch, wenn du dich so toll findest."
"Geistlinge dürfen nicht ..."
"Entschuldigung?" Erneut zupfte es an Svens Hose.
"Du machst es ja schon wieder. Das ist auf Dauer kontraproduktiv. Wenn ich sage, wir brauchen Proviant, dann meine ich damit, dass i..."
"Ey!", brüllte es nun von unten herauf. "Jetzt hört mir doch mal kurz zu!" Sven sah nach unten und in die Augen eines Zwerges, der immer noch eine Falte seiner Hose in der Hand hielt.
"Hab ich das richtig gehört?", fragte der Zwerg. "Ihr wollt also in die Krummlochberge?"
"Und wenn?"
"Könnt ihr mich mitnehmen? Ich habe Geld." Er kramte einen kleinen Sack hervor und zog eine vergleichsweise riesige Goldmünze hervor.
"Das trifft sich gut", antwortete Sven. "Wir brauchen Geld."
"Dann sind wir im Geschäft." Der Zwerg grinste breit. "Ich bin Klaus."
...
"So ... ähh ..." Vier schaute auf das Formular, "Tjang. Dann sag uns doch am besten mal deinen Namen."
"Psst ... Ich glaube, Tjang ist sein Name."
"Wirklich? Oh ... ich dachte, das wäre seine Spezies."
"Nein. Nein, es ist sicher der Name." Eins tippte mit seinem Bleistift auf den Fragebogen des Kandidaten. "Er hat es ins Namensfeld geschrieben." Sicherheitshalber fügte er hinzu: "Nicht unter Spezies."
"Oh ja, verstehe", antwortete Vier. "Also, ähh ..."
"Tjang."
"Danke, Fünf. Also, Tjang, du möchtest gerne ein Zwerg der Apokalypse sein, richtig?" Der Kandidat nickte.
"Bist du dir über die Aufgaben, die wir hier erfüllen, im Klaren?" Die Antwort bestand in einem zaghaften Schulterzucken.
"Du redest nicht viel, oder?" Kopfschütteln.
"Hast du schon mal eine Apokalypse herbeigerufen?", übernahm Zwei. Die Miene ihres Gegenübers veränderte sich, die Verunsicherung verschwand und wich einem breiten Grinsen.
"JA", donnerte er und die Stimme des Riesen brachte die Zwergenhöhle Krummlochs zum Beben. Bilder fielen von den Wänden, der Wasserkrug von Fünf wanderte auf dem Tisch hin und her und Drei purzelte vom Stuhl. "PAARMAL SCHON."
"Positiv finde ich ja schonmal", begann Drei und rappelte sich wieder auf, "dass du so groß bist."
...
Klaus warf einen weiteren Blick auf die Schatzkarte. Er fuhr mit seinem Finger den Pfeil entlang, der von ihrem Startpunkt in der Stadt direkt über die Maulmoore und die Krummlochberge zum Ende der Welt zeigte. Kein Zweifel, dies war der richtige Weg an sein Ziel. Was für ein Glück, dass er diese beiden Abenteuer gefunden hatte. Dass er dafür ein wenig lügen musste, war einfach Pech für sie. Dies war seine Chance, endlich etwas Richtiges zu tun, sein Platz in der Gesellschaft. Hatte seine Mutter gesagt.
Die drei waren nun bereits ein paar Tage unterwegs, hatten die Kreiselberger Zirkelfelder umrundet, waren durch die Wummswiesen gewandert, hatten einen kurzen Abstecher nach Schietbach gemacht, weil Nakii wissen wollte, warum der Ort so genannt wurde, und standen nun vor einem halb verotteten Holzschild, welches den Schriftzug Maulmoore trug.
Früher, als das Schild noch intakt gewesen war, hatte darunter Warnung vor der Müdra gestanden. Früher, als das Schild noch intakt gewesen war, hätte diese Warnung ihnen gereicht, ihre Wegplanung noch einmal zu überdenken.
Die Maulmoore waren übrigens keine echten Moore, sondern eher eine Art Wald. Man hatte sich damals entschlossen, diesem Wald einen möglichst abschreckenden Namen zu geben, damit niemand auf die unendlich dumme Idee kommen würde, sich hierher zu verirren. Niemand möchte einer Müdra begegnen.
"Warum möchtest du eigentlich in die Krummlochberge?", fragte Sven, um ein wenig Konversation zu machen und sich von den garstigen Grücken und den schmierigen Schlingpflanzen abzulenken.
"Habt ihr noch nie von Krummloch gehört? Dort lebt eine Gruppe Zwerge, deren Aufgabe es ist, auf die Maschine aufzupassen."
"Was für eine Maschine?"
"Die Maschine, die das Ende der Welt einläutet", antwortete der Zwerg pathetisch. "Lebt ihr hinterm Mond?"
"Dazu hätte ich viel zu viel Angst. Aber mal angenommen, es wäre so: Was für eine Maschine?"
"Läutet sie vielleicht das Ende der Welt ein?", fragte Nakii dazwischen.
"Genau. Sie wurde vom Großen Revisor gebaut, um ... naja, um das Ende der Welt einzuläuten, wenn es soweit ist."
"Wenn was soweit ist?"
"Das Ende der Welt. Und die Maschine hat er in der Höhle von Krummloch in die Obhut der Zwerge gegeben. Die achten darauf, dass sie nicht losgeht, bevor ..."
"Bevor das Ende der Welt eingeläutet werden muss?" Sven begann zu verstehen. Man konnte sagen, was man wollte, aber das war mal ein passender Name für eine Maschine.
"Ja", fuhr Klaus fort. "Und jetzt suchen die Zwerge Verstärkung."
"Okay, verstehe", sagte Sven. "Aber bei Thorodin, dem Symphonischen, warum sollte man freiwillig in Richtung solch einer Maschine ziehen?"
"Naja, freiwillig ist gut. Meine Mutter hat gesagt, ich soll etwas aus meinem Leben machen und etwas Anständiges lernen. Bisher habe ich immer nur so vor mich hinge..."
Sie wurden von einem Geräusch unterbrochen. Eines jener Geräusche, die so etwa in der Art entstehen, wenn man mit dem Fuß auf einen kleinen Zweig tritt, der daraufhin zerbricht. So etwa in der Art, weil es sich hier nicht um einen brechenden Zweig handelte, sondern einen brechenden Baumstamm. Und den Fuß eines Monsters.
"Eine Müdra!", rief Nakii und dematerialisierte sich.
"Was ist eine Mü... Hey, komm gefälligst zurück, du räudiger Feigling."
"Ja, tut mir Leid. Reflex." Der Geistling kam zurück. "Und, um deine Frage zu beantworten: Das da ist eine Müdra."
Das Monster war etwa zehn Meter hoch, ebenso breit, hatte einen rundlichen Körper, der auf vier baumstammdicken Füßen stand und fünf Köpfe, die nun an ihren langen Hälsen wild zischend durch die Luft fuhren. Fünf mit messerscharfen Mundwerkzeugen bewaffnete Mäuler öffnete sich und brüllten Sven entgegen. Er konnte nicht verstehen, was das Tier ihm mitteilen wollte, aber es war sicher kein Willkommensgruß.
"Okay", sagte der Held und machte einen zaghaften Schritt nach vorne. "das ist meine Chance, meine Heldenhaftigkeit zu beweisen. Fürwahr und Wahrlich." Er griff nach hinten über seine Schulter und zog sein Schwert aus der Scheide, ging etwas in die Knie, zog seinen Bauch ein, drückte die Brust soweit es ging raus und hob das Schwert in einer heroischen Geste über seinen Kopf. Ganz so, wie er es auf den Bildern von Kraal, dem Großartigen, Vorbild und Idol, immer gesehen hatte. Endlich, sein erster Kampf gegen ein richtiges Monster. Nun würde sein Training sich auszahlen.
"Und jetzt?", fragte er.
"Müdras sind scheiße schwer zu bekämpfen", antwortete der Geistling. "Aber wenn du ihr einen Kopf abschlägst, dann schläft sie ein."
"Ich soll ihr den Kopf abschlagen?"
"Das würde ich versuchen."
"Und was machst du in der Zeit?"
"Ich könnte dich enthusiastisch anfeuern."
Sven spannte seine Muskeln noch etwas mehr an, wie er es in Kraals Großer Ratgeber: Wie werde ich ein Echter Held - ein Ratgeber von Kraal dem Helden gelesen hatte, und rannte mit hoch erhobenem Schwert und einem lauten Schrei auf die Müdra zu.
Das Monster schlug mit einem seiner Köpfe nach dem Helden, verfehlte ihn jedoch knapp, da dieser im letzten Moment über einen Stein stolperte. "Haha!", rief er, "das hast du dir so gedacht, du garstiges Mon..." Ein zweiter Kopf traf Sven in die Brust, warf ihn zwei Meter weit durch die Luft und ließ ihn auf dem Hosenboden landen.
Er hörte Nakii etwas rufen wie "Los, gleich hast du sie am Sack!", als er sich erhob und einen zweiten Angriff startete. Diesmal war er vorgewarnt und wich den ersten beiden Schlägen des Monsters erstaunlich agil aus. Er vollführte seinerseits einen Schlag mit dem Schwert und fügte einem der Hälse eine blutende Wunde zu. Grünes Blut tropfte auf den Boden, als die Müdra ein wütendes Brüllen von sich gab und nun begann, mit den Füßen nach Sven zu stampfen. Der rollte behände zur Seite, ganz so wie es in Kapitel vier von Kraals Buch zu lesen war, und bekam lediglich einige Kratzer von auf dem Boden liegenden Steinen mit.
Nakii brüllte irgendetwas Unhörbares, als die Müdra mit einem Maul nach einem Baumwipfel griff, einen Ast herausbrach und diesen auf Sven schleuderte. Der hob sein Schwert in letzter Sekunde und konnte das Geschoss damit abwehren.
Das Monster gab ein fünfkehliges Brüllen von sich und schlug erneut mit seinen Köpfen nach Sven. Der wich dem ersten Schlag aus und rammte dem zweiten Hals sein Schwert in das Fleisch, was einen erneuten Schmerzensschrei zur Folge hatte. Die Müdra hob den Kopf und Sven wurde in die Luft gehoben, da er den Schwertgriff immer noch fest in seiner Hand umschlossen hielt. Die Klinge verließ den Hals und der Held wurde in Richtung des Geistlings geschleudert.
"Du hältst dich erstaunlich gut", sagte der anerkennend.
"Danke. Du bist auch eine große Hilfe."
"Wirklich?"
"Nun ..."
"Oh, verstehe. Der feine Herr mag es heute ironisch."
"Ey, du kleiner Blindwurm!", hörten sie plötzlich eine Stimme. Klaus hatte sich aus seinem Versteck bewegt und hüpfte nun mit wild wedelnden Armen auf und ab. "Versuch doch mal, es mit einem waschechten Zwerg aufzunehmen. Komm nur her, du Sohn einer räudigen ... Blindwurmmutter!" Es funktionierte. Zumindest, wenn es der Plan des Zwerges gewesen war, dass die Müdra ihm ihre volle Aufmerksamkeit schenkte.
"Das ist deine Chance", sagte der Geistling.
"Zu verschwinden?"
"Anzugreifen. Hau ihr die Rübe ab. Fürwahr!"
"Und Wahrlich!"
Während der Zwerg weiterhin alle Register zog, so groß und bedrohlich wie möglich zu wirken, nahm Sven sein schimmernd grün beschmaddertes Schwert in die Hand und rannte erneut in Richtung des Monsters. Im letzten Moment stieß er sich vom Boden ab, flog ein paar Meter durch die Luft und schaffte es tatsächlich, einen der Hälse mit einem Hieb zu durchtrennen.
Die Müdra schrie nicht. Sie schlug nicht nach dem Helden, oder versuchte zu fliehen. Sie stand einfach nur da. Bewegungslos. Sie schnaubte ein wenig verärgert, als der Hals sich in der Mitte längs teilte und die beiden Hälften jeweils einen neuen Hals bildeten. Es knarrzte, zerrte, gnirrte und schnurrte, als die schuppige Haut sich über dem offenliegenden Fleisch ausbreitete, und schließlich entsprang beiden Hälsen mit einem Plopp jeweils ein neuer Kopf.
Sven wollte gerade seinem Freund einen Vortrag über Biologie im Allgemeinen und seine mangelnden Kenntnisse über ebendiese im Speziellen halten, als die Beine der Müdra einknickten, sie sich hinsetzte und die Augen schloss. Alle zwölf.
"Das ist unsere Chance", flüsterte Nakii von hinten. Klaus und Sven nickten sich gegenseitig anerkennend zu und schlichen von der Lichtung.
Dann trat Sven auf einen Zweig.
...
"Sag uns doch mal deinen Namen."
"Zunächst einmal verbitte ich mir diesen Tonfall."
"Wie meinen?"
"Ich bin Hubertus von Hohenstein der Achte, Sohn Hubertus von Hohensteins des Siebten, seines Zeichens Sohn Hubertus von Hohensteins des Sechsten, seinerseits Sohn Hubertus von Hohensteins des Fünften, der wiederum ..."
"Okay, ich verstehe", sagte Drei. "Wie ich sehe, kannst du gut mit Zahlen. Und Genitiv, glaube ich. Das ist schonmal nicht schlecht."
"Wie ich bereits sagte, ich verbitte mir diesen Tonfall."
"Ich verstehe immer noch nicht, was du damit meinst."
"Da wir uns bisher noch nicht begegnet sind, junger Mann, zumindest nicht, dass ich wüsste, möchte ich Sie höflichst bitten, diese Vertraulichkeit zu unterlassen. Für Sie vorerst Herr von Hohenstein der Achte. Oder Euer Ehren, wenn Ihnen das genehmer ist." Der Mann saß kerzengerade auf seinem Stuhl, hatte die Beine übereinander geschlagen, hielt in der einen Hand eine Teetasse und richtete mit der anderen in diesem Moment sein Monokel. Die Tasse war leer. Er hatte sie selbst mitgebracht. Drei war etwas durcheinander.
"Herr von Hohenstein der ach..."
"Oder Euer Ehren. Wie es Ihnen beliebt."
"Nun, hier steht, dass Ihre Familie im Besitz mehrerer Ländereien in der Nähe von Neuseelenburg war und sich der Rundtierzucht verschrieben hat."
"Das ist korrekt."
"Wenn die Frage gestattet ist ..."
"Sie ist."
"Danke. Wie Sind Sie auf uns gestoßen? Ich meine, jemand Ihres Standes ..."
Die Haltung des Mannes versteifte sich, wenn das überhaupt möglich war, noch weiter. Er ließ die Teetasse sinken. "Wie Sie vielleicht wissen, oder vermutlich eher nicht, ist die Rundtierzucht davon abhängig, dass das Land eben nicht abhängig ist. Wenn Sie diesen kleinen Kalauer gestatten." Er kicherte still in sich hinein. "Ansonsten neigen die Tiere dazu, hinabzurollen und auf dem Grundstück der Nachbarn zu landen."
"Ich kann es mir vorstellen", sagte Zwei, der neben Drei saß.
"Nun, mein werter Herr Großvater, Gott hab ihn seelig ..."
"Hubertus von Hohenstein der Sechste?"
"Genau. Sie kennen sich? Er war in der Wahl seiner Ländereien leider etwas, ich möchte sagen, unvorsichtig. Er hat unser gesamtes Familienvermögen in ein sehr großes Grundstück am Hang der Spitznasenberge gesteckt. Eine Investition, die im Nachhinein betrachtet eine durchaus ruinöse Wirkung auf unsere Familie hatte."
"Und jetzt brauchen Sie Geld?"
"Wenn Sie es so ausdrücken möchten."
"Sie wissen schon, dass wir kein Gehalt bezahlen für die Stelle?", fragte Drei. "Dafür umsonst Kost und Logis. Das steht so in der Stellenausschreibung."
"Ich habe es mir abgewöhnt, Dinge zu lesen. Eine Eigenschaft, die mir mein Großvater nahe gelegt hat. Im Nachhinein betrachtet sicherlich auch nicht immer von Vorteil. Hätte er damals die Details über das Grundstück gelesen, dann ... naja." Hubertus von Hohenstein der Achte erhob sich. "Ich glaube, damit ist das Gespräch beendet. Ohne finanzielle Kompensation sehe ich mich nicht in der Lage, der von Ihnen gestellten Aufgabe nachzukommen. Einen schönen Tag."
Sein dramatischer Abgang verlor etwas an Wirkung, da er zunächst den Ausgang aus der Höhle nicht fand. Aber dann, dann ging er ab. Dramatisch.
"Und jetzt?", fragte Drei.
"Wir nehmen den Tjang."
"Du meinst den Riesen? Tjang ist der Name, nicht die Spezies."
"Ja. Der Riese."
...
"Haben wir sie abgehängt?"
"Ich glaube schon."
"Du bist ganz schön außer Atem", stichelte der Geistling.
"Im Gegensatz zu dir musste ich die Strecke auch laufen. Und im Gegensatz zu dir habe ich einen Kampf in den Knochen. Einen Kampf um Leben und Tod. Den ich gewonnen habe. Fürwahr und wahrlich."
"Höre ich da leise Kritik an meiner Kampfbeteiligung?"
"Eigentlich war ich ziemlich laut."
"Geistlinge können nicht kämpfen. Wie soll ich denn ein Schwert halten?"
"Hättest du ihn nicht besessen machen können oder so?"
"Seh ich aus wie ein verkackter Drehmon? Wo ist eigentlich der Zwerg?"
Die beiden standen am Rande der Maulmoore und blickten zurück auf den Weg, den sie gerade gekommen waren. Es raschelte im Geäst, als sich zwei Zweige zur Seite neigten und Klaus schwer atmend und keuchend auf sie zulief.
"Zwerge", ächzte er, "sind ... puh ... sind nicht fürs Laufen ... gemacht."
"Hast du früher nie Sport getrieben?"
"Zählt I-Sport?"
"Nicht, wenn das I für Imaginär steht", sagte Sven.
"Ähm ... lasst uns weitergehen."
Ein paar Stunden später erreichten sie schließlich den Hexenpark.
"Haalloooo!", rief Nakii und schwebte auf eine Gruppe Bäume zu. Niemand antwortete. "Die hören wirklich nichts."
Sven und Klaus hatten kein Interesse an der Vegetation. Sie waren müde und wollten möglichst schnell ihre Reise zu Ende bringen. Sven, weil er Kapuzenroberts Goldschatz am anderen Ende der Welt schon förmlich riechen konnte, und Klaus, weil er endlich zu seinem Vorstellungsgespräch wollte. Nicht nur, um seine Mutter zufrieden zu stellen. Er hatte das Gefühl, es wäre langsam an der Zeit, erwachsen zu werden.
"Hallo." Die Gestalt war weiblich, ausgemergelt, grau und generell etwas gammelig, die Stimme jedoch durchaus freundlich. "Wer seid ihr? Und warum brüllt euer Freund unsere Bäume an?"
"Er ist etwas dumm", flüsterte Sven. Und lauter: "Mein Name ist Sven. ich bin ein Held aus dem Westen. Wollt Ihr mein Zertifikat sehen?"
"Das wird nicht nötig ..."
"Ich habe eben eine Müdra besiegt. Möchtest du wissen, was das Grüne an meiner Schulter ist? Das ist Müdrablut", fügte er stolz hinzu.
"Ich bin Klaus", sagte Klaus. "Ich bin ein Zwerg."
"Echtes Müdrablut! Aus dem Hals einer Müdra. Die ich besiegt habe. Fürwahr und Wahr..."
"Und der da hinten ist Nakii. Ein Geistling." Klaus deutete mit dem Daumen in Richtung des Angesprochenen, der seine Konversation währenddessen an einen anderen Baum richtete.
"Es gibt keine Geistlinge mehr", antwortete die Frau verwirrt, die für Sven nicht nur wie eine Hexe aussah, sondern, und das wusste er zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht, auch eine war. Aber er hatte bereits so eine leise Ahnung.
"Es gibt einen. Er ist der letzte."
"Oh, das ist traurig." Die Gestalt reichte Sven ihre Hand. "Meine Name ist Hilda und ich bin eine Hexe." Aha! Wusste er es doch! Sven nahm Heldenposition Nummer drei ein.
"Eine Hexe? Dann wagt es nicht, uns aufzuhalten!"
"Warum sollte ich das tun? Das ist ein freies Land, ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt. Möchtet ihr euch vielleicht ein wenig ausruhen von der Reise?"
"Oh ja. Das wäre ganz prima", sagte Sven etwas verunsichert und steckte sein Schwert wieder weg.
Wenig später saßen die drei Reisenden in Begleitung von sieben ausgemergelt grauen und generell etwas gammeligen Hexen um ein Lagerfeuer herum, teilten sich eine Schüssel Schuppensuppe und erzählten von ihren Abenteuern.
"Stimmt es, dass ihr die Zwiklopen in Taubbäume verwandelt habt?", fragte Klaus irgendwann.
"Erzählt man es sich so?" Hilda lachte. Es war ein krächzendes Geräusch, das irgendwie ungesund, aber nicht komplett unangenehm klang.
"Naja. Es gibt Gerüchte."
Die Hexe erhob sich von ihrem Platz und wies dem Zwerg, ihr zu folgen. Die beiden verließen die Lichtung und betraten eine kleine Hütte, die von Innen tatsächlich exakt so aussah, wie sie von Außen wirkte. Auf einem wackeligen Tisch aus wurmstichigen Holz stand neben einer überwältigenden Auswahl an Bechern, Schüsseln, Gläsern, Tonkrügen und Schälchen eine winzige Box, aus der es leise klirrte. Als würden zwei Stücke Metall aneinander schlagen. Immer und immer wieder. Hilda, die Hexe öffnete die Box und hielt sie auf eine angemessen Höhe, damit Klaus bequem hineinsehen konnte.
"Vorsicht!", mahnte sie. "Sie sind aggressiv in der Paarungszeit."
"Ist denn gerade Paarungszeit für ... was ist das?"
"Das sind Beinhornborkenkäfer."
Der Zwerg warf einen prüfenden Blick in die Kiste und tatsächlich konnte er vier Käfer erkennen, die in einer Art Zeremonie umeinander herumtänzelten. Sie standen auf den Hinterbeinen und hielten jeweils ihr rechtes Vorderbein ausgestreckt vor sich. Ab und zu trafen sich zwei Käfer in der Mitte und schlugen ihre Arme aneinander, worauf ein Klirren erklang.
"Sie fechten", erklärte die Hexe. "Der Beinhornborkenkäfer ist ein faszinierendes Insekt. Das Männchen verbringt sein Leben damit, sich erst um ein passendes Weibchen zu duellieren und dann eine Behausung zu suchen."
"Und wo leben Beinborken... äh"
"Beinhornborkenkäfer leben unter der Rinde von Bäumen." Die Hexe verschloss die Box und stellte sie wieder auf den Tisch. "Wenn jetzt aber keine Bäume in der Nähe sind, dann schaffen sie sich selbst welche. Dazu ist das Horn. Es überträgt ein Gift, das jedes Lebewesen in einen Baum verwandelt."
"Das ist ja schrecklich!", rief der Zwerg.
"Kommt drauf an, aus welcher Perspektive man es sieht. Der Käfer erhält damit ein Zuhause. Einen Ort, an dem er sich sicher und geborgen fühlt."
"Das kann ich nachvollziehen."
"Hast du keine Heimat?"
"Ich habe sie verlassen. Meine Mutter hat gesagt, dort würde nichts aus mir werden."
"Und jetzt bist du auf der Suche nach einer neuen Heimat?"
"Ja. Wenn nur das schlechte Gewissen nicht wäre."
"Deinen Freunden gegenüber?"
"Ich habe sie angelogen."
"Aber du hast es aus einem Grund getan. Du suchst ein Zuhause. Das sollte das ein oder andere Opfer wert sein."
"Ja. Vielleicht."
...
"Also, sprich mir nach. 'Schwöre ich hiermit feierlich ...'"
"SCHWÖRE ICH HIERMIT FEIERLICH ..." Die Höhle bebte. Vier verlor kurz das Gleichgewicht und musste von Drei und Sechs gestützt werden.
"'... die Pflichten und Privilegien eines Zwerges ...'" Fünf hatte das kürzeste Hölzchen gezogen und war somit verantwortlich für die Zeremonie. Sie bestand darin, dem neuen Zwerg den Eid abzunehmen, ihm den Schlüssel für seinen privaten Bereich zu überreichen und ihm zu erklären, wie der Knopf funktionierte.
"... DIE PFLICHTEN UND PRIVILEGIEN EINES ZWERGES ..." Der Riese stand gebückt in der Mitte des Raumes und stieß trotzdem hin und wieder mit seinem Kopf an die Decke. Hier und da rieselte Staub auf die Zwerge hinab.
"'... zu ehren und zu wahren und alles in meiner Macht stehende zu tun, die Maschine zu pflegen.'"
"... ZU EHREN UND ZU WAHREN UND ... ÄHH ..." Fünf seufzte.
"Alles in meiner Macht stehende zu tun", flüsterte er, um den Fortgang nicht allzu sehr zu stören.
"ALLES IN MEINER MACHT STEHENDE ZU TUN ..."
Es klingelte. Selbstverständlich verfügte Krummloch über eine Türklingel, die den Zwergen anzeigte, wenn draußen jemand Einlass begehrte. Es war sehr wichtig, dass die Höhle erstens immer verschlossen blieb, zweitens aber jederzeit von Innen zu öffnen, sobald ER kommen würde, um die Maschine in Betrieb zu nehmen. Sechs und Eins verließen die Zeremonie und traten zur Tür.
"Ich bin Klaus", sagte Klaus. "Und ich komme wegen der Stellenanzeige."
"Das da ist also die Maschine, die das Ende der Welt einläutet", sagte Sven wenig später.
"Wenn es soweit ist."
"Die Einläutung des Endes der Welt?"
"Genau."
"Und ihr seid ..."
Anstelle einer Antwort stellten die Zwerge sich, einer offensichtlich zuvor einstudierten Choreographie folgend, nebeneinander in einer Reihe auf. Eins übernahm das Wort. "Wir sind die Sieben Zwer... ich meine, die sechs Sieben Zwerge der Apokalypse." Die übrigen Zwergen nickten bestätigend. "Seit Sieben gestorben ist, suchen wir einen neuen siebten Kollegen. Und euer Freund", er deutete auf Klaus, "scheint genau der richtige Mann dafür zu sein."
"Zwerg", korrigierte Vier.
"Zwerg. Genau. Vielen Dank, dass ihr ihn hierher begleitet habt. Alleine hätte er die Reise sicher nicht geschafft. Zwerge sind zwar zäh, aber schlechte Kämpfer."
"Naja", sagte Nakii, "er hat uns Geld versprochen." Er räusperte sich. Und als Klaus nicht reagierte, räusperte er sich erneut. Lauter. Und dann ein drittes Mal.
"Oh, ja! Natürlich." Klaus durchwühlte seine Tasche und produzierte eine Goldmünze, die er Sven in die Hand drückte.
Dann wurde er merkwürdig still, begann ein wenig herumzudrucksen und schaute starr auf den Fußboden.
"Was ist los?"
"Nun, da gibt es noch eine Sache ... Kapuzenrobert."
"Der mit dem Schatz am anderen Ende der Welt, ja."
"Ihr müsst etwas wissen ..." Es wirkte, als müsste Klaus nicht nur um jedes weitere Wort kämpfen, sondern auch mit den Tränen. "Robert war ein Zwerg."
"Ach." Sven war verwirrt. Das war zweifelsohne eine gewisse Überraschung, seiner Meinung nach jedoch nicht unbedingt der Rede wert. "Und?"
"Nun, zeig mir nochmal die Schatzkarte." Der Held kam der Aufforderung nach. "Siehst du diese Rune?" Klaus deutete auf die rechte obere Ecke der Schatzkarte in Svens Hand.
"Das Zweihorn?"
"Das ist kein Zweihorn. Es ist ein Pantonym. Wir nennen es das Stumme Gegenteil."
"Wie bitte?" Sven legte die Stirn in Falten. Gegenteil konnte in Bezug zu einem Goldschatz nichts Gutes bedeuten. Auch Nakiis Endoplasmatik nahm eine leicht rötliche Färbung ein. Ein Zeichen beginnender Wut. Oder Hunger. In diesem Fall aber vermutlich Wut.
"Kapuzenrobert wollte sicherstellen, dass nur ein Zwerg den Schatz finden kann. Und ... naja, ein Pantonym bedeutet, dass jeder Pfeil auf der Karte genau in die entgegengesetzte Richtung zeigt."
"Soll das heißen", brauste Sven auf, "dass der Schatz ..."
"Der Schatz liegt auf der anderen Seite der Welt. Ja."
...
"Welcherlei Glaubwürdigkeit der erzählerischen Geschichtlichkeit des Kapuzenroberts man auch der Zusprechung zuteil werden lassen möchte, sei eines von der Gewissheit der Wahrhaftigkeit begriffen." Meister Zungschlag nahm einen letzten Schluck Wasser. Es war eine lange und zermürbende Vorlesung gewesen. Zwei seiner Studenten hatten den Hörsaal verlassen, als draußen die Sonne untergegangen war und nur der Schnarcher saß noch an seinem Platz. Vermutlich hatte er gestern eine lange Nacht voller Studiererei und Bücherkunde hinter sich.
"Eines sei also, wie die Sagung bereits von der Erfolgung begriffen ist, von der Absolutheit der Gewissheit herführend sicher. Der Goldschatz hatte für Robert immer nur eine dergestaltliche Bedeutung, welcherlei Definition sich von der Metaphorik ihrer inneren Werthaftigkeit einer Bestimmung zukommen lässt. Oder, um eine Andersartigkeit der Formulierung anheim fallen ..."
"Soll das heißen", fragte der Mönch im Auditorium, "es gibt keinen Schatz?"
Meister Zungschlag hielt den Atem an. Er konnte es kaum glauben. Seit Jahren hatte er nun diesen Kurs gegeben, hatte den Vortrag bestimmt dutzende Male gehalten und noch niemals hatte es eine Zwischenfrage gegeben. Er räusperte sich stolz und fuhr fort.
"Kapuzenrobert hatte in der Tatsächlichkeit stets die Vertretung der Meinungslichkeit verinnerlicht, dass die Seiung des Zieles von der Gehung des Weges definiert ist."
...
"Was für ein scheiß Abenteuer!"
"Naja. Wir haben eine Müdra besiegt."
"Du hast sie besiegt."
"Ich habe sie besiegt. Hey, ich habe eine Müdra besiegt!" Sven strahlte. Auch wenn inzwischen einige Tage vergangen waren, gab ihm dieser Gedanke immer noch ein verdammt gutes Gefühl. "Ich bin nicht mehr länger ein zertifizierter Held. Ich bin jetzt ein richtiger Held!"
"Ja. Das bist du. Trotzdem. Verarscht worden von einem Zwerg. Einem kleinen miesen ..."
"Er hat unsere Hilfe gebraucht. Und er hat uns bezahlt. Doppelt."
"Angelogen hat er uns! Wenn ich nur daran denke, dann könnte ich ..." Nakii schlug mit der Faust durch einen Baum. "Nichtmal das klappt. Leck mich doch!"
"Du bist ein Geistling. Ihr könnte nicht einfach ..."
"Jaja! Ich bin ein Geistling. Komm, gehen wir was trinken. Und danach suchen wir den Schatz. Diesmal richtig." Nakii schwebte in Richtung Joes Kleiner Drachenpinte und Sven folgte.
"Ihr schon wieder", begrüßte sie der Türsteher. "Ich hab euch doch schonmal gesagt, dass ihr hier nicht reinkommt, wenn Pottery Slam ist."
"Hast du uns inzwischen ne Zeichnung gemacht?"