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Der gefräßige Kater
Es war ein grauer, trüber Tag. Der feine Regen bedeckte die Bäume und die Sträucher mit einem Schleier aus Millionen kleinen Perlen. Durch den Garten einer alten Villa huschte zwischen den Gräsern ein Pärchen. Die beiden sahen nervös aus. Manchmal blieben sie stehen und stritten sich leise. Es waren Herr Maus und seine Frau, die eine neue Wohnung suchten. Frau Maus hatte keine Lust, weiter in der alten Wohnung zu leben, denn dort roch es muffig und der Regen machte alles noch schlimmer. Die Wände waren feucht, ja manchmal richtig nass. Sie träumte von einem schönen, großen Wohnzimmer, einer schicken, modernen Küche und einem Bad mit Fußbodenheizung.
Herr Maus war von der Idee seiner Frau nicht begeistert, denn ein Umzug bedeutete immer viel Arbeit. Eigentlich war er zufrieden mit der jetzigen Wohnung. Er benötigte nicht viel und wie die meisten Männer verstand er nicht, warum Frauen ständig Veränderung brauchten. Aber aus Liebe zu seiner Frau willigte er ein und lief mit beiden Händen auf dem Rücken und gesenktem Kopf umher, heimlich hoffend, dass die Suche ergebnislos blieb.
Frau Maus dagegen tippelte leichtfüßig durch den Garten und steckte ihre Nase in jedes Loch.
"Du könntest ruhig mit suchen", sagte Frau Maus leicht gereizt. "Ich habe den Eindruck, dich interessiert unsere Zukunft gar nicht."
"Doch, doch, die interessiert mich schon, aber deine Vorstellungen sind viel zu hoch. Wie willst du hier denn finden, was du möchtest? Ich sehe beim besten Willen nichts, was deinen Wünschen entspricht", antwortete Herr Maus.
"Siehst du, wie groß der Garten ist? Wir haben gerade erst angefangen, zu suchen. Ich bin mir sicher, dass wir was finden werden", sagte seine Frau zuversichtlich, während sie ihre Augen verdrehte. Es war, als ob sie mit einem Kind reden würde.
Herr Maus zog sich den Mantelkragen etwas höher, als er fühlte, dass seine Ohren kalt wurden. Es war kein schöner Tag, nein, und schon gar nicht, um eine Wohnung zu suchen.
"Lass uns an der Mauer entlanggehen, da werden wir nicht nass", schlug er vor und bereute es, die Gummistiefel zu Hause vergessen zu haben.
Frau Maus war damit einverstanden, denn sie wollte sich ihre Frisur nicht ruinieren. Und so liefen sie schlecht gelaunt die Mauer entlang, sie in der Hoffnung, etwas Schickes zu finden, und er davon träumend, gemütlich vor dem warmen Ofen zu sitzen und eine gute Tasse Tee zu trinken.
Der Weg war beschwerlich, überall lagen Kieselsteine, man musste aufpassen, dass man sich nicht die Beine brach. Als sie um die Ecke bogen, sahen die beiden genau unter einer Kletterrose eine winzig kleine Tür, die so gut getarnt war, dass man sie leicht übersehen konnte. Frau Maus schrie vor Überraschung beinahe los und klammert sich an ihrem Mann fest.
"Da gehen wir nicht rein! Nein, niemals, das ist eine Falle!", sagte sie so aufgeregt, dass ihre Barthaare sich kräuselten. "Dieses Haus ist zu vornehm für uns, das hat nichts Gutes zu bedeuten! Ich gehe da nicht rein!"
"Ach komm, sei nicht so ängstlich", versuchte Herr Maus seine Frau zu beruhigen. Er wollte unbedingt dort hinein, der Regen ging ihm nämlich langsam auf die Nerven. "Du weißt doch, wenn es gefährlich wird, kann ich für dich kämpfen wie ein Löwe", sprach er weiter und streckte sich, um zu zeigen, wie groß er war. "Außerdem, wer weiß, vielleicht verbirgt sich hinter der Tür genau die Wohnung, die du dir immer gewünscht hast."
Nachdem Frau Maus die Arguemente ihres Mannes gehört hatte, war sie überzeugt. Und so ging sie hinein, Herr Maus als erster, gefolgt von seiner Frau, die sich an seinem Mantel festhielt. Sie betraten einen schmalen Gang, der immer wieder hoch und runter führte, als ob ein schlafwandelnder Maulwurf darin gegraben hätte.
"Mir wird schon richtig schwindelig", beklagte sich Frau Maus, "und sehen kann ich auch nichts."
Aber plötzlich wurde der Gang breiter und führte in einen riesigen Raum, der so groß wie ein Fußballfeld zu sein schien, oder zumindest empfand die winzigen Mäuse es so. Links an der Wand gab es einen Kamin, der angenehme Wärme spendete. Davor befand sich eine blaue Couch mit roten Kissen, die sehr gemütlich aussah. Auf dem einen Tisch stand ein Teeservice, auf dem anderen lagen Kekse, ein Schälchen mit Käse und eines mit getrockneter, geräucherter Wurst. Auf der Couch, leger auf dem Rücken augestreckt, lag ein gestreifter Kater, der so faul war, dass er nur die Augen bewegte. Er war groß und ziemlich dick. Als er die Mäuse sah, glänzten seine gelben Augen und sein buschiger Schwanz pendelte träge über dem Couchrand.
"So, so", sagte er mit öliger Stimme, "hat euch der Regen hierher getrieben oder wie kommt es, dass ihr mich mit eurem Besuch beehrt? Kommt näher, ich tu euch nichts, aus Mäuse mach ich mir nichts", fuhr er fort, rümpfte dabei die Nase und polierte sich die langen, scharfen Krallen an seinem Fell.
Herr Maus hatte in seinem Leben eine Menge gesehen und erlebt, daher wusste er, dass man Katzen nicht trauen sollte. Allerdings war dieser Kater so dick und träge, dass er sie unmöglich jagen konnte. Gleichzeitig war Herr Maus leicht angewidert. Ganz bestimmt war der Kater ein verwöhnter Schößling. Die meisten Katzen, die er kannte, waren sportlich, schlank und immer in Bewegung. Eigenschaften, die er zwar hasste, weil er dann umso schneller rennen musste, aber in diesem Fall fand er sie äußerst lobenswert. Seine Frau hingegen war sehr beeindruckt von dem imposanten Raum und plapperte aufgeregt auf den Kater ein.
"Nun, wissen Sie, wir sind auf der Suche nach einem neuen Zuhause und haben nur durch Zufall die Tür zu dieser traumhaften Wohnung entdeckt. Also ehrlich! So was Schickes habe ich noch nie gesehen! Du etwa, Schatz?"
Sie flatterte dabei mit ihren kurzen Armen und rollte vor lauter Aufregung und Bewunderung mit ihren kleinen Knopfaugen. Herr Maus erkannte seine Frau kaum wieder.
Als der Kater das hörte, schwang er seine Beine übereinander und ein breites Grinsen ersetzte die verschlafene Miene.
"Wenn das so ist, hätte ich einen Vorschlag für euch", sagte er mit schmeichelnder Stimme.
Herr Maus rechnete sich schnell aus, dass der dicke Kater, selbst wenn er die Absicht hätte, sie zu fressen, unmöglich durch den engen Gang passen würde. Der Gedanke machte ihn etwas lockerer. Lässig antwortete er dem Kater.
"Ich wüsste nicht, was das für ein Vorschlag sein sollte, der uns interessieren könnte. Für gewöhnlich machen wir keine Geschäfte mit unseren Feinden."
"Wer spricht denn hier von Feinden? Ich habe euch doch gesagt, dass ich mir nichts aus Mäusen mache! Ich bin so reinrassig, dass alleine der Gedanke, euch zu fressen, für mich schon eine Beleidigung wäre."
"Also gut, von welchem Vorschlag reden wir hier?"
"Ich möchte euch anbieten, hier zu wohnen. Platz ist genug und ich braucht auch keine Miete zu zahlen."
Was ist das denn für ein Vorschlag?, fragte sich Herr Maus verwundert. Woher kommt diese Großzügigkeit? Niemand gibt einem etwas umsonst.
"Was verlangst du als Gegenleistung?" fragt er laut.
"Eigentlich eine Kleinigkeit, nur, dass ihr nicht denkt, dass es sich um Almosen handelt. Seht ihr dort in der Wand neben dem Kamin die kleine Öffnung? Die führt durch einen Gang in eine Kammer. Dort gibt es Regale voller Schinken, Speck und rundem Käse, so groß wie Wagenräder. Ich esse nicht viel, aber abends bekomme ich oft Lust auf was Leckeres. Ich kann mir vorstellen, dass ihr da mit Leichtigkeit durchkommt. Und wenn ihr mir jeden Abend etwas aus der Kammer mitbringt, könnt ihr hier umsonst wohnen. Und ich werde euch obendrauf noch vor anderen Katzen schützen! Ist das kein tolles Angebot?", schnurrte er leise, als ob er die Mäuse hypnotisieren wollte.
Frau Maus taumelte kurz, denn sie vergaß vor Aufregung zu atmen und fiel fast in Ohnmacht. So viel Glück hätte sie sich nie erträumt.
Herr Maus dagegen gefiel der Vorschlag ganz und gar nicht. Zum einen würde es ihm nicht im Traum einfallen, als Dieb zu arbeiten, und außerdem würden sie die ganze Mäuserasse entehren, wenn sie für eine Katze arbeiten würden. Das musste er seiner Frau zuflüstern, denn sie schien den Verstand verloren zu haben.
Er hüstelte diskret in seine Faust, in der Hoffnung, seine Frau würde verstehen. Aber die Gute war in Gedanken bereits damit beschäftigt, das neue Heim einzurichten.
"Nun gut, wir werden eine Nacht darüber schlafen, ich hoffe, sie verstehen", sagte Herr Maus und wollte auf der Stelle gehen.
Aber wie in aller Welt sollte er das anstellen! Seine Frau schien am Boden festzukleben, während ihr Geist sie anscheinend verlassen hatte. So empfand es der arme Herr Maus zumindest, der vergeblich versuchte, sie in die Realität zurückzuholen. Als nichts half, schüttelte er etwas unsanft ihren Arm. Sie blickte ihn mit einem dümmlichen Grinsen an.
"Stell dir vor, Pupsi, was wird Frau Knödel neidisch sein! Ich kann es kaum erwarten, sie zum Tee in dieses Schloss einzuladen! Wir werden endlich zur High Society gehören!"
Der Kater konnte es sich nicht verkneifen, Frau Maus in höchsten Tönen zu loben.
"Gnädigste, es wird mir eine Ehre sein, mit solch gebildeten Leuten meine bescheidene Hütte zu teilen!" Dabei grinste er schief.
"Wie gesagt, wir müssen uns das erst in Ruhe überlegen", sagte Herr Maus peinlich berührt. Er hatte den ironischen Unterton in der Stimme des Katers nicht überhört. "Komm, Schnippchen", sagte er energisch zu seiner Frau, die überhaupt nicht verstehen wollte, warum sie nicht sofort hier bleiben konnten. Er musste sie beinahe rausschleifen, während sie ihn ansah, als ob er der derjenige wäre, den nicht ganz bei Sinnen war.
"Überlegt nicht zu lange!", rief der Kater ihnen hinterher. "Es gibt noch viele andere Interessenten! Und wenn ihr mir das mit der Kammer nicht glaubt, könnt ihr gerne einen Blick reinwerfen", hallte seine Stimme etwas weinerlich durch die Dunkelheit des Ganges.
"Was gibt es denn da noch zu überlegen? Sowas finden wir nie wieder! Und schon gar nicht umsonst!", sagte Frau Maus empört.
"Umsonst? Hast du nicht gehört, was wir dafür machen sollen? Kannst du dir vorstellen, jede Nacht als Diebin durch die Gegend zu schleichen? Für den? Der Kerl hat doch überhaupt keinen Anstand, und du hängst ihm an den Lippen! Was meinst du wohl, was Frau Knödel sagen wird, wenn sie hört, dass du als Diebin für so einen arbeiten willst? Lieber verschimmle ich in der alten Wohnung, als da einzuziehen!"
Frau Maus lief grau an. Nicht auszudenken, wenn sie darauf eingegangen wäre! Wieso ließ sie sich so leicht blenden? Für eine bessere Wohnung hätte sie sich beinahe überreden lassen, eine verbrecherische Sklavin zu werden. Sie schaute ihren Mann an, ihren Helden, ihren anständige, schlauen, geliebten Pupsi.
"Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist, vielleicht hat der fette Kater mich hypnotisiert. Ehrlich, ich konnte nicht mehr vernünftig denken. Lass uns gehen, ich will hier raus, ich hab' doch gleich gewusst, dass das nichts Gutes bedeuten kann."
Pupsi verstand seine Frau sehr gut. Er hätte sich besser von Anfang an auf ihren Instinkt verlassen sollen. Eilig huschten sie den Gang entlang und sprangen durch die Tür in die Freiheit.
"Gott sei Dank!", piepste eine Stimme über ihren Köpfen. "Ihr seid heil rausgekommen!"
Erstaunt schauten die beiden nach oben. In der Kletterrose saß ein Spatz, der vor Aufregung zitterte und stotterte.
"Wieso heil? Was meinst du damit? Der Kater macht sich nichts aus Mäusen und außerdem hätte er uns doch eh nie gekriegt."
"Das stimmt, das stimmt, aus euch macht er sich nichts, nicht aus euch! Er nicht, er nicht! Kommt mit, da drüben ist eine Bank, ich werde euch alles erzählen."
Die drei gingen zur Bank. Schnippchen und Pupsi ließen sich mit einem Seufzer fallen, der Spatz setzte sich auf die Rückenlehne.
"Also wirklich, ihr habt echt Glück gehabt!"
"Nun erzähl schon, was du meinst. Wir wären eh nicht auf sein Angebot eingegangen."
"Dazu wärt ihr auch gar nicht gekommen! Was meint ihr, warum die kleine Tür da in der Mauer ist? Um Naivlinge wie euch anzulocken! Ihr müsst wissen, dass in der Villa eine böse Frau lebt, die es auf Mäuse und andere kleine Tiere abgesehen hat. Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass der Kater euch für ein bisschen Käse und Wurst in so einer Wohnung leben lassen würde! Habt ihr ihn nicht gesehen? Als ob der von den paar Krümeln, die ihr ihm bringen könntet, satt werden würde! Der Plan ist ein ganz anderer: Ihr sollt durch die Öffnung gehen und am anderen Ende hätte euch die böse Frau empfangen. Sie sammelt Mäuse und andere Tiere für ihr Fell und verkauft sie dann teuer! Und der Kater bekommt einen Riesenberg zu essen dafür, dass er den Lockvogel spielt."
Schnippchen hörte entsetzt zu.
"Du meinst, wir wären richtig Hops gegangen? Keine Wohnung, kein Kamin?", flüsterte Frau Maus, die zum zweiten Mal an diesem Tag der Ohnmacht nahe war.
Ihr Mann, der mit allen Gemeinheiten dieser Welt vertraut war, zuckte nur mit den Schultern.
"Dass die Menschen zu allem fähig sind, wundert mich ganz und gar nicht. Aber dass eine Katze, egal wie durchtrieben die sind, einen Pakt mit einem Menschen schließt, das haut selbst mich um! Komm, Schnippchen, wir gehen nach Hause. Ich werde die Wohnung wasserdicht machen und sie so herrichten, dass du dich dort wie eine Prinzessin fühlen kannst. Vielen Dank, dass sie uns gewarnt haben, Frau Spatz!"
Und so gingen die beiden wieder nach Hause und hielten sich seit diesem Tag von der Villa mit dem dicken Kater und der bösen Frau fern.