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Der Geburtstagskuchen
Da steht er, sein einundzwanzigster Geburtstagskuchen. Liebevoll von seiner Mutter gebacken. Mit einer einzelnen Kerze darauf. Er kann sich an fast alle seine Geburtstage erinnern. An manchen war er sehr glücklich, an einigen wenigen unglücklich. Doch an diesem Tag war er voller gemischter Gefühle. Es gibt zei verschiedene Arten, mit der Zukunft die vor einem liegt, umzugehen. So machte er sich Einerseits große Sorgen über das, was auf ihn zukommen sollte. Würde er alles schaffen, was er sich vorgenommen hatte? Was für Gefahren barg seine Zukunft? Würde er stark bleiben, oder den Aufgaben erliegen und mit abgetöteter Hoffnung eines Tages alles aufgeben? Er war doch grad erst im Leben angekommen und sollte nun schon auf eigenen Beinen stehen? Andererseits jedoch dachte er auch an die guten Zeiten, die er noch erleben würde und die Ziele, die er erreichen könnte. Er weiß was er will und setzt alles daran es in die Tat umzusetzen...
Sie war nun endlich wieder in greifbarer Nähe für ihn. Nach sehr langer Zeit konnte er endlich wieder mit ihr sprechen. Voller Vorfreude, dachte er an den Moment, an dem er sie wiedersehen würde. Er würde sie wie immer sofort erkennen. An ihrer Figur, ihrem Haar, ihrer Stimme, und vor allem an ihrem wunderschönen Gesicht. Die Sehnsucht nach ihr nagte jeden Tag an ihm und wurde immer stärker. Jeden weiteren Moment seines Lebens wollte er mit diesem faszinierendem, durch und durch gutem Menschen verbringen. Er begehrte sie. Verehrte sie. War es Liebe? Er wusste es nicht. Der Junge, oder "Junge Mann", wie er mittlerweile immer öfter genannt wurde, hatte noch nicht viel Erfahrung in Sachen Liebe und hatte keine Ahnung, wie sich echte Liebe anfühlte. Niemand hatte ihm je beschrieben, was Liebe genau ist oder wie sie sich anfühlt. Doch vielleicht war es gerade diese Ungewissheit, die ihn an diesem undefinierten Phänomen so sehr faszinierte...
Als sein Lieblingskuchen, ein Luftig lockerer, süßlich bunter Papageienkuchen, mit einer einzigen vor sich hin lodernden Kerze vor ihm stand und er das Feuer ausbließ, wünschte er sich nur eins. Sie...
Als er sich wieder von Zuhause aus auf den Weg machen musste, nahm er den Rest des Kuchens mit. Er packte ihn in eine Box, die ihn schützen sollte. Die größte Sorge, die er nun hatte, war ihn allein zu essen. Wenn er nur ein einziges Stück mit ihr teilen könnte, und es somit auch nur ein einziges Stück dieses schmackhaften Kuchens geben würde, dass auf ihrer Zunge zergehen würde, während er ihr von seinem Tag erzählte, wäre er so überglücklich und dankbar für diesen scheinbar nüchternen, für ihn aber unglaublich schönen Moment, dass er die ganze Welt umarmen könnte. So träumte er weiter vor sich hin und zählte die Sekunden...
Dann sah er sie endlich. Nur vier Sekunden früher. Hätte er nur vier Sekunden früher das Gebäude betreten, hätte er sofort mit ihr reden können. Er hätte sie fragen können, ob sie sich nicht nebeneinander setzen wollen. Sie hätte neben ihm gesessen und sich mit ihm unterhalten. Ja, sie hätten sogar wieder zusammen das Gebäude verlassen. So hätte sie herausgefunden, dass er Geburtstag hatte, und er hätte den Kuchen mit ihr geteilt. Den Moment genossen. Doch das Schicksal hatte, wie so oft auch in den vorangegangenen Jahren, andere Pläne für die beiden...
So kam er vier Sekunden zu spät an diesem Ort an und sah sie noch gerade im letzten Moment in den Raum gehen. Sie hatte ihn nicht bemerkt und suchte sich schnell einen Platz, neben dem leider kein anderer mehr frei war. Er konnte sich nur noch direkt vor ihr setzen, in der Hoffnung, sie würde für ein Gespräch bereit sein, würde er sich umdrehen. Ein buntes Gespräch führte sie jedoch bereits mit ihrer Banknachbarin. Er saß brav da und versuchte cool zu bleiben, während er im Inneren unendlich nervös war. Als dann alle gingen, musste er jedoch grinsen, weil sich ihre ungewöhnliche Angewohnheit, die er ebenfalls an ihr liebte, zeigte. Sie war stets die letzte, die den Raum verließ. Ganz egal ob sie mit jemandem sprach oder nicht. Sie war so unendlich geduldig und selbstsicher, dass es ihr nicht das geringste ausmachte, den Leuten, denen sie den Weg versperrte, ihre kostbare Zeit zu stehlen. Diese seltsame Angewohnheit, völlig gegensätzlich zum allgemeinen menschlichen Gehetze, dass jeder mit sich trägt, war ihm so sehr aus den früheren Jahren, in denen er sie bereits liebte, vertraut, dass er fast gar nicht mehr aufhören konnte vor sich hinzugrinsen. So ließ er sich, genau wie sie, Zeit. Doch zu lange zu warten um ihr dann ein Gespräch aufzuzwingen wäre aufdringlich gewesen und hätte einen schlechten Eindruck hinterlassen. Sie war ein weiteres Mal in eine Konversation vertieft, und so war er gezwungen, weiterzugehen. Noch ein letztes Mal drehte er sich zu ihr um, bevor er den Raum verließ. Auf dieses wunderschöne Lächeln, dass sie jetzt in diesem Moment ihrer Gesprächspartnerin schenkte, sollte er nun eine weitere Woche warten. Diese Tatsache ließ ihn einen ebenfalls vertrauten Schmerz spüren...
Den Rest des Tages verbrachte der Junge mit exsessivem Konsum, der ihm über den Schmerz und die Sehnsucht hinweghelfen sollte. Er aß, trank und rauchte so viel wie sonst nie, aß auch den Kuchen, und als er einen tiefen Zug nahm, überlegte er, warum er sich nicht einfach dafür entschied, ab jetzt nie wieder auszuatmen. Er pustete und verwarf den Gedanken schnell. Was hätte das schon für einen Sinn? Der Schmerz wäre weg, jedoch auch die Möglichkeit, sein größtes Ziel zu erreichen. Das Ziel, das seinem Leben endlich einen Sinn gab...
Am nächsten Morgen wachte er noch leicht benommen und mit kaum einer Erinnerung am Abend davor in seinem Bett auf. Er lebte sein Leben weiter und begann den neuen Tag, wieder immer in Gedanken an sie versunken. In der Box, in der sich der Kuchen befand, befand sich jetzt nur noch das eine Stück. Das Stück, das sie essen sollte...