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Der Gast

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16.07.2002
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Der Gast

Heimlich kommt ein Gast in mein Haus. Er setzt sich auf meinen zerfransten Sessel und grinst mich mit einem ebenso zerfransten Lächeln an. Der Tod.
"Guten Tag, Herr Tod.", sage ich "entschuldigen Sie, dass ich gleich gerade heraus bin - Sie haben anscheinend Ihren Job verfehlt. Können Sie nicht besser zu ihren Klienten recherchieren?"

Er stutzt und schaut mich mit seinen augenlosen Höhlen an.

"Ja, Sie brauchen gar nicht zu stutzen. Erinnern Sie sich nicht, dass Sie schon einmal bei mir waren? Ein Stümper sind Sie, das muss ich ja mal sagen."

Der Tod richtet sich im Sessel auf, die Knochenfinger krampfig in die Lehnen gekrallt. Seine etwas grobe Freundlichkeit ist entschwunden, ja, er sieht nun eher verstimmt aus.

"Ja, wissen Sie, Herr Tod, Sie kamen damals zu mir. Sicher waren Sie beeinträchtigt, hatten Sie doch schon eine Menge Seelen an diesem verfluchten Tag damals getrunken. Ein Erdbeben in Indien, ein Krieg in Südafrika, eine Grippeepedemie in Russland. Nun, da kann man ja nicht mehr allzu nüchtern sein. Sicher. Trotzdem kann man sich beim Seelentrinken auch zurückhalten - man muss doch nicht jeden Toten leertrinken. Eine Neige kann man ja hin und wieder zurücklassen, auch wenn, nun gut, der arme Verblichene dann wahrscheinlich noch seine eigene Beerdigung bei vollem Bewusstsein erleben wird. Aber wie gesagt, zwei Drittel der Seele reichen doch für Ihr Geschäft aus, so sagte es mir in einer netten Plauderstunde einmal ein Todesengel, damals, kurz bevor Sie in mein Haus kamen."

Der Tod ist in sich zusammengesackt. Die Erwähnung des Todesengels hat ihn geschafft. Engel allgemein findet er lästig und dass sie schwatzhaft sind, das weiß man ja. Der Tod ist nicht schwatzhaft. Er ist still und macht nur seine Arbeit. Vergnügen will er nicht. Auch das vollständige Seelenaustrinken ist nur eine Art Präzision von ihm. Der Tod - ein Pedant eben, so ein kleinkarierter.

"Da wir gerade von Trinken reden, kann ich Ihnen etwas anbieten? Sie schütteln den Kopf. Nein? Aber nicht doch, nicht doch, für mich nur ist der Whiskey hier. Ihnen kann ich etwas ganz anderes anbieten. Wissen Sie, ich habe zu viele Mäuse in meinem Haus. Und die alte Katze schafft es nicht mehr so recht, sie wegzufangen. Also bedienen Sie sich ein wenig an den unzählig hier vorhandenen Mauseseelen. Mäuse haben doch Seelen, oder? Gut, ich weiß, das ist ein wenig armselig, Armeleuteessen. Meinetwegen, dann nehmen Sie noch die Katze - sie ist sowieso schon viel zu alt und leidet an Rheuma. Ich würde mich ja gern anbieten wollen, aber bei Ihnen weiß man ja nie. Außerdem wäre ich wahrscheinlich ein zu starker Cocktail für Sie. Sehen Sie, so kommt ich zum Ausgangspunkt meiner Geschichte wieder zurück. Ist mir das nicht bravourös gelungen? manchmal übertreffe ich mich fast selbst."

Man hört ein erbärmliches Quieken. Dann noch eines.

"Ach, wie ich höre, haben Sie sich schon selbst bedient.
Nun gut, also ich bin ein zu starker Cocktail für Sie? Sie wundern sich über diese Aussage, sicher, ich sehe es Ihrem Schädel an. Tja, tragen Sie, wie schon erwähnt, selbst die Hauptverantwortung an meiner Seelenveränderung - auch wenn Sie den Kopf schütteln. Sie kamen damals in mein Haus, in dem besagten Zustand. Knallten sich in den Sessel, auf dem Sie heute auch wieder sitzen und starrten mich lüstern, verzweifelt an."

Der Tod beugt sich erneut vor, das Schwarz in seinen Augenhöhlen fast fiebernd nun. Er federt sich vom Sessel ab und zieht sich in die Ecke am Fenster zurück. Dort schaut er in die Nacht, was er am liebsten tut, da das Dunkel seine Helligkeit und Farbenpracht ist.

"Nun, ich hoffe Sie hören mir weiter zu...
Natürlich hatte ich damals Angst, machte ich doch zum ersten mal Ihre Bekanntschaft. Sie müssen gestehen, dass Sie nicht sehr freundlich auf den ersten Blick wirken. Nun sonderlich attraktiv auch nicht, nein. Bitte nehmen Sie mir diese Äußerung nicht übel. Ihre Anziehungskraft liegt einfach woanders. Sie sind intensiv und das macht Sie schön. Entschuldigen Sie, jetzt bin ich ein wenig verlegen. Das klingt entweder wie purer Zynismus oder wie ein Liebesgeständnis. Aber wie sollte man jemanden lieben können, den man nur ein einziges Mal im Leben trifft und dann noch für so kurze Zeit? Nein. Nun gut, wie ich schon sagte, ich treffe Sie aber nun schon ein zweites Mal in meinem Leben. "

Der Tod hat sich ruckartig umgedreht, schwankt und hält sich am Vorhang fest.

"Ja, das erstaunt Sie alles. Ich weiß.
Nun an jenem Abend also saßen Sie trunken in meinem Sessel. Ich merkte, dass Sie irgendetwas bedrückte. Ich trat zu Ihnen und legte meine Hand auf Ihre Schulter. Auch Sie sind ein Wesen mit Gefühlen, so jedenfalls meine Meinung - ich konnte mich also gegen mein Mitleid nicht wehren. So nahm ich ein Buch aus dem Regal, Paul Celan, Gedichte. Und, um Sie aufzumuntern, las ich Ihnen damals die Todesfuge vor. Bei einer Zeile seufzten Sie dann schnarrend auf. 'Wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng.' So lautete die Zeile. Ich las weiter, las und las. Suchte immer neue Gedichte zum Thema Tod heraus. Eines erinnere ich noch genau. Eines, das von Ihren Brüdern, dem Schlaf und von dem kleinen ungeliebten Wahnsinn sprach. Wieder seufzten Sie auf. Sie legten Ihre klare, milchige Stirn in Ihre Hand. Ich machte mir damals Sorgen um Sie - ahnte ich doch, dass zu viele Seelen Sie melancholisch stimmen."

Am Fenster regt sich nichts mehr. Der Tod kehrt dem Raum den Rücken zu und starrt regungslos in die Dunkelheit. Wäre der Tod ein Mensch, dann hätte man meinen können, dass er weint.

"Jedenfalls bei genau diesem Gedicht über Sie und Ihre Brüder, da packten Sie mich plötzlich und zogen mich an sich. Sie schauten mir tief in die Augen und ich vermeinte so etwas wie Liebe in Ihren Höhlen zu sehen. Aufflackernd zumindest. Dann spürte ich plötzlich Ihren Mund auf dem meinen. Oh, Kuss des Todes! Mir schwanden die Sinne. Ich dachte, dass ich nun sterben müsse, so wie man es ja gehört hatte. Der Kuss des Todes soll das Ende sein."

Der Tod, jetzt besonders bleich und mager aussehend, traurig mit seinem flachen Gesicht ohne Nase, steht noch immer in der dunklen Ecke am Fenster. Schaut auf den Boden, genau zwischen seine Füße. Es sieht so aus, als erinnerte er sich nun dunkel.

"Ja, ich dachte damals, dass Sie, Herr Tod, mich nun mitnähmen, mir meine Seele nähmen. Aber ich hatte falsch gedacht. In Ihrem Kuss lag die Verzweiflung der letzten Stunden gepaart mit Ihrer Trunkenheit. Vielleicht zweifelten Sie einen Moment lang an Ihrem Beruf. Ich weiß es nicht.
Jedenfalls spürte ich nicht wie mir genommen wurde, sondern das Gegenteil, wie mir gegeben wurde. All' die Seelen in Ihnen durchwanderten nun auch mich, Sie zirkulierten über unsere Lippen zwischen uns beiden. Ich starb in dieser Minute tausende Tode, durchschritt unzählige Leben. Es war ein endloser Schauer des Vergehens, des Sterbens - ein scheinbar ewig währender Höhepunkt. Ich...verflucht...ich glaube, in dieser Minute damals habe ich mich in Sie verliebt. Dieser Kuss war besser als jede Liebe zwischen zwei menschlichen Körpern."

Aus dem Dunkel trat der Tod ins Zimmer. Die Schultern hängend. Erinnerung auf dem polierten Schädel, Sehnsucht im Dunkel der Augenhöhlen. Das ewige Lachen, erstorben, trotz der sichtbaren Zähne.

"Sie sind damals eingeschlafen, in meinen Armen dann, zusammengekauert wie eine dieser Kindermumien, die man in der Wüste gefunden hat. Ganz klein sah Ihr Schädel aus, ganz traurig mager Ihr Körper. Sie schliefen und blieben bei mir bis in die frühen Morgenstunden. Ich hätte nie gedacht, dass der Tod schlafen kann, Sie hatten es sicher bis dahin auch nicht gedacht. Es war Ihr erster Schlaf - Ihr Bruder, der Schlaf, hatte Sie von Ihrer Verzweiflung erlöst... Ich war die ganze nacht wach, Sie im Arm, mich selbst nicht wiedererkennend. Was war mit mir geschehn? Saß ich doch hier mit dem Tod im Arm. Hatte ich doch den besten Sex, verzeihen Sie, dass ich es so bezeichne, aber Menschen haben kein Wort für das, was ich mit ihnen erlebte - hatte ich also den besten Sex meines Lebens eben gehabt oder meiner Tode, wie auch immer. Das Problem war nur, dass ich Ihn mit dem Tod hatte.
Ich musste dann in den Morgenstunden wohl doch eingeschlafen sein und als ich erwachte, da war ich allein. Sie hatten mich verlassen. Ich war traurig, ich war verwirrt. Erst dachte ich, ich hätte alles vielleicht nur erträumt. Doch dann bemerkte ich etwas an mir, dass mir die Haare zu Berge stehen ließ und ich wusste, dass Sie wirklich da gewesen waren und ich ihren Kuss gespürt hatte."

Noch einen Schritt trat der Tod in den Raum. Voller Interesse wartete er die nächsten Worte ab. Seine Hände zitterten leicht - leises Klappern durchbrach die Stille der Atempause.

"Nun ja, Sie hatten irgendwie vergessen, mir meine eigene Seele vollständig zurück zu geben. Sie hatten mir nur Bruchstücke wieder eingehaucht. Der Rest bestand aus einem guten Mix aus den Seelen, die Sie vorher durch mich hindurchgejagt hatten. Ich war somit geschwängert mit den vielen Leben, die Sie vorher genommen hatten. Von dem einen mehr, von dem anderen weniger. Ein seltsames Gefühl, können Sie sich sicher denken, wenn man als armseliges menschliches Wesen bisher nur das Leben mit einer Seele gewohnt war.
Wochen später noch musste ich mich an die fremden gegeneinander wirkenden Kräfte gewöhnen. Die erste Zeit war ein einziger Kampf. Ausgeglichen war ich damals sicher nicht. Meine Freunde und meine Familie sorgten sich sehr um mich. Und da jeder sich heutzutage als psychologischer Berater aufspielen möchte, versuchten sie es auch bei mir. 'Multiple Persönlichkeit' und ähnliche Krankheitsbilder wollten sie mir unterjubeln. Lächerliche Modeerscheinungen, durch Romanwissen völlig verwässerte Begriffe. Sie sehen, ich halte nicht besonders viel von den Menschen in meiner nächsten Umgebung. Und Sie müssen es zugeben, wenn ich wirklich verrückt wäre, dann säßen wir doch heute abend zu dritt hier, Ihr Bruder, der Wahnsinn, wäre dann doch auch noch zugegen.
Jedenfalls bekam ich dann doch noch diese Seelenfragmente in den Griff. Heute bin ich so weit, dass alle so unterschiedlichen Teile ein Ganzes ergeben und wir gemeinsam handeln können.
Sie schwanken? Fehlt Ihnen etwas? Kommen Sie, setzen Sie sich wieder in den Sessel."

Die Federn des Sessels kreischen auf, als sich der Tod in diesen hineinfallen lässt. Rasselnder Todesodem.

"Nun, welche Moral ziehe ich aus dieser Geschichte? Nicht wirklich kann ich eine Lehre aus dem, was ich erlebte ersehen. Aber zumindest, so denke ich, habe ich der Menschheit und Tierwelt eine todfreie Nacht verschafft. Das ist doch eigentlich erstaunlich. Was müssen sich die Mörder gewundert haben, als ihre Opfer nicht starben und sie immer wieder auf sie einstachen, schossen, hackten, was die Ärzte, als das Herz des Patienten aussetzte und er trotzdem noch lebte, die Selbstmörder, die wieder erwachten. Und in der Tierwelt? Wurden dort vielleicht die Opfer der Jagd lebendig gefressen? Wer weiß das schon? Ich jedenfalls nicht, denn ich habe ja die Nacht mit dem Tod verbracht. Das jedenfalls ist entscheidend für mich
...
Herr Tod, ich möchte Sie um etwas bitten, mein geliebter Tod, ich möchte Sie bitten, mich noch einmal von den Seelen kosten zu lassen. Ich bitte Sie. Ich liebe Sie und flehe Sie an. Vielleicht - vielleicht, ich wage es ja kaum zu hoffen, ist in Ihnen auch einer kleiner Funke von Liebe zu finden. Ich weiß, das wäre das erste Mal, aber wieso sollte es nicht ein erstes Mal geben?"

Der Tod wie immer schweigend, sitzt in sich zusammengesunken. Dann hebt er den Kopf, breitet langsam seine Arme aus. Fiebernd lüsternder Blick. Eine ungebrauchte Stimme ertönt heiser, flüsternd fast:
"Komm."

Es gibt für alles ein erstes Mal - auch für den Tod.

Berlin, den 10. Mai 2001

(c) by Edda Hofmann

[ 29.07.2002, 19:17: Beitrag editiert von: nikto ]

 

Hallo Edda!

Eine sehr amüsante Begegnung mit dem Tod, die Du uns da erzählst - und vor allem ein unerwarteter Schluß! :lol:

Gut gelungen! :thumbsup:

Alles liebe
Susi

 

Hallo Edda - Du hast ein kleines Meisterwerk geschaffen. Nachdem Du es bereits im Mai letzten Jahres geschrieben hast, solltest Du es jetzt nochmals durchlesen. Und zwar um a) die kleinen Flüchtigkeitsfehler zu beseitigen und b) um dich selber nochmals an Deiner Story zu ergötzen. Ich werde diese Geschichte umgehend weiterempfehlen. Klasse gemacht! Gruß. Ernst

 

Ich danke Euch und freue mich natürlich über das positive Feedback.

Ich werde die Geschichte nochmals auf Fehler hin lesen...

Gruß,
nikto oder Edda

 

Hi Edda!

Danke für diese Gebrauchsanweisung. Ich hoffe, ich werde im rechten Augenblick daran denken!
Zum Zerkugeln, deine Geschichte.
Der arme Tod! Niedergequasselt und zu Tode geküsst! Muss ich mir merken.

Liebe Grüße
Babs

 

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