Was ist neu

Der Garten

Mitglied
Beitritt
16.07.2002
Beiträge
94
Zuletzt bearbeitet:

Der Garten

Heute in dem Garten habe ich in nächtlicher Einsamkeit begriffen, dass sie es ist, nach der ich suche.
Sie, diese nackte Chimäre. War sie eine Heilige? Ein Schatten? Unendlich viele Spiele teilten wir miteinander in tiefer Sehnsucht. Ich erinnere mich an ihr Kleid. Die Punkte darauf zerstreuten meine Gedanken. Ich erinnere mich an ihre Haut - sie sog mein Blicken an und konzentrierte mein Denken.

Das Ei in ihrem Schoß - ich legte es so weiß dort hin. Ich wollte ihre gebräunten weichen Schenkel sehen. Das Ei mit seiner zerbrechlich harten Schale davor ließ mich ihre Haut endlich sehen. Ich begriff ihre Hülle - eine zarte Membran. Ich zerdrückte das Ei und betrachtete die durchsichtige Flüssigkeit mit dem gelben Auge in der Mitte. Das Gelb rutschte in ihren Spalt und zerfloss dort. Destruktion der Penetration. Ihr feuchter Atem in meinem Haar - die einzige Berührung.

Wie alt waren wir damals? Ich erinnere mich nicht mehr. Es war als wären wir alte Kinder gewesen - nur zwei Hände voll Finger gelebt, aber hundertmal wiedergeboren.

Der Garten gibt mir ein zu hause, ich schaue ihn an und meine Gedächtnis zerfließt in Bildern. Versuchte Leidenschaft? Auch Kinder kennen die Sehnsucht des Schoßes. Die Unschuld ist niemals geboren, ein Abstraktum.
Es riecht nach altem Laub.

Niemals mehr darf ich neben ihr nach unseren erschöpfenden Spielen erwachen. Das Licht des Morgens auf ihrer Haut. Bläulich. Das Kissen nass, von dem Speichel ihrer schlafenden Erschöpfung. Die Hände verkreuzt vor ihrem Gesicht, als befände sie sich in endlosem Gebet. Schon damals, trotz der Jugend, begriff ich eines morgens die Stille der Liebe.

Niemand hätte geglaubt, was wir taten. Niemand sah. Niemand fühlte. Und doch war der Niemand das Licht, das uns beobachtete.

Dann die duftende Ackererde des Kartoffelbeetes. Ich grub sie ein. Die Füße gefangen in der kalten Tiefe, die Arme gefesselt im nassen Schwarz des Grundes, nur ihre flache Brust noch herausragend. Zerbrechlichkeit des Kontrastes. Ihr Mund, rot und frisch, blutete mich an. Ich nahm ihn zwischen meine Zähne. Biss. Eisengeschmack auf meiner Zunge. Ihre Augen verdreht wie die eines gefangenen Wildes. Ich weinte und sie nahm meine Tränen auf, saugte an meinen Augenlidern, ihr Durst ungestillt. Das Seufzen werde ich nicht vergessen, als ich sie so eingegraben für lange Zeit verließ.

Zurückgekehrt sah ich sie beben. Den Geruch ihres Schweißes spürte ich in ihren wehrlosen Achseln auf. Ich leckte ihre Sommersprossen, küsste die verbrannte Haut.

Jetzt stehe ich hier in eben diesem Garten, vermisse sie und weiß doch, dass die Sehnsucht nach den Kinderjahren mich wohl belügt. Ich drehe mich um, schaue in das Blau des Himmels und fühle, wie sich in meiner faltigen Haut die Erinnerung festsetzt.
Der Garten lebt und ich gehe fort, um sie nie wieder sehen zu müssen.

Ich weiß - ich weiß diese Blindheit ist eine Illusion des Vergessens.

Berlin, den 3. September 2002

(c) by Edda Hofmann

 

Hallo nikto!

Schöne Geschichte! Deine Sprache und Deine Bilder gefallen mir sehr gut, auch wenn nicht immer klar ist, worum es geht. Aber Dein Text läßt Platz zwischen den Zeilen zum Träumen, ohne daß man den Boden unter den Füßen verliert. Danke!
Lieben Gruß,

chaosqueen :queen:

 

hallo chaosqueen,
danke, dass du dich meines textes erbarmt hast. ich dachte schon er würde hier in den strudel der vergessenheit geraten. :)

gruss,
nikto

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom