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Der Gärtner, modernes Märchen
Elching hatte den Ruf als kleines verschlafenes Örtchen, welches nie aus dem Schatten der nahegelegenen Großstadt herauskam. Den größten Teil der Einwohner konnte man den mittleren Mittelstand zuordnen und Leute waren sich ihren Stand bewußt und trugen ihn mit einen gewissen Stolz. Sie begegneten höher gestellten Personen mit gebührenden Respekt und Rangniedere mit kühler Herablassung. Traditionen spielten trotz der Nähe zur Großstadt eine nicht unwichtige Rolle und auch sonst stand das Konservative eher im Vordergrund.
Nun trug es sich für den Ort aber zu, das die Haupteinnahmequelle von Steuern, eine Fabrik, überraschend Konkurs anmeldete. Für die Mitarbeiter was dieses Unglück nicht allzu gravierend, fanden sie doch rasch wieder Arbeit in der Großstadt. Viel schlimmer aber sah mit einem Male die Finanzlage des Ortes aus. War doch plötzlich die Haupteinahmequelle verschwunden. Im Rathaus wurde deshalb auch sogleich an Reform und Sparplänen gebastelt. War auch so manch kreative Idee darunter, so lief es doch letztendlich nur Sparmaßnahmen hinaus.
Unter diesen Reformplänen fand nun auch eine kleine, anscheinend unbedeutende Versetzung eines kleinen Postens statt: Der Gärtner des Ortes ging in Frührente und seinen Posten übernahm der Friedhofsgärtner, der nun statt Grabpflege sich um öffentliche Parkanlagen kümmerte.
Dieser Entschluß hatte wiederum zur Folge, daß nun 5,6 Gräber, um die sich niemand mehr kümmerte, immer mehr verwahrlosten. Wo früher der Gärtner Unkraut gezupft hatte und übriggebliebene Lilien pflanzte, da machte sich nun Klee und Gras breit und verwandelten die ungepflegten Gräber zu einen trostlosen Anblick.
Man glaubte es kaum, aber es gab immer wieder Leute, die aus dem Leben verschieden, ohne eine Person zurückließen, die sich für sie noch interessiert hätte. Ob die Verstorbenen notorische Einzelgänger waren, oder einfach die Verwandtschaft, die sich vielleicht um das Grab gekümmert hätte in einer fernen Stadt lebte, wußte man nicht. Oft auch folgte einen Witwer seiner Frau nach ein paar Jahren eigenbrötlischer Einsamkeit in den Tod. Oder manch einer, vielleicht der Nachbar nebenan, verschied, ohne daß jemand Notiz davon genommen hätte.
All denen wurde noch ein Sarg gestiftet, um sie danach kostenfrei unter die Erde zu bringen. Aber die jahrelange Pflege des Grabes nahmen die Gemeinde niemanden ab. Höchstens der Friedhofsgärtner war angewiesen, diese Gräber nicht ganz der Natur zu überlassen. Und so fristeten einige Gräber nun ein einsames dasein, wenn auch teilweise die Leute sich ihr Grab schon vorher gekauft hatten, mit Grabstein und Inschrift. So wurde es auch zum Teil unterlassen, zwecks mangelnder Gelder das Todesdatum in den vorgefertigten Stein einzumeißeln. So war ein überwuchernder Grabstein manchmal das einzige Überbleibsel eines anstrengenden Lebens.
Die Leute um die Gräber schimpften natürlich. Man kannte sich auf dem Friedhof. Da waren die Vormittagsgänger, meist ältere Menschen, die ihre Verstorbenen besuchten und eine pflegenden Hand über das geliebte Grab hatten. Und am frühen Abend fand der Friedhof wiederum eine hohe Frequenz, weil die Berufstätigen meist noch vor dem Abendessen kurz zu ihren Verstorbenen schauten. Da war Frau Weber, die ihren Bruder verloren hatte und Herr Jakob, dessen Mutter an Krebs erlag. Sie alle kannten sich von den vielen Friedhofsgängen, und alle verband sie die Trauer an den Verstorbenen.
Am Wasserhahn, wo die Gießkannen hingen, war der zentrale Treffpunkt. Frau Wimmer zupfte noch ein paar verwelkte Blüten von dem Grab ihres verstorbenen Sohnes und maß dabei das von Unkraut überwucherte Grab neben ihr mit einen unmutigen Blick. Danach machte sie sich auf zu den Gießkannen um das Grab noch ausreichend zu wässern. An des Wasserhahn standen Frau Weber und Tielman und unterhielten sich angeregt. Ja, es ist und bleibt ein Schande mit diesen ungepflegten Gräbern. Aber man könne nichts machen, der Ort stehe ja selber vor dem Bankrott und außerdem sei sie, Frau Weber, froh, das den Schulen anscheinend keinerlei Beeinträchtigungen widerfuhr. Aber so könne es doch nicht weitergehen, warf die dazugestoßene Frau Rührig ein, nein, sie werde noch heute einen Brief an die Verwaltung aufsetzten und denen ihre Meinung sagen. Zustimmendes Nicken machte sich in der Runde breit. So lästerte man noch eine Weile und wandte sich schließlich wieder den Gräbern zu.
Nach einer Woche zeigten die vernachlässigten Gräber plötzliche leichte Anzeichen von Pflege, und langsam, aber stetig wandelten sie wieder in einen würdigen Anblick zurück. Allerdings mußte dort ein merkwürdiger Gärtner am Gange sein, denn seltsamerweise brannte nun auch manchmal eine Kerze für die einsamen Verstorbenen und die Gräber selber wiesen nicht diesen peniblen Schönheitssinn auf, sondern erweckten durch Pflanzung mehrjähriger Blumen den Eindruck von Ausdauer und durch den nur leichten angedeuteten Schnitt einiger Stauden strahlten die Gräber eine Wärme und Geborgenheit aus. Efeu, damals als Unkraut vor sich hin wachsend umrahmte nun würdig die Grabsteine. Binnen weniger Wochen erweckten diese Gräber eine Hoheit und Würde, die zugleich mit einer Wärme gekoppelt war, daß der Betrachter nur geradezu angehalten wurde, seinen Blick länger auf das Grab zu richten.
Den Friedhofsbesucher blieb das nicht verborgen und man rätselte über den diesen Gärtner mit den eigensinnigen Stil, der Kerzen für Leute anzündete, die er gar nicht kannte. Unklar war, wer eigentlich der neue Gärtner war, denn niemand hatte ihn bisher gesehen. Und rätselhafter, ja fast schon mysteriös war der Umstand, das die Gemeinde auf dem Brief von Frau Rührig negativ geantwortet hatte und sie sich außerstande sehe, bei der momentanen Finanzlage einen Friedhofsgärtner einzustellen. So sah man zwar mit Behagen, daß das ehemals verkommene Grab nebenan auf einmal wieder anfing zu blühen, doch mischte sich auch immer ein Spur Mißtrauen und Skepsis unter den Anblick auf das Grab.
Eines Tages jedoch, als man sich wieder an den Wasserhähnen versammelt hatte, wurde der mysteriöse Gärtner ausfindig gemacht, als dieser gerade an einen Grab Jasmin pflanzte.
Die Friedhofsbesucher beschlossen eilig, daß zwei von ihnen den Gärtner auskundschaften sollten.
Mit zügigen Schritte steuerten Frau Rührig und Herr Hannelt auf den besagten Mann zu. Schon alleine seine äußere Erscheinung paßte gar nicht in das Bild eines Gärtners. Er war schätzungsweise 55 Jahre alt und eine ausgebeulte alte braue Kordhose und einen alten ockerfarbenen Pullover ohne Muster. Sein lichtes Haar war schon ergraut und verdeckte nur ungenügend die beginnende Glatze. Generell zeigte sein ganzes Äußeres, das er sich nicht sonderlich um sein äußeres Erscheinungsbild bemühte. An den Blick von Frau Rührig erkannte Herr Hannelt, das auch diese den Mann noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte. Höchstwahrscheinlich war er neu hinzugezogen. Herr Hannelt ergriff die Initiative und sprach den komischen Mann an.
-„Guten Tag, sie sind der neue Friedhofsgärtner wie ich sehe?“
-„Nein.“
-„Was soll das heißen, die kümmern sich doch hier um die Gräber:“
-„Ja:“
-„Ah, dann sind sie also ein Verwandter der neu hinzugezogen ist?“
-„Nein.“
-„Dann aber kennen sie sicher die Verstorbenen?“
-„Nein“
-„...Aber sie werden doch dafür bezahlt, daß sie sich um die Gräber kümmern.“
-„Nein, ich bekomme kein Geld dafür.“
-„Ja, aber...warum kümmern sie sich denn überhaupt um die Gräber, wenn sie die Verstorbenen doch gar nicht kennen?“
-„Weil sich sonst keiner darum kümmert.“
-„Sie machen das einfach nur so?“
-„Richtig:“
-„Hat das Ihnen den die Friedhofsverwaltung erlaubt?“
-„Nein, mein Herz hat es mir erlaubt...“
Mit der Zeit gewöhnten sich die Leute an den komischen Mann, der sich um die Gräber kümmerte und man betrachtete ihn nun wohlwollend und dankbar, wenn er die verlassenen Gräber goß, hegte und pflegte.
Nach einiger Zeit aber verschwand der komische Mann so urplötzlich wie er aufgetaucht war. Zuerst rätselte man, ob er nicht vielleicht krank sei, doch er kam einfach nicht wieder. Die Gräber zeigten wieder erste Anzeichen von Verwilderung, die verblühten Blumen wurden nicht mehr abgezupft und der Efeu fing langsam an, die Grabsteine zu bedecken.
Als man wieder an den Wasserhähnen stand, warf Frau Weber in die Runde, daß der komische Gräberfreund wieder zurückgekehrt sei. Und in der Tat, an den betroffenen Gräber waren die verwelkten Blüten abgezupft und die Erde sah so aus, als sei sie gewässert worden. Doch die Gruppe hielt betreten inne, als Frau Rührig mit zwei Gießkannen auf sie zukam, sie mit Wasser füllte und sich auf dem Weg zu den nächsten verlassen Grab machte.
Einige Zeit später blühten die Gräber wieder in ihren alten Glanz und wenn immer jemand von den Friedhofsbesucher eine verwelkte Blüte bei ihnen sah, so zupfte er sie automatisch ab oder pflanzte eine übriggeblieben Lilie ein oder zündete eine Kerze für die einsamen Toten an.
Und so bewahrte der Friedhof die Würde seiner einsamen Seelen und verhalf ihnen durch manch kleines Gebet vom den Grabnachbarnangehörigen in Erinnerung zu bleiben.