Der Fremde
Der Fremde!!
Ein Mann sitzt in einem Kaffeehaus, in der Wiener Innenstadt, trinkt sein Bier.
Er starrt belanglos aus dem Fenster und sieht die Leute vorbei hetzen.
Nichts Neues.
Es ist ihm total egal, man könnte sagen, er schaut einfach ins Narrenkasterl.
Und wie er so da sitzt kommt ein kleines Mäderl zu seinem Tisch.
Vielleicht sieben Jahre alt, braune lange Haare, hübsch. Er dreht sich zu ihr hin.
Die Kleine, süß und frech, setzt sich zu dem Mann an den Tisch und schaut ihn mit ihren großen braunen Augen an. Er weiß momentan gar nicht was er sagen soll, aber die Entscheidung wird ihm von dem Mäderl abgenommen.
Sie wirft den Kopf in den Nacken, grinst ihn an und sagt zu ihm:
Wer bist denn du?
Der Mann schaut die Kleine verblüfft an, er hat keine Ahnung was er ihr sagen soll.
Er weiß es nicht.
In dem Moment kommt die Mutter, bittet ihm um Verzeihung und zieht das kleine Mädchen vom Tisch weg.
Sie hatte ihm nur eine kleine Frage gestellt, doch diese Frage brachte sein ganzes leben durcheinander.
Er fing an über diese Frage nach zu grübeln, wer war er eigentlich? Wer hat ihn geprägt? War er sein Vater, war er vielleicht doch eher seine Mutter, war er beide in einem, war er vielleicht sein, Onkel, seine Lehrer, seine Großmutter? Wer war er?
Das kann doch nicht so schwer sein, zu wissen wer man ist?
Er rief die Kellnerin zu sich, zahlte sein Bier und verließ das Lokal.
Dann machte er etwas was er schon lange nicht mehr getan hatte.
Er spazierte in den Stadtpark. Hier war er schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Vorher besorgte er sich noch Papier und Bleistift, setzte sich auf eine sonnige Bank und fing an zu schreiben.
Er schrieb und schrieb, er schrieb sein ganzes Leben auf.
Als er fertig war, war er höchst erstaunt, er hatte plötzlich die Erkenntnis das er bis jetzt gar nicht sein eigenes Leben gelebt hatte. Er wusste nicht ob er weinen oder lachen sollte, immerhin, war er schon weit über achtzig.
Er plante seinen nächsten Tag ganz ausführlich, überlegte sich ganz genau was er morgen alles erleben wollte. Er fühlte sich zum ersten mal in seinem Leben total frei.
Als es zu dämmern begann, machte er sich auf den Weg nach Hause. Gut gelaunt, mit dem Gedanken, endlich er selbst zu sein, alles zu ändern was ihm jahrelang Substanz, Kraft und Nerven gekostet hatte.
Er war total glücklich.
Er machte sich zu Hause etwas Leckeres zu Essen, nicht wie sonst lieblos und genervt, sondern mit Freude sich selbst etwas Gutes zu tun und legte sich dann friedlich in sein Bett. Er wachte nie wieder auf.
Altersschwäche, Herzstillstand. Tod.
Dieser Mann war weit über achtzig, bis er drauf kam, dass er eigentlich nie sein eigenes Leben geführt hatte, so wie es ihm gefällt, so wie er war.
Von 29.222 Tagen, lebte er genau einen Tag als er selbst.
Und hätte er nicht dieses kleine Mädchen getroffen, wäre es kein einziger gewesen!
Weißt du eigentlich wer du bist?