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Der Freimann
Immerzu hör ich se flüstern. Meist schon, bevor ich um die Ecke biege. „Der Freimann kommt“, raunen se, während ihre Kinder mit großen Augen hinter Rockzipfeln und Hosenbeinen hervorlugen. Sie machen mir Platz. Stehen eng beieinander, die Hände in den Taschen vergraben. Nem Haufen Schafe gleich. Angst im Blick, aber die Hälse lang, Pack. Weil se wissen wollen, wen ich bei mir auf'm Karren liegen hab.
Der Tässer is wie n' nasser Sack auf'n Boden geknallt, als ich ihn vom Balken runter hatte. Das Gesicht ganz blau lag er da. Für nen Moment standen wir still um ihn rum. Dann fing sein Weib das Heulen an. Schlug die Hände übern Kopf, während sich ihre kreischenden Blagen in der Ecke herumdrückten. Und dann natürlich noch der Pfaffe.
„Deibel!“, schrie der. „Sünde!“, und was noch alles. Kriegte sich gar nicht mehr ein.
„Halt den Mund“, hab ich zu ihm gesagt und mein Messer weggesteckt. „Sonst knüpft sich gleich noch der Nächste auf.“
Da war'n se alle ganz still. Der Pfaffe hat dreingeschaut, als ob ich ihm eine gescheuert hätt. Ganz rot isser geworden. Aber mir war nicht nach Rumhändelei. Ich hab mir den Tässer geschnappt und ihn nach draußen gezogen. Steif wie'n Brett und schwer wie er war, musst ich mich ordentlich anstrengen, ihn auf'n Wagen rauf zu wuchten. Aber die Münzen sind's wert.
Vor der Stadt, hinter den Äckern und Feldern, da wo's sumpfig wird, soll'n wir'n verscharren. Der Hannes hat schon ne Grube ausgehoben. Ordentlich tief und passgenau. Der weiß, wie man's macht. Hab ich ihm alles gezeigt. N' guter Junge, der Hannes. Und ich behandel den auch anständig. Nen halben Taler kriegt er in der Woche. Dafür, dass er mir zur Hand geht und sich für die Leute zum Aussätzigen macht. Na, wenigstens muss er nich hungern.
Mit dem Gesicht nach unten werfen wir den Tässer ins Loch. Hannes packt Dornengestrüpp auf ihn drauf. „S' hilft gegen die Geister“, meint er. Ich lassn machen. Zusammen schütten wir alles wieder zu. Geben uns gut Mühe, wollen schließlich nicht, dass die Viecher ihn wieder ausbuddeln. So was gibt nur Gerede und am Ende heißt's noch, dass Freimann Rosenfeld nicht ordentlich arbeitet.
Am Abend sitz ich inner Stube. Zugig isses geworden. Und kalt. Der Wind pfeift durch jede Ritze, flüstert allerlei seltsames Zeugs und lässt die Torffackel flackern. Mit dem Daumen fahr ich meine Klinge entlang. Wenn ich das Schwert tu erheben, wünsch ich dem Sünder das ewige Leben. S' hat mein Vaddern immerzu gesagt. Hat sich stets an die Riten gehalten. Nen gottsfürcht'ger Mann isser gewesen, mein Vaddern. Hat gleichwohl kein gut's Ende mit ihm genommen. Den Schlaf, den ham se ihm geraubt. Ham ihn wachgehalten, ihm immerzu ihre Bösartigkeiten ins Ohr gezischt. Was se vorhaben mit ihm, unten, inner Hölle. Darüber isser verrückt geworden. Hat begonnen, die Muddern zu verdreschen und sich dann schließlich aufgeknüpft. Wie der Tässer. Und wie jenen, ham se ihn vor die Stadt geschleppt. Das ganze Leben am Beten und Bereuen und am Ende werfen se dich in nen Loch, verdammen deine Seele und verscharren dich wie'n Tier, Deibel noch eins!
Ich halt mich an die Rituale, genauso wie Vaddern. Aber glauben tu ich nich dran. Was zählt, ist das Silber. Das Silber und der Tod. Dazwischen gibt's nichts.
Einen Augenblick unaufmerksam und schon läuft mir das Blut anner Hand runter, dammich! Erst gestern hab ich die Klinge schärfen lassen. Kann's gebrauchen. Morgen geht’s den Vitalienbrüdern an den Kragen. Der Tolle Hund is abgesoffen. Ratsherr Miles hat eigens ne Tribüne auf dem Grasbrook errichten lassen. Dreiundsiebzig Mann! Und ich werd mir jeden Einzelnen davon ordentlich versilbern lassen.
S'regnet. Kalt klatschts mir innen Nacken. Der Störtebeker ist viel kleiner, als ich dachte. Stinken tut er aus eitrigen Wunden. Is ganz bleich im Gesicht. Aber seine Augen, … die brechen nich. Ich beug mich zu ihm. Bitt um Vergebung, so will's der Brauch. Er aber sagt kein Wort zu mir. Starrt mich nur an. Nun, s'schert mich nich. Ich heb's Schwert. Ein Blick zum Miles. Ein Nicken. Kein Zaudern bremst meinen Schlag. Sauber durchfährt der Stahl Haut und durchtrennt Sehnen. Unbarmherzig lässt er Blut spritzen und nach nem Warum fragt er ebenso wenig wie ich.
S'ist anstrengend, eine wahre Schinderei. Trotz Regen und Kälte läuft mir Schweiß übern Rücken. Meine Muskeln krampfen, die Arme schmerzen. Jede Bewegung muss sitzen, jeder Schlag wohlüberlegt sein. Muss mit ausreichend Kraft geführt, präzise die richtige Stelle treffen.
Neben mir bewegt der Hannes nen weiteren Körper vom Block. Ich sehs nur im Augenwinkel. Seh wie er zerrt, ausrutscht, s' Gleichgewicht verliert und auf die Planken kracht. Blut und Regenwasser spritzt. Er versucht aufzustehen, rutscht aber wieder aus. Am Zittern isser, die Beine schlottern ihm. Sieht aus wie'n abgestochenes Schwein, wie er so daliegt. Von oben bis unten mit Blut bespränkelt, starrt er mich aus weit aufgerissenen, schneeweißen Augen an. Ich geh zu ihm hin. Reiß ihn hoch und stoß ihn von mir, während die Menge lauthals s'Johlen anfängt.
„Den nächsten ran!“, brüll ich und geb dem kopflosen Torso nen derben Tritt. Mit nem dumpfen Klatschen schlägt er unten auf. Die Leute keuchen, aber mich schert's nicht. Totes Fleisch is totes Fleisch.
Die Körper stapeln sich. Das Blut dampft heiß, vermischt sich mitm Regen und fließt über die Erde. Nach jedem Schlag wird die Menge lauter. Treibt nach vorne. Drückt gegen die Soldaten. An ein, zwei Stellen schlagen se sich bereits gegenseitig die Köpfe ein. Vergoss'nes Blut macht was mit einem. S' stimmt, irgendwas im Menschen regts an. Ne Sache, die wir alle in uns tragen. Ne tierische Wildheit.
Während ich den nächsten richte, scharrt der Rat aufer Tribüne immer nervöser mit den Füßen. Angst ham se. Ich erkenns in ihren blassen Gesichtern, sehs in ihren Blicken. Nun, sie wollten's so. Jetzt muss die Arbeit auch getan werden. Weiter. Immer weiter. Noch ein Schlag. Noch ein Kopf. Noch ein Körper, der alsbald s'Zucken aufhört. Es is wie'n Rausch. Das Johlen der Menge mischt sich mit dem Prasseln des Regens. Und mein Schwert gibt den Takt vor. Ich bin der Rosenfeld. Freimann Rosenfeld.
Um nen ganzen Kopf überrag ich ihn. Wenn ich wollt, könnt ich ihn zerquetschen wie ne Fliege. Den Miles, der neben mir steht und große Töne spuckt. Sein Grinsen is ne Grimasse. Seine Stimme nich mehr als nen Wimmern. Nen Schaf unter Wölfen.
„Freimann Rosenfeld, nen gut's Werk habter vollbracht“, sagt er und mir is, als ob die Leute aufm Platz ihre Zähne fletschen. Ich lecke mir über die Lippen. S'schmeckt metallisch. Mit einem Schritt bin ich bei ihm und lege meine Hand auf seine Schulter. Blut tropft auf seinen Mantel. Ich kann beißenden Schweiß riechen. Miles, dieser Wicht, sieht mich ungläubig an. Die Soldaten zucken, greifen aber nicht ein.
„Hatten die hohen Herren ihren Spaß?“, frage ich und verstärke meinen Griff. „Dreiundsiebzig Mann? Das war doch gar nichts!“ Ich wende mich an die Menge. Wie wild starren se zurück. Geifernd, der Hunger steht ihnen im Blick.
„Wenn's gewünscht ist, könnt ich fortfahren? Wenn's Blut noch nicht reicht?“
Ich hör Störtebeker lachen. Ihn und seine zweiundsiebzig Brüder. „Jawohl!“, rufen se mir zu. „Auf, tücht'ger Freimann! Noch ist's nicht vorüber, dein Werk noch lang nicht getan. Weiter! Immer weiter!“
Der Miles reißt sich los, weicht zurück und taumelt hinter seine Männer.
„Warum überhaupt aufhören, wo wir doch nun schon einmal hier sind? Die Tribüne ist aufgebaut, das Volk versammelt.“ Ich deute auf mein Schwert. „Die Klinge scharf genug. Wie ist's, ihr Herren? Wolln wir n' wenig aufräumen?“ Ich lass den Blick über die Tribüne schweifen. „Zwanzig Ratsmitglieder? Ich frage, brauchen wir denn überhaupt so viele? Würden's nicht auch zehne tun? Oder fünfe?“
Ein einzelner Soldat tritt vor. Ein Bär von nem Mann. Mit grimmigen Blick verpasst er mir nen Schlag ins Gesicht. Mir wird schwarz vor Augen und ich sack auf die Knie. Die Leute verstummen. Einen kurzen Moment höre ich nur das Prasseln des Regens. Dann bekomme ich nen Tritt gegen die Brust, der mir die Luft raubt und find mich auf den Planken liegend wieder.
Der Miles zetert, aber ich hör nich zu. Ich lieg noch immer aufm Rücken. Nen' Fuß hält mich unten. Regen prasselt mir ins Gesicht und warmes Blut läuft mir über Nase und Lippen. Dann reißen se mich hoch und drücken meinen Hals auf den Block. Ich kann den Störtebeker hören. Kann hören, wie er und seine Brüder über mich lachen. Die Menge schreit und tobt, besoffen vom Blut.