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Der Frauenschwarm

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12.01.2003
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Der Frauenschwarm

Der Frauenschwarm

Männer, Frauen und Schokocreme


Tom stand neben dem großzügig aufgebahrten Buffet und schaufelte sich gemächlich ein paar Löffel Schokocreme auf seinen Teller. Er war alleine erschienen, wie immer eigentlich. Er war nicht einer von jenen Singles, die stolz darauf waren, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit hinausposaunten, dass sie diese Art des Alleinseins aus Überzeugung gewählt hatten. Genauso wenig fühlte er sich denen zugehörig, die in Kummer und Selbstmitleid vergingen, wenn sie einmal eine Woche lang niemanden an ihrer Seite hatten. Er dachte einfach nicht weiter darüber nach. Er hatte schon ab und zu kleinere Beziehungen, wenn man so will, naja vielleicht eher Bekanntschaften. Man lernte sich eben kennen, traf sich ein paar mal und verlor sich dann irgendwann wieder aus den Augen. Das war in Ordnung so.
Im Moment sah er sich Schokocreme löffelnd ein bisschen um. Im Grunde kannte er hier niemanden wirlich. Der Freund eines Freundes hatte geheiratet. Also war er kurzerhand auch hier aufgetaucht. Einladung benötigte er keine, man war hier nicht so streng.

"Na? Gefällt dir die Feier?", lächelte ihn plötzlich eine recht hübsche Frau in Weiß an, während sie sich selbst etwas von der Creme nahm. Er drehte sich etwas verdutzt zu ihr herum und schluckte dann etwas hastiger seinen letzten Bissen hinunter, um antworten zu können.
"Mmh, ja ganz nett hier."
"Bist du ein Freund von Erwin?"
Er überlegte kurz, ob Erwin wohl der Bräutigam war und schüttelte dann den Kopf.
"Nein, wahrscheinlich nicht."
Sie sah ihn an und steckte sich genüsslich einen Löffel zwischen die roten Lippen.
"Von meiner Bande bist du aber auch nicht. Machst du das öfter?"
Er legte seinen Kopf etwas zur Seite, so als ob ihm dadurch ein paar Gedanken in die richtigen Bahnen springen würden.
"Mach ich was öfter?"
"Auf fremden Parties aufkreuzen und das Buffet leer räumen." Sie lächelte, nicht ohne Herausforderung in ihrer Stimme.
Er überlegte kurz und nickte dann, ebenfalls leicht grinsend.
"Ehrlich gesagt lebe ich davon. Zumindest an den Wochenenden."
"Und wovon lebst du unter der Woche?", sie zog den Löffel wieder langsam zwischen ihren Lippen hervor.
"Unter der Woche, tja ...", er ließ seine Beißerchen kurz aufblitzen und ein gespieltes Kräuseln über seine Stirn wandern, "also um gleich noch einmal ehrlich zu sein ... da arbeite ich noch daran."
Ihr Zunge spielte mit dem Löffel, während sich ihre Mundwinkel weiter nach oben zogen.
"Haben wir denn kein Frauchen, das sich um uns kümmert?"

Sie flirtete also mit ihm. Ihm waren solche Dialoge wohl bekannt, führte er sie doch wirklich beinahe jedes Wochenende. Gut, es waren nicht unbedingt immer knackige, frisch getraute Ehefrauen, aber im Grunde konnte er sich nicht beklagen. Auch wunderte es ihn nicht, dass er ständig von hübschen Frauen angesprochen wurde, denn er kannte es ja gar nicht anders. Seit seiner frühen Schulzeit war er der Mädchenschwarm. Aber nicht, wie man vielleicht denken könnte, der draufgängerische Typ, der Macho, der Angeber, nein, eher das Gegenteil, aber auf eine entspannte, charmante und sympathische Art. Gerade dieses Unaufdringliche, vielleicht etwas Geheimnisvolle und doch nicht Verschlossene war es, was damals die Mädchen und eben auch heute noch die Frauen auf ihn aufmerksam werden ließ.

Michael war da ganz anders. Alles andere als unsympathisch oder hässlich, aber dennoch gestalteten sich seine spärlichen Eroberungen eher mühsam. Er war jener Freund Toms, der ihm von dieser Hochzeit erzählt hatte. Sie hatten sich vor einigen Jahren auf einer ähnlichen Feier kennengelernt und gingen seit dem ein paar mal im Monat auf ein Bier.
Er hatte heute schon ein paar Gläser getrunken, war aber noch lange im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte. Er vertrug einiges. Jetzt saß er gerade zwischen Sabine, einer langjährigen guten Freundin und einer etwas fülligeren, älteren Dame, vermutlich die Schwester einer Tante der Braut, oder so etwas in der Art.
"Sag mal, kennst du den William-Baldwin-Verschnitt da drüben?", steckte Sabine jetzt ihr kleines Näschen in eine ihr neue Angelegenheit.
Michael hob seinen Kopf und lukte Richtung Buffet.
"Ach das, ja, das ist Tom, ist ein Freund von mir. Wieso?"
"Nicole scheint sich ja ziemlich gut mit ihm zu verstehen. Leckt ja schon recht lange an ihrem geilen kleinen Löffel herum. Kennst du ihn gut?"
"Wir gehen ab und zu was trinken. Ist ein ganz netter Typ, macht in Börsengeschäften."
Sabine hob ihre Augenbraue.
"Also nicht nur ein geiler Arsch, sondern auch mit Geld vollgestopft?"
Michael lachte auf.
"Soll ich ihn dir vorstellen?"
"Nein, lass mal. Den krieg ich auch so.", erwiderte sie knapp aber bestimmt.
Michael prostete grinsend der Schwester der Tante der Braut zu und ließ Sabine sich ihren nicht vorhandenen Hahnenkamm aufrichten.

"Hi"
Sabines Grinsen tauchte hinter Toms Kopf auf und ließ Nicoles Mundwinkel im gleichen Augenblick nach unten sinken. Tom drehte sich um und begrüßte das neue Gesicht mit einem kurzen aber freundlichen "Hallo".
"Na?", lächelte sie honigsüß zur Braut hinüber, "Gerade frisch verheiratet und schon auf Abwegen?"
Nicole nahm den Aufschlag an und erwiderte ihn mit einer gekonnten Rückhand.
"So einsam heute wieder einmal, dass du deiner lieben Freundin nicht einmal einen netten Plausch zwischendurch gönnst?"
Autsch - das war ein Winner.
Sabine brauchte einige Sekunden, um sich von dem schnellen Punkteverlust zu erholen, der nächste Ball ließ aber nicht lange auf sich warten.
"Immerhin nicht einsam genug, um aus lauter Verzweiflung den Dorftrottel zu heiraten."
Pfuh - war das gerade ein As? Nicole taumelte kurz, rang sich aber im letzten Moment noch zu einem Hechtsprung durch.
"Du meinst den Dorftrottel, von dem du dich vor zwei Jahren noch fröhlich hast durchbumsen lassen?"
Tom ging langsam, aber sicher hinter einem Berg Zitroneneis in Deckung.
"Tja, damals hat er eben noch Geschmack gehabt. Aber du weißt ja, mit dem Alter verlieren sie nicht nur ihre Haare, sondern immer schneller auch ihren Verstand."
Nicole ließ ihren Schläger fallen und ging jetzt in den direkten Faustkampf über.
"Hast du heute nicht noch was vor? Der eine oder andere Freier wartet doch sicher schon auf der Straße auf dich."
Tiefschlag - dieses Miststück.
"Du miese, kleine Schlampe.", fauchte Sabine sie jetzt an, "Glaubst du wirklich, du könntest dir Erwin unter den Nagel reißen, indem du ihm ein Kind unterjubelst?!"
Die Schwester der Tante der Braut und einige andere im Saal horchten jetzt auf.
Nicole war sich jetzt nicht mehr sicher, ob das ganze noch mit irgendeiner Sportart vergleichbar gewesen wäre, scherte sich aber auch nicht mehr darum, sondern kippte ihrer Kontrahentin den Satz "Wenigstens krieg ich was ich will und muss mich nicht ein Leben lang durchvögeln" in Form einer gelbweißen Topfentorte ins Gesicht.
Ein aufgeschrecktes Raunen ging durch die Menge, Stühle wurden von plötzlich aufspringenden Gästen umgestoßen und Michael schenkte sich und Tom noch etwas von dem wirklich guten Wein ein.

"Warum hast du eigentlich bisher nie an's Heiraten gedacht?", lächelte er kopfschüttelnd seinem Freund zu. Sie stießen an und blieben noch einige Minuten sitzen. Im Hintergrund fiel gerade eine Kunstpalme in die Hochzeitstorte.

 

Eigentlich wollte ich am Anfang der Geschichte mit Tom ja in eine ganz andere Richtung. Aber kaum hatte ich den ersten Satz der Braut geschrieben, wurde ein Flirt daraus und ab dann hat sich das ganze eigentlich von alleine geschrieben.

Geht's euch auch manchmal so, dass ihr eine bestimmte Idee habt und während des Schreibens, entwickelt sich das ganze aber urplötzlich völlig anders als geplant? Ich mein, in diesem Fall hab ich absolut nichts dagegen, weil ich's doch halbwegs witzig finde und mir das Schreiben ziemlich Spaß gemacht hat. Hoffe, euch das Lesen auch. ;)

Grüße
Visualizer

 

Hi Visualizer,
da hast du unterwegs gemerkt, dass die Befindlichkeiten eines klugen Singles nicht so viel Humorvolles hergeben und bist rechtzeitig abgebogen zu zwei "Freundinnen".
Das hat Unterhaltungswert, sehr nette Dialoge aus der mitteleuropäischen Zivilisation! Wie im richtigen Leben.
Grüße von Emma

 

Hi Visualizer,
Das, was du da beschrieben hast, kenne ich auch sehr gut.
Bei mir sind eigentlich alle Geschichten so entstanden, dass sie mir während des Schreibens von außen in den Kopf fließen. Meine Hände schreiben ganz automatisch und ich bin oft erstaunt, was dabei so herauskommt.
Deine kleine Geschichte hat mich schmunzeln lassen, da steckt sehr viel Komik in den "Zicken-Dialogen".
Netten Gruß, barkai

 

Hallo Visualizer,

eine nette Geschichte, gerade noch annehmbar übertrieben geschrieben. Besoders gut fand ich den Vergleich mit dem (Tennis-) Sport beim Zicken- Dialog. Das hättest Du vielleicht noch ausschlachten können - `Advantage`, Set Point, Second Service (oder ähnliches).

Tschüß... Woltochinon

 

Hi Woltochinon,

du wirst es nicht glauben, aber ursprünglich hatte ich mehr von diesen Ausdrücken drin. So hatte ich zB "Becker-Rolle" anstatt, wie ich jetzt geschrieben habe, Hechtsprung. Oder ein Vergleich mit "ans Netz stürmen" und im Gegenzug mit einem "Lob" ausgespielt zu werden. War mir dann aber zu überladen und außerdem konnte ich ja nicht bei jedem potentiellen Leser voraussetzen, dass ihm dieser Tennis-Jargon geläufig ist. (Hab mir schon bei "Winner" überlegt, ob es für Churchill-Anhänger verständlich ist ...)

Aber schön, dass es dir gefallen hat.

Grüße
Visualizer

Achja: Danke auch den anderen, für's Lesen und Kommentieren! :)

 

Gruss.
Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Sehr flüssig und locker geschrieben. Im Verlauf der Geschichte musste ich doch einige male schmunzeln. Aber das absolut Beste ist der letzte Absatz. Da hab ich wirklich gelacht. So stell ich mir eine gute Satire vor. Der Sarkasmus dabei kommt völlig unaufdringlich rüber, ist dabei aber doch recht klar.
Hat mir sehr gut gefallen. Würde aber doch besser in "Satire" passen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Visualizer!

Witzige Geschichte, gespickt mit ziemlichen Kanten.

Dass sich zwei Frauen um einen Mann raufen, find ich zwar nicht so sensationell, aber um eine inhaltliche Aussage gehts dir ja hoffentlich mit diesem Text nicht.

Bezüglich Wortwitz und Sprache :thumbsup:

klara

 

Hey, Danke auch an euch für's Lesen und Kommentieren!

Nein, klara, diesmal verbirgt sich keine tiefgreifende Aussage zwischen den Zeilen. ;)
Wie gesagt, ursprünglich wollte ich mit Tom ja in eine ganz andere Richtung, aber als es sich verselbständigt hatte, hatte ich einfach nur noch Spaß an den Personen und Dialogen. Ist doch auch mal schön für Zwischendurch. :)

Grüße
Visualizer

 

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