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Der Frankfurter Kranz
Erika stand hinter der Gardine, ein bisschen an die Wand gedrückt, damit Schröter sie nicht sehen konnte. Er war jetzt auf ihrem Grundstück, hinter sich Benny, den er mit einem schrillen Pfiff aus dem Rhododendron lockte. Seine beißendblauen Augen suchten das Gelände ab. Der schmutzige Hals, den er zu ihr drehte, als ob er sie sehen könnte. Von der Stelle, an der er stand, ging das nicht, das hatte sie schon mal probiert, höchstens wenn drinnen Licht brannte, aber auch dann nur vage. Erika stellte leise die Buttermilch ab und überlegte, was zu tun war. Es war definitiv kein Freundschaftsbesuch.
Schröter hatte das Grundstück nebenan, lebte da mit Frau, zwei Kindern und Benny. Schon weil sie so nah beieinander wohnten, gaben sie sich Mühe nicht allzuviel miteinander zu tun zu haben. Die Hecke war hoch und dicht. Gerd und Erika brachten ihm im Herbst das Schnittholz zum Verbrennen und hin und wieder grüßte man sich aus dem Auto. Das reichte auch. Schröter war nicht die Sorte Mensch, mit denen Erika gern zu tun hatte. Er hatte einen Heidenspaß daran, andere Leute in Verlegenheit zu bringen. Besonders Frauen. Er rückte ihnen mit anzüglichen Bemerkungen auf die Pelle, jagte sie mit Zweideutigem und konnte immer sicher sein, dass ihre Würde sie davon abhielt, ihm etwas anderes, als ein gerötetes Gesicht entgegenzusetzen. Sein feistes Lachen und die Vorstellung, dass er über obzöne Handlungen spekulierte, während man über etwas ganz anderes mit ihm sprach.
Als Erstes musste sie aus ihren Sportsachen raus. Etwas Ordentliches, Respekteinflößendes musste her, der Wollrock und dazu eine hochgeschlossene Bluse. Erika schlich sich an der Wand entlang ins Schlafzimmer, vorbei an dem hässlichen Stepper, der dünn und sperrig, wie eine Gottesanbeterin, den Flur blockierte. Sie hatte nur ein paar Minuten darauf verbracht und gewartet, dass die Überwindung einsetzte, hatte die Wut über ihren entgleisten Körper zusammengekratzt und getreten bis sich wieder der zarte Plauderton in ihr ausbreitete und Möglichkeiten auftauchten, sich einen schönen Tag zu machen, darunter auch essbare. So ging das mit ihren Plänen. Es zog sie immer zu dem geblümten Liegestuhl, zu fatalen Liebesromanen mit starken, uneinlösbaren Gefühlen, zu warm duftenden Speisen, die sie an ihre Kindheit erinnerten und von da aus war es nicht mehr weit bis zum ersten Mittagsschlaf.
Sie riß die Spiegeltüren auf und blätterte in den Kleidungsstücken. Es war ihre eigene Schuld, dachte sie, und ein bisschen auch Hannas. Die hatte schließlich den Kuchen mitgebracht und darauf bestanden, ihn ganz und gar Erika zu überlassen. Das war doch eigentlich ziemlich fies von ihr. Hanna wußte genau, wie schwer es war, so etwas im Haus zu haben. Noch dazu einen Frankfurter Kranz. Mit einem Obstkuchen hätte sie vielleicht fertig werden können. Allein das Gewicht, als sie ihn in die Küche getragen hatte und wieso musste es eigentlich immer gleich ein ganzer Kuchen sein. Sie stachelten sich damit bloß gegenseitig zur Völlerei auf. Aber du kannst doch noch ein Stück. Ach was, so schlank und rank, wie du bist. Was? Na komm, eins geht noch. Diese Freude zu sehen, wie die andere dann tatsächlich noch ein Stück nahm. Wieso hatten sie eigentlich so eine Kuchenfreundschaft? Wieso trafen sie sich nicht zum Abnehmen. Das machte jede von ihnen mit sich allein aus. Das war das schlechte Gewissen, auf das sie am Morgen danach trafen, das sie nicht teilen wollten. Der Kalorienkater. Der harte Blick in den Spiegel und das Versprechen erstmal Pause zu machen.
Aber gestern war Erika konsequent geblieben, auch wenn es schwer gefallen war. Sie brachte es nicht übers Herz, den mit Kirschen gespickten Kuchen einfach wegzuwerfen. Sie lief eine Weile damit im Garten herum, blieb dann neben der Komposttonne stehen und versuchte sich auf die bevorstehende Verschwendung vorzubereiten. Sie hörte, wie Gerd in der Garage mit Werkzeug klapperte. Als Hanna und Micha gegangen waren, hat er noch beim Abräumen geholfen und wollte was am alten Rasenmäher machen. Sie hatte lange nicht verstanden, wieso er nicht einfach einen Neuen kaufen wollte. In ihrer Welt hatte er es nicht nötig, sich mit solchen Spielereien zu beschäftigen, aber da irrte sie wohl. Wenn sie mit Hanna Kuchen zerteilte, redete Gerd mit Micha über die Dinge, die in der Stadt passierten. Wo etwas aufgebaut und wo etwas abgerissen wurde. Beide mit leicht verletzter Empörung, als hätten sie irgendeinen Anteil daran. Es tat ihr leid, dass Gerd tatsächlich nie gehört werden würde. Es waren gute Argumente, fand sie, bloß hatte Gerd mit der Möglichkeit irgendwo Einfluss zu nehmen schon lange abgeschlossen. Es war in Ordnung, dass sie ihr Leben am Rand absolviert hatten. Nur selten fand sie eine Art Tragik in seinen Zügen, die sie nervös machte. Aber was konnte sie schon tun, ausser sein applaudierendes Publikum zu sein.
Etwas schnüffelte an ihren Gartenschuhen. Benny! Was machte der denn hier. Er musste durch die Hecke gekrochen sein. Sie beugte sich zu ihm hinunter und kraulte mit der freien Hand sein Fell. Der Kuchen in der Linken rutschte ein wenig. Sie konnte die Gier in Bennys schwarzglänzenden Augen sehen und Huch! fiel der Kuchen auch schon auf den Boden. Sie freute sich, als sie sah, dass der Hund seine Schnautze darin vergrub, als hätte er tagelang nichts zu fressen gekriegt.
Es war schön gewesen, ihm dabei zuzusehen.
Die Klingel schrillte, als Erika gerade einen Arm in der Bluse hatte. Er würde fluchen, dachte sie, Schröter würde sie fix und fertig machen und das auch noch mit Recht. Sie konnte im Spiegel der Schranktür sehen, wie die Röte ihr ins Gesicht schoß.
„Gleich! Ich komme gleich!“, rief sie und stopfte den Stoff unters Bündchen. Benny kläffte.
Sie hatte gedacht, wenn es dem Hund schmeckt, soll er doch. Es war ja nicht so, dass sie ihn jeden Tag fütterte. Er war nicht fett. Es war ein gesunder Hund, der sowas schon mal abkonnte. Danach hatte er den ganzen Boden nach dem Geruch der Krumen abgesucht. Es hat ihm geschmeckt, soviel war sicher. Dass es nicht das Gesündeste war, ging Hanna und ihr nicht anders. Sie hastete zur Tür und stand vor Schröters unversöhnlichem Blick. Seine Arbeiterhände hingen weit geöffnet neben dem bulligen Körper, als wollte er gleich zupacken. Rissige, grobe Pranken mit schmutzigen Nägeln, die ohne Arbeit einen verlorenen Eindruck machten. Er würde es nicht wagen, sie damit anzufassen, sie durchzuschütteln und ihr Vernunft abzupressen.
„Erika, tut mir leid, dass ich so spät noch störe“, begann er, recht nett und vorsichtig sogar, aber sie konnte die Wut hinter seiner gezügelten Stimme hören. Brich schon aus, dachte sie, brich!
„Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Theater ich heute hatte.“ Doch, das konnte sie.
„Benny hat die ganze Nacht geschissen. Wir sind heut morgen raus und alles war voll Scheiße und Benny lag in der Ecke und hat gewinselt.“ Ja, und alles wegen ihr. Sag es schon, Schröter!
„Doro und Paul haben sich natürlich blöd gestellt. Wir haben sie aber die Scheiße wegmachen lassen. Die haben sich vielleicht angestellt! Aber beim Füttern sind sie schnell dabei! So einen Mist können auch nur Kinder verzapfen.“
„Ach!“, sagte sie erstaunt. „Ich verstehe nicht.“ Natürlich verstand sie, konnte ihr Glück kaum glauben!
Schröter kratzte sich am Kopf, suchte nach einer Beschreibung, die alles erklären konnte.
„Hör mal, Erika. Ich muss dich um einen Gefallen bitten.“
Er gab sich wirklich Mühe.
„Die Kinder brauchen eine Strafe. Also soll Benny weg. Aber ich will ihn nicht irgendwo hinbringen und da hab ich mich gefragt, ob du ihn mal für ne Woche nehmen würdest. Nur solange, bis die Kinder verstanden haben, dass man Tiere nicht einfach so füttern kann, wie's einem Spaß macht. Und Benny braucht jetzt auch ein bisschen Ruhe. Der ist fertig und ich weiß, er mag dich, freut sich immer, wenn er dich sieht.“
Schröter lächelte, ahmte Bennys Freude nach. Ohne seine Frotzeleien wirkte er so anders. Er sah sie völlig offen an, ohne jede Anzüglichkeit.
Erika merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Schröter sah sie verwundert an und schaute verlegen auf die Fußmatte. Benny schnüffelte gründlich an der Komposttonne.
„Ja, gut! Ich mach es“, rief sie hastig.
Sie musste die Situation schnell beenden, konnte nicht mehr fragen, ob Benny überhaupt in die Wohnung durfte, also ob er noch Dünnschiss hatte, oder ob er beim Tierarzt gewesen war und Medizin brauchte und wie sie erkennen konnte, wenn es ihm schlechter ging und was dann zu tun wäre. Sie wußte auch nicht, ob er überhaupt noch fressen durfte und wieviel. Sie hatte kein Hundefutter und auch keine Ahnung, wann und wie oft man mit einem Hund Gassi gehen musste. Nein, sie wollte keinen Hund, auch wenn sie die Schuld an der ganzen Sache trug.
„Gut, hier ist die Leine“, sagte Schröter warm, als hätte er Mitleid mit ihr. Es ließ sich wohl nicht vermeiden, dass ihre Hände sich streiften. Schröter wurde jetzt auch rot, wich ein Stück zurück, sagte, dass er den Rest morgen bringe. Er trat von einem Fuß auf den anderen und stopfte die Hände in die Hosentaschen. Erika nickte, brachte kein Wort mehr heraus.
Schröter blickte versonnen zum Himmel, so ein James-Dean-Blick, der ganz gut zu seinem groben Äußeren passte. Dann sah er sie wieder an und trat ein Stück auf sie zu, nahm ihren Arm, drückte ihn, wartete, guckte sie glasig an, sie blickte erschrocken zurück, dann drückte er nochmal und sagte Danke. Wenn Gerd das jetzt sehen würde. Er würde es sofort merken. Aber es war ja nichts, dachte sie. Nur ein Missverständnis.
Benny stellte sich zwischen sie, bellte ein bisschen. Schröter beruhigte den Hund und machte ihm in einem sentimentalen Tonfall klar, dass er jetzt bei Erika bleiben würde. Der Hund winselte verständig. Erika machte die Leine am Halsband fest und zog Benny in die Wohnung.
„Tschüß, Bernd! Bis morgen.“ Ihre Stimme zitterte.
Schröter blieb stehen, schien zu überlegen. Er lächelte und hob die Hand, wie um eine absurde Möglichkeit abzuwehren. Dann verschwand er hinter der Hecke. Erika schloß die Tür und folgte dem Hund beschwingt durch die Wohnung, tänzelte sogar und sah glücklich zu, wie er überall schnüffelte und nach etwas Bekanntem suchte.