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Der Fluch der Relakuz'

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Der Fluch der Relakuz'

Der Fluch der Relakuz’

„Wenn du das liest, bist du bereits so gut wie tot!“
„Na großartig“, dachte Stephanie und versuchte sich etwas bequemer hinzusetzen, was aber auf dem voll geräumten Dachboden ein schwieriges Unterfangen war. Sie hätte auch hinunter in ihr Zimmer gehen können, um den Zettel zu lesen, den sie hier gefunden hatte. Jedoch würde sie dann in dem Chaos sicher vergessen, aus welcher Kiste sie ihn herausgefischt hatte und riskieren, dass ihre Eltern draufkamen, dass ihre Tochter in Sachen herumwühlte, die sie nichts angingen. Außerdem würde sie auf die gruselige Atmosphäre verzichten müssen.
Und so blieb sie hier und konzentrierte sich. Es roch nach altem, feuchtem Holz, Staub und ein wenig nach Rattengift. Die Kerze, die sie mitgebracht hatte, flackerte und sie konnte den Nachtwind hören, der draußen um das Haus pfiff und jenen auf ihrem Rücken spüren, der sich durch den undichten Holzboden schwindeln konnte. Und da war noch der Regen, der mit einem beständigen Trommeln auf dem Dach mit dem Heulen des Windes wetteiferte. Sonst war es still. Käme nun ein Einbrecher, so würde sie es nicht bemerken. Er könnte hereinschleichen, entdecken, dass es im ganzen Haus finster war und nur durch die Dachbodenluke Kerzenlicht schimmerte. Er würde sich langsam zu ihr herauf schleichen, Schritt für Schritt, und sie würde ihn vertieft in ihre Lektüre gar nicht hören. Dann würde sie ein Messer an der Kehle und behaarte Finger in ihrem Gesicht spüren. Sie würde dem Mörder ins Gesicht sehen und erkennen, dass es gar kein Mensch, sondern ein riesengroßer –
Die Dachbodenluke fiel knallend zu und sie stieß einen Schrei aus, der den Wind und den Regen als lautestes Geräusch überbot.
Dann kicherte sie. So war es immer mit ihr und ihrer Fantasie. Sie bräuchte eigentlich keine Bücher oder Filme, sie selbst konnte sich am besten erschrecken.
Sie öffnete die Luke wieder und setzte sich zurück auf ihren Platz neben der Kerze.
„Wenn du das liest, bist du bereits so gut wie tot!“ lautete der erste Satz auf dem Blatt Papier, das sie aus der Kiste geholt hatte. Im Gegensatz zu den anderen Geschichten, die ihr Vater verfasst hatte, waren die Worte in fein säuberlichen, filigran verzierten Buchstaben geschrieben, ja beinahe gemalt worden.
Es musste bestimmt eine ganz besondere Geschichte sein, die er da verfasst hatte. Jetzt war sie gespannt.

„Wenn du das liest, bist du bereits so gut wie tot! Es dauert jetzt nur noch ein paar Stunden, ein paar Minuten- je nachdem, wie schnell du liest- aber nachdem du es gelesen hast, wirst du sterben und zwar durch die Hand dessen, der uns alle in diesen misslichen Umstand gebracht hat. So lautet die Prophezeiung und die ist gewiss. Auch wenn sich das Schicksal oft zu irren scheint, am Ende sind wir alle dort, wo es uns haben will, ganz so, als hätte es keinen anderen Weg gegeben. Vielleicht glaubst du mir noch nicht, aber der Tod klopft bereits an deine Tür. Er ist da. Angelockt durch das verratene Geheimnis riecht er bereits sein Opfer und lauert ihm auf. Und dieses Opfer bist du. Heulen- Klingeln- Klopfen- Ende- so sehe ich es vor mir und so wird es kommen.
Doch beginnen wir am Anfang. Ich bin der Prophet unseres Dorfes und heiße Groleum. Du wirst ihn vielleicht für einen seltsamen Namen halten, aber für uns Relakuz ist es ein Name, wie für dich Klaus, Jürgen oder Stephanie. Wir Relakuz sind Vampire, doch im Gegensatz zu den Hompers, den Eratrors oder den Ungeis, sind wir Denker, frei von all den anderen Vampirrassen, hat sich der Bluttrieb nicht in unserem Verhalten manifestiert und so können wir freier leben als die anderen. Wir finden es schändlich, wahllos zu töten, nur um unsere Lust zu befriedigen, im Gegenteil, unser philosophisches Dasein hat eher spirituellen Charakter.
Unser Dorf, das für Menschen gar nicht und für andere Vampire nur sehr schwer zu finden ist, lebt von einem Kodex, der unser soziales Leben organisiert. Ein strenges, aber unbedingt notwendiges Gesetz.
Doch das sehen nicht alle ein. Und so kam es, dass sich Odega, ein junger Vampir, entgegen dem Kodex aus dem Dorf schlich, sich unter die Menschen mischte und sich verliebte. Wir haben das schon so oft in Geschichten gelesen, und schon so oft ist es den anderen Rassen passiert, dass es eigentlich kein Problem darstellen sollte. Aber es war ein Problem. Es war das erste Mal in unserem Dorf vorgekommen.
Der Tod sieht beim Fenster herein!“

An dieser Stelle war das Blatt mit den gemalten Buchstaben zu Ende. Sollte das etwa die ganze Geschichte sein? Stephanie durchwühlte die Kiste, in der sie den Zettel gefunden hatte, doch es befand sich kein weiterer mehr darin.
Das Heulen des Windes erfüllte plötzlich den dunklen Dachboden und Stephanie bemerkte, dass das Fenster offen war. Sie schloss es.
Da entdeckte sie etwas am Boden. Sie hob es auf und ging zur Kerze zurück. Die selbe Art Papier, die gleiche Handschrift; ihr Vater schien die Geschichte doch fortgesetzt zu haben. Sie las weiter.

„Der Tod sieht alles und wenn du dich jetzt fragst, was dich die Geschichte angehen soll oder denkst, dass sie an jemand anderen adressiert sei, dann irrst du dich und hast den Ernst deiner Lage wohl noch nicht verstanden. Das Geheimnis wird nun erzählt und es besteht kein Zweifel: die Prophezeiung trifft nun ein. Der Tod ist ein verlässlicher Geselle. Er irrt nicht.
Aber Vampire irren und so irrten wir uns damals, als wir entschlossen, Odega am Leben zu lassen. Doch es ist nicht unser Stil, nicht unsere Lebensethik, einen anderen Vampir zu töten. Wir ließen ihn am Leben und erlaubten ihm sogar, das Menschenmädchen zu treffen, solange er seine und unsere Herkunft nicht verriet.
Doch es geschah nicht so, wie wir es wünschten. Eines Tages kam Odega von den Menschen in unser Dorf zurück. Er hatte sich einen Wagen zugelegt, damit er sich in der Welt der Sterblichen frei bewegen konnte. Ich war noch wach an diesem Morgen und beobachtete seine Ankunft. Er stieg aus dem Auto und ich sah ihn zum ersten Mal in menschlicher Gestalt. Mit einer zierlichen Nase, reiner Haut und runden Ohren. Ich sah, dass ihm diese Transformation sehr viel Energie kostete und erkannte die Erleichterung in seinen Augen, als er wieder zum Vampir wurde. Dann hörten wir den Schrei, der aus dem Wagen kam. Die Hintertür öffnete sich und ein Mensch kam heraus gestürzt. Ein kleiner Mensch. Ein Kind. Es sah Odega mit einer Mischung aus Verwunderung und Entsetzen an, erblickte mich und rannte weg. Es war uns nicht möglich, uns zu rühren, bis das Kind, dass sich in dem Wagen versteckt hatte, verschwunden war. Es war schrecklich. Nach all den Jahrhunderten des friedlichen Lebens war es schließlich passiert,..."

Stephanie hörte auf zu lesen. Hatte da nicht gerade etwas geknurrt? Es war ihr während dem Lesen so vorgekommen, als wäre sie nicht allein, als ruhten Augen auf ihr und beobachteten sie. Aber sie hatte es ignoriert. Nun hatte jemand geknurrt, sie war sich ganz sicher. Der Tod sieht beim Fenster herein... Ein Schaudern lief ihr über den Rücken und sie beschloss, den Dachboden mit dem Windgeheule und dem flackernden Licht der Kerze zu verlassen. Sie blies die Flamme aus und ging in das Wohnzimmer des großen Hauses, wo sie alle Lichter einschaltete, obwohl sie wusste, was ihre Eltern von Energieverschwendung hielten. Sie spürte noch immer eine Gänsehaut auf ihrem Rücken, das Gefühl vom Beobachtet-Werden war jedoch verschwunden. Die große Standuhr zeigte 22:37 Uhr an.
Stephanie setzte sich auf die Couch und legte ihre Füße auf den Glastisch. Sie atmete einmal tief ein und aus und grinste. Steffi allein mit ihrer Fantasie, dachte sie und nahm den Zettel zur Hand.

„Nach all den Jahrhunderten des friedlichen Lebens war es schließlich passiert, man hatte uns entdeckt. Es war eine schwerwiegende und nicht leicht zu treffende Entscheidung, die dem Rat der Relakuz’ nun bevorstand. Aber wir mussten sie treffen.
Es wurde beschlossen, das Dorf der Menschen, aus dem der Junge kam, zu vernichten. Es klingt jetzt, da du es liest, vielleicht sehr voreilig und wahrscheinlich nicht stimmig mit der Beschreibung, die ich dir vorher von uns gegeben habe, aber wir entschieden uns so. Auch wenn unsere größte Aufgabe das Denken und unser Ziel anders zu sein war, ist doch der Überlebensdrang größer und es wäre nicht sicher, was geschehen würde, sollte jemand dem Jungen Glauben schenken und versuchen, uns zu vernichten. Und so mussten wir das Dorf zerstören.
Noch jetzt, Tage nach dem Gemetzel, höre ich nachts das Schreien der Männer und Frauen. Wir bildeten einen Kreis um das Dorf und schlossen ihn bis zum Morgen. Es war grausam und viele von uns konnten die letzten Nächte nicht schlafen. Aber es musste sein. Das Blut des Dorfes musste das verratene Geheimnis rächen.
Es war das schrecklichste Ereignis, das je ein Vampir aus meinem Dorf miterleben musste, aber wir schworen uns, es abermals zu tun, sollte jemand von unserem Geheimnis wissen.
Und jetzt gibt es noch jemanden. Dich!“

An dieser Stelle war der Zettel zu Ende. Sie hatte nun zwei Seiten des Aufsatzes ihres Vaters gelesen und hatte sich richtig in die Geschichte hineinversetzen können. Er konnte gut schreiben und die direkte Anrede verstärkte den Bezug zu den Vampiren. Doch nun steckte sie in einem Dilemma. Der Rest der Geschichte befand sich wahrscheinlich am Dachboden und sie wusste nicht genau, ob sie den Mut hatte, das helle, gemütliche Wohnzimmer zu verlassen und sich wieder dem Heulen des Windes und dem Trommeln des Regens auszuliefern. Sie hatte so schon große...
Da riss sie ein schrilles Geräusch aus ihren Gedanken. Sie hätte beinahe aufgeschrieen, doch dann hatte sie das Geräusch als das Klingeln des Telefons erkannt. Sie fing sich und folgte dem Läuten.
Das grelle Neonlicht der Küche, in der sich das Telefonapparat befand, schmerzte in ihren Augen. Sie hob ab.
„Hallo?“
Es rauschte am anderen Ende der Leitung. Sonst war nichts zu hören.
„Hallo?“, wiederholte sie.
Wieder rauschte es. Doch es war nicht allein das Rauschen, das zu ihr sprach. Es war da noch etwas anderes. Etwas Fremdes. Unheimliches. Beängstigendes.
„Hallo!“, schrie Stephanie den Hörer an. Es war die Angst in ihrer Stimme, die sich mit dem kalten Neonlicht verbündete und sie benommen machte. Das Rauschen wurde lauter.
„Das war das Läuten, Stephanie“, sprach eine knurrende Stimme. „Das Klingeln. Heulen, Klingeln, Klopfen, Ende. So steht es in der Prophezeiung und so wird es geschehen!“
Sie schrie. War es denn echt? Ein Vampir war hinter ihr her, um die Prophezeiung zu erfüllen, um das verratene Geheimnis wieder unverraten werden zu lassen?
„Wer ist da?“, schrie Stephanie und ihre Stimme überschlug sich aus Angst und Entsetzen. Konnte es denn sein?
Es folgte ein tiefes, brummendes Lachen, das unmerklich in das anfängliche Rauschen überging. Dann war es vorbei.
Sie stand noch einige Zeit im kalten Neonlicht der Küche, den Hörer in der linken Hand haltend, den Blick ins Leere gerichtet. Das gibt es nicht, sagte sie sich, das kann nicht sein. Keine Vampire, keine Stimmen, keine gar nichts. Nur ich und meine blöde Fantasie!
Sie betrachtete die vielen, bunten Magnete, die Tiere mit lustigen Gesichtern zeigten und Einkaufslisten für den nächsten Tag, Gutscheine für McDonalds und ihre Kinderzeichnungen auf der Eiskastentür hielten. Die Zeichnung zeigte sie und ihre Eltern, die vor einem lilafarbenen Haus standen, und überdimensionale Gänseblümchen in der Hand hielten. Sie sah wirklich lächerlich aus und Stephanie musste kichern.
Und dieses Kichern beruhigte sie ein wenig, beförderte den Telefonanruf von der Realität ins Reich ihrer Fantasie, die so oft übermächtig war. Sie erinnerte sich, als ihr ihre Eltern erzählt hatten, dass sie ernsthaft über eine Therapie nachdachten, um ihre Tochter von der überschüssigen Fantasie zu befreien.
Sie seufzte und das Neonlicht der Küche kam ihr überhaupt nicht mehr kalt vor, der Wind draußen überhaupt nicht mehr gruselig und die Geschichte ihres Vaters ziemlich harmlos. Sie wollte sie auch gar nicht mehr zu Ende lesen, würde den Fernseher einschalten und dabei einschlafen.
Sie hätte das auch bestimmt getan, wenn sie nicht unter dem Magneten, der einen rosa Elefanten darstellte, einen seltsamen, wunderschön geschriebenen Einkaufszettel entdeckt hätte. „Das gibt’s nicht!“ sagte sie zu dem nun wieder kälter werdenden Neonlicht. Es war der dritte Zettel der Geschichte ihres Vaters.
Sie setzte sich zurück auf die Couch im Wohnzimmer und las.

„Als der Morgen graute, war das Dorf ein riesengroßer Friedhof, den nun etwa hundert Vampire in Brand setzten. Die Feuerwehr sollte kommen und für den Tod der Menschen ein großes Feuer verantwortlich machen. Es kümmerte uns nicht, ob es glaubwürdig war. Sollten sie doch Mörder, Brandstifter oder ihren Gott die Schuld geben, auf Vampire würden sie wohl nicht kommen.
Keiner von uns sagte ein Wort, zu tief saß der Schrecken der letzten Nacht in unseren Herzen. Wir haben gemordet und geschlachtet und die Bilder der Sterbenden hatten sich wahrscheinlich in unser aller Herzen eingebrannt und würde dort wahrscheinlich noch lange Zeit so lodern, wie das Feuer, welches das Dorf an diesem Morgen heimsuchte. Fast alle von uns standen am Rande des Waldes und starrten schweigend in das Feuer. Fast alle.
Nur Odega fehlte. Er war geflohen, gemeinsam mit seiner Menschen-Freundin. Er hatte den Tumult und das Morden der Nacht genutzt, um ungesehen zu flüchten. Während wir alle unsere Seele an den Knecht des Mordens verkauften, hatte er sich in sein Auto gesetzt und war mit seiner Geliebten davongefahren.
Als unser Rat davon erfuhr, war er erzürnt und schwor sich, Rache zu nehmen. Er, der uns in den beinahe apokalyptischen Umstand gebracht hatte, hatte nichts getan, um sein Vergehen zu sühnen.
Und so schickten sie mich, um ihn für seine Taten büßen zu lassen. Ich kam in der Nacht zu Odega und der Menschenfrau, schlich mich in das Zimmer ihrer Gaststätte, in der sie die Nacht verbrachten und stellte mich neben das Bett der Liebenden. Ich betrachtete sie und während ich sie sah, wie sie sich umarmend im Bett lagen, verstand ich ihn plötzlich. Ich verstand Odega und seine Flucht, verstand, dass er Pech hatte, dass er ein Vampir war und sie ein Mensch, verstand, dass es seine Entscheidung war und dass er nichts gegen sein Schicksal tun konnte.
Doch wie verständlich mir das alles auch schien, es war falsch, wie er es gemacht hatte. Es war falsch, mit ihr zu fliehen und es war falsch, seine Familie und sein Dorf im Stich zu lassen.
Ich schreibe diese Zeilen gerade jetzt in diesem Zimmer. Odega schläft zwei Meter neben mir und träumt wahrscheinlich nicht vom Morden und Geschrei, wie der Rest seines Dorfes.
Der Rat bat mich diese Geschichte aufzuschreiben, eine Geschichte, die von unserem Geheimnis und unserem Leid der letzten Tage erzählt. Ich werde die letzten Zeilen schreiben - die letzten Zeilen die du je lesen wirst - und die Zettel danach gemeinsam mit einem Brief in Odegas Tasche stecken. In dem Brief steht, dass die Aufbewahrung dieser Niederschrift seine zweite Chance ist und das Hüten des Geheimnisses nun sein Fluch sein soll. Sollte je jemand diese Zeilen lesen, so würde es das Ende seines menschlichen Daseins bedeuten und er würde ein seelenloses Wesen werden, das ohne zu wollen morden würde. Für alle Ewigkeit wäre er der Knecht des Todes und würde in seinem Blutrausch leiden, so wie wir noch die nächsten Jahre leiden werden.
Ein sehr harter Ausgang, aber sollte er das Geheimnis nun hüten, dann stünde seiner Zukunft als Mensch nichts mehr im Wege und er könnte glücklich werden und bleiben, bis er an den Folgen seines menschlichen Daseins stürbe.
Ich hoffe, Odega entscheidet sich für den letzteren Weg und setzt seine Chance nicht wieder aufs Spiel. Aber da du dies liest, hat Odega auch diese Möglichkeit vergeben und der Fluch wird sich nun erfüllen. Es hätte wohl anders kommen können, aber Heulen, Klingeln, Klopfen, Ende; so steht es in der Prophezeiung und so beginnt unser Fluch.
Ich werde die Zettel nun Falten und in Odegas Tasche legen. Möge es das Schicksal gut mit ihm meinen. Er war ein guter Freund.
Der Tod ist bereits im Haus!“

Stephanie wagte es nicht, sich zu bewegen, nur ihre Augen blickten durch das Zimmer. Nun würde sich die Prophezeiung erfüllen und ein entstellter Vampir würde sich auf sie stürzen und sie töten, um dann weiter zu ziehen und weiter zu morden.
Sie versuchte zu lächeln, doch sie schaffte es nicht. Sie hatte große Angst, so ganz alleine in dem Haus. Sie würde sich nicht bewegen, nicht solange ihre Eltern nicht hier waren und sie...
Und dann hämmerte etwas gegen die Tür. Heulen, Klingeln, Klopfen, Ende, dachte sie. Sie fühlte Tausende von Augen auf ihr ruhen, die zusehen wollten, wie sich die Prophezeiung erfüllte.
Sie stand von der Couch auf und schritt langsam zur Tür. Der Regen war stärker geworden und die sich im Wind bewegenden Bäume warfen groteske Schatten an die Fensterscheiben.

Wieder klopfte es. Diesmal stärker.
„Mach schon auf, Stephanie!“, flüsterte die Standuhr neben ihr, „Der Tod ist sowieso schon im Haus, der Rest ist reine Formsache!“
Sie kreischte laut und in diesem Moment sprang die Tür auf. Sie sah eine Gestalt, dunkel gekleidet und mit einer tief ins Gesicht gezogen Kapuze. Ihre Knie versagten und sie fiel hin. Die Gestalt kam herein und schloss die Tür hinter sich. Sie kauerte sich hin und verbarg ihren Kopf unter ihren Händen. Hoffentlich geht es schnell, dachte sie unter Tränen.

„Verdammte Scheiße, ist das nass!“, murmelte die Gestalt angewidert. Etwas verdutzt sah Stephanie von ihrer kauernden Position auf, als sie die bekannte Stimme vernahm. Es war ihr Vater, der im schwarzen Smoking und dem darüber geworfenen Regenmantel das Vorzimmer betreten hatte.
Stephanie lief auf ihn zu, umarmte ihn fest und begann zu weinen
„Hey“, wunderte sich ihr Vater, „Was ist denn los?“
„Nichts, Papa“, schluchzte sie in seinen Mantel, roch das vertraute Aftershave und fasste neuen Mut. Ich könnte mich selbst verprügeln, dachte sie, angesichts ihrer Panik. Ich bin fünfzehn Jahre alt, beinahe erwachsen, und raste wegen einer Geschichte vollkommen aus.
„Ich hab mir schon Sorgen gemacht, Kleines.“, sagte ihr Vater und streichelte ihr den Kopf, „Als ich vorhin angerufen habe, um dir zu sagen, dass ich kurz vorbei komme, um den Fotoapparat zu holen, hat es sich so angehört, als hätte jemand ins Telefon geschrieen.“
„Darf ich doch mit euch kommen? Bitte!“, ignorierte sie die Worte ihres Vaters und ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie in den Regen hinaus, zu dem alten Renault 19.


Nun, da sie in dem warmen Wagen sitzt, ihr Haus sieht und der Regen angenehm beruhigend auf die Scheiben des Autos prasselt, lächelt sie. Sie ist wirklich eine dumme Göre gewesen. Nun freut sie sich schon auf eine Kola und vielleicht dürfte sie ja auch ein Glas Sekt mittrinken.
Sie lehnt sich zurück und genießt die Ruhe in dem Auto. Sie fühlt sich wie damals im Kaufhaus, als sie plötzlich ihre Mutter aus den Augen verloren hatte. Ein Polizist hatte sie schließlich aufgefangen und mit ihr auf ihre Mutter gewartet, nachdem sie etwas von Zombies gefaselt hatte, die sie umbringen wollten.
Sie sieht aus dem Fenster und erblickt ihren Vater in dem schwarzen Regenmantel, beobachtet ihn, wie er die Haustür verschließt und auf sie zu kommt. Sie kichert. Er hasst Regen und flucht bestimmt in seinen Bart hinein.
Er geht zu der Fahrerseite des Renaults und plötzlich sieht Stephanie, dass er einen Zettel in der Hand hält. Ihre Augen weitern und ihre Hände verkrampfen sich. Sie hat die Zettel mit der Geschichte im Wohnzimmer liegen lassen. Er hat sie entdeckt und nun würde sie für ihre Neugier büßen müssen. Dreißig Jahre Hausarrest, verdammt!
Ihr Vater öffnet die Wagentür und setzt sich hinein.
„Hör zu, Papa“, sagt Stephanie leise, „Es tut mir leid, ich wollte das nicht.“
„Nein, mein Liebling. Mir tut es leid!“, entgegnet ihr Vater und mit großen Augen sieht Stephanie, wie klauenartige Finger den Zündschlüssel einmal drehen. Der Motor heult auf. „Ich wollte das wirklich nicht.“

 

So, bitte schön!
Hier ist die neue Fassung der Geschichte "Der Fluch der Relakur'" bei der ich versucht habe, auf jede Kritik der alten Geschichte einzugehen.

Aufgrund von marketing-strategischen Gründen, mit der Angst, dass sie sofort als schlecht bewertet und nie gelesen werden würde, verschweige ich, dass die Geschichte nur darum wieder posten kann, weil sie bei dem Wettbewerb "Hexe, Vampyr & Magier" nicht genommen wurde.

Mann, bin ich schlau!

 

Hallo Peter Hrubi,

witzig finde ich, dass ich meinen Text „Blutsbande“ auch erst hier am letzten Samstag veröffentlicht habe, nachdem klar war, dass die Geschichte bei dem HVM-Wettbewerb nicht den gewünschten Erfolg hatte.

An „Der Fluch der Relakuz’“ haben mich die Momente des Schreckens am meisten beeindruckt. Für manchen Leser erscheint ein plötzlich aufläutendes Telefon oder ein hereinstürzender Kapuzenmann vielleicht als billig, aber Regisseure wie William Friedkin ( Der Exorzist), Dario Argento (Phenomena) … bedienen sich auch keiner anderen Effekte.

Und warum?

Weil die gleichen Elemente in Horrorfilmen immer wieder aufs Neue funktionieren. Sie mögen abgedroschen wirken, trotzdem hat ein Mensch, während eines nächtlichen Gewitters einfach Angst, wenn er sich allein zuhause befindet und unversehens der Strom ausfällt.

Bei literarischen Werken ist das schon ein wenig schwieriger, weil es von den Schreibfähigkeiten des Autors abhängt, ob Spannung erzeugt wird. Insbesondere am Anfang, während sich die Protagonistin das Herannahen eines lautlosen Einbrechers ausmalt, hast du dieses Talent bewiesen.

Gegen Ende der Rahmenhandlung habe ich mir erhofft, dass der Schluss das konventionelle Muster sprengt. Wenn du aber mit einer routinierten Erzählung des Schreckens zufrieden bist, habe ich auch kein Problem damit. Es gibt genug andere, die daran scheitern.

Zu der Binnenhandlung muss ich sagen, dass die Blutsauger-Variante von „Romeo und Julia“ wohl in jeder modernen Vampir-Romanreihe einmal verarbeitet wurde. Begonnen bei Anne Rice bis zu P.N. Elrod, von denen ich zugegebenermaßen keinen einzigen Roman gelesen habe.

Mir gefällt aber der Gebrauch des klassischen Motivs der unstillbaren menschlichen Neugier, die direkt ins Verderben führt. In diesem Fall ist das Todesurteil zwar bereits mit dem ersten Satz besiegelt, aber die gezielte Wiederholung einiger Passagen steigert das Gefühl der Anspannung ungemein.

Die Stelle „Das Klingeln. Heulen, Klingeln, Klopfen, Ende.“ sagt mir sehr zu. Nur finde ich, dass damit der Vorausdeutung genüge getan wird. Zu viele Hinweise auf den Tod, „der anklopft“, und, dass „er sich bereits im Haus befindet“, schaden der Atmosphäre und verraten zuviel.

Mit freundlichen Grüßen,
von einem Österreicher und Rekruten des Bundesheeres (siehe mein Text Nachtdienst), der auch hierher gefunden hat.

 

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