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Der Fluch der Bücher
Der erste Morgen in der neuen Schule war grauenhaft. Größere Schüler lungerten vor dem Eingang herum, rauchten und rempelten die Jüngeren an. Ich war extra früh gekommen, denn ich hatte vorausgesehen, dass ich mich verlaufen würde. Doch dass es so schlimm werden würde, das hätte ich nicht gedacht. Schließlich stand ich unschlüssig in einem der vielen verwirrenden Gänge herum und sah mich hilfesuchend um. Ein Mädchen kam mir entgegen, sie steuerte das Treppenhaus hinter mir an. Ihre kastanienbraunen Locken fielen ihr wirr ins schmale Gesicht und ihre abwesenden graublauen Augen schienen in weite Ferne zu blicken.
„Hey, weißt du vielleicht, wo der Klassenraum der 7d ist?“, fragte ich zaghaft, als sie an mir vorbeilief. Das Mädchen antwortete nicht. Sie schien mich nicht einmal zu bemerken. Schon war sie durch die große Doppeltür ins Treppenhaus verschwunden. Ich zuckte ratlos mit den Schultern und folgte ihr. Vielleicht würde sie mich ja zu einem Raum bringen, in dem ich einen Lehrer nach dem Weg fragen konnte. Das Mädchen lief schnurstracks die Treppe hinauf in den dritten Stock, bog nach rechts und dann wieder nach rechts ab. Vor der letzten Tür blieb sie stehen, öffnete sie und ging hinein. Ich betrachte das Schild neben der Tür. Darauf stand groß 'Klassenraum 7d'. Dankbar ging ich ebenfalls hinein. Die meisten Plätze waren bereits besetzt, von neugierig blickenden Jungen und Mädchen, die interessiert ihre neuen Mitstreiter betrachteten. Das Mädchen mit den kastanienbraunen Haaren hatte sich in die allerletzte Reihe gesetzt. Ich stellte meine Schultasche an einen Platz gegenüber von ihr. Sie kramte unterdessen in ihrem Rucksack herum und zog ein Buch hervor. Das erregte meine Aufmerksamkeit, denn ich las selbst für mein Leben gern. Es war ein dicker Wälzer mit blaugrünem Einband. Ich versuchte den Titel zu entziffern, doch sie schlug es sofort auf und begann zu lesen. Ich konnte von meinem Platz aus erkennen, wie ihre Augen über die Seiten flogen. Sie schien sich für nichts Anderes zu interessieren, als für die Buchstaben auf dem etwas vergilbten Papier. Selbst, als unsere Klassenlehrerin den Raum betrat und mit der Aufzählung der Namen begann, hob sie nicht den Kopf. Als sie meinen Namen - Sarah Winter - aufrief, sagte ich pflichtbewusst „Hier“.
„Aleyna Lehmann!“, rief die Lehrerin nun. Keiner antwortete.
„Aleyna Lehmann!“, wiederholte sie.
„Was?“, fragte das kastanienbraunhaarige Mädchen mit einer rauen, heiseren Stimme, die klang, als benutzte sie sie nicht besonders oft.
„Bist du anwesend?“, fragte die Lehrerin. Die Klasse brach in Gelächter aus.
„Ja“, antworte Aleyna abwesend und richtete den Blick wieder auf die Buchseiten vor sich.
„Leg bitte das Buch weg“, ermahnte die Lehrerin sie freundlich. Scheinbar höchst widerwillig klappte das seltsame Mädchen das Buch zu und starrte dann vor sich auf den Tisch, doch sie schien ihn gar nicht zu sehen.
Den restlichen Tag und auch die darauffolgenden Wochen grübelte ich über Aleyna nach. Sie war mir etwas unheimlich. Jedes Mal, wenn ich sie sah, las sie ein Buch (Es war fast jeden Tag ein anderes). Im Unterricht war sie meist still und abweisend und in den Pausen sah ich sie oft mit einem anderen schüchternen Mädchen aus unserer Klasse – ihr Name war Issi - , doch sie unterhielten sich kaum, Aleyna las stets ihr Buch und Issi saß daneben.
Ich fand bald neue Freunde und wir unterhielten uns über Aleyna. Alle fanden sie merkwürdig und unheimlich.
Auf unserer Klassenfahrt landeten meine Freundinnen und ich mit Aleyna in einem Zimmer. Die Fahrt sollte die "Gemeinschaft stärken", wie meine Lehrerin es ausdrückte, doch Aleyna grenzte sich nach wie vor aus. Ich mochte es nicht, wenn jemand bei den lustigsten Spielen nicht mitspielte und auch sonst jedem Kontakt auswich, also beschloss ich, auf Aleyna zuzugehen und mich mit ihr anzufreunden. Bei der nächsten Gelegenheit lief ich hinter ihr her und rief: „Hey, Aleyna! Wo gehst du hin? Ich würde gern mitkommen!“ Aleyna, ihr Buch unterm Arm, drehte sich um, betrachtete mich und wurde dann widerstrebend langsamer, damit ich sie einholen konnte. Ich rannte zu ihr vor und lief dann neben ihr auf das Ufer des Sees zu, an dem unser Haus stand. Aleyna ließ sich auf einer Bank nieder und wollte ihr Buch aufschlagen, doch ich fragte: „Hast du eigentlich Geschwister?“ Sie nickte knapp und starrte sehnsüchtig das Buch an. So begann ein kurzes und einsilbiges Gespräch. Ich fragte sie allerhand Sachen und sie antwortete kurz angebunden.
„Warum redest du eigentlich nie mit anderen Leuten?“, fragte ich schließlich. Sofort öffnete sie ihr Buch und begann zu lesen. Ich begriff, dass sie mich wohl nicht weiter beachten würde, also stand ich frustriert auf und ging. Mein Misserfolg mit Aleyna beschäftigte mich noch den ganzen Tag und am Abend lag ich noch wach, lange nachdem alle in meinem Zimmer eingeschlafen waren. Plötzlich hörte ich es leise murmeln. Es kam aus Aleynas Richtung. Leise stand ich auf und schlich näher heran, bis ich einige Fetzen aufschnappen konnte.
„Percy… Achtung!… Annabeth… Gefahr!… Luke… nicht gut!…“ Ich erkannte die Namen aus einer meiner Lieblingsbuchreihen – Percy Jackson hieß sie -. Ich versuchte, den Titel des Buches zu entziffern, das neben ihr lag. Ja, Aleyna las gerade den dritten Teil. Auf einmal flammte hinter Aleynas geschlossenen Augenlidern ein weißes Licht auf und im nächsten Augenblick war sie verschwunden. Aleyna hatte sich in Luft aufgelöst! Erschrocken schloss ich die Augen, öffnete sie wieder, doch das Bett vor mir blieb leer. Ich rannte ins Bad und von dort aus vollkommen verstört ins Bett. Nach langer Zeit fiel ich in einen unruhigen Schlaf.
Am nächsten Morgen beim Frühstück war ich todmüde und fühlte mich wie gerädert. Als ich aufgewacht war, hatte Aleyna in ihrem Bett gelegen, als wäre nichts passiert! Ich fragte mich allmählich, ob ich mir das alles nur eingebildet hatte. Die Anderen am Tisch schauten mich entweder misstrauisch oder besorgt an. Ich musste schrecklich aussehen! Nach dem Frühstück schloss ich mich in unserem Bad ein. Ich ließ mich auf den Klodeckel fallen und starrte in den Spiegel. Ein leichenblasses Gesicht mit dunklen Schatten unter den Augen starrte zurück. Ich stützte den Kopf in meine Hände. 'Was ist heute Nacht passiert? Was ist heute Nacht passiert? Was ist heute Nacht passiert? …', fragte ich mich immer wieder. Sollte ich jemandem davon erzählen? Nein, entschied ich, es würde mir ja sowieso niemand glauben und ich wollte Aleyna nicht in Schwierigkeiten bringen.
Der Rest der Woche verging und ich war die gesamte Zeit in düsteren Gedanken versunken. Wieder in der Schule fasste ich endlich einen Entschluss. Ich musste Aleyna kennenlernen und hinter ihr Geheimnis kommen, sonst würde mich ihr leeres Bett noch ewig verfolgen! Lange überlegte ich, wie ich sie auf mich aufmerksam machen sollte. Mein Blick lag des Öfteren auf dem Buch, das Aleyna stets bei sich trug, doch das half mir leider nicht, das Problem zu lösen, vor dem ich stand.
Es dauerte noch Monate, bis mir die zündende Idee kam. Ende Oktober wusste ich endlich, was ich tun musste, um Aleynas Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. An einem sonnigen Tag lief ich also in der Mittagspause hinunter auf den Hof zu der Bank, auf der Aleyna und Issi saßen und setzte mich neben sie. Issi sah mich erstaunt an. Ich beachtete sie nicht und fragte, an Aleyna gewandt: „Hey! Was liest du gerade für ein Buch?“ Aleyna hob den Kopf,ihre Augen fingen an zu strahlen und auf ihrem Gesicht breitete sich ein Ausdruck aus, den ich bei ihr noch nie gesehen hatte: Begeisterung.
„'Die Wasserweber'. Kennst du es?“ Mein Plan ging auf! Ich hoffte nur, dass sie weiter mit mir reden würde. Ich bejahte ihre Frage freudig, denn das Buch stand in meinem Regal und fuhr fort: „Kai Meyer ist wirklich toll! Hast du 'Die fließende Königin' gelesen? Das hat er auch geschrieben.“ Als sie den Kopf schüttelte, bot ich ihr an, das Buch am folgenden Tag mit in die Schule zu bringen, damit sie es lesen konnte. Sie stimmte begeistert zu. Wir redeten noch länger über Bücher, die wir gelesen und die uns am besten gefallen hatten. Aleyna blühte bei diesem Thema geradezu auf! Wir stellten fest, dass wir einen ziemlich ähnlichen Buchgeschmack hatten: Fantasy und actionreiche Geschichten.
„Ich steh auf Schlachten mit Schwertern und Pfeil und Bogen“, gab ich zu.
„Ich auch“, sagte Aleyna und lachte – So einen Laut hätte ich nie von ihr erwartet!
„Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal lachen hören würde!“, sagte ich und dann erzählte ich ihr von dem ersten Eindruck, den ich von ihr gehabt hatte. Aleyna lächelte matt.
„Das habe ich in jeder Schule gehört, in der ich bis jetzt war. Weißt du, es ist nämlich so: Ich fühle mit den Hauptpersonen in meinen Büchern. Ist diese glücklich, bin ich glücklich und ist sie traurig, bin ich traurig. Wenn zum Beispiel meine Hauptperson wütend war, wurde ich manchmal von der Schule geschmissen, weil ich in Prügeleien verwickelt war und man mich als gewalttätig einstufte.“ Ich brachte nur ein „Oh, Mann!“ heraus. Dann war die Pause vorbei.
Wir trafen uns von nun an jede Pause auf dem Hof. Wir redeten, spielten zusammen und tauschten Bücher. Aleyna begann, offener mit mir umzugehen und sie wurde immer fröhlicher, je öfter wir etwas zusammen machten. Ich erzählte ihr alle meine Ideen für Geschichten, die ich schreiben konnte und sie war eine sehr gute Zuhörerin.
Eines Tages berichtete ich ihr davon, dass ich beinahe jede Nacht lebhaft von den Büchern träumte, die ich las. Als sie das hörte, zuckte Aleyna zusammen und starrte dann ins Leere.
„So hat es bei mir auch angefangen“, murmelte sie. „Sei bloß vorsichtig, Sarah! Ich möchte nicht, dass du so endest wie ich.“ Dann schellte die Schulklingel und Aleyna stand auf und ging ohne ein weiteres Wort.
Am nächsten Tag tat sie so, als wäre nichts geschehen. Sie wirkte zu ausgelassen, zu fröhlich. Dieses merkwürdige Verhalten hielt an und ich wusste, dass sie mir etwas verheimlichte. Der Winter kam und der Frühling und dann der Sommer. Wir redeten nicht über ihre verstörende Warnung. Bei der Zeugnisausgabe am Ende des Schuljahres erhielt Aleyna eine Urkunde für immer besser gewordene Leistung. Ich war wahnsinnig stolz auf sie! Ich hatte keine Ahnung, wieso, aber ich fühlte mich für sie verantwortlich. Sie wirkte verletzlich, als würde sie bei erster Belastung auseinanderbrechen. Ich wusste ja, sie hatte sich schon oft geprügelt, und doch…
Die Sommerferien vergingen quälend langsam. Ich fragte mich oft, was Aleyna gerade tat. Sicher lag sie in einer Hängematte und las. Das Wissen um sie und meine anderen Freunde half mir über die Langeweile hinweg.
Endlich begann die Schule wieder. Ich begrüßte meine Freunde und wir lachten und scherzten wie eh und je. Die neuen Siebtklässler waren das Hauptgesprächsthema. Doch ich war nicht ganz bei der Sache. Aleyna war nicht aufgetaucht. Ich hatte Issi gefragt, ob sie etwas wusste, doch sie hatte nur den Kopf geschüttelt und ratlos mit den Schultern gezuckt.
Auch in den nächsten Tagen ließ Aleyna sich nicht blicken. Erst am Montag kam sie. Ich hatte mir das ganze Wochenende Sorgen gemacht, doch alle Sorgen verflogen, als ich sie den Gang hinaufkommen sah. Sie blickte auf den Boden und beachtete nichts um sie herum. Als ich ihren Namen rief, blickte sie auf. Während sie näher kam, fragte ich: „Wo warst du bloß letzte Woche?“ Sie antwortete nicht. Ich lief auf sie zu, um sie zu umarmen. Sie schüttelte fast unmerklich den Kopf. Kurz bevor ich bei ihr ankam, bemerkte ich den leeren Ausdruck in ihren Augen. Ich öffnete die Arme und wollte Aleyna an mich drücken, doch da war nichts! Ich stolperte, fiel nach vorne und konnte mich gerade noch abfangen, bevor ich zu Boden stürzte. Hinter mir stand Aleyna. Sie drehte sich langsam um und sah mich mit traurigem Blick an.
„Ich hab's dir doch gesagt“, flüsterte sie. Dann rannte sie in den Klassenraum. Ich schaute mich hastig um, doch niemand schien etwas bemerkt zu haben... Außer Issi. Sie starrte mit riesigen Augen und weit geöffnetem Mund zu mir herüber. Ich zog sie hinter den Anderen her in den Raum, denn sie war zu einer lebenden Statue geworden. Meine Beine zitterten und mein Herz raste. Was war passiert? Mein Verstand konnte soetwas nicht erfassen.
Am Nachmittag ging ich nicht auf den Hof, sondern rannte auf die Toilette und schloss mich in der hintersten Kabine ein. Sobald ich mich gesetzt hatte, fing ich unkontrolliert an zu zittern. Als ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte, ging ich nach hause. Die letzte Stunde war noch nicht zu Ende, als ich mich auf mein Bett fallen ließ und den Kopf im Kissen vergrub.
In der Mittagspause am folgenden Tag ging ich zu der Bank, auf der Aleyna und Issi saßen. Ich hatte mir am letzten Tag alles nochmal durch den Kopf gehen lassen. Ok, ich war durch Aleynas Körper hindurchgerannt und das war, logisch gesehen, nicht möglich. Aber glaubte ich nicht an Magie? Doch, das tat ich und deshalb wollte ich unbedingt herausfinden, was mit Aleyna vorging. Während ich mich neben Aleyna setzte, musterte ich sie von Kopf bis Fuß und bemerkte, dass ich ganz schwach Issi durch sie hindurchsehen konnte.
„Was war das gestern?“, flüsterte ich. „Was ist dein Geheimnis, Aleyna?“ Da fing Aleyna an zu erzählen: „Es hat genauso angefangen wie bei dir. Träume von den Büchern, die ich gerade las. Doch dabei blieb es nicht! Die Träume wurden immer lebhafter und realer und irgendwann konnte ich mich nicht mehr von den Geschichten losreißen. Ich las jede freie Sekunde und fühlte jedes Mal, wenn ich ein Buch aufschlug, wie ich in die Seiten gesogen und selbst eine Person in der Geschichte wurde. Bald darauf verschwand ich nachts aus meinem Bett, denn die Träume waren zur Realität geworden. Auch am Tag weilten meine Gedanken bei den Welten in meinen Büchern. Erst du hast mich ein Stück weit zurückgeholt. Sarah. Ich fühle...“, sie stockte, „Ich fühle, wie sich meine Seele, mein ganzes Wesen von dieser Welt löst und in den Büchern verschwindet. In den Sommerferien habe ich ununterbrochen gelesen und konnte es nicht stoppen! Es tut mir so furchtbar leid, Sarah. Ich werde bald in dieser realen Welt nicht mehr existieren.“
Issi keuchte leise. Ich starrte Aleyna an. Ihr flehender Blick verriet die Hoffnung, dass ich ihr glaubte. Ich glaubte ihr.
„Ist Ok, Aleyna“, sagte ich leise, „Du solltest loslassen und gehen. Ich denke, dir gefällt es dort, wo du hingehst, besser als hier.“
„Danke“, brachte Aleyna heraus.
In den nächsten Tagen redeten wir wenig. Aleynas Augen wurden immer leerer und ihr Körper immer durchscheinender, als wäre nur noch eine Hülle von ihr vorhanden. Es war mir ein Rätsel, warum keiner in der Klasse ihre Verwandlung bemerkte, doch ich war froh darüber, denn sonst würden sie Aleyna wohl mit Fragen und merkwürdigen Blicken bombadieren. Als eine Woche vergangen war und das Wochenende anstand, saßen wir wieder auf der Bank und Aleyna flüsterte mit dünner Stimme: „Bald ist es soweit.“ Ich wollte sie an der Schulter berühren, zuckte aber zurück, als meine Hand ungehindert weiter in Aleynas Körper eindrang. Nach der Schule ging ich betrübt nach Hause.
Am Montag brauchte ich lange, bis ich Aleyna neben Issi sah. Ich konnte sie nur noch mit großer Anstrengung erkennen. Issi hatte Tränen in den Augen und schluchzte leise. In der Mittagspause ging ich hinunter auf den Hof und sah Aleyna vor der Mauer stehen. Sie drehte sich um, als sie mich kommen hörte. In ihren Augen stand das erste Mal seit langem wieder ein Ausdruck: Erleichterung und große Freude.
„Heute! Heute ist es soweit“, sagte sie, als ich vor ihr stand. Tränen ließen meinen Blick verschwimmen. Ich konnte nicht anders, ich umarmte sie und dieses Mal ging es. Ich spürte ihren warmen, festen Körper und die Tränen liefen mir übers Gesicht.
„Auf Wiedersehen“, flüsterte ich in ihre weichen Haare hinein. Sie schob mich von ihr weg und sie wurde schlagartig wieder ein Schatten ihrer selbst. Sie lächelte mich mit ihrem wärmsten Lächeln an. Eine einzelne Träne befreite sich aus ihren Wimpern und fiel auf den Boden. Plötzlich umhüllte sie dichter weißer Nebel, zusammen mit rotem und gelbem Herbstlaub, das nicht aus dieser Welt stammte. Nach einer Weile löste der Nebel sich auf und die Blätter fielen zu Boden. Aleyna war verschwunden. Ich hob eines der Blätter auf und steckte es in die Tasche. Issi kam mir entgegen. Ich hob ein zweites Blatt auf und gab es ihr. Dankbar drückte sie es an sich und ging durch die große Doppeltür aus der Schule. Dann verließ auch ich den Schulhof. Issi sah ich danach nie wieder, doch Aleyna begegnete mir oftmals in meinen Träumen und zeigte mir die augedehnten Wiesen und Wälder der Welt, in der sie nun lebte. In dieser Zeit schwor ich mir, Aleyna niemals zu vergessen und auch die Botschaft, die sie mir übermittelt hatte, immer im Herzen zu tragen:
Hüte dich davor, die Bücher zum Alltag werden zu lassen, doch liebe sie trotz allem wie einen kostbaren Goldschatz. Denn Bücher sind mehr wert, als alles Gold der Welt.