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Der Feuerschlucker
Es ist seine Passion, Leidenschaft und Wahnsinn zugleich.
Die Flamme züngelt an der Fackel, lodert hell, während kleine im Dunkel der Nacht fast unsichtbare Rauchschwaden in den Himmel steigen.
Er steht da und gleich einem Götzenbild eines griechischen Vorzeigehelden sind seine Arme ausgestreckt, während er in einer Hand die brennende Fackel hält.
Ein Platzsprecher kündigt verheißungsvoll, das spektakuläre Ereignis an, während die Fackel sich langsam und gefährlich nahe dem muskelbepackten Körper des Feuerschluckers nähert.
Würde man am Rande des Geschehens stehen, könnte man wohl kaum einen Blick erhaschen.
Dicht gedrängt und erwartungsvoll, bilden etwa 100 Menschen einen großen Kreis.
Das „Ah“ und „Oh“ der Masse, kündigt allerdings das nahende Szenario an.
Gleich ist es soweit!
Jetzt rollt er effektvoll mit den Augen und mit einem Ruck schiebt er die Flamme in seinen weit geöffneten Mund.
Der Feuerschlucker schließt seinen Mund um ihm gleich darauf wieder zu öffnen und eine große Stichflamme zu entzünden, die er von sich speit.
Tosender Applaus ertönt und der Künstler verbeugt sich artig.
Die Menge lichtet sich rasch und der Künstler steht nun einsam und alleine in der so klaren Sternennacht.
Mit hängenden Kopf und einem Blick der von Trauer spricht, lehnt er sich an eine Zeltplane.
Nur noch wenige Monate bleiben ihm, dann wird ihn das Schicksal einholen.
Er blickt zu den Sternen und fängt an zu weinen.
In diesem Moment ist er ein Held, aber ein geschlagener Held.
Ein Kampf tobt in seinem Inneren und bald wird er nur noch ein Schatten seiner selbst sein.
„Lieber Gott, hilf mir!“ seufzt er ein Stoßgebet zum Himmel und wendet den tränenverschleierten Blick in Richtung Boden.
Er nimmt die Fackel und bereitet sich auf seinen wirklich letzten, großen Abgang vor.
Er taucht die Fackel in eine Flüssigkeit und endzündet sie dann erneut an einer Feuerstelle um dann denn brennenden Stab zu seinem Körper zu führen und ihn zu entzünden.
Er brennt lichterloh und es dauert ein Weilchen bis jemand die dramatischen Ereignisse bemerkt.
Es kommt Bewegung in die Menge und sie versammeln sich wieder im Kreis um der so spektakulären und realistischen Aufführung zu folgen und nichts zu verpassen.
Als der Mann am Boden liegt und keine Anstalten mehr macht aufzustehen meint ein älterer Herr, der es seinem Sohn zuraunt: „Komm wir gehen, das ist einfach nur langweilig.
Auf diesem Jahrmarkt gibt es sicher bessere Attraktionen.“
Als das Dunkel der Nacht über den Feuerschlucker hereinbricht und der Schmerz schier unerträglich wird, hört aus weiter Ferne plötzlich ein mächtiges Donnergrollen und mit einem Mal steht er wieder in der Menge und vollführt einer seiner üblichen Aufführungen.
Eine Stimme flüstert wie aus weiter Ferne: „ Das ist deine zweite Chance, nütze sie gut!“
Er spürt den Regen auf seiner Haut und die Menge ist ihm jetzt völlig egal.
Er lacht und fährt mit seinen klatschnassen Händen durch sein Haar.
Dann packt er seine Utensilien und verlässt mit erhobenen Haupt die staunende Menge, ohne ein Blick zurückzuwerfen. Sein Körper fühlt sich leicht und unbeschwert an und seit langer, langer Zeit spürt er keine Schmerzen mehr.
Die Ärzte werden es später als großes Wunder bezeichnen.
Die wundersame Errettung des Feuerschluckers.
Er weiß es und spürt es tief in seinem Inneren.
Er kennt die Antwort über das Wie und das Warum, doch das behält er lieber für sich, für immer.