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Der Fetisch
Michael runzelte die Stirn. Er stand inmitten eines Ladens, ohne daß er sich daran erinnern konnte, ihn betreten zu haben. Aber es spielte auch keine Rolle, überhaupt nichts spielte eine Rolle. Müde sah er sich um und ließ seinen Blick über die Regale streifen. Ein Haufen alter Bücher und Holzfiguren.
Was sollten die überhaupt darstellen? Er merkte wie sein Verstand versuchte, bekannte Formen hineinzupressen, aber es gelang ihm nicht.
Als er sich zum Verkäufer drehte, um ihn zu fragen, erstarrte er kurz. Ohne das er wußte warum, fühlte er plötzlich, daß er hier eine Antwort finden würde.
''Guten Tag. Willkommen in meinem Laden.'' sagte der Verkäufer.
''Guten Tag.'' antwortete Michael, noch immer etwas verwirrt.
''Womit kann ich Ihnen helfen?''
Unter anderen Umständen wäre es Michael blöd vorgekommen, irgendetwas zu sagen, aber er hatte das Gefühl, daß er in diesem Laden etwas Nützliches finden würde. Deswegen überwand er sich und sagte: ''Ich äh ... also wissen Sie, ich ähm ... haben sie etwas, mit dem ich meine negativen Gedanken und Gefühle loswerden kann?''
Er wollte schon etwas erklärend hinzufügen, als der Verkäufer einfach nickte und dann suchend nach rechts schaute. Er nahm eine Figur vom Regal und gab sie Michael.
''Das wird Ihnen dabei helfen. Nehmen Sie ihn einfach in die Hand und schauen Sie ihn an. Ihre negativen Gedanken und Emotionen werden dann in ihn hineinfließen.''
Mit einem mißtrauischen Blick schaute Michael auf die Figur und dachte: Das funktioniert doch nie. Der Typ erlaubt sich einen Scherz!
Er fühlte die Gedanken und den Zweifel aus seinem Bewußtsein verschwinden.
Seine Augen weiteten sich und er starrte auf den ... was auch immer. Dann fing er an zu grinsen: ''Ich werde verrückt, das Ding funktioniert wirklich! Was soll es kosten?''
Nach einem kurzen Zögern antwortete der Verkäufer: ''Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie dürfen ihn vorerst ohne Bezahlung ausprobieren. Wenn er Ihnen zusagt, dann reden wir über das Weitere.''
Michael wurde misstrauisch. Wo war der Haken? Wer sagte, daß er jemals zurückkommen würde zu diesem Laden? Er schaute abwägend die Figur an ... und fühlte sich leicht. Was dachte er da eigentlich? Käme er nicht zurück, dann wäre es der Verlust des Verkäufers. Und wenn das Ding kaputt ginge, dann könnte er es einfach zurückbringen. Er konnte nur gewinnen.
''Einverstanden. Ich probiere ihn aus und komme zurück.''
''Wunderbar. Wie sehen uns also wieder.''
Michael bedankte sich und verließ den Laden. Nach ein paar Minuten fiel ihm ein, daß er vergessen hatte zu fragen, was das Ding eigentlich darstellen sollte. Dabei übersah er die Kante einer verschobenen Steinplatte und stolperte, konnte aber sein Gleichgewicht nach ein paar Taumelbewegungen wiedergewinnen.
Verdammt nochmal! dachte er und starrte die Steinplatte böse an. Dann fiel sein Blick wieder auf die Figur ... und die Wut verschwand. Aber irgendwie fühlte er sich nur ... leer . Wo zur Hölle blieben die positiven Gedanken?
Und wieder Leere.
Was sollte das?
Und wieder Leere.
Ihm wurde schwindelig. Er bekam Angst, aber die Angst verschwand sofort. Er wurde wütend, aber die Wut verlosch wieder. Er fühlte sich hilflos und verwirrt und dann nichts. Es blieb nur Leere.
Alles drehte sich um ihn und er fiel zu Boden.
Nach ein paar Augenblicken, in denen er einfach gar nichts empfand, wurde er sich dessen bewußt. Seine Arme waren seitlich ausgestreckt und er fühlte deutlich die Form der Figur in seiner Hand, aber er widerstand dem Impuls, seinen Kopf zu drehen und sie anzusehen. Loslassen wollte er sie allerdings auch nicht.
Sein Atem ging noch schwer, beruhigte sich aber langsam. Was war da passiert? Er fühlte, wie er verkrampfte und erst einige Sekunden schmerzhafter Anspannung später wußte er warum. Er fürchtete sich vor der Leere. Aber nichts geschah.
Dann lachte er leise. Anschauen, hatte der Verkäufer ja gesagt. Er merkte, wie sein Kopf wieder zur Seite ging und zuckte alarmiert zusammen. Bloß nicht!
Er stand auf und atmete tief durch.
''Dem werde ich es zeigen!'' knurrte er leise und ging grimmig zurück.
Er sah den Besitzer vor dem Laden stehen und wollte schon loschreien, als ihm das Schild an der Tür auffiel: Für immer geschlossen.
''Geschlossen? Was soll das heißen?'' fragte er stutzig.
''Warum sind Sie zurückgekommen?''
''Um dieses Scheißding zurückzugeben!''
''Ja, das dachte ich mir.'' sagte der Verkäufer traurig.
''Das Ding taugt überhaupt nichts! Ich wollte Frieden, doch stattdessen hatte es mich auf einen verdammten Höllentrip geschickt!''
Der Verkäufer wollte schon zu einer Erwiderung ansetzen, zögerte aber und schloß den Mund wieder. Dann schüttelte er resigniert den Kopf und sagte nur: ''Es spielt keine Rolle mehr. Niemand hat jemals etwas gekauft. Selbst geschenkt wollte keiner etwas haben. Aber diesmal nehme ich ihn nicht zurück, behalten Sie ihn.''
''Ich will das blöde Ding aber gar nicht haben.'' sagte Michael, verwirrt von der Antwort des Verkäufers.
''Dann werfen Sie ihn weg. Vielleicht findet ihn jemand, der es versteht.''
Michael warf dem Besitzer die Figur an den Kopf.
''Klugscheißer.'' murmelte er, drehte sich um und ging, ohne sich noch einmal umzusehen.