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Der Fernseher
„Ich wusste doch, dass er ihr den Toaster auf den Kopf knallt! Ich habe es schon immer gewusst!", amüsierte sich Karl beim Anblick seiner Lieblingsserie in seiner kleinen Flimmerkiste. Man glaubte es kaum, aber dieser überdimensionale und stinkfaule Fettkloß war einmal eine schauspielerische Berühmtheit gewesen ... und heute war davon rein gar nichts mehr zu spüren. Er saß nur noch vor der Glotze und schirmte sich von der Außenwelt ab, von der er ein für alle Mal die Schnauze gestrichen voll hatte.
Plötzlich kam seine Frau ins Zimmer herein und verschränkte die Arme. Sie machte einen ausgesprochen zornigen Eindruck. Davon völlig unbekümmert drehte Karl seinen Kopf zu ihr und lächelte.
„Was kommen heute Abend für Spielfilme?“, fragte er Sarah bereits zum tausendsten Mal, die gerade damit anfing den Schrank abzustauben.
„Du darfst auch mal etwas anderes fragen, du blöder Sack!“
Karl war mit einem Satz aus dem Sessel und fragte: „Warum bist du auf einmal so wütend? Ich hab mit Sicherheit wieder etwas Falsches gesagt!“
„Schlau erraten, du fauler Hund!“, kreischte Sarah. Viel zu viel hatte sie bereits mit diesem gefallenen Star durchgemacht. Ihre Geduld und Ausdauer neigten sich langsam dem Ende.
Karl holte sich derweil die Fernsehzeitschrift vom Tisch und ließ sich dann wieder faul und vollkommen übermüdet in den Sessel fallen.
„Du kannst meinetwegen wütend sein, du doofe Ziege! Interessiert mich doch nicht die Bohne! Ich werfe jetzt einen Blick in die gute alte Fernseh-Zeitung, die mich immer wieder in schlechten Zeiten aufmuntert. Sie hat an mir nie etwas auszusetzen!“
Sarah konnte Karls ständiges Gerede, was nur noch auf den Fernseher Bezug nahm, nicht mehr ertragen! Ihr Blick formte sich zu einem verzweifelten Hilferuf.
„Was starrst du mich so komisch an, du hirntotes Biest?“, brüllte Karl im Sessel, während er sich dabei entspannt ausstreckte und einen lauten Rülpser ertönen ließ. „Ich wünschte, dass ich eine Fernbedienung hätte, mit der ich dich ab und zu ausknipsen könnte!“
Sarah krallte sich an den Küchentisch, riss ihre blauen Augen immer weiter und weiter auf und begann wutentbrannt zu schreien. Karl ließ voller Schreck die Fernsehzeitschrift fallen. Mit solch einer Reaktion hatte er wirklich nicht gerechnet.
„Bist du denn jetzt vollkommen verrückt geworden? Du hättest mir und meiner geliebten Fernsehzeitung einen Herzinfarkt bescheren können!"
Sarah war sonnenklar, dass sie die Atmosphäre in dieser Wohnung nicht mehr lange durchstehen würde. Irgendwann musste sie den Schlussstrich ziehen, um endlich wieder ein menschenwürdiges Leben führen zu können.
„Ich möchte dir eine wichtige Frage stellen", murmelte sie, während ihr gesamter Körper wie wild zitterte.
Karl blickte seiner Frau mitten ins Gesicht und fragte gähnend: „Und die wäre? Ich hoffe, dass es nicht wieder um die Klobürste geht!“
„Nein, keine Sorge ... Sei einfach nur einmal von Grund auf ehrlich, ok? Diese Frage bedeutet mir nämlich alles ... Also ..."
„Meine Fresse! Spuck es schon endlich aus!"
„Habe ich dich geheiratet, damit ich dich die ganzen Tage Fernseh schauen sehe?“
Karl runzelte sich grinsend die Stirn, während seine Augen wieder zur Glotze wanderten. „Eine höchst anspruchsvolle Frage, die du mir da stellst, Baby ... Das muss ich schon zugeben ... Sobald meine Serie ein Ende gefunden hat, werde ich dir eine ehrliche Antwort liefern."
„Nein! Das dulde ich nicht! Entweder beantwortest du mir die Frage jetzt, oder ich verabreiche deiner dummen Glotze einen Tritt, den sie nie vergessen wird!“
„Okay. Schon gut. Aber beruhige dich erstmal ... Um nun zu deiner Frage zurückzukommen: Mir geht das völlig am Arsch vorbei!“
„Wie bitte?“ Sarahs Augenbrauen schossen wie ein geölter Blitz nach oben. „Ist das dein Ernst?“
„Du wolltest eine ehrliche Antwort von mir! Sei also gefälligst zufrieden, du dummes Kalb!"
„Bitte sei vernünftig ... Siehst du nicht, was diese Flimmerkiste mit dir angestellt hat?"
„Mich kannst du beleidigen, aber rede niemals schlecht über den Fernseher!“, drohte Karl, während er seine bereits verschwitzte Hand zu einer festen Faust formte.
„Du bist der allerletzte Dreck ...“, murmelte Sarah, während ein paar Tränen über ihre Wange herunterströmten. Sie war kurz davor endgültig die Fassung zu verlieren.
„Ja, ja! Soll mir recht sein! Verschwinde jetzt endlich!"
Als sich Karls geliebte Serie mit dem Abspann für heute verabschiedete, kam Sarah mit zwei riesigen Koffern angelaufen.
„Anscheinend hast du einen Schlussstrich gezogen.“
„Du bist mal wieder ein schlaues Kerlchen ...“, seufzte Sarah.
„Dir ist aber schon klar, dass du ohne mich untergehen wirst, oder?"
„Ich habe im Gegensatz zu dir soziale Kontakte, die mich in jeder Situation unterstützen!"
Nach einer längeren Pause fuhr Sarah am baldigen Ende ihrer Kräfte fort: „Ich weiß wirklich nicht, was mit dir passiert ist ... Früher war alles perfekt ... Es war der Himmel auf Erden mit dir - doch seit wir diesen verdammten Fernseher haben, ist alles kaputt gegangen zwischen uns! Du hast dich nur noch auf dieses Ding konzentriert und ich wurde immer unwichtiger für dich ..."
„Schweig still!", schrie Karl wie am Spieß.
Aus heiterem Himmel begann die Zeitschrift in Karls Händen wie ein Scheinwerfer hell aufzuleuchten. Vollkommen geschockt ließ er sie zu Boden fallen und versteckte sich wie ein kleines Kind hinter dem Sessel. Eine Stimme ertönte aus dem Fernsehgerät und murmelte: „Ich kann meine Zufriedenheit kaum in Worte fassen. Die Gewissheit, dass ich der Mittelpunkt deines Lebens bin, ist ein unbeschreiblich tolles Gefühl."
„Die Glotze redet …“, kreischte Karl hinter dem Sessel wie ein Bekloppter mehrfach hintereinander. „Das ist der verrückteste Tag in meinem Leben!“
„Nein, mein Freund“, murmelte das Fernsehgerät, „dieser Tag soll dir die endgültige Erleuchtung bringen, dass nur ICH dir alles geben kann, was du dir sehnlichst wünschst! Nutze mich weiterhin – und ich verspreche dir alles Glück dieser Welt!“
Sarah konnte es nicht länger mit ansehen, wie Karl sich vom Fernsehgerät hypnotisieren ließ.
„Dieses Ding ist ein Teufel! Lass es nicht zu, dass es alles kaputt macht, was wir uns über Jahre aufgebaut haben! Bitte ...“
„Aber Sarah …“, stotterte Karl. „Ich weiß nicht …“
„Sieht so aus, als müsste ich eingreifen! Habe ich zwar nicht erwartet, aber egal ...“, kicherte dass Fernsehgerät, während es plötzlich auf Sarah sprang und sie knallhart zu Boden fallen ließ. „Deine Zeit ist schon längst abgelaufen! Endlich ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich dich zur Abwechslung mal ausknipse!“
„NEIN! BITTE …“
„Ach, halt doch einfach die Klappe! Ich hätte dich schon viel früher erledigen können“, gestand der Fernseher, „aber irgendwie hat der Augenblick nie so richtig gepasst."
„Nein! Es reicht!“
Der Fernseher drehte sich überrascht um und murmelte: „Wie war das? Hab ich gerade richtig gehört?“
„Ja, hast du!“
Im selben Moment griff Karl zu seinem Baseballschläger und schlug ohne zu zögern auf das Fernsehgerät ein. „Karl! … Aber was tust du? Sie ist ein Fremdkörper! Und Fremdkörper müssen vernichtet werden!“
„Du bist hier der Fremdkörper“, sagte Karl mit felsenfester Stimme, „und nicht meine Frau!“
„Ach Gott ... wie rührend."
„Ich habe mehr Fähigkeiten, als du glaubst!“
„Du und Fähigkeiten? Du machst dich gerade wirklich lächerlich, du Versager!“
„Versager?“ Mit diesem Wort holte Karl mit dem Schläger zum finalen Schlag aus.
„Fuck … Scheiße! Nein!... Das war doch nicht so gemeint! Verstehst du keinen Spaß?“ Und da schlug Karl noch einmal auf das Fernsehgerät, bis es schließlich seinen Geist aufgab.
„So, das war’s dann wohl…“, schnaufte er erleichtert auf, während er den Baseballschläger fallen ließ.
„Baby …“, lächelte Sarah außer sich vor Glück. „Du hast es wirklich getan … Du hast mir mein Leben gerettet … Und noch viel mehr …“
Karl kniete sich außer sich vor Kräfte zu Boden. Er konnte einfach nicht fassen, was er gerade vollbrachte.
„Ich kann nicht so richtig beschreiben, was mit mir passiert ist …“
„Das ist nicht so wichtig! Wichtig ist, dass du den Weg zur Realität wiedergefunden hast!"
„Ja, das hab ich wohl“, lächelte Karl, während er sich nachdenklich die Stirn runzelte, „aber sag mal, meinst du ... der Fernseher ist wirklich komplett im Arsch?“
Ende