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Der Familientag
Thomas Eisenkern war Vater von zwei Söhnen. Diese nannten sich Peter und Mongolf. Thomas‘ Frau hiess Elisabeth. Die Familie wohnte in einem Dorf nahe einer Grossstadt. Die beiden Söhne gingen noch zur Schule.
Eines Abends kam Thomas von der Arbeit nach Hause. Er war Angestellter im Atomkraftwerk. Seine Aufgabe war es, dort die Herrentoiletten zu reinigen. Zudem half er gelegentlich in der Geschäftsleitung aus.
Seine Frau hatte eine Suppe gekocht. Die Familie setzte sich an den Tisch und speiste.
Thomas sagte: „Meine Söhne, wie geht es in der Schule?“
Peter erwiderte: „Gut.“
Auch Mongolf sagte: „Ebenfalls gut.“
Thomas darauf: „So weit, so gut. Und was hast du heute gemacht, Elisabeth?“
Elisabeth überlegte kurz und sagte: „Ich war einkaufen und habe noch den Haushalt gemacht.“
„Toll“, sagte Thomas. Daraufhin assen sie schweigend, ohne über weitere Themen zu sprechen. Einmal hustete Mongolf kurz.
Am nächsten Morgen schlief Thomas aus, da es Sonntag war. Um punkt 10 Uhr begab er sich ins Esszimmer, wo seine Familie bereits am Tisch sass und auf ihn wartete.
Peter sagte: „Guten Morgen Thomas.“
„Guten Morgen, Peter.“, antwortete Thomas.
Nun sagte auch Mongolf: „Guten Morgen, Thomas.“
Thomas abermals: „Guten Morgen, Mongolf“
Danach sprach Elisabeth: „Guten Morgen, Thomas.“
Thomas erwiderte geschickt: „Guten Morgen, Elisabeth“
Da sie nun vollzählig waren, begannen sie mit dem Frühstück. Thomas ass ein Knuspermüsli mit Beeren. Peter verspeiste ein Nutella-Brot. Mongolf ass ein Croissant. Elisabeth nagte an einer Wurzel.
Etwas später wollte die Familie einen Familienausflug machen. Am Tisch wurden die Vorschläge diskutiert, Thomas führte Protokoll, um im Anschluss die Lösungsansätze auszuwerten.
Thomas sagte: „Ich wäre für den Zoo.“
Elisabeth hingegen meinte: „Ich möchte ins Kino.“
Mongolf entgegnete: „Auch ich bin fürs Kino.“
Schliesslich gab Peter seine Meinung bekannt: „Ich würde gerne ins Freibad.“
Nun wurden die verschiedenen Vorschläge aufgelistet und analysiert, wobei sich nach einiger Zeit herauskristallisierte, dass zwei von vier Personen fürs Kino waren, was einer Quote von 50% entsprach. Da es Winter war, schied das Freibad aus. Nun hing es an Thomas. Dieser überlegte kurz und sagte dann: „Gut, dann gehen wir shoppen.“ Thomas war das Familienoberhaupt, weshalb seine Stimme doppelt zählte.
Nachdem die vier im Einkaufszentrum angekommen waren, stellten sie fest, dass alle Geschäfte geschlossen waren. Thomas grübelte und sagte nach einer Weile: "Wenn ich mich recht entsinne, wollten ja zwei von uns ins Kino." Sein Sohn Peter bestätigte dies, indem er sagte: "Ja".
Die Familie begab sich daraufhin ins Kino. Was niemand wusste: Es lief der neueste Actionfilm mit Bruce Willis in der Hauptrolle, und Thomas mochte keine Actionfilme mit Bruce Willis. Er war eher der Comedy-Typ. Also beschlossen sie, ins nächste Kino zu fahren, etwas ausserhalb der Stadt. Was niemand wusste: Auch dort lief der neueste Actionfilm mit Bruce Willis in der Hauptrolle. Thomas sagte abermals, dass ihm dieser Film nicht behage, worauf die vier wieder nach Hause fuhren. Sie fuhren auf dem Heimweg noch an einer Eisdiele vorbei, an der Thomas allerdings nicht hielt.
Am Abend geschah etwas Merkwürdiges: Am Tisch beim Abendessen stellte Thomas die Frage in die Runde: „Und, wie hat euch der heutige Tag gefallen?“, worauf Peter meinte „Sehr gut“. Auch Elisabeth sagte „Mir hat der Tag gut gefallen“ Doch mit Mongolf’s Antwort hatte niemand gerechnet. Denn dieser sagte: „Scheisse“. Erschrocken liessen die drei restlichen Familienmitglieder ihre Löffel in die Suppe fallen und starrten Mongolf ungläubig an. Dieser lachte verlegen und korrigierte sogleich: „Ich meine natürlich super!“ Und so war wieder alles im Lot. Thomas mochte nicht, wenn etwas nicht im Lot war.
Nach dem Essen setzte sich die Familie gemeinsam vor den Fernseher. Im Wohnzimmer gab es ein 3er-Sofa sowie zwei Sessel. Thomas und Elisabeth nahmen wie jeden Abend auf dem Sofa Platz, während Mongolf und Peter sich auf je einen der Sessel setzten. Im Fernsehen lief dann auch endlich ein Film für die ganze Familie: Ace Ventura, der Tierdetektiv. Das TV-Gerät hatte keinen Ton, da für Thomas die Vermischung von Bild und Ton zu nervös war, und er die Lautsprecher daher hatte ausbauen lassen.
Während des Films verfolgten die vier stillschweigend die Handlung, soweit dies nur aufgrund bewegter Bilder möglich war. Als Mongolf bei einer Szene leise lachte, machte Thomas sofort „Schhhh!“ und gab Mongolf zu verstehen, dass er ruhig sein solle.
Nachdem der Film fertig war, ging die Familie zu Bett. Thomas sagte „Gute Nacht Peter“, worauf dieser antwortete: „Gute Nacht, Thomas“. Im selben Atemzug fügte er hinzu: „Gute Nacht, Mongolf“. Dieser wiederum entgegnete: „Gute Nacht, Peter.“, worauf Thomas die Gelegenheit nutzte und sagte: „Gute Nacht, Mongolf“. Mongolf wiederum gab zurück: „Gute Nacht, Thomas“. Jetzt ergriff Peter abermals das Wort: „Gute Nacht, Elisabeth“. Elisabeth entgegnete nach einer kurzen Pause: „Gute Nacht, Peter“ und fügte hinzu: „Gute Nacht, Thomas.“ Nun war Thomas an der Reihe und sprach: „Gute Nacht, Elisabeth“. Es fehlte nur noch der Gutenacht-Gruss zwischen Elisabeth und Mongolf, und so kam es, dass Mongolf sich wie folgt äusserte: „Gute Nacht, Elisabeth“ Und Elisabeth quittierte: „Gute Nacht, Mongolf“
Im Bett liess Thomas den Tag noch einmal Revue passieren. Sein Psychiater hatte ihm einst dazu geraten, um sich auf die Nachtruhe vorzubereiten. Er dachte noch einmal daran, wie er am Morgen aufgestanden war, und nach dem Stuhlgang geduscht hatte. Anschliessend hatte er sich an den Tisch begeben und mit seiner Familie gefrühstückt. Etwas später hatten sie beschlossen, sich im Kino einen Film anzusehen, was jedoch daran gescheitert war, dass dort kein Film gelaufen war, welcher der ganzen Familie zugesagt hatte. Aus diesem Grund waren sie unverrichteter Dinge zurückgekehrt und hatten zu Abend gegessen, wobei sich Mongolf sehr seltsam verhalten hatte. Doch was soll man sagen, es war schliesslich Mongolf, der war sowieso nicht ganz dicht. Zum Schluss hatte die Familie zusammen einen Film geschaut, in dem ein Mann einem Nashorn aus dem After geklettert war. Auch dort hatte sich Mongolf’s seltsames Verhalten geäussert, als der Junge bei dieser Sequenz unverständlicherweise lachte, obwohl die Familie gerne ungestört den weiteren Verlauf der Handlung gesehen hätte. Thomas beschloss, mit seinem Sohnemann demnächst ein ernstes Wörtchen zu reden oder ihn bei seiner nächsten Sitzung zum Psychiater mitzunehmen. Dem Jungen musste doch geholfen werden.
Dann schlief Thomas friedlich ein. Er ahnte noch nichts von dem actiongeladenen Albtraum mit Bruce Willis in der Hauptrolle, der ihn später heimsuchen würde...