Der falsche Jüngling
Der falsche Jüngling
„Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?“
„Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?“
„Wer hat in meinem Bettchen gelegen?“
„Wer hat das Klodeckelchen herunter geklappt?“
Große Aufregung herrschte im Junggesellenhaushalt der sieben Zwerge, als sie nach zwölfstündiger Arbeit unter Tage in ihr Häuschen zurückkehrten. Da hörten sie aus dem letzten Bett im hintersten Winkel des Raumes ein Schnarchen. Rasch eilten sie zu dem Bettchen und erblickten verwundert einen wunderschönen Jüngling, der dort lag und schlief.
„Seht nur, welch feines und langes Haar der Junge hat,“ rief der Erste.
„Und welch zarte Glieder er hat,“ rief der Zweite.
„Was für ein liebliches Gesicht und rosa Wangen,“ meinte der dritte Zwerg.
„Ach, was mag ihm nur Schreckliches widerfahren sein,“ rief der Jüngste entsetzt, „schaut nur die zwei großen Beulen, die aus seiner Brust hervortreten.“
Da stöhnten alle und empfanden Mitleid mit dem armen Jüngling. In dem Moment erwachte dieser, räkelte sich und erblickte die sieben Zwerge, die vor seinem Bett standen.
„Was starrt ihr mich so an,“ rief er mit heller Stimme, „habt ihr denn noch nie eine Prinzessin gesehen?“
„Eine Prinzessin?“ murmelten die Zwerge, „was soll denn das sein?“
„Ist das etwas zum Essen?“ fragte der Älteste von ihnen und leckte mit seiner Zunge über die Lippen.
„Eine Prinzessin ist eine Prinzessin,“ rief das Wesen aus seinem Bett, „und zum Essen bin ich ganz bestimmt nicht, ihr Strohköpfe!“
Von Stund` an änderte sich nun das Leben der sieben Junggesellen völlig. Die Frau, die von sich behauptete, eine Prinzessin zu sein, was die sieben Zwerge ohne Überprüfung ihrer Personalien bereitwillig glaubten, verlangte von ihnen einen eigenen Raum, da sie unmöglich mit sieben Männern in einem Zimmer leben könne.
„Dies ist unschicklich für eine Prinzessin“, sagte sie und die Zwerge gehorchten. Sie schoben ihre Bettchen enger zusammen und sägten und hämmerten eine hölzerne Wand, um ihr Zimmer vom übrigen Raum zu trennen. Fortan durften die Zwerge niemals mehr ihre von der Arbeit verschmutzte Kleidung über ihre Stühle hängen, sondern sollten diese am selben Abend waschen. Einer von ihnen musste stets zuhause bleiben, um der Prinzessin im Haushalt zu helfen und die Wäsche zu bügeln, den Boden zu wischen oder das Essen zu kochen. Die anderen sechs arbeiteten dafür länger im Bergwerk, da die Prinzessin unzählige Wünsche hatte und das Geld im Hause knapp wurde seit ihrem Einzug.
Die Prinzessin hingegen machte lange Spaziergänge durch den Wald und brachte allerlei Schnickschnack mit, welches sie im Häuschen der Zwerge aufstellte. Bunte Vorhänge schmückten nun die Fenster, im Zimmer blitzte und funkelte es und eine wohlige Wärme breitete sich aus, wenn die Zwerge von ihrer Arbeit spät abends heimkehrten.
War es nun besser oder schlechter geworden als früher?
Die Zwerge wussten darauf keine Antwort. Manchmal murrten sie unter dem strengen Regiment der Prinzessin, dann nahm sie die gusseiserne Bratpfanne und verhaute sie alle nacheinander.
Mitunter aber freuten sie sich auch, in ihr Heim zurückzugehen und in das liebliche Gesicht der Prinzessin zu blicken, während diese sie wüst beschimpfte, mehr Haushaltsgeld forderte oder ihnen von ihren Erlebnissen im Wald berichtete.
Eines Tages jedoch wurde die Prinzessin unzufrieden und klagte: „Nie sagt ihr mir ein liebes Wort. Ich will, dass dies anders wird. Darum sprecht mir alle nach: Dank dir habe ich den Sinn des Lebens gefunden!“
Alle Zwerge stellten sich in einer Reihe vor ihr auf und jeder flüsterte ihr ins Ohr: „Dank dir habe ich den Sinn des Lebens gefunden!“
„Nun sagt mir: Du bist der hellste Stern in meiner dunklen Nacht.“
Und alle Zwerge taten, wie ihnen befohlen.
Doch auch darüber war die Prinzessin nicht lange erfreut und so musste sich jeder auf seinem Weg von der Arbeit selber einen Satz überlegen, welchen er der Prinzessin ins Ohr flüstern wollte.
„Ich sage ihr heute, dass sie die schönste Frau auf Erden ist,“ sprach der Jüngste eines Abends müde.
„Und ich sage ihr, dass ihre Augen wie Sterne am Firmament glitzern,“ bemerkte der Nächste und gähnte herzhaft.
Der Älteste flüsterte: „Und ich sage ihr heute, dass sie eine blöde Kuh ist!“
Da hielten die anderen entsetzt inne und blickten ihn mit großen Augen an. „Sagst Du das wirklich?“
„Hast Du denn keine Angst vor der Bratpfanne?“
Der Älteste setzte sich auf einen Baumstumpf und weinte bitterlich. „Ach, manchmal denke ich, es wäre viel schöner, wenn wir noch das Leben führen könnten, das wir damals hatten.“
Die anderen blickten zum nächtlichen Himmel und dachten an die Abenteuer, die sie vor der Ankunft der Prinzessin miteinander erlebt hatten, an die gemeinsamen Besäufnisse und die Zeit ohne Vorschriften und warme Tränen rannen an ihren Wangen herab.
„Ja, es war eine schöne Zeit,“ sprach schließlich einer von ihnen versonnen, „doch werden wir diese nimmer mehr erleben.“
„Warum nicht?“ fragte der Älteste, „wir müssen sie nur aus unserem Haus hinauswerfen und schon kann alles wieder so wie früher werden!“
„Das schaffen wir nicht,“ bemerkte ein anderer, „sie ist doch viel stärker als wir alle zusammen. Und freiwillig wird sie nie gehen.“
„Nein, freiwillig wird sie nie gehen,“ murmelten die anderen.
„Dann müssen wir uns eben Hilfe suchen,“ beschloss der Älteste, „ich habe da schon einen Plan!“
Am anderen Tag blieb er unerlaubt der Arbeit fern und wanderte zu dem Haus einer alten Hexe, von der er gehört hatte und die große Zauberkräfte besitzen sollte. Als der Zwerg ihr die Geschichte von ihrem Elend erzählte und den Monatslohn aller Sieben auf den Tisch legte, hatte sie ein Einsehen.
„Hier hast du einen vergifteten Apfel. Den gibst du der Prinzessin und sie wird 48 Stunden in einen tiefen Schlaf fallen. Dann könnt ihr mit ihr machen, was ihr wollt!“ sprach die Hexe.
Der Zwerg war begeistert und rasch eilte er zu den anderen, die bereits im Wald auf ihn warteten.
„Wird ihr auch nichts geschehen, wenn sie den Apfel isst?“ fragte der Jüngste ängstlich, als er von der Wirkung des Apfels hörte.
„Die Hexe hat mir geschworen, dass die Prinzessin nur 48 Stunden wie eine Tote schlafen wird. In dieser Zeit können wir sie so weit von unserem Hause fort schaffen, dass sie uns niemals wiederfinden kann.“ Die anderen stimmten freudig dem Plan zu.
Als sie zuhause ankamen, stand die Prinzessin schon wütend im Eingang und schimpfte: „Wo bleibt ihr nur solange! Das Essen ist schon kalt geworden und ich bin fuchsteufelswild. Erzählt mir nur nicht, ihr hättet schon wieder Überstunden machen müssen.“
„Nein, nein,“ rief der Älteste rasch, „wir haben uns nur etwas ganz besonderes für Dich einfallen lassen.“
Sofort stürmten die anderen auf sie zu und flüsterten ihr ganz besonders liebe Sätze ins Ohr. Die Prinzessin klimperte wollüstig bei jedem Wort der Zwerge mit den Wimpern und besänftigte sich langsam.
Als auch der älteste Zwerg ihr seinen Satz ins Ohr geflüstert hatte, blickte er sie an und sprach: „Hier habe ich noch etwas. Eine Bäuerin, die ich zufälligerweise traf, gab mir diesen Apfel für dich mit, mein Augenstern.“
Die Prinzessin schaute erfreut und ohne Argwohn auf den rot glänzenden und saftigen Apfel in seiner Hand, schnappte ihn blitzschnell und biss herzhaft hinein.
Sofort fiel sie in einen tiefen Schlaf. Die Zwerge beeilten sich, sie in einen alten Glassarg zu legen und mit lustigem Pfeifen und fröhlichen Liedern wurde die Prinzessin in den Wald getragen.
Viele Stunden später trafen sie auf ihrem Gang einen Prinzen, der zu seinem Schloss unterwegs war. Der Prinz war so häßlich, dass jeder bei seinem Anblick sofort die Flucht ergriff oder die Augen verschloss, um ihn nicht länger ansehen zu müssen. Auch die Zwerge versteckten sich, als sie den Prinzen erblickten und ließen den gläsernen Sarg samt seinem Inhalt einfach stehen.
Der Prinz schaute neugierig in den Sarg und als sein Blick auf die wunderschöne Prinzessin fiel, weinte er vor Freude, hatte er sich doch schon lange eine Frau gewünscht.
„Auch wenn sie tot ist, so soll sie doch die meine werden, denn eine Bessere finde ich bestimmt nicht mehr,“ sagte er zu sich und nahm die leblose Prinzessin mit auf sein Schloss.
Rasch wurden die Hochzeitsvorbereitungen getroffen und die Prinzessin auf einen Stuhl gebunden, damit sie während der Trauung nicht umfiel. Als der Priester für das frisch vermählte Paar den Segen sprechen wollte, erwachte die Prinzessin aus ihrem Schlaf.
„Oh, wie schön,“ rief der häßlichste aller Prinzen begeistert, „ich habe ja sogar eine lebendige Braut!“ Er küsste und herzte sie voller Leidenschaft. Die Prinzessin jedoch, ihren Bräutigam erblickend, fiel sofort wieder in eine tiefe Ohnmacht.
Der Prinz aber lebte glücklich und zufrieden bis an sein Lebensende und nutzte die Zeit, die zwischen den jeweiligen Ohnmachtsanfällen der Prinzessin lag, um sieben wunderschöne Prinzen zu zeugen.