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Der Fall des Hauses Bragadin
Der Graben zwischen den Amicos und Bragadins ist tief. Jahrhundertealte Vergehen lasten auf den Schultern beider Familien, so dass der gegenseitige Hass sich von Generation zu Generation noch verstärkt hat. Die Zeit der Clankämpfe ist zwar vorbei, dennoch muss Rache geübt werden. Vergeltung war nur eine Frage der Zeit.
Als wir von unserem Informanten, einem Bediensteten der Amicos, erfuhren, dass sie uns unterwandert hatten, waren wir vorbereitet: Wir verriegelten unser Anwesen und schlossen so alle Mitglieder und Bediensteten ein. Während die Befragungen unseres Personals bereits in vollem Gange waren, wurde uns mitgeteilt, dass die Amicos wesentlich gerissener waren: Sie hatten ein Mitglied der Bragadin-Familie durch einen Imitator ersetzt, und das schon seit Jahrzehnten. Eine perfekte Kopie, ein Maulwurf, direkt im Herzen der Unternehmen dieser Familie. Jeder von uns konnte ein Verräter sein. Mit einem Schlag könnte dieser die gesamte Blutlinie für immer beenden und somit Frieden für die Amicos bescheren. Vernichtet von den Amicos? Das würde eine unendliche Schmach über uns Bragadins bringen, die übers Grab hinaus gehen würde. Also versammelten wir uns im Speisesaal. Einem nach dem anderen schaue ich in die Augen: Mutter, Vater, meinem Bruder und meiner kleinen Schwester. Kannte ich auch nur einen von ihnen wirklich? Ich versuche Hass zu entdecken, Scham, Reue, irgendetwas. Doch der Doppelgänger verrät sich nicht so leicht. Wir haben noch nicht über den Ausweg aus dieser Situation gesprochen, doch jedem Anwesenden hier ist klar, was getan werden muss, um die Ehre der Bragadins zu erhalten: Mein Vater holt einen großen Kasten unter dem Tisch hervor, öffnet ihn. Ein Revolver nach dem Anderen wird weitergereicht, bis jeder eine Kanone in den Händen hält. Meine Mutter, die sonst so stark ist, beginnt zu weinen. Mein Bruder legt eine beruhigende Hand auf ihren Arm, sie zuckt verängstigt zurück. Das Schluchzen wird lauter. Mein Vater blickt bedeutungsvoll in die Runde während wir uns die Läufe in die Münder drücken. Er hebt seine freie Hand, zittert stark. Er zählt an seinen Fingern herunter:
Drei,
Warum schaut mich mein Bruder so an? Führt er etwas im Schilde?
Zwei,
Warum ist meine Schwester so in sich gekehrt?
Eins,
Warum kann mir meine Mutter nicht in die Augen schauen? Was verbirgt sie?
Null.
Komisch... Obwohl der Knall der vielen Revolver fast mein Trommelfell hat platzen lassen, ist es das trockene Klicken meines Hahns, das unaufhörlich in meinem Kopf wiederhallt, während ich endlich nach Hause zurückkehre...