- Beitritt
- 20.01.2018
- Beiträge
- 555
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 17
Der Fall des Akrobaten
Auch DU kannst ein Held sein! Hilf mit, MORGEN zu gestalten!
Wie eine Sonne strahlt der Akrobat auf mich herab. Die dunklen Haare sind kurz geschnitten, zwischen den Schlitzen der roten Maske sticht ein Paar blauer Augen hervor. Seine Rüstung strahlt etwas Bedrohliches, Ernsthaftes aus. Unpassend dazu stemmt er die Hände locker in die Hüften und grinst so breit, dass er auch Werbung für Zahnpasta machen könnte.
Ich muss zugeben, die XXL-Poster sind uns gelungen. Wir haben fünfhundert Stück drucken lassen. Viele fleißige Hände haben uns dabei geholfen, sie in der ganzen Stadt zu verkaufen und den Erlös an das Waisenheim zu spenden. Nur ein Exemplar habe ich für mich selbst behalten, aufgehängt über meinem Schreibtisch.
Es ist jetzt ein halbes Jahr her, seit sich meine Freundin von mir getrennt hat und ich aus unserer gemeinsamen Wohnung zurück in den grauen Plattenbau gezogen bin, in dem ich schon zu Studienzeiten gewohnt habe. Der kleinere meiner beiden Räume dient als Schlafzimmer, der andere als alles, was ich gerade brauche. Mein einziges Fenster zeigt mir die vermüllte Gasse zwischen dieser und der nächsten Häuserfassade. Dunkle Tropfen perlen an der Scheibe ab.
Mittlerweile hat sich ein eigenes Franchise um den Akrobaten gebildet. Im Supermarkt verkaufen sie Kekse, Waschmittel und Shampoo, bedruckt mit seinem Emblem, der roten Maske. Kinder quengeln an der Kasse, weil sie eine Packung Sticker für ihr Akrobaten-Sammelalbum wollen. Im Internet gibt es dutzende Fanblogs, die jedes Bild, das der Akrobat auf seinem Account hochlädt, bearbeiten und tausendfach teilen. Sony hat sich rechtzeitig die Rechte gesichert. Jedes Mal, wenn der Akrobat vor die Kamera tritt, steigen ihre Verkaufszahlen.
Und ich sitze hier zwischen meinen hässlichen vier Wänden, fahre mit dem Bus zur Arbeit und frage mich, warum wir nicht zuerst auf die Idee gekommen sind.
Es klopft an mein Fenster. Auf der Feuerleiter kann ich eine verschwommene Kontur erkennen. Ich öffne es und mit einem Schwall Regen springt eine maskierte Gestalt herein.
„Hi, Doc.”
„Guten Abend, Damian.”
Doc ist sein Spitzname für mich. Ich hatte ihm angeboten, mich Thomas zu nennen, aber er hat abgelehnt. Ich kann es verstehen. Schließlich ist es alles andere als cool, seinen Physiklehrer beim Vornamen zu nennen.
Damian greift sich an den Hinterkopf und löst die Schnalle, die seine rote Maske hält, während ich das Fenster schließe. Die Maske habe ich, wie die Handschuhe auch, mit der Overlock meiner Ex selbstgenäht. Die schwarz gefärbte Schutzweste stammt aus einem aufgelösten Militärbestand, die Arm-, Knie- und Schulterschoner habe ich noch aus meiner kurzen Eishockeyzeit. Darüber trägt Damian eine dunkelrote Kapuzenjacke. Seinen grauen Rucksack füllen wir vor jeder Tour mit kleinen Lunchpaketen, die der Akrobat dann an Obdachlose verteilt. Verglichen mit der professionellen Version auf dem Poster ist die echte Rüstung des Akrobaten nicht mehr als ein hässlicher Frack, aber sie erfüllt ihren Zweck. Sogar ein, zwei Schläge kann man damit aushalten. Nur Kugeln nicht.
Mit einem tiefen Seufzer lässt er sich auf mein Sofa fallen. Eine Dreckspur zeichnet seinen Weg.
„Du machst meine Wohnung dreckig.“
„Ich freue mich auch wahnsinnig, Sie zu sehen“, murmelt er erschöpft.
„Hat man dir nicht beigebracht, die Schuhe am Eingang auszuziehen?“, frage ich ironisch. Dann schließe ich die Wohnungstür ab und verhänge das Fenster. Ich habe genug Nachbarn, die auch bei Regen auf der Feuerleiter ihr Gras rauchen.
Schließlich zwinge ich ihn auf und starte mit der Untersuchung seiner Rüstung. Auch wenn der Akrobat in erster Linie nur ein Maskottchen ist, das für unsere Sache Werbung macht, ist er nicht überall gern gesehen. Als ich die Schulterkappen löse, bemerke ich einen tiefen Kratzer im Kunststoff. Der war gestern noch nicht da. Mein schlimmster Alptraum ist, dass sich Damian eines Tages auf einem Streifzug verletzt und ich dafür verantwortlich bin, weil ich aus purer Unachtsamkeit eine Kleinigkeit übersehen habe.
Ich halte die Schulterkappe unter meine Schreibtischlampe. Die Kerbe ist knapp 1,6 Millimeter breit und 0,5 Millimeter tief.
„Ein Streifschuss”, stelle ich fest. „Du weißt doch, dass du dich von Leuten mit Waffen fernhalten sollst.”
„Ich habe sie nicht gesehen.“, entgegnet Damian und stapft zu meinem Kühlschrank. „Haben Sie irgendwo Pepsi?”
„Im Fach unten.”
Es zischt. Die Kugel hat sich mühelos durch den Kunststoff gefressen und dabei einen halben Tunnel hinterlassen. Haltlos baumeln die Fasern in der Luft. Der Preis für das leichte Gewicht der Rüstung ist fehlender Schutz.
Damian zieht sein Handy aus der Tasche und zeigt mir ein Bild. Es ist ein Selfie, von ihm in Maske und mit einem blonden Mädchen.
„Süß, nicht?”
„Hat sie gespendet? Oder wollte sie einfach nur das Foto?“
„Das kommt auf Facebook.” Er sieht wieder auf sein Handy und tippt irgendetwas.
„Damian?”
„Ja, Doc?“
„Hast du noch mehr geschafft, außer Bilder zu machen und Leute auf dich schießen zu lassen?“ Ich bin genervt. Manchmal glaube ich, Damian hält dieses Unterfangen für ein Spiel. Die massige Vermarktung seines Superheldenegos verstärkt das nur noch.
Ich wollte nie einen Superhelden erschaffen. Auf die Probleme der Kleinsten aufmerksam machen, Spenden sammeln, Essen verteilen, Demos organisieren. Präsenz zeigen. Dafür steht das Symbol, die rote Maske, wirklich. Der Akrobat alleine konnte keine Wunder herbeiprügeln, aber er sollte seine Mitmenschen dazu inspirieren, welche zu schaffen. Leider ist das einzige, das wir bisher inspiriert haben, fremde Verkaufskassen. Und davon kommt kein Cent unserer Sache zugute.
Damian holt eine Stoppuhr aus der Tasche und reicht sie mir. „Wie ich Ihnen gesagt habe. Neue Bestzeit. Von Rathaus bis zum Hafen in siebzehn Minuten und dreizehn Sekunden. Ich habe sogar alle Päckchen verteilt.“ Er zeigt mit ein zweites Bild. Darauf zu sehen ist er in seiner Rüstung, zusammen mit einem Kind in einem billig nachgemachten Akrobatenkostüm. Vermutlich aus dem Internet bestellt.
Damians Idee mit der Maske und der Rüstung ist gut, aber wir haben dabei einen entscheidenden Faktor vergessen: Geld. Manchmal glaube ich, meine Mitmenschen sind einfach zu dumm, um die Aussage unserer Arbeit zu verstehen. Für sie ist der Akrobat nicht viel mehr als der Weihnachtsmann oder der Osterhase, ein kundenfreundliches Gesicht, das aus einer eigentlich wichtigen Botschaft Geld macht. Vor dem Merch war alles jedenfalls einfacher.
„Und was machen Sie heute Abend noch, Doc?“, fragt Damian grinsend und blickt sich um. Wenn auch nicht die Rüstung, so gleicht zumindest sein freches Lächeln haargenau dem auf dem Poster. „Sie haben ja geputzt. Störe ich bei einem Date?“
„Nein.“
„Wieso? Läuft es nicht bei den Frauen?“ Er lacht. „Wenn Sie wollen, können Sie ja mal eine Runde mit mir drehen.“
„Nein, danke.“ Damian ist derjenige, der im Rampenlicht steht. Nicht ich. Ich brauche das nicht. „Was ist mit dir? Du hast sicher noch einen Berg an Hausaufgaben zu erledigen.“
Er nippt an der Pepsi. Plötzlich werden seine Augen groß und er hält mir lachend die Dose hin. Auf dem Plastik ist eine rote Maske abgedruckt.
„Doc, sehen Sie mal!“
Ich nicke. „Musst du noch Hausaufgaben machen?“
Er verdreht die Augen.
„Was?“, frage ich. Ich klinge gereizter, als ich will.
„Nichts, Doc. Hatte nur einen langen Tag.“
„Seit wann bist du unterwegs?“
Er holt aus und wirft die Dose in einen Mülleimer. „Seit der Schule.“
„Du bist sechs Stunden lang durch die Stadt gelaufen? Ohne einmal die Rüstung abzulegen?“
Er nickt.
„Verdammt, Damian ich dachte, wir hatten einen Deal.“
„Tue ich doch. Ich kriege genügend Schlaf, gehe zur Schule und esse jeden Abend Spinat.“
„Das meine ich nicht! Wann warst du das letzte Mal im Kino?“
„Da läuft doch eh nur Schwachsinn.“
„Wann?“
Er zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vor einem Jahr, vielleicht. Ist ja auch nicht wichtig.“
Ich reiße ihm die Maske vom Gürtel. „Du vernachlässigst dein Leben!“
„Das hier ist mein Leben.“
„Nein, das ist ein billiger Anzug aus Nylon, Kunststoff und Baumwolle. Der gehört dem Akrobaten, nicht dir, und das sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge! Der Damian, den ich kenne, spielt Basketball, Trompete und geht drei mal die Woche ins Fitnessstudio. Herrgott, wann hast du das letzte Mal deinen Vater besucht?“
Seine Augen meiden den Kontakt, suchen unnachgiebig in den hinteren Ecken meiner Wohnung, scheinen aber nichts zu finden. Er sieht müde aus.
„Mach, dass du nach Hause kommst.“
„Klar, Papa.“ Er gähnt.
„Und morgen nach der Schule gehst du zu deinem Vater.“
Plötzlich macht er einen Schritt auf mich zu. Die blauen Augen funkeln gefährlich und er presst mir den Zeigefinger auf die Brust. „Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst, und erst Recht niemanden, der mit Befehle gibt.“
Ich erwidere seinen Blick. Seine Miene ist hart, die Augen noch härter. Zwei Eiszapfen, die sich mir ins Gesicht bohren. „Das war aber einer.“
„Ich dachte, wir sind Partner. Partner geben einander keine Befehle.“
„Ich schon.“
Damians Sturheit wird einmal sein Untergang sein. Er kann manchmal so eigenwillig sein, dass man ihm zu seinem Besten zwingen muss. Und das besteht nicht darin, Tag und Nacht auf der Suche nach Abenteuern durch die Stadt zu hüpfen und dabei das eigene Leben zu vernachlässigen. Manchmal muss man Schüler eben zum Lernen zwingen.
Damian schnappt sich die Maske und setzt sie auf.
„Was machst du?"
„Ich gehe.“
Ich will etwas sagen, aber schon hat er die Vorhänge beiseite geschoben und ist verschwunden. Seine Schulterschützer liegen noch auf meinem Schreibtisch.
„Dann lauf doch! Lauf einfach davon, so wie du es immer machst!“, rufe ich ihm hinterher.
Die einzige Antwort, die ich bekomme, ist eine frostige Brise, die durch meine Wohnung säuselt und das Poster des Akrobaten von der Wand reißt.
Am nächsten Morgen verfluche ich mich selbst. Wie konnte ich Damian nur so etwas nachrufen? Vor lauter Scham krieg ich nicht einmal meinen Kaffee runter.
Der Tag wird nicht besser. Der Bus verspätet sich um ganze zwölf Minuten. Der würzige Duft eines Currywurst-Bude zieht von der anderen Straßenseite herüber, zusammen mit dem Geruch frischen Regens. Dann bricht der Himmel auf und als der Bus endlich einfährt, hat mich der penetrante Regen bereits eingeweicht wie einen Küchenschwamm. Graues Etwas schwimmt an meinen Schuhen vorbei und die Straße hinunter. Vergessen im Dreck liegt eine Spritze.
Ich kann nicht sagen, wie Damian auf die Idee mit dem Akrobaten gekommen ist. Vielleicht tut er es für seine Eltern. Vielleicht tut er es für sich selbst, weil es ihm nicht mehr reicht, seinen Frust über ihre Trennung mit Sport abzubauen. Vielleicht aber auch, weil ihn das Elend, das zugedröhnt am Straßenrand liegt und tagtäglich vor meinem grauen Plattenbau kotzt, genauso wütend macht wie mich. Wir hatten beide genug vom Zusehen.
Vor zwei Jahren kam er zu mir, knapp sechs Monate, nachdem sich seine Eltern verkracht hatten. Ich kenne nicht alle Details, aber ich weiß, dass Damian nicht mehr bei seinem Vater wohnen darf. Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Die wenigen Male, an denen ich ihn gesehen habe, ist er mir jedenfalls nicht negativ aufgefallen.
Irgendwann hat Damian mich nach einer Unterrichtsstunde abgefangen und gefragt, ob ich Lust hätte, etwas zu verändern. Vielleicht war Ja die falsche Antwort. Ich wollte ihm helfen, Leben zu verändern, nicht, ein Neues anzufangen. Und obwohl es mit dem Akrobaten steil bergauf geht, habe ich das Gefühl, dass wir gegen Mühlsteine kämpfen. Für jeden Euro, den fremde Menschen mit dem Akrobaten verdienen, bekommen wir eine Spende von höchstens einem Cent. Dabei habe ich Damian zum Akrobaten gemacht, nicht sie. Ohne mich wäre er nicht der Star, für den die Leute ihn heute lieben. In gewisser Weise ist der Akrobat mein Werk.
Der Bus ist voll wie ein Stadion. Ich zwänge mich in die Masse an Pendlern und suche Halt an einer der Stangen über meinem Kopf. Der Geruch von Gras und Tabak klebt an meinen Mitmenschen wie Fliegen an Scheiße und angewidert werfen sich alle urteilende Blicke zu.
Der Tag zieht sich wie Kaugummi, bleibt farblos und verliert schnell den Geschmack. Zwischendurch kommt ein Krankenwagen und holt eine Zehntklässlerin ab, die in der Sportumkleide kollabiert ist. Nachher erzählt mir ein Kollege, dass sie in ihrer Tasche Pillen gefunden haben. Meinen zweiten Kaffee heute vergesse ich im Lehrerzimmer. Als ich in der nächsten Pause zurück an meinen Platz komme, ist er kalt und ungenießbar. Frustriert schütte ich ihn in die Spüle und stelle den Wasserkocher an.
„Hey Thomas.“
„Hey Jeff.“ Jeff Smithers ist Musiklehrer, trägt Dreadlocks, einen Wollpulli mit Sandalen und ist der letzte Mensch, auf den ich gerade Lust habe. In seiner Nähe werde ich aggressiv. Ich ertrage es einfach nicht, dass ich fünf Jahre Physik und Chemie studiert habe, nur um im selben Beruf zu landen wie bekiffte Hippies. Sein Kiefer zermalmt Bio-Kaugummis, als wären sie Mörtel, und als er sich eine Kaffeetasse greift, schlägt er mir fast den Arm ins Gesicht.
„Du, Thomas, kann ich dich was fragen?“
„Klar.“
„Damian ist doch in deinem Physik-Lk, richtig? Du weißt schon, die Kante.“ Er spannt seine Spargelarme an und keucht ein hohes, heiseres Lachen.
Ich nicke, den Blick auf das siedende Wasser gerichtet. „Ja. Was ist mit ihm?“
„Er war heute nicht bei der Probe, genauso wie die drei letzten Mittwoche. Eigentlich sollte er im nächsten Stück mitspielen. Aber er hat nicht abgesagt und nimmt auch keinen meiner Anrufe an.“
„Und wieso kommst du damit zu mir?“
„Du bist sein Tutor. Außerdem sehe ich euch doch immer auf dem Gang zusammen tuscheln. Bitte, sei so gut und rede mit ihm. Ohne ihn wird die Besetzung eng.“
Der Wasserkocher blubbert wie ein Hexenkessel. Jeff hält die Tasse in der Hand und sieht geduldig zu, wie ich das Wasser durch den Papierfilter in eine Kanne schütte. Dann gieße ich mir Kaffee ein und murmle eine Antwort in die Tasse, während ich die Kanne greife und verschwinde. Ich kann seinen Blick im Rücken spüren. Ist mir egal. Mir geht es schlecht. Ich bereue es, mich mit Damian gestritten zu haben. Eine Entschuldigung ist wohl angebracht.
Die letzten beiden Stunden habe ich mit meinem Physik-Lk. Meistens kommt Damian kurz nach Ende der Pause mit einem breiten Grinsen herein und zwinkert mir kurz zu, bevor er sich den Rest der Stunde darauf konzentriert, mit seiner Nachbarin zu flirten. Er kann sich so angenehm aufdrängen, dass man es gar nicht wahrnimmt.
Aber heute fehlt er.
„Hat jemand von euch Damian gesehen?”, frage ich zu Beginn der Stunde.
Nur Schulterzucken.
Mein Kopf tut weh. Ich schmeiße eine Aspirin ein und spüle sie mit Kaffee herunter. Dann erzähle ich etwas über den Aufbau eines Geiger-Müller-Zählrohrs, lasse meine Schüler das Ganze von der Tafel abmalen und verschwinde in den Untiefen meiner Gedanken.
Wo ist Damian?
Er hat seine Schulterkappen nicht mitgenommen. Vor meinem geistigen Auge bilden sich dutzende Szenarien, eines schlimmer als das andere. Ich kann den Akrobaten förmlich sehen, wie er auf dem harten Straßenboden liegt und durch seine blutverschmierte Maske leblos in den Himmel starrt. Ich beginne zu schwitzen, klopfe nervös auf das Pult. Allein die Vorstellung macht mich krank. Damian ist mein Schüler, mein Schützling. Seine Sicherheit hat für mich oberste Priorität. Jetzt bereue ich den Streit noch mehr.
Nach Unterrichtsschluss fahre ich zum Krankenhaus. Damian hat auf keinen meiner Anrufe reagiert. Weil die direkte Linie nicht mehr fährt, muss ich zweimal umsteigen. Angeblich hat die Stadt nicht genügend Geld, um den Nahverkehr in Schuss zu halten. Im Bus stehend blicke ich aus dem Fenster und suche nach dem vertrauten Anblick seiner schwarzen Haare und dem Werbelächeln. Stattdessen verfolgt mich die rote Maske. Während der Fahrt zähle ich zwei dutzend auf Werbeplakaten, sieben an den Kellerfenstern unterirdischer Comicläden und fünf Akrobaten-Graffiti.
Der Bus hält, ich steige aus. Um mir herum ragen verspiegelte Glasfassaden in die Luft und verbauen den Blick auf den Himmel. Das Bankenviertel hat seine eigene, einheimische Spezies: Männer mit Anzügen und roten Krawatten, kurzen, braunen Haaren und Aktenkoffern. Hunderte eilen an mir vorbei, in ihrer Hand der Wirtschaftsteil der Zeitung. Ich habe ein paar dieser Klone während des Studiums kennengelernt. Ich kann sie nicht leiden.
Das Krankenhaus liegt nur einen kurzen Fußmarsch entfernt. Ich trete ein und lasse mich vom roten Teppich zum Empfang leiten.
„Guten Tag“, begrüßt mich eine gut gekleidete Dame.
„Hi. Ich würde gerne wissen, ob in den letzten Stunden ein Freund von mir eingeliefert wurde. Der Name lautet West-Wagentreiber.“ Als ich Damian einmal nach der Geschichte seinen Namens gefragt habe, hat er mir erzählt, dass seine Großeltern aus Deutschland und England stammen würden. Sie konnten sich nicht auf einen Nachnamen einigen, also nahmen sie bei der Hochzeit einfach beide an.
Die Dame am Empfang klickt sich durch ihre Datenbank. „Und wer möchte das wissen?“
„Thomas Frank.“
„Aktuell haben wir niemanden unter dem Namen zu Gast.“ Dann hält sie inne. „Doch, warten Sie.“
Mir wird kalt.
„Heute morgen wurde er in die Notaufnahme gebracht.“
Mein Herz schlägt lauter als eine Kirchenuhr. Fast habe ich Angst, es könnte herausspringen. Adrenalin pumpt durch meinen Körper und ich muss mich zusammenreißen, um nicht über den Empfang zu springen und die Dame am Kragen zu packen.
„Wie geht es ihm?“, frage ich. Meine Stimme zittert.
„Ich weiß es nicht.“
„Kann ich ihn besuchen?“
„Nein, tut mir leid. Er wird noch immer operiert. Die Familien sind die Einzigen, die wir nach oben lassen.“ Mitfühlend blickt sie mich an. „Wenn Sie möchten, können Sie im Wartesaal Platz nehmen. Ich sage Bescheid, sobald er auf einem Zimmer ist.“
„Danke“, stammle ich und blicke mich um. An der Wand hängt ein Plan des Gebäudes. Der Wartesaal liegt im ersten Stock. Die Notfallaufnahme ist im Keller, die Radiologie im zweiten Stock und die Orthopädie befindet sich zusammen mit der Unfallchirurgie und der Nuklearmedizin im dritten Stock. Brücken ermöglichen den Zugang zu anderen Krankenhaus-Flügeln.
Ich eile zu den Fahrstühlen. Mit verschwommenen Augen drücke ich die einzige Taste und warte. Ich hole tief Luft und drehe meinen Kopf zu allen Seiten, aber die Gedanken ertränken mich noch immer.
Irgendwann gleitet einer der Türen auf. Noch nie habe ich mich so unglaublich mies gefühlt, nicht einmal, als mich meine Freundin verlassen hat. Mittlerweile glaube ich, dass ich mir mit der Arbeit am Akrobaten selbst am meisten Hoffnung geben wollte. Ich habe es geschafft ohne sie zu leben, aber die schiere Vorstellung eines Lebens ohne den Akrobaten, ohne Damian, fühlt sich so unendlich bedeutungslos an.
Der Aufzug hält im ersten Stock. Ich drücke auf die drei, aber nichts passiert. Stattdessen blinkt ein silberner Schlitz mehrmals rot auf.
Notgedrungen verlasse ich den Fahrstuhl und trete in einen langen Gang. Am Rande stehen leere Metallbetten. Ich blicke mich um, aber ich bin alleine. Die einzige Kamera weit und breit hängt im Aufzug.
Mein einziger Kindheitsfreund, wenn man es so nennen mag, war der Sohn unseres Dorfmetzgers. Ich weiß nicht einmal mehr seinen Namen. Ich hatte keine Kumpels mit dummen Gedanken, die einen dazu zwingen, mutig zu sein. Überhaupt habe ich nicht viele Freunde.
Aber ich habe Damian. Und ich will ihn nicht verlieren.
Zwei Minuten später liege ich im ersten Bett, direkt am Fahrstuhl. Ich habe mir die Decke bis zum Hals gezogen, damit niemand meine Klamotten sieht, und strecke meinen Kopf in alle Richtungen. Noch immer zeigt sich keine Menschenseele auf dem Gang.
Nach ein paar Minuten höre ich schließlich ein surrendes Geräusch, und ein Mann tritt in den Gang. Er trägt einen weißen, ärmellosen Kittel, hat kurze, blonde Haare und den Arm voller Mappen. Er ist jung, nicht viel älter als Damian.
„Wo müssen Sie denn hin?“, fragt er verwundert.
„Etage Drei.“
„Welche Abteilung?“
Mir wird heiß. Ich versuche, mich an den Plan in der Lobby zu erinnern, aber ich habe ihn vergessen.
„Nuklearmedizin“, schießt es plötzlich aus mir heraus.
Der Pfleger sieht mich skeptisch an. „Wo ist ihre Mappe?“
„Die hat der Doktor bereits mitgenommen. Er meinte, man würde jemanden schicken, der mich dann nach oben bringt.“
„Wann war das?“
„Vor zwanzig Minuten.“
„Und keiner ist gekommen. Natürlich.“ Seufzend zieht er das Bett in den Fahrstuhl. Dann holt der junge Mann eine Karte aus seiner Tasche, zieht sie durch den Schlitz und drückt, endlich, die drei.
Das Licht schaltet auf grün. Der Fahrstuhl bewegt sich.
Eine paar ängstliche Sekunden später öffnen sich die Türen erneut und ich werde in den gleichen, eintönigen Gang geschoben. Auch hier parken Krankenhausbetten an der Wand. Der Pfleger dreht das Bett nach links und folgt dem Korridor. Hier hört mein genialer Plan auf. Ich könnte aus dem Bett springen, den Pfleger mit der Schulter rammen und verschwinden, bevor er auf den Beinen ist. Sie würden Alarm schlagen und das ganze Krankenhaus absuchen. Vermutlich werden sie mich verklagen.
Aber das ist egal, solange ich es zu Damian schaffe.
Schließlich halte ich vor einer großen Glastür. Die Nuklearmedizin ist ein eigener Bereich, von der Außenwelt abgeschottet. In der Wand ist ein roter Knopf eingelassen. Der Pfleger drückt ihn. Ich mache mich bereit, aus dem Bett zu springen.
Nichts passiert.
Er stöhnt und hämmert noch einmal drauf, aber das Ergebnis bleibt dasselbe. „Bitte, nicht schon wieder.“
„Was ist?“, frage ich.
„Keiner da.“
„Wie, keiner da?“
„Na, es ist niemand in der Radiologie. Kein Arzt anwesend.“
„Aber der Doktor sagte-“
„Ja ja, ich weiß.“ Gestresst fährt sich der Pfleger mit der Hand durch die Haare. „Wir haben nicht genügend Personal für alle Stationen, deswegen verschieben sie die Kräfte nach Bedarf. Vermutlich hat der Doktor ihren Termin einfach vergessen. Ich laufe herunter zur Lobby und sage Bescheid. Geben Sie mir fünf Minuten.“
Kaum ist er weg, befreie ich mich aus der Decke. Ich greife das Bett und ziehe es hinter mir her, bis ich wieder in dem Korridor mit den Aufzügen stehe. Dann stelle ich es an das Ende der Schlange und verschwinde.
Ich werde nervös, falle in einen leichten Trab. Noch immer sind die Gänge menschenleer. Hin und wieder sehe ich Pfleger, die Rollstühle und Betten durch die enge Korridore zwängen, aber ich bin der einzige Mensch, der kein weiß trägt.
Schließlich endet der Gang in einer Doppeltür. Eine Frau in grüner Kleidung steht an einem geöffneten Fenster und raucht eine Zigarette. Als ich näher komme, mustert sie mich kritisch. „Was wollen Sie denn hier?“
„Ich gehöre zur Familie.“
„Ja, sicher. Name?“
„West-Wagentreiber.“
Sie seufzt, schmeißt den letzten Rest ihrer glühenden Zigarette aus dem Fenster und bedeutet, mir zu folgen. Hinter der Tür liegt ein Warteraum, mit einer Bank und einem kleinen Blumentopf. Auf einem Fernseher wird der Operationsaal übertragen. Mehr Menschen in grünen Kitteln eilen herum, reichen sich gegenseitig Werkzeuge und versperren den Blick.
„Wie geht es ihm?“, frage ich.
„Darf ich ehrlich sein?“
Ich nicke.
„Er wird es nicht packen.“
Für einen Augenblick erkenne ich im Zentrum des grünen Sturms einen Tisch. Was einst einmal ein Mensch war, ist jetzt nicht mehr als fleischige Masse. Der linke Arm ist unnatürlich verdreht, das Bein von Knie bis Fuß aufgerissen. Dem rechten Bein fehlt der Fuß, vom rechten Arm ist nur noch die Schulter über. Damians Gesicht haben die Ärzte mit einem weißen Tuch abgedeckt. Das Blut ist durch den Stoff gedrückt und hat eine Karte hinterlassen.
Ich habe keine Worte. Hilflos stehe ich vor den Trümmern meines Versprechens. Es ist passiert. Mein Alptraum, mein persönlicher Horror Nr. 1, das schlimmste Schicksal, das ich je für möglich gehalten habe, ist eingetreten. Der Akrobat ist gefallen.
„Was ist passiert?“, stammle ich. Langsam verschwimmt Damians Anblick in der Unschärfe meiner Tränen. Wir sind nicht einmal im Guten auseinandergegangen.
„Er wurde heute morgen überfahren. Zweimal, an einer Ampel. Die genauen Umstände kenne ich nicht, aber er wurde von einem Motorrad gestreift und auf den Boden geschleudert. Hinter dem Motorrad war ein Lkw.“
Ich unterdrücke den Drang zu kotzen, aber es gelingt mir nicht. Genervt zieht mich die Ärztin vom Bildschirm weg und auf die Bank.
„Na toll. Bleiben Sie hier und nehmen Sie gefälligst den Topf, falls Sie noch einmal müssen. Ich hole jemanden mit einem Aufnehmer.“
Sie verschwindet.
Ich zittere am ganzen Körper. Die ersten grünen Kittel verlassen den Saal, benutzte Instrumente werden zur Seite gelegt und zum Reinigen gebracht. Nach und nach leert sich der Raum. Schließlich beginnen die verbliebenen Ärzte damit, Damians Überreste zusammenzulegen, und einer von ihnen nimmt das Tuch vom Gesicht.
Es ist nicht Damian, der da auf dem Tisch liegt.
Es ist sein Vater.
Ich stürme aus dem Raum, durch den Korridor und zurück zum Aufzug, während mich die weißen Wände mit ihren Blicken hämisch verfolgen. Lautlos lachen sie mich aus.
Zurück nehme ich die Treppe. Als ich endlich in der Lobby bin, renne ich nach draußen. Rot spiegelt sich die Sonne in den Glasfassaden und taucht den Platz in ein sanftes Abendlicht. Von der anderen Straßenseite weht der Duft chinesischen Essens herüber, aber ich habe keinen Hunger. Mittlerweile sind die meisten Schlipsträger verschwunden. Stattdessen bemerke ich, dass auf dem Platz ungewöhnlich viele Kinder sind. Ein blasser Junge läuft an mir vorbei und als mein Blick ihm folgt, glaube ich zu träumen.
In einer Meute aus aufgeregt rufenden Kindern steht, selbst am lautesten lachend, der Akrobat und verteilt Autogramme.
Damian kommt am nächsten Tag nicht zur Schule, und auch nicht an dem danach. Keinen Anruf nimmt er ab, egal, wie oft ich es versuche. Er beantwortet nicht einmal meine Nachrichten. Nach dem elften Versuch gebe ich auf.
Es ist Freitagnacht. In den Clubs feiern die Mitmenschen, als gäbe es kein Morgen. Zu meinem Verdruss hat vor ein paar Wochen ein Neuer aufgemacht, direkt in meiner Nachbarschaft. Pausenlos pumpt die Anlage mein Zimmer voll wie ein Planschbecken und als ich kurz die Nase aus dem Fenster halte, sehe ich auf der anderen Straßenseite einen Streifenwagen. Blaues Licht erhellt die Straße.
Gestern sind neue Flyer gekommen, zweitausend Stück. Ich habe das Paket aufgerissen und den gesamten Inhalt in meinen Müll geschüttet. Das Poster des Akrobaten liegt noch immer auf dem Boden. Auf meinem Schreibtisch steht eine leere Flasche Ahorn-Whiskey. Eigentlich ist sie etwas Besonderes, ein Geschenk meiner Ex aus Kanada, aber es ist der einzige Alkohol, den ich im Haus habe. Dabei ist mir nicht zum Feiern. Ich will nur meinen Kopf betäuben. Der Anblick von Damians Vater geht mir nicht aus dem Kopf.
Plötzlich springt etwas Rotes durch mein Fenster. Ich habe vergessen, es wieder zu schließen.
„Hey. Tut mir leid, dass ich noch so spät vorbeischaue.“ Damians Blick fällt auf das Glas in meiner Hand. „Wow. Sie trinken?“
„Was willst du hier?“
„Was?“
„Erst verkriechst du dich tagelang, schwänzt die Schule und beantwortest keinen meiner Anrufe. Du weißt ja nicht, was ich mir für Sorgen gemacht habe. Und dann platzt du einfach hier herein und tust so, als wäre nichts gewesen?“
„Ich war krank.“
„Ich habe den Akrobaten gesehen. Vor dem Krankenhaus.“
Sein Mund öffnet sich. Dann, ohne ein Wort, stapft er zum Kühlschrank und nimmt sich eine Pepsi.
„Wann hast du das letzte Mal deine Eltern gesehen?“
„Keine Ahnung. Ist doch egal.“
„Dein Vater ist tot.“
Seine blauen Augen fixieren mich. Sein Mundwinkel ist schief, zu einer Frage verzehrt. Dann beginnt er zu lachen. „Scheiße, wie besoffen sind Sie? Haben Sie Halluzinationen?“
„Ich habe ihn noch besucht. Im Krankenhaus. Er wurde Mittwoch überfahren. Ich dachte, du wärst es. Damian ich dachte, du wärst gestorben!“
Er schüttelt den Kopf. „Sie sind ein verdammt schlechter Lügner, wissen Sie das? Ich glaube eher, Sie wollen mich einfach loswerden.“
„Smithers hat mir erzählt, dass du nicht mehr zum Orchester kommst.“
Damian zuckt mit den Schultern. „Weiß nicht. Kein Bock.“
„Du bist süchtig nach dieser Maske.“
„Ach was.“ Dann entdeckt er meinen Mülleimer und beginnt zu lachen. „Sind das die Flyer?“
„Wir wollten das zusammen machen. Der Akrobat, dass sind wir beide, Damian. Du brauchst mich.“ Ich hasse sein Lachen. Ja, der tolle Damian, für ihn ist alles nur ein Spiel. Natürlich. Aber für mich nicht. Mir bedeutet unsere Arbeit etwas.
Er lacht wieder. „Nein, nein. Ganz sicher nicht.“
„Doch. Und weißt du, wieso?“
„Warum?“
„Der Anzug, der stammt nicht von dir. Er ist von mir! Ich habe dich zum Akrobaten gemacht! Ohne mich wärst du nichts, ein Niemand!“
„Der einzige Niemand hier sind Sie!“ Als er merkt, dass er geschrien hat, verzieht er das Gesicht. Seine Stimme wird leise. „Sehen Sie sich doch nur einmal an, Doc. Mitte Dreißig und keine Freundin, aber noch immer in der alten Studentenwohnung. Keine Freunde, keine Hobbies. Scheiße, das ist ihr Leben? Kein Wunder, dass nichts funktioniert. Es tut weh, Sie so zu sehen. Wissen Sie, was ich glaube? Was der Grund ist, warum Sie so einen Schwachsinn über meinen Vater erzählen? Sie sind neidisch.“
„Niemals.“
„Ach ja?“ Er streckt die Arme aus und grinst. „ Das hier ist es doch, was Sie immer wollten, oder? Das ist doch der Grund, warum Sie mir zu helfen. Jedes Mal, wenn die Menschen mich sehen, wollen sie ein Foto, mit mir, einem Fremden! Scheiße, sie lieben mich, als wäre ich ihr Gott! Und Sie? Sie sitzen alleine in ihrer hässlichen Wohnung, betrinken sich und versuchen, mich mit einer billigen Lüge wegzuschicken, damit Sie sich ihre Welt weiter schön saufen können.“
„Du bist ein aufmerksamkeitsgeiler Idiot, der denkt, dass sich die Welt nur um ihn dreht!“
„Und Sie ein menschenfremdes Arschloch, das sein Leben nicht unter Kontrolle hat!“
Ich schlage ihn ins Gesicht. Fassungslos starren wir beide uns an, überrascht über das, was gerade geschehen ist. Langsam fährt Damian mit der Hand zum Mund. Seine Lippe ist aufgeplatzt, Blut läuft ihm über die Finger.
Mit aller Kraft werfe ich mich gegen ihn und schmeiße ihn um. Dann trete ich auf ihn ein, auf seinen Bauch, auf den Arm, auf das Gesicht. Aber er trägt noch immer meine Rüstung und bevor ich ihn ernsthaft verletzten kann, hat er sich bereits aufgerappelt und mich mit einem Tritt gegen die Schreibtischkante befördert.
Mein Rücken biegt sich vor Schmerz. Langsam kommt Damian auf mich zu, die schwarze Frisur vollkommen zerzaust.
Ich hasse ihn. Ich will ihm weh tun, ihn verletzten, ihm das arrogante Lächeln aus dem Gesicht boxen. Damian ist alles, was ich nicht bin, und das bringt mich zum Rasen.
„Doc, das reicht jetzt.“
Ich greife die leere Glasflasche von meinem Schreibtisch und werfe sie. Sie trifft Damian an der linken Schulter, genau dort, wo die fehlenden Schoner sitzen sollten. Schmerzhaft verzieht er das Gesicht und spuckt auf meinen Fußboden. „Das ist dann wohl das Ende unserer kleinen Partnerschaft.“
„Verschwinde aus meinem Leben! Ich will dich nie wiedersehen, hast du verstanden? Nie wieder! Oder ich bringe dich um!“
Schweigend klettert Damian auf die Feuerleiter. Er hat bereits die Hände an der Metallstange, als er innehält und sich noch einmal zu mir umdreht. „Meinen Sie das mit meinem Vater ernst?“
„Fahr zur Hölle!“
Er verschwindet.
Es wird still in meiner Wohnung. Die Glasflasche liegt auf dem Boden, zerbrochen in eine Million Splitter. Erst jetzt bemerke ich, dass keine Musik mehr durch das Fenster tönt. Auch das Blaulicht ist verschwunden. Ich schließe es und setze mich wieder in den Stuhl, in dem ich bereits den ganzen Abend sitze. Das Poster des Akrobaten, mittlerweile begraben unter einem feinen Hauch Staub, liegt noch immer auf dem Boden. Ohne sein bleiches Papier haben meine Betonwände endgültig an an Farbe verloren.