Lieber Aurel,
ich habe mal versucht, den Inhalt deines Textes zu erfassen:
Ein gut gekleideter Mann bewegt sich unter Menschen, die zum Aufzug streben. Er ruft den Aufzug. Dort macht er Platz für die anderen, steht fest auf dem einmal gefundenen Platz, wird aber plötzlich unsicher, muss sich vergewissern, wie spät es ist. Seine Verunsicherung steigert sich, als die anderen aussteigen und er sich fragt, ob er auch hätte aussteigen müssen, bereut seinen Entschluss nicht ausgestiegen zu sein, ist erschreckt und zittert. Aber er überspielt seine Unsicherheit und steigt im Erdgeschoss aus.
Deinen Antworten auf die Kommentare entnehme ich, dass du deinen Text als metaphorischen verstanden wissen möchtest, also als ein Gleichnis oder eine Parabel. Damit müsste dein ‚Fahrstuhl’ ja auf etwas eigentlich Gemeintes verweisen. Der Fahrstuhl als Sinnbild für Situationen, in denen wir uns in Gesellschaft anderer befinden, uns an ihrem Verhalten orientieren, unsicher werden, wenn wir uns nicht so verhalten wie sie, aber mit der Zeit lernen, diese Unsicherheit zu überspielen, zu kaschieren.
So verstehe ich deine kleine Geschichte, aber so erklärt sie mir der Autor ja auch (nicht nur in deinem Kommentar) an ihrem Ende:
In all den Jahren hatte er sich gar die Kunst angeeignetK seine Unsicherheit zu kaschieren. Man hätte sagen können, dass er fast schon Talent darin besaß.
Lieber Aurel, ich finde, du hast eine gute Idee gehabt, sie aber – immer vorausgesetzt ich interpretiere deinen Text richtig - für mein Empfinden ein bisschen zu hastig umgesetzt. Ohne deine Erklärungen in deinem Kommentar erschließt sich mir nämlich vieles nicht. U.a. die Sache mit der Sonne:
Draußen war die heiße Mittagssonne hinter einer dicken Schicht aus Wolken verdeckt.
Die Sonne, welche die Intensität des Mittags bereits längst verloren hatte, verschwand nun hinter einer kleinen Wolke, die eine scheinbar absurde Form hatte.
Die Sonne war kurz davorK wieder hinter den Wolken hervorzukehren.
Auch die Sonne kam jetzt wieder hervor und die Strahlen krochen seine Schultern hoch, ehe sie ihn erhellten.
Dein Kommentar zur Widersprüchlichkeit der Aussagen:
Hier liegt ein klarer Widerspruch vor zuerst wird gesagt, dass es eine heiße Mittagssonne ist und danach wird direkt gesagt, dass die Sonne die Intensität des Mittags "längst" (!) verloren hat. Hierdurch kann der Leser darauf schließen, dass es sich, um eine personale Erzählung aus Sicht des Protagonisten handelt. Dieser Protagonist scheint aber in irgendeiner Weise zu spinnen. Kurz um ist seine Erkenntnis eingeschränkt und die Aussagen, die er im ersten Abschnitt trifft, haben nicht viel mit der Wahrheit zu tun.
Du verkaufst mir die Widersprüchlichkeit hier als gewollt. Nur teilt sich mir das beim Lesen in keiner Weise mit. Ich erkenne nicht, dass sich das im Bewusstsein des wirren Protagonisten so abspielt, sondern bekomme es in deinem Text als Tatsache vorgestellt. Das geht so mMn nicht.
Und auch die Bedeutung der Sonne
als klassisches Motiv für die wahre Erkenntnis
ist unbestritten. Aber was soll das hier in deinem Text? Wo ist der Zusammenhang?
Gerade, wenn es sich um einen metaphorischen Text handelt, muss man bei der Wahl der Wörter, der Sätze und der Bilder mMn sehr genau sein, die Bilder müssen in den Rahmen passen und ihre Aussage und ihren Stellenwert im Gesamtzusammenhang finden.
Wie schon gesagt, die Grundidee deiner Geschichte finde ich nachdenkenswert, aber bei der Ausführung bist du für mein Empfinden zu schnell gewesen, da ist einiges zu sehr mit der heißen Nadel gestrickt. Mir fehlt eine klare Linie der Ausführung der Idee und Eindeutigkeit bei der Wahl der einzelnen (wie du sagst: metaphorischen) Elemente. Das funktioniert nicht, wenn der Autor 'nachliefern' muss. Der Wert einer guten Parabel misst sich u.a. auch daran, dass der Leser die Bedeutung und Aussage ihrer Bilder ohne Hilfestellung des Autors erkennt.
Noch ein paar Kleingikeiten:
Der Fahrstuhl war aus Glas und es war möglichK ihn und die anderen von außen zu sehen.
Er versuchteK die Ruhe zu bewahren.
Doch es war bereits zu spät. Er blieb vollkommen verunsichert stehen und bemühte sich(,) um Halt.
In all den Jahren hatte er sich gar die Kunst angeeignetK seine Unsicherheit zu kaschieren.
Die Sonne war kurz davorK wieder hinter den Wolken hervorzukehren.
Als sich die Türen öffneten, war er fest entschlossenK aus der Tür zu treten.
Und noch etwas: Wenn ich richtig gezählt habe, so kommt das Wort ‚Fahrstuhl’ mindestens vierzehn mal in deinem kurzen Text vor. Du wirst mir möglicherweise sagen, dass du das als Stilmittel betrachtest. Aber dann würde ich doch fragen, was du damit bezweckst. Das teilt sich mir leider nicht mit. Ich als Leser weiß nach deinen Anfangssätzen sehr klar, dass sich dein Protagonist dort befindet, in diesem abgeschlossenen Raum, in dem er in der Masse aufgehoben, aber gleichzeitig ohne sie auch verunsichert ist. Ich finde, auch hier hast du es dir mit der Wortwiederholung sehr einfach gemacht.
Und nebenbei: Auch die Größe des Fahrstuhls scheint mir in deinem Text widersprüchlich.
Er machte Platz für die Masse und ging bis ans Ende des Fahrstuhls.
Da würde dieser kleine Fahrstuhl nun keinen mehr Unterschied machen können. … Der kleine Fahrstuhl schloss die Türen und setzte sich in Gang.
Bitte antworte mir jetzt nicht wieder, dass sei die subjektive und personale Sicht deines wirren Protagonisten. Was ich lese, sind Behauptungen (des Autors).
Fazit: Die Grundidee deiner Parabel ist gut, die Ausführung leider nicht immer sorgfältig und gut durchdacht.
Doch bei allem, lieber Aurel: Dies hier ist nur meine Meinung. Sie hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Und in diesem Sinne begrüße ich dich bei den Wortkriegern.
Liebe Grüße
barnhelm