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Der Fahrstuhl
Eines Tages, als ich wieder in diesen Fahrstuhl einstieg, bemerkte ich das Bild an der Wand in meiner Augenhöhe. Es war eine simple Sonnenblume. Mitten im Winter schaute sie mich freundlich an und erwärmte mein Herz. Beim Aussteigen drehte ich mich noch mal zu ihr um und lächelte sie an. Es sah so aus, als ob sie mir freundlich antwortete. Demnächst würde ich diesen Fahrstuhl ganz bestimmt mit Freude wieder nutzen.
Und am nächsten Mal sah ich, diese simple Sonnenblume tauchte hier nicht einfach so auf, sie hatte eine Bedeutung. Das Bild verdoppelte sich. Ja, ja, neben der Sonnenblume erschien eine Zweite, genau, der Ersten, gleiche.
Was mag das wohl sein, überlegte ich. Womöglich war es ein Herz, das seine Zuneigung auf so eine Art und Weise ausdrücken wollte. Auch das löste ein Lächeln auf meinem Wintergesicht aus.
Dass ich nicht ganz unrecht hatte, zeigte sich etwas später. Auf einer Sonnenblume stand eines Tages, mit dem Kugelschreiber gezeichnetes, kleines „Danke!“ und ein lächelnder Smiley dazu. In meinen Fantasien war es ein „Er“ und ein „Sie“, die zu einander suchten. Ich freute mich für die Beiden. „Er“ wagte es und „Sie“ antwortete. Wahrscheinlich versteckte sich hinter diesen Sonnenblumen eine Liebesgeschichte, die gerade ihre Entwicklung begann.
Voller Erwartungen nutzte ich diesen Fahrstuhl weiter. Meine Neugier ließ sich nicht aufhalten. Ich suchte ein Zeichen, wie diese Geschichte sich wohl entwickeln mochte. So ein Zeichen kam aber nicht.
Eines Tages, als ich wieder diese Sonnenblumen sah, ging meine Hand langsam in die Tasche, um den Kugelschreiber rauszuholen. Ich konnte sie aber rechtzeitig stoppen. Die Intimität einer Zweisamkeit sollte mit meinen Bemerkungen nicht gestört sein worden.
Dass ich nicht die Einzige war, die diesen Fahrstuhl nutzte, musste ich etwas später feststellen. An einer Ecke, der geheimnisvollen Bilder stand, von fremder Hand Geschriebenes: „Is das ne schönes Blümchen!“, und etwas tiefer: „Ja, ein suppi Blümchen!“. Das konnte ich nur bedauern. Jemand hielt seine Hand mit dem Kugelschreiber nicht auf. Jemand mischte sich in diese Intimität ein…Die Bilder sahen nicht mehr nach geheimnisvoller Freude aus...man hat sie einfach befleckt…
Und noch beim nächsten Mal, als ich in den Fahrstuhl wieder einstig, gab´s kein freundliches Lächeln zweier Sonnenblumen mehr, sie waren verschwunden.