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Der Führerschein

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15.06.2014
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Der Führerschein

Wie ein Geier starrte der dürre Mann mit den durchdringenden Augen Isidor an. Der fühlte, wie er immer kleiner wurde, während der Mann ihm die Hand schüttelte und dabei fast zerquetschte. Die Äuglein des Mannes blitzten wütend. Isidor schrumpfte noch weiter. Eine Frau stieg mit ihrer Handtasche aus dem Auto, grüßte ihn mit einem Nicken, flüsterte „viel Glück“, und machte, dass sie davon kam. Sehr niedergeschlagen wirkte sie.
„Sie meint es nicht“, durchfuhr es Isidor. „Sie hat es nicht geschafft, nun soll es auch kein anderer hinbekommen.“ Aus dem Fenster in Café gegenüber blickte ein ganzes Rudel ängstlicher, neugieriger Augen ihn und das kleinäugige Monster an – die Prüflinge, die nach ihm dran wären.
Heute Abend sollte es losgehen, zum Wochenendausflug mit seiner Freundin. Und danach in den neuen Job, als Installateur. Aber zwischen Isidor und seiner Zukunft stand der dürre, miserabel gelaunte, händezerquetschende Kerl. Isidor blickte zu ihm auf und versuchte, seine Panik zu verbergen. Dabei konnte er den eigenen Angstschweiß riechen.
Seit Monaten plagte er sich in der Fahrschule. Zweimal war er durchgefallen. Das erste Mal gestand er seiner Freundin niedergeschlagen. Beim zweiten Mal stand, als er nach Hause kam, Champagner auf dem Tisch, es duftete betörend aus der Küche und sie sah umwerfend aus. „Na, dieses Mal hat es geklappt, oder?“, fragte sie, eher beiläufig und drückte ihm einen roten Umschlag mit Goldschrift in die Hand. „Endlich Führerschein!“ stand auf dem Umschlag, drinnen war die Buchung für ein Hotel am See und für einen Mietwagen. Ein riesiger Kloß steckte plötzlich in Isidors Hals. Einmal durchfallen, klar, das kam vor. Aber zweimal? Sie sah ihn gespannt an. Isidor nickte. Er bemühte sich verzweifelt um ein Lächeln. „Ja“, sagte er, „ich habe es geschafft.“ Er küsste sie, damit sie ihm nicht ansah, dass er log.
In seinem Vorstellungsgespräch kam Isidor nicht einmal die Idee, zuzugeben, dass er den blöden Führerschein noch nicht hatte. Ohne Fahrerlaubnis kein Job, so einfach war das. In vier Tagen sollte es losgehen. Dies hier war seine letzte Chance.
„Dann ab ins Auto!“, sagte das Monster. Isidor schob sich auf den Fahrersitz und stellte ihn ein. „So“, flüsterte er.
„Sie fahren nach links aus dieser Straße raus, dann nach 200 m rechts!“
Isidor legte den Gang ein und ließ die Kupplung kommen.
„Haben Sie verstanden?“, frate das Monster mit schneidender Stimme. Isidor erschrak und ließ die Kupplung los. Das Auto sprang mit einem Satz nach vorn und ging wieder aus. Ein lautes Stöhnen auf der Rückbank folgte. „Ich erwarte eine Rückmeldung, wenn ich mit Ihnen spreche, ist das klar?“ Woher hatte das Monster bloß diesen Ton? War er Prüfer bei der Bundeswehr? Vielleicht wegen schlechten Benehmens unehrenhaft entlassen? Isidor reichte es.
„Jawoll, Herr General!“, antwortete er.
Er sah in den Rückspiegel, dem Monster direkt ins Gesicht. Der Prüfer wirkte überrascht. Er schnappte nach Luft, als wolle er gleich losbrüllen. Aber er blieb stumm.
Isidor fuhr los. Nach links aus der Straße raus, dann immer weiter geradeaus.
„Rechts, habe ich gesagt!“, schnauzte der General von hinten.
Mist, schon der zweite Fehler! Ruhig bleiben, befahl sich Isidor. „Sie sind nicht hier aus der Stadt“, antwortete Isidor so arrogant er konnte. „Rechts gibt es seit zwei Wochen eine Baustelle, da stehen wir um diese Zeit mindestens zwanzig Minuten im Stau. Ich denke, das ist weder in Ihrem, noch in meinem Interesse.“
Der General schnaubte: „Sie fahren dorthin, wo ich will! Nächste Möglichkeit links!“
„Sehr wohl!“, antwortete Isidor und nahm die Abzweigung zum Bahnübergang. Das würde ihn zumindest eine Viertelstunde lang durch die Prüfung retten, wenn er Glück hatte, jedenfalls.
„Scheiße“, brummte der Prüfer, als sich die Schranke vor ihnen schloss. „Die 10 Uhr Züge“, erwiderte Isidor, nun ausgesucht höflich. „Zuerst der ICE München-Berlin, dann meistens ein Güterzug.“ Er stellte den Motor aus und lehnte sich zurück.
Der Prüfer grummelte wieder, dann lehnte er sich ebenfalls zurück und schloss die Augen.
Schließlich ging es weiter. "Geradeaus", hörte Isidor. Er fuhr. "Nächste Möglichkeit rechts." "Noch einmal rechts und zurück zum Parkplatz."
Gerade, einfache Straßen, keine Fallstricke, kaum Kreuzungen. Wie sanft und leise die Stimme plötzlich war, die ihm die Anweisungen gab! Wo war das Monster von vorhin geblieben? Isidor warf einen Blick zur Seite. Neben ihm saß der Fahrlehrer, den Zeigefinger warnend an der Lippe. "Da vorn dann einparken". Der Fahrlehrer flüsterte fast.
Isidor brauchte drei Versuche, bevor er in der Parklücke stand. Der Fahrlehrer drehte sich um und rüttelte den Prüfer am Arm.
"Perfekt eingeparkt!", schrie er gegen das Schnarchen an. "Und der nächste Prüfling wartet schon!

 

Hallo Kersidra,

wenn ich das richtig sehe, ist das der erste Text, den Du hier vorstellst. Bezüglich Rechtschreibung und Zeichensetzung scheint er mir fehlerfrei und am Wortschatz mangelt es Dir auch nicht. Das sind schon einmal gute Voraussetzungen :).

Leider muss ich Dir sagen, dass mich die Story an sich dann aber nicht gepackt hat. Das an fünf verschiedenen Sachen:

1. Du arbeitest viel mit beschriebenden Adjektiven und Verben:

mit den winzigen, durchdringenden Augen

flüsterte

Sehr niedergeschlagen wirkte sie.

durchfuhr es Isidor.

ein ganzes Rudel ängstlicher, neugieriger Augen

der dürre, miserabel gelaunte, händezerquetschende Kerl.

Das sind nur ein paar Beispiele aus den ersten drei Absätzen, auf die man den Grundsatz "Show, don't tell", wunderbar anwenden kann. Da Du weitestgehend einem personalen Erzähler folgst, der seine eigenen Eindrücke schildert, finde ich diese wertenden Adjektive teilweise ok, Du treibst es aber für meinen Geschmack im Text ein wenig zu weit damit ;).
Generell würde ich mit Begriffen wie 'flüsterte', 'brüllte', 'schnauzte', usw. sehr sparsam umgehen. Abwechslung in der Sprache ist zwar fast immer eine gute Idee, aber Dialoge bilden hier die große Ausnahme. Wenn Du Dir da mal ein paar gute Autoren als Beispiel anschaust (stephen King würde mir da spontan einfallen), wirst Du sehen, das die fast immer mit einem schlichten 'sagte' auskommen.
Oder noch besser: Sie kommen über lange Strecken ganz ohne Erläuterung aus, weil schon anhand der Sprache oder des Gesprochenen klar ist, wer da gerade redet. Das ist aber dann zugegebenermaßen Königsklasse :D.


2. Deine Sätze sind manchmal unnötig verschachtelt, wodurch es schwer wird, die Pronomen korrekt zuzuordnen - z.B. gleich in den ersten beiden Sätzen:

Wie ein Geier starrte der dürre Mann mit den winzigen, durchdringenden Augen Isidor an. Der fühlte, wie er immer kleiner wurde, während der Mann ihm die Hand schüttelte und sie dabei fast zerquetschte.

Oder hier:

Isidor blickte zu ihm auf – der Mistkerl war auch noch einen Kopf größer als er – und versuchte, seine Panik zu verbergen.

Den Einschub braucht es z.B. gar nicht, denn wenn Isidor zu dem Fahrprüfer aufblickt ist ja bereits klar, das Letzterer größer ist. Generell würde ich die Sätze entzerren und lieber in zwei oder drei kürzere aufteilen. Das steigert nebenbei auch das Erzähltempo und passt zu Isidors Angst.


3. Die Figuren handeln teils arg überzeichnet und auch wenig glaubhaft, wie ich finde. Isidor hat verständlicherweise große Angst vor seiner dritten Fahrprüfung, wird dann aber schon nach allerkürzester Zeit recht aufmüpfig gegenüber dem Fahrprüfer. Letzterer wiederum brüllt in Kasernen-Lautstärke, was mir bei einer Fahrprüfung kaum vorstellbar scheint. Gib ihm doch lieber eine trügerisch leise und freundliche Stimme, das würde hier evtl. sogar noch einen stärkeren Effekt ergeben und besser zu der dürren Gestalt passen. Vor allem da der Prüfer dann nach all dem Rumgebrülle am Ende doch nur einschläft.


4. Ganz grundlegend finde ich, Du baust eine Pointe zu viel in den Text ein. Den Einstieg finde ich nämlich vom Grundsatz sehr gelungen: Die bedrohliche Atmosphäre, das dürre Monster mit dem stechenden Blick, die Frau vor Isidor, die es nicht geschafft hat... Nur kommt hier die Auflösung zu früh, denn dass es letztlich "nur" um eine Fahrprüfung geht, verrätst Du schon nach dem dritten Absatz. Ich glaube jeder, der sich noch an seine eigene Fahrprüfung erinnert, wird an dieser Stelle mindestens schmunzeln müssen und sich denken: "Ja, so ähnlich war das bei mir auch."
Da braucht es dann die ganze weitere Dramatisierung mit dem Job und der belogenen Freundin gar nicht mehr. Du bräuchtest nicht einmal mehr die Fahrprüfung wirklich für die Story, wenn Du die ersten Absätze ein wenig mehr ausschlachtest.
Die Alternative wäre, Du sagst gleich ganz klar, worum es geht, lässt dann aber mehr Raum für die Prüfung und Isidors Ängste. Die Pointe wäre dann, dass der Prüfer alles ab dem Bahnübergang nicht mehr mitbekommen hat. In diesem Fall muss natürlich der Fahrlehrer unauffällig die Anweisungen während der Prüfung übernehmen, was Isidor eventuell wegen seiner Aufregung erst später auffällt. Wenn das der Kern der Geschichte sein soll, würde ich auch bereits an dieser Stelle aufhören:

Der Fahrlehrer drehte sich um und rüttelte den General am Arm.
„Wir sind wieder da!“, schrie er gegen das laute Schnarchen an. Und der nächste Prüfling wartet schon!“

Hier ist mir dann übrigens doch ein kleiner Fehler aufgefallen ;): Die Anführungszeichen vor dem "Und" fehlen.


5. Du wechselst mindestens einmal die Erzählperspektive:

Der General fuhr zusammen. „Was?“, fragte er verwirrt. Er sabberte auch noch. Er blickte sich um. Tatsächlich. Neben dem Auto stand schon die junge Frau, für die er sich extra lange Zeit nehmen wollte, die, die schön war wie eine Elfe, nur nervöser.

Hier sind wir auf einmal in der Perspektive des Fahrprüfers, während der restliche Text aus Isidors Sicht geschildert wird. Das würde ich ändern oder streichen.


So, ist eine ganze Menge Text geworden und ich hoffe Du nimmst mir meine direkten Worte nicht übel. Wie gesagt: Das Thema hat definitiv Potential und reicht in meinen Augen sogar für zwei Kurzgeschichten. Das nötige Handwerkszeug dafür besitzt Du soweit ich das sehe auch!

Ich hoffe, mein Kommentar hilft Dir weiter!

Schöne Grüße
HerrLose

 

Hallo Kersidra,

deine Geschichte hat, in meinen Augen, sowohl Positives, als auch Negatives.
Der Zwiespalt des Protagonisten bezüglich seiner Freundin, fand ich sehr gelungen. Er versucht sie vor der Enttäuschung zu bewahren und will nicht als Verlierer gelten. Ein interessanter innerer Konflikt, der den Protagonisten gleich etwas interessanter macht.
Des Weiteren wirkten die Dialoge zwar etwas überzogen, aber doch glaubhaft und organisch, sodass es Spaß gemacht hat, die Geschichte zu lesen.
Generell ist den Schreibstil angenehm zu lesen, wenn auch, wie von HerrLose bereits aufgeführt, stellenweise ungelenk. Aber wessen erste Geschichte ist schon perfekt?

Doch mit dem Charakter des Prüfers konnte ich mich so gar nicht anfreunden.
Er schnauzt Isidor (kreativer Name :D) wie ein Offizier an, letzterer reagiert mit demselben Tonfall und der Prüfer nimmt das, ohne etwas zu sagen, hin? Das wirkt unglaubwürdig, denn er müsste doch erkennen, dass Isidor ihn auf die Schippe nimmt.
Noch problematischer seh ich die Art und Weise, wie Isidor schließlich die Prüfung besteht. Der Prüfer schläft einfach ein und Isidor bzw. der Fahrlehrer macht was er will. Der Prüfer erklärt, endlich aufgeweckt, die Prüfung für bestanden, ohne auch nur nachzufragen. Also das wirkt einfach uninspiriert und hinterlässt einen schalen Beigeschmack, wirk es doch extrem an den Haaren herbeigezogen und unrealistisch.
Lässt man diese Manko außer Acht, habe ich deine Geschichte gern gelesen und hoffe, du bleibst am Ball.

Beste Grüße, gibberish

 

Hallo Herr Lose und Gibberish,
vielen Dank für eure langen und ausführlichen Kommentare! Ich fand sie sehr hilfreich und konnte das meiste auch nachvollziehen.
Ich habe jetzt ein paar Dinge geändert und hoffe, dass die Geschichte damit ein bisschen besser geworden ist.
Viele Grüße
Kersidra

 

Hallo Kesidra,

schön, dass Du meinen Kommentar positiv aufgemnommen hast :-).

Ich habe die überarbeitete Fassung jetzt gerade noch einmal gelesen und finde sie jetzt deutlich "knackiger". Gefällt mir so gut!

Schöne Grüße
HerrLose

 

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