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Der Führerschein
Wie ein Geier starrte der dürre Mann mit den durchdringenden Augen Isidor an. Der fühlte, wie er immer kleiner wurde, während der Mann ihm die Hand schüttelte und dabei fast zerquetschte. Die Äuglein des Mannes blitzten wütend. Isidor schrumpfte noch weiter. Eine Frau stieg mit ihrer Handtasche aus dem Auto, grüßte ihn mit einem Nicken, flüsterte „viel Glück“, und machte, dass sie davon kam. Sehr niedergeschlagen wirkte sie.
„Sie meint es nicht“, durchfuhr es Isidor. „Sie hat es nicht geschafft, nun soll es auch kein anderer hinbekommen.“ Aus dem Fenster in Café gegenüber blickte ein ganzes Rudel ängstlicher, neugieriger Augen ihn und das kleinäugige Monster an – die Prüflinge, die nach ihm dran wären.
Heute Abend sollte es losgehen, zum Wochenendausflug mit seiner Freundin. Und danach in den neuen Job, als Installateur. Aber zwischen Isidor und seiner Zukunft stand der dürre, miserabel gelaunte, händezerquetschende Kerl. Isidor blickte zu ihm auf und versuchte, seine Panik zu verbergen. Dabei konnte er den eigenen Angstschweiß riechen.
Seit Monaten plagte er sich in der Fahrschule. Zweimal war er durchgefallen. Das erste Mal gestand er seiner Freundin niedergeschlagen. Beim zweiten Mal stand, als er nach Hause kam, Champagner auf dem Tisch, es duftete betörend aus der Küche und sie sah umwerfend aus. „Na, dieses Mal hat es geklappt, oder?“, fragte sie, eher beiläufig und drückte ihm einen roten Umschlag mit Goldschrift in die Hand. „Endlich Führerschein!“ stand auf dem Umschlag, drinnen war die Buchung für ein Hotel am See und für einen Mietwagen. Ein riesiger Kloß steckte plötzlich in Isidors Hals. Einmal durchfallen, klar, das kam vor. Aber zweimal? Sie sah ihn gespannt an. Isidor nickte. Er bemühte sich verzweifelt um ein Lächeln. „Ja“, sagte er, „ich habe es geschafft.“ Er küsste sie, damit sie ihm nicht ansah, dass er log.
In seinem Vorstellungsgespräch kam Isidor nicht einmal die Idee, zuzugeben, dass er den blöden Führerschein noch nicht hatte. Ohne Fahrerlaubnis kein Job, so einfach war das. In vier Tagen sollte es losgehen. Dies hier war seine letzte Chance.
„Dann ab ins Auto!“, sagte das Monster. Isidor schob sich auf den Fahrersitz und stellte ihn ein. „So“, flüsterte er.
„Sie fahren nach links aus dieser Straße raus, dann nach 200 m rechts!“
Isidor legte den Gang ein und ließ die Kupplung kommen.
„Haben Sie verstanden?“, frate das Monster mit schneidender Stimme. Isidor erschrak und ließ die Kupplung los. Das Auto sprang mit einem Satz nach vorn und ging wieder aus. Ein lautes Stöhnen auf der Rückbank folgte. „Ich erwarte eine Rückmeldung, wenn ich mit Ihnen spreche, ist das klar?“ Woher hatte das Monster bloß diesen Ton? War er Prüfer bei der Bundeswehr? Vielleicht wegen schlechten Benehmens unehrenhaft entlassen? Isidor reichte es.
„Jawoll, Herr General!“, antwortete er.
Er sah in den Rückspiegel, dem Monster direkt ins Gesicht. Der Prüfer wirkte überrascht. Er schnappte nach Luft, als wolle er gleich losbrüllen. Aber er blieb stumm.
Isidor fuhr los. Nach links aus der Straße raus, dann immer weiter geradeaus.
„Rechts, habe ich gesagt!“, schnauzte der General von hinten.
Mist, schon der zweite Fehler! Ruhig bleiben, befahl sich Isidor. „Sie sind nicht hier aus der Stadt“, antwortete Isidor so arrogant er konnte. „Rechts gibt es seit zwei Wochen eine Baustelle, da stehen wir um diese Zeit mindestens zwanzig Minuten im Stau. Ich denke, das ist weder in Ihrem, noch in meinem Interesse.“
Der General schnaubte: „Sie fahren dorthin, wo ich will! Nächste Möglichkeit links!“
„Sehr wohl!“, antwortete Isidor und nahm die Abzweigung zum Bahnübergang. Das würde ihn zumindest eine Viertelstunde lang durch die Prüfung retten, wenn er Glück hatte, jedenfalls.
„Scheiße“, brummte der Prüfer, als sich die Schranke vor ihnen schloss. „Die 10 Uhr Züge“, erwiderte Isidor, nun ausgesucht höflich. „Zuerst der ICE München-Berlin, dann meistens ein Güterzug.“ Er stellte den Motor aus und lehnte sich zurück.
Der Prüfer grummelte wieder, dann lehnte er sich ebenfalls zurück und schloss die Augen.
Schließlich ging es weiter. "Geradeaus", hörte Isidor. Er fuhr. "Nächste Möglichkeit rechts." "Noch einmal rechts und zurück zum Parkplatz."
Gerade, einfache Straßen, keine Fallstricke, kaum Kreuzungen. Wie sanft und leise die Stimme plötzlich war, die ihm die Anweisungen gab! Wo war das Monster von vorhin geblieben? Isidor warf einen Blick zur Seite. Neben ihm saß der Fahrlehrer, den Zeigefinger warnend an der Lippe. "Da vorn dann einparken". Der Fahrlehrer flüsterte fast.
Isidor brauchte drei Versuche, bevor er in der Parklücke stand. Der Fahrlehrer drehte sich um und rüttelte den Prüfer am Arm.
"Perfekt eingeparkt!", schrie er gegen das Schnarchen an. "Und der nächste Prüfling wartet schon!