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Der Erste von Vielen

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20.09.2007
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Der Erste von Vielen

Ich lebe nun schon seit ich denken kann im Hause meiner Eltern. Ein kleines Kellerzimmer steht mir zur freien Verfügung und ich habe es, so gut es mir gefällt, auch gemütlich und wohnhaft eingerichtet. Es ist nicht viel, nur ein paar Schränke für meine Bücher und Hefte, ein Bett, Schreibtisch und ein einfaches Radio, das, um mir die Zeit zu verkürzen und mich zu unterhalten, nahezu ununterbrochen in Betrieb ist. Ein kleines Fenster, durch das das sommerliche Licht und der winterliche Mondschein fällt, erhellt und färbt den Raum zu jeder Tageszeit mit einem angenehmen Licht. Trotz der Kälte im Winter und der klammen Luft im Sommer, erschließt sich mir so eine besondere Arbeitsatmosphäre.
Meine Eltern sehen mich als Teil ihres Hauses und unterstützen mich mit kleinen Dingen, wie Papier, Essen und manchen alten Kleidern, die schon Jahre abgetragen sind, aber keinesfalls den Anschein des Verbrauchten erwecken. Sie verstehen meine Arbeit nicht und stören sich auch nicht daran, mir dies verständlich zu machen. Sie sind einfache Menschen, doch das stört weder sie noch mich. So leben wir nebeneinander und manchmal sogar miteinander. Ich arbeite meistens nachts, da mein Beruf dies erfordert, weshalb ich meine Familie kaum sehe, was aber nicht das Zusammenleben beeinflusst und auch keineswegs den Abstand zwischen uns vergrößert.
So wachte ich eines Mittags auf und ging in meinem Zimmer auf und ab. Ich hatte eine große Unruhe, obwohl das Licht wie immer Farben und Helligkeit von außen in mein Zimmer warf. Ich ging zur Tür, öffnete sie und sah einen weißen Zettel, den ich vorher noch nie bemerkt hatte. Er war im Hochformat mit einer einzelnen Reißzwecke befestigt und vollkommen leer. Ich schenkte dem keine weitere Beachtung und ging nach oben ins verlassene Wohnzimmer. Die Tür stand offen und bedeutete mir nach draußen zu gehen. Ich folgte der Einladung und wurde vom sonnenklaren Wetter zu einem ausgiebigen Spaziergang verführt.
Es war bereits Nacht als mich mein Weg zurück nach Hause führte. Sehnsucht nach meiner Heimat nach der Gewohnheit und dem Alltag hatte mich erfasst. Ich war unterwegs von einigen interessanten Landschaften und Begegnungen aufgehalten worden. Die Eingangstür meines Elternhauses stand erneut weit geöffnet. Mein erster Gedanke beim Eintreten galt dem weißen Zettel, an den ich während meines Spazierganges nicht ein einziges Mal gedacht hatte. Ich rannte durch die verlassene Stube zur Kellertreppe und bemerkte ein Licht, welches mit dunklem, altem Schein die Treppe beleuchtete. Ich hastete die Treppe hinab und sah die Quelle des Lichts. Es schien direkt meinem Zimmer zu entstammen und füllte den Kellerkorridor durch den Türspalt mit einem diffusen Licht, das gerade ausreichte, um mich erkennen zu lassen, dass nunmehr einige Sätze auf dem Zettel entstanden waren.
Ein Mietgesuch für eine geräumige Kellerwohnung. "Möbliert und einzugsbereit", versprach das Angebot, für einen sehr günstigen Preis. Die Schrift konnte ich nicht eindeutig zuordnen, doch sie schien mir sehr hastig und ungenau. Wer könnte so etwas an meiner Tür anbringen und aus welchem Grund? Ich stand eine ganze Weile vor meiner Tür und betrachtete jede Einzelheit des Zettels, wobei mir besonders ein kleiner Riss an der linken unteren Ecke ins Auge fiel. Er war ungewöhnlich groß, als ob jemand mit schneller Bewegung den Zettel abreißen wollte und dabei gehindert wurde.
Ich trat ein. Ein alter, grobschnittiger, zerzaußter Mann saß auf meinem Bürostuhl mit dem Rücken zu meinem Schreibtisch, hatte seine dreckigen Füße auf das Kanapee gelegt und bewarf die gegenüberliegende Wand mit Farbe, die er mit der bloßen Hand aus einem riesigen Eimer fischte. Er schien mich nicht zu bemerken, weshalb er sich auch nicht an meinen verwunderten Blicken störte. Ich fragte ihn, was er in meinem Zimmer mache und er antwortete nur mit einem gebrüllten, kaum verständlichen "Raus hier, oder ich nehme alles mit". Ich sah keine Möglichkeit diese abstruse Situation zu kontrollieren und ging deshalb in der Hoffnung meine Eltern anzutreffen nach oben. Ich fand sie still am Tisch sitzend und sich ansehend, wie Menschen, die Geheimnisse nicht teilen wollen, oder die richtigen Worte für eine schmerzhafte Wahrheit suchen. Also fragte ich sie gerade weg, was dieser verkommene Mann in meinem Zimmer veranstalte, worauf keine Antwort kam.
Nach einer kurzen Stille fing mein Vater an zu erklären, dass der Mann ein sehr fleißiger Arbeiter sei, den man aufgrund seiner guten Mietzahlung habe einziehen lassen, denn ich müsse ja verstehen, dass sich der Vater in einer schlechten Lage befinde, da keine Arbeit mehr zu finden sei und welch ein Glücksfall dieser Fremde doch wäre, er heiße übrigens Barabas. Ich fand in diesem Moment keine passenden Worte, sodass mein Vater direkt weitersprach und mir verständlich zu machen versuchte, dass ich doch möglichst gleich nochmal hinunter gehen und Barabas meinen Schlüssel geben sollte, der Nachbar würde schon mit dem Auto warten, mich in die Stadt zu fahren, wo ich dann auf gut Glück eine Arbeit suchen könnte, oder was ich auch immer für richtig hielte. Als ich nach meinen Büchern und Heften fragte, sagte mein Vater nur, die habe Barabas verbrannt, weil sie ihn beim Farben werfen behindert hätten. Er sei ja Künstler und ich solle mir ein Beispiel an seiner harten Arbeit nehmen, denn er habe wohl kaum Schlaf. Mit einem letzten Seitenblick verabschiedete sich auch die Mutter von mir und der Vater deutete noch einmal erinnernd auf die diffus beleuchtete Treppe, von der aus man das Klatschen von des Barabas Farben hörte.
Ich ging also hinab und sah ihn unverändert auf dem Bürostuhl sitzen. Nun mit einem neuen Farbeimer zwischen den vor Schweiß triefenden, dicken Beinen. Als ob ich kilometerweit entfernt wäre, rief er mir nur das Wort "Schlüssel" zu, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Ich nahm den Schlüssel und warf ihn so stark ich konnte dem Barabas entgegen, doch statt ihn zu treffen zerschmetterte er das Glas des Bilderrahmes in dem sich ein Foto von mir und meinen Eltern befand. Barabas sah mich nun mit starrem Blick an und verzog seine aufgesprungenen Lippen zu einem Ausdruck des Unverstehens. Dann zog er ein Messer aus seiner Hose und spießte es mit einem gewaltigen Ruck in das Foto, sodass kleine Glassplitter seine Hand streiften und zerschnitten. "Ich kann nicht verstehen, wie sie mich hier wohnen lassen können...", sagte er und sah mich wie einen obdachlosen Landstreicher an, wie die Verkörperung des gesellschaftlichen Abschaums.
Es war sehr kalt in der Stadt und ich kannte keinen der unzähligen Menschen, die nur vorbei gingen, um mir einen verachtenden Blick zu zuwerfen. In meiner Hosentasche hatte ich den einzigen Besitz, der mir geblieben war. Ein Obdachloser setzte sich zu mir und fragte, woher ich denn käme. Ich antwortete nicht, da die Kälte meine Lippen betäubt und verschlossen hatte.
Als die tiefe Nacht angebrochen und ich allein auf dem alten Bahnhofsplatz war, zog ich den kleinen, ledierten Zettel aus der Hosentasche auf dem nur eine Zeile stand,"Der Erste, der geht, ist einer von Vielen die aufgeben". Ein Satz, den ich aufgeschrieben hatte bevor ich meinen Spaziergang antrat, den Sinn des Lebens allein zu suchen und den ich in die Hosentasche gesteckt hatte, als ich nebenbei einem alten Mann namens Barabas die Tür meines Elternhauses aufhielt.

 

Hej noisemonkey,

herzlich willkommen auf kg.de!

Vielleicht bin ich ja zu blöd, aber die philosophische Seite Deiner Geschichte konnte ich nicht so recht entdecken. Ich finde sie eher seltsam und unter diesem Aspekt gefällt sie mir ganz gut.

Was mir beim Überfliegen aufgefallen ist und keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit erhebt:

wohnhaft
gibt es das Wort? Besser finde ich "wohnlich".

Sie verstehen meine Arbeit nicht
Was ist das für eine Arbeit? Warum erwähnst Du sie hier - oder meinst Du eigentlich, dass sie den Prot nicht verstehen?

mir dies verständlich zu machen.
Das finde ich merkwürdig formuliert. Sich daran stören, sich jemandem verständlich zu machen, hm? Vielleicht genügt: Sie stören sich nicht daran.

das stört weder sie noch mich
schon wieder "stören", vielleicht findest Du ein anderes Wort

Ich hatte eine große Unruhe
ich finde das klingt komisch. Ist das etwas Süddeutsches? Ich würde "war in großer Unruhe" oder " hatte eine große Unruhe in mir" vorschlagen.

Er war im Hochformat
Ist das wichtig?

Es war bereits Nacht
Ohne "bereits" ginge es auch, und da viel Zeit vergangen ist, die der Leser nicht nachvollziehen kann, würde ich es weglassen, weil es unnötig beschleunigt.

wie einen obdachlosen Landstreicher an, wie die Verkörperung des gesellschaftlichen Abschaums.
Das klingt durch die Aufzählung, als könne man eins mit dem anderen gleich setzen. Wolltest Du das ausdrücken?

einen verachtenden Blick
verächtlichen?

Viel Spaß noch!
Ane

 

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