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Der erste Tanzabend (Ostdeutsche Provinz 1962)
Endlich! Am letzten Samstag im Oktober des Jahres 1962 durfte ich zu meinem allerersten Tanzabend gehen. Traditionell wurden an unserem Gymnasium vier Schulfeste gefeiert, in jeder Jahreszeit eines. Daneben gab es noch eine Reihe von Klassenfesten, je nachdem wie gut sich eine Klasse verstand. an diesem Samstag sollte nun das Herbstfest unserer 9. Klasse steigen. Wir Maedchen hatten mit dem Geld der Klassenkasse Broetchen, Wurst-Aufschnitt und Käse besorgt und bereiteten eine vorher abgezaehlte Menge von belegten Broetchen vor. Dazu stellten wir kleine Teller mit sauren Gurken auf die Schultische, die wir hufeisenfoermig zusammengestellt hatten, damit genug Platz fuer die Tanzflaeche blieb. Unsere Jungen kuemmerten sich unterdessen um die Bowle, die sie mit eingeweckten Erdbeeren und etwas Schnaps angesetzt hatten und nun kurz vor dem Beginn des Festes mit Weisswein und Selters auffuellten. Fuer die Musik war Teddy zustaendig, der schon ein Tonbandgeraet besass und einen Bruder im Westen, weshalb Teddy auch viele Schlager aus dem Westen aufgenommen hatte.
Nachdem wir uns gestaerkt hatten, einige Zeit mit Gesellschaftsspielen verbrachten und den Solo-Einlagen einzelner Schueler zugehoert hatten, begann endlich der Tanz.
Wir Maedchen trugen weite bunte Roecke unter denen die selbst gestaerkten Petticoats hervorlugten. Die Taille hatten wir mit breiten Guerteln, so eng wie moeglich, geschnuert und unter den engen Blusen trugen wir spitze BHs. So dass wir alle, wie wir meinten, ein bisschen wie Brigitte Bardot aussahen. Sie war unser absolutes Vorbild, ihr wollten wir wie ein Abbild gleichen. Unsere Gesichter bedeckten wir mit einer dicken cremartigen Puderschicht, die Augenbrauen und Lippen wurden dick, auffaellig und ueberzogen geschminkt, die Wimpern hatten wir kuenstlich verlaengert und hoch gebogen. Jede von uns schien geradewegs aus einem franzoesischen Filmstudio zu kommen.
Die Haare trugen einige Maedchen als locker wippenden Pferdeschwanz, andere hatten sie zu komplizierten Duttfrisuren hochgesteckt, die mit Haarspray bestaeubt in eine Dauerform gebracht wurden. Ich selbst trug auch einen Dutt, fuer den ich zu Hause Stunden vor dem Spiegel zugebracht hatte. Jede von uns fand sich traumhaft aussehend und meinte, sie sei die Schoenste. Da wir damals erst vierzehn oder fuenfzehn Jahre alt waren, versuchten wir alles, um wie Achtzehnjaehrige auszusehen.
Als der erste Foxtrott begann, forderte mich rasch der blonde Richard auf. Er sass in der Schulbank neben mir, hatte wunderschoene blaue Augen, umrahmt mit einem Kranz langer schwarzer Wimpern und blondes welliges Haar. Doch den Richie, wie wir ihn nannten,
fand ich zu klein und noch zu jungenhaft. Dabei, tanzen konnte er schon, doch als Taenzer war er mit mir nur gleich gross und ich mass ja gerade einen Meter sechzig. Damals fand ich jedoch, ein Mann sollte die Frau um Kopfeslaenge ueberragen und so stark sein, dass er sie ueber einen wilden Bach tragen konnte.
Da Richie zum dritten Mal auf mich zusteuerte, floh ich auf die Toilette. Als ich zurueckkam, sass nur noch Berni an einem Tisch. Berni gehoerte zu den Sport-Assen der Klasse, war gross und durchtrainiert gebaut, zaehlte in Mathe und den Naturwissenschaften zu den intelligentesten Schuelern und sah mit seinen braunen Locken recht gut aus. Dennoch wirkte er immer etwas schuechtern. Ich blieb in seiner Naehe stehen, schaute aber weit ueber ihn hinaus, irgendwo hin. Bis sich unsere Blicke wie zufaellig kreuzten, da laechelte ich ihn auf unbestimmte Art an. Berni schien zu verstehen und forderte mich hoeflich zum Tanz auf. Auf der Tanzflaeche entschuldigte er sich jedoch sofort dafuer, dass er nicht tanzen koenne. Seine Tanzschritte waren wirklich nicht so toll, aber Berni sah gut aus und war bei den Maedchen beliebt. Allein das zaehlte schon, dass die anderen Maedchen sahen, wie er mit m i r tanzte, den ganzen Abend lang.
Doch bis zum Ende blieben wir nicht. Vor dem letzten Tanz gingen wir hinaus. Draussen am Schultor nahm Berni meine Hand und wir spazierten Hand in Hand aus unserer kleinen Stadt hinaus, auf dem Sandweg in Richtung Krankenhaus, das am Ende des Ortes lag. Irgendwann setzten wir uns auf eine Bank, die am Tage fuer die ankommenden Kranken vorgesehen war und schauten in die klare dunkle Nacht. Wir schwiegen eine Weile und da ihm offensichtlich nichts Besseres einfiel, erklaerte Berni mir den von Sternen uebersaeten Nachthimmel. Wie dieser und jener Stern hiess, wie die Sternenbilder so aussehen und wie man sie erkennt. Ja, er war der Erste, der mit den Grossen und Kleinen Baeren am Nachthimmel zeigte. Allerdings fand ich das an jenem Abend nur maessig interessant. Ich wartete darauf, dass er seinen Arm um meine Schultern legte und dann ... So genau wusste ich auch nicht, was dann kommen sollte, aber irgendetwas sehr Schoenes, das mit der Liebe zu tun haben muesste. Als ich auf Bernis voellig unromantische Deutungen des Sternenhimmels nur mit "Hm" und "Ach so?" reagierte und keine Fragen weiter stellte, verstummte auch er. Wir schwiegen nun beide nebeneinander auf einer einsamen Bank sitzend, unter einem romantschen Sternenhimmel. Mir war klar, dass unser Schweigen in diesem Moment nicht richtig sein konnte, aber ich war unfaehig, ihm das zu sagen, woran ich dachte. Und Berni schien mit dieser fuer ihn ebenso neuen Situation, auch ueberfordert zu sein. Nach einer gefuehlten Stunde des Schweigens, fragte er, ob er mich nun nach Hause bringen solle. Ich bejahte sofort und sprang enttaeuscht von der Bank auf. So ein langweiliger Spaziergang in dieser schoenen Sternennacht! So eine verpasste Chance... an meinem ersten Tanzabend. Was haette in dieser Nacht nicht alles geschehen koennen...! Klar, dass wir uns an den naechsten Tagen nicht mehr ansahen. Dieser unromantische Versager konnte mir gestohlen bleiben! Was Berni dachte, erfuhr ich nie, aber auch er senkte den Blick, wirkte noch unbeholfener als sonst.
Und doch. Sind nicht jene unerfuellten Traeume aus der Kindheit und Jugend unsere schoensten Erinnerungen geblieben ,,,?