Der Erde Alltagskleid
Einmal, es regnete stark an diesem Tag (weswegen ich wohl vermutlich zuhause blieb), sah ich mal wieder auf die alte Tür meines Mahagonieschrankes. Ein Sammlerstück, groß und geräumig, dunkles, starkes Holz, kein billiges welches sofort zerspringe, würde man es mit leichtestem Kraftaufwand drücken. Zwei Türen, nicht wie einfache Schränke nur eine und eine kleinere. Nein, es waren definitiv zwei Türen. Zwei, gleichgroß und robust waren sie. Man konnte sie mit Leichtigkeit öffnen, einmal daran ziehen und man konnte den Inhalt betrachten.
Doch dieser ist nicht relevant, zumindest nicht jetzt zu diesem Zeitpunkt. Ich kaufte den Schrank in einem großen Möbelhaus. Der Verkäufer riet uns diesen Schrank zu nehmen, nur diesen, gerade diesen und keinen anderen außer diesen. Er stamme aus Brasilien, nein besser wir haben ihn aus Brasilien. Es ist schon sehr lange her, aber wir waren dort. Dessen bin ich mir sicher. Ich vergesse, doch ich kann erinnern. Dieser Schrank stammt definitiv direkt aus Brasilien. Wir haben ihn importieren lassen, wir mussten ihn kaufen schließlich waren wir damals noch gut betucht. Heute scheint es anders, doch wir waren es, definitiv. Wenn es ein anderer Schrank gewesen wäre, so stünde dieser nun nicht hier und ich könnte mich nicht an seinem starken und rustikalen Anblick erfreuen.
Ich verehre den Schrank nicht, nein nein, nimmer! Ich erfreue mich nur seinen Abbilds und seiner Funktion. Er ist sehr nützlich, vor allem wenn man in ihm Kleidung verstauen möchte. Hemden, Krawatten, Mäntel mit und Mäntel ohne Kapuzen, ja sogar meine alte Weste aus vergangenen Zeiten bewahre ich in diesem Schrank auf. Und das alles tat ihm nicht einmal weh. Er beklagte sich jedenfalls nie bei mir. Er nahm die Situation einfach hin, egal was ich in ihn reinstecke, er nahm die Dinge dankbar auf und versperrt sie in seinem Schlund als würde er sie einfach auffressen und verdauen.
Ich weiß nicht was passiert, sobald ich die Schranktüren schließe. Möglicherweise verschwinden die Sachen und tauchen plötzlich, wie aus dem Nichts wieder auf wenn ich die Türen öffne, sodass ich mir das passende raussuchen möge und es anziehen könnte. Ich trage sehr oft Kleidung, ist es nicht das was einen Menschen ausmacht? Bunte, helle Kleidung, mit Mustern und Verzierungen. Nein doch nicht, das ist es nicht was meine Kleidung ausmacht. Gelegentlich wohl eher etwas dunkles, schlichtes ohne Klambam und ohne viel Aufwand. Passend muss es sein und tragfähig, nicht unzerstörbar aber elastisch, sodass es mir schmeichelt, nein besser: Mir gefällt.
Aber genug von meiner Kleidung, ich sagte der Inhalt meines Schrankes tue nichts zur Sache, zumindest nicht jetzt zu diesem Zeitpunkt.
Meine Wohnung ist klein, nicht zu klein aber keinesfalls groß. Ausgestattet, einmal reichhaltig aber nun dürftig. Abends manchmal, ich sitze jeden Abend in meinem Fernsehsessel, er war rot, und groß genug um mir Bequemlichkeit zu bieten.
Aber abends manchmal schaue ich auf den Bildschirm und sehe mir alles an was die Welt bietet. Ich sehe fremde Länder (nicht das ich noch nie fremde Länder sah, im Gegenteil, ich verreiste damals sehr oft, heute nicht mehr allzu viel, es war einmal anders). Ich sehe andere Kulturen, ich sehe Kochsendungen aus Indien und der Mongolei und ich sehe auch das endlose Nichts. Denn das Nichts umgibt uns doch alle. Es fröstelte mir, kein Wunder denn es herrschte stetiger Durchzug in meiner Wohnung (auch wenn diese nicht allzu groß war).
In meiner Wohnung stehen alle Türen offen, bis auf die besagte Schranktür, welche meinem Besitztum, welches mir durchaus heilig ist, Schutz bietet (dieses muss man sich nicht als Art heidnischen Götzenkult, nein vielmehr als Werthaltung meiner Besitztümer vorstellen). Ich mache die Türen niemals zu. Eine Angewohnheit, welche mir lange anhängt.
Ich will, nein vielmehr kann ich es nicht ändern, aber fest steht: Diese Türen bleiben offen. Ich hasse Veränderung nicht, keineswegs, im Gegenteil, oft liebe ich sie ein wenig. Aber es macht mich einfach nervös, wenn ich nicht beobachten kann was hinter diesen Türen passiert. Möglicherweise tuen sich neue Welten auf, wenn ich die Türen schließe, Welten, welche nur erscheinen wenn die Türen geschlossen sind, damit niemand sieht was passiert und die ewigen Geheimnisse bewahrt werden. Es könnte so viel, doch es ist tatsächlich sehr wenig. Ich werde niemals erfahren, was wäre wenn, denn fest steht: Diese Türen bleiben offen. Die Dunkelheit der toten Fluren durchzieht die totgesagten Fluren der Leere, Leere und Stille, welche mir keine Gnade hergibt. Es war nicht immer still. Einst regte sich florierendes Leben, aber nicht mehr in diesem Stück Welt. Hier war nur ich, ich und der Mahagonieschrank, der meine Sachen beschützt. Vor was beschützt er sie? Nicht vor Motten. Und ich sitze in meinem Sessel in der alten Wohnung an der staubigen Straße und sitze, denke nach und altere vor mich hin, kompromisslos und rücksichtslos. Ich habe nix gegen das Altern. Im Gegenteil: Ich schätze alte Menschen, sie sind weise und haben viel zu erzählen, anscheinend bin ich es selbst, denn auch ich habe viel zu erzählen, zum Beispiel über meinen Mahagonieschrank der meine Sachen beschützt. Wovor beschützt er sie? Nicht vor Motten, nicht vor Staub. Auf meinem Schrank steht das alte dunkle Buch, still und einfach. Und ich sitze in meinem Sessel und denke nach und ich lese, lese immer zu:
Was soll das, was sollst du?